jedermensch
 

Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen und Umweltfragen

Herbst 2003 - Nr. 628

Inhalt

Sterben eigentlich noch die Wälder ?
In den Medien, besonders im Fernsehen erlebte ich in Diskussionen über den Verkehr, wie ein Bild entworfen wird, die dieses Frage eigentlich überflüssig macht. Die Autos sind schadstoffärmer geworden, die Bahn passt sich den Bedürfnissen ihrer Fahrgäste an, die Flugzeugindustrie wird immer sauberer (und billiger). Über Ökologie darf eigentlich nicht gesprochen werden. Die alten Argumente streben wieder eindeutig in den Vordergrund. Das Arbeitsplatzargument an erster Stelle und dazu gesellt sich Mobilität der BürgerInnen als ein Grundbedürfnis, ja geradezu als ein Grundrecht, das nicht durch ökologische Überlegungen oder Maßnahmen beeinträchtigt werden darf.
Von Dieter Koschek

Die Signatur der Gegenwart als Ruf nach einem neuen Menschenbild
In der spannungsgeladenen Dynamik der Gegenwart gerät die Schulbildung junger Menschen mehr denn je zwischen die Fronten der gesellschaftlich dominierenden Kräfte. Staatliche Bildungsvorgaben und kommerzielle Profitorientierung bedrohen den pädagogischen Elan des Lehrers vor Ort. Nonkonformes Verhalten, Zivilcourage und andere in Deutschland wenig geübte Tugenden prädestinieren den Schüler für eine erfolglose Karriere in der staatlich verwalteten Arbeitslosigkeit. Die Schulbildung steht damit in vieler Hinsicht vor der Frage nach ihrem Sinn oder Unsinn in einer Zeit, in der die Ansprüche des Individuums in demselben Maße zunehmen, wie die Aussichten auf ihre materiell-finanzielle Realisation erdrutschartig ins Ausland abwandern, wo Arbeitsplätze wesentlich weniger kosten als im Hochlohnland Deutschland. Die überkommenen Strukturen der Bildung befinden sich aus diesem Grund in einem organisatorischen, psychologischen und mentalen Umbruch, der eingebettet ist in den gesamtgesellschaftlichen Wandel. Die Signatur dieses Wandels muß erkannt werden, wenn eine neue Sinnstiftung für die Bildung gelingen soll.
von Peter Schneider
Wenn es um die Macht geht...sind Parteien nicht zimperlich
Für ein besseres Wahlrecht auf die Straße gehen und Unterschriften sammeln – in Deutschland passiert es zum ersten Mal, dass Bürger die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie selbst bestimmen wollen. Vom 15. bis 29. September geht in Hamburg das Volksbegehren „Mehr Bürgerrechte – Ein faires Wahlrecht für Hamburg" an den Start
Larzac - Proteste gegen die Globalisierung
In Südfrankreich 300.000 gegen Globalisierung
José Bové verließ Gefängnis - weiter aktiv gegen Gentechnik und WTO
Cacun und Paris
Die Schnecke als Hoffnungsträger
Miriam Boyer über die „Räte der guten Regierung" in Chiapas
Schwerpunkt Ökologie und Verkehr

Menschengemäße Verkehrsordnung
Von Hans Georg Schweppenhäuser
Informationen über Fahrgastinitiativen
pro bahn, vcd,Von der Schweiz lernen
Mobilitätsplus trotz Haushaltseinsparen
I walk to school - Zu Fuß zur Schule
Technischer Wandel und menschliche Verantwortung
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen
Partnerschaft über die Baumwolle
Diesen Beitrag von Barbara Wagner können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

Die Macht der Konsumenten
Unzählige Beispiele belegen:
Konsumenten können durch ihre Kaufverhalten Unternehmen ökologischer und sozialer werden lassen. So soll es auch sein. Denn die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt.

Nachrichten aus Case Caro Carrubo: Legambiente
Diesmal weniger über uns, dafür mehr zum Thema Wasser.
Vor mir liegt der Bericht von 'legambiente', einer der größten Umweltschutzverbände Italiens, zum Thema Wasser in Italien. Der Bericht entstand im Zusammenhang des diesjährigen "Internationalen Jahr des Wassers" der UNO.
von Renate Brutschin
Nachrichten aus dem Eulenspiegel
Ein ereignisreicher Sommer geht zu Ende. Wie gehofft, hat sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert, d.h. im August und Anfang September waren die Umsätze etwa gleich wie im vergangenen Jahr. Dadurch hat sich der Rückgang geschmälert. Wir wollen hoffen und dafür arbeiten, dass sich diese positiven Ansätze weiterentwickeln.
von Dieter Koschek

Projektwerkstatt am See - Büro für Soziale Dreigliederung
Dieter Koschek berichtet von seiner Arbeit für soziale Bewegungen und derSozialen Dreigliederung
Freundeskreistreffen des Modell Wasserburgs
ein Bericht des Treffens vom August 2003
Gaumenkitzelkopf
Mario OHNO, Künstler und Dozent an der Freien Kunstakademie Nürtingen wird an diesen Tage zusammen mit StudentInnen der freien Kunstakademie den Gastraum und die Speisekarte gestalten. Mario OHNO, der in Stuttgart eine „Ein-Zimmel-Tafel" betreibt, wird die Menues auch persönlich kochen. Die Aktion hat den Untertitel „Gaststätte als Schule", und verspricht Genuss für Geist und Gaumen.
Anthroposophie und jedermensch
Tragik und Verpflichtung in den Mensch-Tier-Bezügen
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

Weitere Beträge und Kurznachrichten finden sie in der gedruckten Ausgabe

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Sterben eigentlich noch unsere Wälder?

In den Medien, besonders im Fernsehen erlebte ich in Diskussionen über den Verkehr, wie ein Bild entworfen wird, die dieses Frage eigentlich überflüssig macht. Die Autos sind schadstoffärmer geworden, die Bahn passt sich den Bedürfnissen ihrer Fahrgäste an, die Flugzeugindustrie wird immer sauberer (und billiger). Über Ökologie darf eigentlich nicht gesprochen werden. Die alten Argumente streben wieder eindeutig in den Vordergrund. Das Arbeitsplatzargument an erster Stelle und dazu gesellt sich Mobilität der BürgerInnen als ein Grundbedürfnis, ja geradezu als ein Grundrecht, das nicht durch ökologische Überlegungen oder Maßnahmen beeinträchtigt werden darf.

Aber selbst die Bundesregierung schreibt in ihrem Waldschadensbericht, dass sich zwar die Anstrengungen zur Verbessung der Luftqualität sich sehen lassen können, aber dennoch sei bei weitem kein befriedigender Zustand erreicht:

„Die im Jahr 2002 durchgeführte Waldschadenserhebung für Deutschland zeigt:
Insgesamt, d.h. im Durchschnitt über alle Baumarten, weisen - seit 1995 nahezu unverändert - 21 Prozent der Waldfläche deutliche Nadel-/Blattverluste auf (Schadstufen 2-4). Der Anteil deutlicher Nadel-/Blattverluste erreichte 1991 einen Höchststand (30 Prozent) und ging bis 1995 auf 23 Prozent zurück. Seit 1995 hat er sich zwar stabilisiert, aber nicht mehr wesentlich verbessert.
Dies spiegelt sich bei den flächenmäßig bedeutendsten Baumarten wider: Nahezu unverändert weisen 26 Prozent der Fichtenfläche, 13 Prozent der Kiefernfläche und 32 Prozent der Buchenfläche deutliche Nadel-/Blattverluste auf.
Lediglich bei der Eiche, der bisher am stärksten betroffenen Hauptbaumart, ist eine deutliche Besserung eingetreten: Der Anteil deutlicher Blattverluste ging seit dem Höchststand (1996/97: 47 Prozent) auf 29 Prozent (2002) zurück. Allerdings liegt das Schadniveau immer noch mehr als dreimal so hoch wie zu Beginn der Waldschadenserhebung (1984: 9 Prozent).
Der Ausstoß von Luftverunreinigungen wurde zwar deutlich verringert, gemessen an der Belastbarkeit der Ökosysteme ist er aber immer noch zu hoch. Dies gilt insbesondere für versauernde und eutrophierende Luftverunreinigungen (v. a. Stickstoffoxide und Ammoniak).
Die über Jahrzehnte in den Waldböden angesammelten Einträge von Schwefel und Stickstoff aus der Vergangenheit werden noch lange eine kritische Altlast bleiben.
Es zeigt sich immer deutlicher, wie tiefgreifend Luftverunreinigungen die Waldökosysteme beeinflussen: Jahrzehntelang anhaltende Einträge von Schwefel und Stickstoff haben z. B. in den Waldböden zu langfristig wirksamen Veränderungen geführt. Viele Waldböden haben erhebliche Anteile ihrer Nährstoffe verloren und versauern. Damit geht auch eine Belastung des Sickerwassers einher." (Deutscher Waldzustandsbericht 2002)

Und doch geht es immer noch zu langsam um ökologische Verbesserungen. Auch gesellschaftliche Diskussionen scheinen sich zu erübrigen, denn jedem Einzelnen liegt es nun in der eigenen Möglichkeit Alternativen zu wählen: Einkauf von biologisch-kontrollierten Lebensmittel (selbst der österreichische Aldi – Hofer hat nun biologische Lebensmittel im Angebot). Die Dezentralisierung des Strommarktes führt zur Möglichkeit ökologisch erzeugten Strom zu kaufen. Die Auto-Umweltliste des Verkehrsclub Deutschlands ermöglicht dem Verbraucher das ökologisch akzeptabelste Auto zu erstehen. Der Müll wird recycelt. Und so weiter.

Das ist gut so – aber es fehlt wieder eine gesellschaftliche Kraft, die weiter für Verbesserungen auf der Rechtsebene kämpft. Sicher gibt es viele Umweltschutzverbände, die auf die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft einwirken, aber ohne die Unterstützung von aktiven Bürgern geht es im Umweltschutz nur langsam voran.

Der gemeinsame Kongress von Attac, BUND und Greenpeace in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie mit über 1300 Teilnehmende, rund 100 Foren und Workshops im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Globalisierung ist ein anfang um wieder über ökologische themen zu diskutieren.

Aber es reicht nicht über die Zusammenhänge von Globalisierung und Umweltschutz zu diskutieren. Die Aktivitäten müssen sich auch wieder um ökologische Alternativen im regionalen Bereich verstärken.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Dieter Koschek

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Die Signatur der Gegenwart als Ruf nach einem neuen Menschenbild

In der spannungsgeladenen Dynamik der Gegenwart gerät die Schulbildung junger Menschen mehr denn je zwischen die Fronten der gesellschaftlich dominierenden Kräfte. Staatliche Bildungsvorgaben und kommerzielle Profitorientierung bedrohen den pädagogischen Elan des Lehrers vor Ort. Nonkonformes Verhalten, Zivilcourage und andere in Deutschland wenig geübte Tugenden prädestinieren den Schüler für eine erfolglose Karriere in der staatlich verwalteten Arbeitslosigkeit. Die Schulbildung steht damit in vieler Hinsicht vor der Frage nach ihrem Sinn oder Unsinn in einer Zeit, in der die Ansprüche des Individuums in demselben Maße zunehmen, wie die Aussichten auf ihre materiell-finanzielle Realisation erdrutschartig ins Ausland abwandern, wo Arbeitsplätze wesentlich weniger kosten als im Hochlohnland Deutschland. Die überkommenen Strukturen der Bildung befinden sich aus diesem Grund in einem organisatorischen, psychologischen und mentalen Umbruch, der eingebettet ist in den gesamtgesellschaftlichen Wandel. Die Signatur dieses Wandels muß erkannt werden, wenn eine neue Sinnstiftung für die Bildung gelingen soll.

Als am 11. September 2001 die beiden Türme des World Trade Centers in Rauch und Flammen aufgingen, musste auch den letzten Illusionisten aufgehen, dass nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus" keineswegs ein Paradies auf Erden ausgebrochen ist. Was zunächst aussah wie ein Horror-Szenarium aus Hollywoods Alptraum-Fabrik, wurde umgehend für eine expansive Weltmachtpolitik instrumentalisiert. Militärisches Denken und Handeln verändern seitdem die politische Landkarte der Welt, getreu der Logik Samuel Huntingtons, der den „clash of civilisations" zum Konfliktherd der „postmodernen" Epoche erklärt hat. Ein theokratisch bestimmtes religiös-politisches System, der Islam samt seiner säkularisierten Zerrbilder, gerät damit in die Schusslinie derselben Weltmacht, die die Napalmbomben auf Vietnam und die Atombomben auf Japan zu verantworten hat. Hinter der vorgeschobenen Fassade von Moral, Demokratie und freier Marktwirtschaft agiert eine zur uneingeschränkten Weltmacht strebende Nation, die die gesamte technische Intelligenz ihres Landes ihren Zwecken dienstbar macht.

Der Blick auf diese Tatsachen darf sich nicht in einer ohnmächtigen Protesthaltung erschöpfen. Immer schon sind Kriege als Symptom eines tiefgreifenden soziokulturellen Wandels aufgetreten, den sie je und je verhindern oder beschleunigen sollten. Wenn eine Schaltzentrale der Weltwirtschaft binnen weniger Stunden zum Trümmerhaufen wird, ist dies ein Symptom dafür, dass der Weltwirtschaft als solcher ein ähnliche Schicksal droht. Die ökonomische Architektur ist den Forderungen der Zeit nicht gewachsen. Und wenn die Machtlogik der führenden Weltmacht auf diese Herausforderung nur eine militärische Antwort kennt, zeigt dies, daß statt zukunftsweisender Ideen und Konzepte für den Strukturwandel bloß noch Waffen sprechen. Junge Menschen mit zum Teil höchster beruflicher Qualifikation stehen nicht am Arbeitsplatz, um konstruktiv aufzubauen, sondern stecken schwer bewaffnet in Uniformen, um einen Diktator zu erlegen, den ihre eigene Regierung einst unterstützt hat, und um zu diesem Ziel zahllose Mütter und Kinder und die alte Kultur des Zweistromlandes in den Untergang zu schicken. Das Land, in dem in mythischer Vorzeit der Turmbau zu Babylon errichtet und damit die Völkerverständigung vernichtet wurde, wird nun zur Zielscheibe derjenigen Nation, die erst vor kurzem ihren babylonischen Doppelturm eingebüßt hat. Eine Zeitachse quer durch die Jahrtausende verbindet George Bush junior mit Belsazar, Babylons letztem Herrscher, der die Zeichen an der Wand, die ihm den Untergang voraussagten, nicht zu deuten wusste.

Während sich auf diese Weise der Ost-West-Gegensatz um 45 Grad südwärts gedreht hat, befindet sich Europas Mitte im 14. Jahr nach dem Fall der Mauer in zunehmender Orientierungslosigkeit. Tragfähige soziale Konzepte für den Strukturwandel fehlen nach wie vor. Zentralisierung und Bürokratisierung in der Europäischen Union, Abbau des Sozialstaates bei wachsender Arbeitslosigkeit, Bildungserosion in den Schulen, Niedergang von Industrie und Handel sind einige Symptome, die die Krankheit des Sozialwesens anzeigen. Deutschlands Veto gegen den Irak-Krieg, im Bündnis mit Frankreich und Russland, erinnert aber – jenseits wahltaktische Manöver – daran, dass Europas Mitte immer wieder Zeichen für eine soziale Neuorientierung gesetzt hat, wie sie in der Gegenwart spürbar fehlen. Im Jahr 1968 ging die Studentenrevolution um die Welt, um neue soziale Ideen ins Werk zu setzen. Ein Bewusstseinswandel auf allen Feldern der Kultur, nicht zuletzt in der Pädagogik, ist von dem Impuls des Jahres 1968 ausgegangen. Doch die Stoßkraft der sozialpolitischen Erneuerung, geknüpft an die Ideale der Gerechtigkeit, der Aufklärung und der individuellen Emanzipation, hat sich auf dem „Marsch durch die Institutionen" verloren. Eine Politik ohne Ideen und Ideale verwaltet heute die Strukturkrise mit kosmetischen Operationen und oberflächlicher Symptombehandlung. Dagegen hat sich die Eigendynamik der informationstechnischen Revolution und der kapitalistischen Globalisierung ungehindert entfalten können. Das ideelle Vakuum in der Mitte Europas, wo durch die Vereinigung zweier deutscher Staaten die reale Chance einer Neustrukturierung der Gesellschaft vertan worden ist, wird von dieser Eigendynamik überrollt und höhlt dadurch insbesondere das Bildungswesen immer weiter aus. Informationstechnik und Renditedenken bestimmen auch die Rahmenbedingungen der Berufsbildung und konfrontieren diese mit dem Sinnproblem, das eingangs angesprochen worden ist. Doch so eindrucksvoll das Szenario der Gegenwart auch sein mag, die Beantwortung dieser Sinnfrage verlangt, die Symptome der gegenwärtigen Wendezeit nach ihren zugrundeliegenden Ursachen zu befragen.

Versuchen wir, das skizzierte Ereignisbild des globalen Umbruchs in einem Begriff zusammenzufassen, so ist es zuerst der Begriff der Entgrenzung, der alle Erscheinungen unserer Wendezeit bestimmt. Die „Globalisierung" relativiert nicht nur die geographisch-politischen Grenzen und lässt sie bedeutungslos werden; auch Begriffe und Wertvorstellungen, ja ganze Kulturen unterliegen einer rasanten Verwischung ihrer Grenzen, einer Vermischung ihrer Wesenszüge („Multi-Kulti") und einer Auflösung ihres bindenden Charakters. Doch in demselben Maße, wie die Erde zum „globalen Dorf" zusammenwächst, gehen alle sozialen Binnenstrukturen verloren, Chaos und Partikularisierung aller Lebensbereiche greifen um sich. Während die Menschheit unumkehrbar zur Schicksalsgemeinschaft wird, wo fernste Ursachen auch für den Nächsten nicht ohne Folgen bleiben, erlebt sich der einzelne immer mehr als bindungsloses Atom, als fensterlose Monade. Der reine Ich-Mensch ist nicht länger Glied einer Klasse, eines Volkes oder einer Religion; er ist ganz auf sich gestellt, ist einzigartig und sein „Eigentum" (Max Stirner). Er folgt nur seinem Selbst und entscheidet allein, was ihm als Wahrheit und Moral gilt. Der treibende Faktor hinter der universalen Entgrenzung findet sich also im Freiheitstrieb der menschlichen Individualität.

Der zweite Gesamteindruck, den die zeitgeschichtliche Situation hervorruft, besteht darin, dass sich die Ereignisse gegenseitig überholen. Der Rückblick auf das vergangene Jahrhundert offenbart eine Beschleunigung der historischen Umschichtung, wie sie nie zuvor stattgefunden hat. Im selben Moment, in dem sich die Bindekraft traditioneller Strukturen und Werte auflöst, brechen die historischen Kulissen schlagartig zusammen und begraben viele Millionen Menschen unter sich. Wie im Wechselfieber werfen sich Teile der Menschheit in rückwärts gewandte autoritäre Strukturen, während andere progressive dagegen Sturm laufen. Im permanenten Krieg zwischen Reaktionären und Modernisten fallen die letzten Grenzen, und die Menschheit vereinigt sich faktisch zur Gemeinschaft („United Nations"). Dieser wirtschaftlichen und politischen Weltvereinigung entspricht jedoch keinerlei ideelle oder wertemäßige Gemeinsamkeit. Dennoch kämpfen in allen Völkern der Erde die verschiedensten Menschen für ein erdumspannendes Reich des Allgemein-Menschlichen, für die universale Geltung der Menschenrechte und gegen Krieg, Rassismus und Fanatismus jeder Art. Dieser Impuls des universalen Humanismus schafft ein Gegengewicht gegen den reinen Individualismus, verfügt aber noch nicht über dieselben klaren Konturen wie dieser. Der erdbebenartige Zusammenbruch des Alten und die Konturlosigkeit des Neuen, das an seine Stelle treten soll, verstärken noch die fieberhafte Hast der historischen Beschleunigung.

Der Epochenumbruch zeigt erst sein eigentliches Gesicht, wenn die Geburt der Individualität und die offene Frage des universalen Humanismus als Triebkräfte der gegenwärtigen Schwellensituation erkannt werden. Beide Aspekte vereinigen sich zur Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen in der Gegenwart, nach einem aktuellen Menschenbild, das stark und konkret genug ist, um sozial wirksam werden zu können. Die heutige Situation liegt damit auf der Verlängerungsachse des früheren Epochenumbruchs der Renaissance im 15./16. Jahrhundert. Die Neuzeit setzte sich damals vom Mittelalter dadurch ab, daß sich die Wissenschaft von der Bevormundung durch die Religion befreite und sie Technik die Herrschaft über die Natur antrat. Diese Entwicklung erreichte im 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt, als Wissenschaft und Technik sich auch dem Menschen bemächtigten und seine Freiheit und Würde theoretisch und praktisch in Frage stellten und sogar untergruben.

Sigmund Freund hat diesen schrittweisen Zusammenbruch des klassischen antik-christlichen Menschenbildes als drei „Kränkungen" beschrieben, die die Menschheit seit der Neuzeit zu bewältigen hat. Den ersten Anstoß zur Reduzierung des Menschen von einer gottbegünstigten Sonderstellung („Krone der Schöpfung") zu einem im Koordinationssystem der Physik eingespannten Naturwesen gab die Entdeckung Galileis und Kopernikus, dass sich die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums befindet. Die physische Daseinsgrundlage der Menschheit wurde damit an die Peripherie des Kosmos vertrieben („Staubkorn im Weltall"). Noch einschneidender war Darwins Entdeckung über die Verwandlung der Arten in der Evolution der Natur. Nicht vom göttlichen Wort, sondern vom Affen hätte der Mensch seinen Ursprung genommen. Die biologische Basis des Menschen wurde so nicht nur entgöttlicht, sondern zu einem sinn- und ziellosen Zufallsprodukt der Natur. Freud selbst hat schließlich die Psyche des Menschen, sein Ego und damit seinen inneren Mittelpunkt, naturalisiert und zur Sublimation biologischer Triebe erklärt. Von außen nach innen fortschreitend verliert sich der moderne Mensch in eine Exzentrik, die alle seine Werte und Maßstäbe einer „Umwertung" unterwirft und in Nietzsches Ruf „Gott ist tot!" kulminiert. Die Suche nach einem inneren Zentrum, nach dem „archimedischen Punkt", der eine feste Orientierung in der entgrenzten und ver-rückten Welt ermöglichen könnte, um an ihm den Hebel der Selbstwertsetzung anzusetzen, wird zunehmend problematischer.

Im aktuellen wissenschaftlichen Menschenbild erscheint der Mensch in der Totalität seines Organismus, seiner Psyche und seiner Intelligenz nur noch als deterministisches Produkt seiner Gene. Der genetische Code des Menschen entsteht wiederum als Zufallsereignis einer ziellosen Evolution. Das menschliche Selbst besitzt keine selbständige Realität, sondern repräsentiert einen evolutiv vorteilhaften Überlebensinstinkt: es ist letztlich der Egoismus des Genoms in seinem Trieb zur Selbstbehauptung und Fortpflanzung. In dieser Ideologie gilt der Mensch als reines Naturwesen. Er ist gentechnisch machbar, wiederholbar und reparaturbedürftig. Selbstevolution der Menschheit bedeutet Optimierung des Genoms.

Die moderne Medizin behandelt deshalb den Menschen nur noch als Maschine mit Maschinen. Das mechanistische Denken kennt den Menschen nur noch als „Homo faber", als rationales Konstrukt auf der Basis berechenbarer Formeln. Die Vergewaltigung der Natur mit modernster Technik schließt den Menschen mit ein. Das Menschenbild wird zum ökologischen Problem; nur eine wahrhafte Ökologie des Geistes (Gregory Bateson) vermag die Natur sich selbst und den Menschen seiner Humanität zurückzugeben. Damit erweist sich der ökologische Impuls als drittes Zentralproblem der Gegenwart.

Die gesellschaftliche Realität und die in sie eingebettete Arbeitswelt funktionieren nach demselben mechanistischen Grundprinzip. Der Mensch gliedert sich in Produzent und Konsument, die durch die Geldzirkulation zusammengeführt werden. Das Geld determiniert den Markt wie die Gene den Menschen. Das einzelne Subjekt wird kategorisiert als wirtschaftliche Größe mit einem bestimmten Marktwert. Humanität und Individualität spielen für den „Homo oeconomicus" keine maßgebende Rolle (vergleiche Karl Heyer: Die neuere Zeit). Der einzelne existiert als ökonomische Funktionseinheit; seine Arbeitsleistung bildet einen Geldwert in Währung ohne ethische Bewertung. Die Sinnfrage ist sinnlos.

Die Frage nach dem Menschenbild wird darum von Wissenschaft und Wirtschaft negiert. In dieser Negation liegt aber auch die Ursache für die gegenwärtige Weltkrise, die offensichtlich die Wirtschaft betroffen hat und hintergründig doch von der Wissenschaft wesentlich verursacht wird.

Peter Schneider, Universität Paderborn

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 Wenn es um die Macht geht......sind die Parteien nicht zimperlich –

Hamburger Volksbegehren kurz vor dem Start

Für ein besseres Wahlrecht auf die Straße gehen und Unterschriften sammeln – in Deutschland passiert es zum ersten Mal, dass Bürger die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie selbst bestimmen wollen. Vom 15. bis 29. September geht in Hamburg das Volksbegehren „Mehr Bürgerrechte – Ein faires Wahlrecht für Hamburg" an den Start. Nicht nur die Widersacher – auch die Unterstützer formieren sich allmählich: Das Volksbegehren für ein faires Wahlrecht in Hamburg findet immer mehr Zuspruch bei Organisationen, die sich als aufgeschlossener, demokratiebewußter Teil der hanseatischen Gesellschaft verstehen. Unter anderem planen die Hamburger Grünen eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Einsätze zum Unterschriften sammeln. In vierzehn Tagen müssen wenigstens 60.375 gültige Unterschriften abgeliefert werden. Für die Wahlrechtler heißt das: wenn jeden Tag hundert Sammler jeweils 60 Unterschriften sammeln, dann klappt das mit dem Volksbegehren. Doch es bleiben bange Fragen: Was ist, wenn die Medien nicht richtig mit ziehen? Oder wenn es die ganze Zeit regnet? Gewerkschaften können die Menschen in den Betrieben erreichen, die großen Parteien haben alteingefahrene Mitgliederstrukturen. Eine Bürgerinitiative hat diese Möglichkeiten nicht so. Die Hamburgerinnen und Hamburger können zwar auch im Orts- oder Bezirksamt ihre Unterschrift leisten oder sich per Briefwahl eintragen. Da aber in Hamburg die Benachrichtigungskarte abgeschafft wurde, ist ungewiss, wie viele Menschen davon Gebrauch machen.

Schon im Vorfeld verteilt daher die Initiative Antragsformulare für die Briefeintragung und informiert an Straßenständen, worum es geht – wobei immer wieder die Frage auftaucht, die Mitinitiator Manfred Brandt hier im Gespräch beantwortet:

Warum braucht Hamburg überhaupt ein neues Wahlrecht?  :

Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist nicht bewusst, dass das Wahlrecht von Bundesland zu Bundesland verschieden ist. In Hamburg gibt es nur ein Listen-, man könnte auch sagen: Blockwahlsystem mit nur einer Stimme. Die Wählerinnen und Wähler haben praktisch nur die Auswahl zwischen der einen oder der anderen Partei. Und es gibt keine Wahlkreise. Das hat zur Folge, dass Politik in Hamburg zur geschlossenen Veranstaltung von Parteifunktionären geworden ist, die kaum noch Kontakt zur Bevölkerung haben. Für ihre Wiederwahl sind ja vor allem die Kandidaten von SPD und CDU bloß darauf angewiesen, innerhalb ihrer Partei eine gute Figur zu machen. Wenn sie dann einen sicheren Listenplatz haben, ist für sie das Rennen weitgehend gelaufen. Die Wähler können daran nämlich nichts mehr ändern. In allen anderen Bundesländern hat das Wahlvolk mehr Einfluss auf die Zusammensetzung seines Parlaments, wenngleich der Unterschied zum Beispiel zu Bremen oder dem Saarland nicht sehr groß ist.

Aber wäre es nicht Sache des Parlaments, das Wahlrecht zu ändern?

Das Hamburger Landesparlament, die Bürgerschaft, ist in den letzten zehn Jahren bereits zweimal von unabhängigen Expertenkommissionen massiv aufgefordert worden, das Wahlrecht zu modernisieren. Geschehen ist fast nichts. Vielleicht ist das auch gut so, denn wenn Parteien sich des Wahlrechts annehmen, geschieht das immer aus dem Blickwinkel eigener Machtstrategien. Wir aber wollen ein Wahlrecht schaffen, bei dem die Interessen der Wählerschaft im Mittelpunkt stehen. Dass uns das mit unserem Gesetzentwurf gelungen ist, haben uns Experten mehrfach lobend bestätigt.

Mit der direkten Demokratie die parlamentarische Demokratie stärken – das ist zumindest in Deutschland ein ungewöhnlicher Weg...

...aber auch ein logischer Weg. Denn er signalisiert auch, dass eine lebendige Demokratie beide Ebenen braucht. Nicht alles kann durch Volksabstimmungen entschieden werden, aber die Parlamente brauchen auch das Korrektiv der direkten Demokratie. Die aber funktioniert nur, wenn möglichst viele Bürgerinnen und Bürger davon Gebrauch machen. Und auch die parlamentarische Demokratie darf nicht bloß daraus bestehen, dass man alle vier Jahre die Kandidatenliste der Parteien bestätigt. Was wir brauchen, ist eine Mitmach-Demokratie, und dazu gehört ein faires Wahlrecht
ebenso wie faire Volksentscheide.

Ist es denn wirklich so wichtig, ob man sein Kreuzchen bei einer Partei macht oder bei einzelnen Persönlichkeiten?

Das werden wir auch oft gefragt. Oder die Leute sagen: Ich wähle doch ein Programm und nicht Personen.
Aber haben wir in den letzten Jahren nicht immer wieder erfahren, wie kurz das Verfallsdatum von Wahlaussagen ist? Parteiprogramme werden von Menschen umgesetzt – oder eben nicht. Deshalb ist es für eine bürgernahe Politik wichtig, dass Abgeordnete bei der Wahl einzeln zur Verantwortung gezogen werden können. Wenn sie wissen, dass über ihren Wahlerfolg nicht die Parteistrategen, sondern die Menschen vor Ort entscheiden, werden sie sich ganz anders einsetzen.

Wie soll denn das neue Hamburger Wahlrecht aussehen?

Wir wollen nicht nur Wahlkreise mit mehreren Direktkandidaten einführen, sondern auch das in den südlichen Bundesländern gewohnte Kumulieren und Panaschieren. Mit fünf Stimmen pro Wahlschein können die Wählerinnen und Wähler viel punktgenauer bestimmen, von wem sie sich im Parlament vertreten lassen wollen und wem sie die Umsetzung von Wahlversprechen am ehesten zutrauen.

Was haben denn die Bürgerinnen und Bürger davon, wenn sie auf dem Stimmzettel fünf Kreuze verteilen können, anstatt einfach eine Partei anzukreuzen?

Ein solcher Systemwechsel hat zur Folge, dass Politiker wieder wahrnehmen müssen, was die Menschen bewegt. Denn wenn sie weiterhin nur auf eine Parteikarriere schielen und dabei die Belange der Bevölkerung außer acht lassen, werden sie einfach nicht wieder gewählt. Ein Wahlrecht, wie wir es vorschlagen, führt zu einer lebendigeren politischen Kultur. Heute sagen uns viele Hamburgerinnen und Hamburger am Infostand „die da oben machen doch, was sie wollen" und „da kann man doch nichts ändern". Diese Ohnmachtsgefühle sind der schleichende Tod einer jeden Demokratie. Wir überzeugen die Menschen dann davon, dass sich sehr vieles ändern wird, wenn die Bürgerinnen und Bürger mehr mitbestimmen können.

Der Hamburger Gesetzentwurf ist ziemlich umfangreich. Ist das nicht etwas zu abstrakt und juristisch filigran für eine Volksabstimmung?

Nun gut, Themen wie die Privatisierung von Wasserwerken oder die Schaffung von Kindergartenplätzen lassen sich erst mal leichter verkaufen. Es ist uns schon klar, dass wir da einen recht anspruchsvollen Komplex angepackt haben. Es ist ja auch immer wieder überraschend zu sehen, wie wenig zum Beispiel auch Medienvertreter darüber wissen, in welchem System sie leben. Aber wenn man den Leuten erklärt, dass es sich beim Wahlrecht um eine zentrale Machtfrage handelt, werden sie hellhörig. Am Wahlrecht lässt sich ablesen, wie es um das Demokratieverständnis der Regierenden steht. Wir finden, wenn der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger so gering ist wie in Hamburg, muss eine Demokratiereform her. Erst kürzlich hat doch eine internationale Umfrage ergeben, dass die Menschen dort am glücklichsten und zufriedensten sind, wo sie umfassende Möglichkeiten zur Mitentscheidung haben.

So ohne weiteres werden sich die Parteien wohl nicht damit abfinden, dass ihre Privilegien per Volksabstimmung beschnitten werden sollen?

Wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass CDU und SPD versuchen, unsere Unterstützer zu neutralisieren. Sie verkünden auch überall, unser Gesetzentwurf mit dem Kumulieren und Panaschieren sei zu kompliziert. Erst kürzlich stand darauf hin bei einer SPD-Veranstaltung eine Zuhörerin auf und warnte vor diesem Argument, weil, wie sie sagte, die Partei damit nur ausdrückt, dass sie die Wähler für zu blöd hält.

Hätte es nicht auch gereicht, das Bundestagswahlrecht zu fordern?

Das hätte im Prinzip nicht viel geändert. Auch bei Bundestagswahlen steht ja vor dem Wahltag schon weitgehend fest, wer wieder ins Parlament einzieht. Deshalb wird doch das Bundestagswahlrecht seit Jahren zunehmend kritisiert. Wenn es pro Wahlkreis nur einen Direktkandidaten gibt, der noch dazu über die Parteiliste abgesichert ist, entstehen diese politischen Erbhöfe, die langfristig so schädlich für die Demokratie sind. Wir wollen hingegen, dass die Menschen auch unter den Kandidaten auf den Parteilisten wirklich eine Auswahl haben. Nur so entsteht ein für die Politik fruchtbarer, gesunder Wettbewerb. Man kann doch nicht in Hamburg als Reform verkaufen, was auf Bundesebene schon als überholungsbedürftig gilt.

Politiker werden einwerfen, dass der Gesetzentwurf der Initiative zu stark in den Gestaltungsspielraum der Parteien eingreift...

Wir führen die Parteienmacht auf das einer Demokratie angemessene Maß zurück. Sie können ihre Listen aufstellen, sie können weiterhin gestalten, aber die Bürgerinnen und Bürger gestalten mit. Und das ist auch im Sinne unseres Grundgesetzes.

Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf sogar schon die Einteilung der Wahlkreise vorgesehen. War es denn wirklich nötig, so ins Detail zu gehen?

Wie gesagt: Beim Wahlrecht geht es um Machtfragen. Wenn wir die Einteilung der Wahlkreise den Parteien überlassen, zanken sie sich bestimmt Jahre lang darüber, ob die eine Straßenseite noch zu diesem oder schon zum nächsten Wahlkreis gehören soll, je nachdem, wo sie die meisten Anhänger ihrer Partei vermuten. Deshalb wollten wir zumindest für den Anfang die neuen Wahlkreise vorgeben. Danach soll eine unabhängige Kommission über eventuell nötige Anpassung von Wahlkreisgrenzen entscheiden. Dass solche Fragen keine Nebensache sind, hat erst kürzlich eine Meldung aus Texas gezeigt: Dort sind die demokratischen Abgeordneten geschlossen nach Oklahoma geflüchtet, um eine Abstimmung über neue Wahlkreisgrenzen zu verhindern. Die republikanische Mehrheit in Texas wollte nämlich die Neuordnung so gestalten, dass sie dadurch in Zukunft immer eine Mehrheit gehabt hätten. Wenn es um die Macht geht, ist keine Partei zimperlich.

Volksinitiative in der EU-Verfassung

Am 12. Juni – einen Tag vor Abschluß der Arbeiten an der europäischen Verfassung – einigte sich der brüsseler EU-Konvent auf die Aufnahme einer Prozent Volksinitiative in den Verfassungstext. Künftig soll die Möglichkeit bestehen, dass eine Million EU-Bürger die EU-Kommission mit Anliegen und Vorschlägen befassen können. Dieser Schritt zur direkten Demokratie in Europa ist der Initiative von Mehr Demokratie e.V. zu verdanken. Mit viel Hartnäckigkeit und in zahlreichen Gesprächen wurden bis zum Schluß 73 Abgeordnete und schließlich auch Konventspräsident Giscard d’Estaing für den Vorschlag gewonnen.

Nähere Informationen: www.mehr-demokratie.de/bu/nn und www.europa-digital.de/aktuell/dossier/konvent/
begehr.shtml

Mehr Demokratie e.V., Bundesverband, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin,
Mehr Demokratie e.V. Landesbüro Hamburg, Mittelweg 12, 20148 Hamburg
Tel.: 040 3176910-0, Fax: 040 3176910-28

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 Larzac - Protestversammlung gegen WTO

In Südfrankreich 300.000 gegen Globalisierung
José Bové verließ Gefängnis - weiter aktiv gegen Gentechnik und WTO

Ein Gericht in Montpellier (Südfrankreich) hatte der vorzeitigen Haftentlassung des französischen Bauernaktivisten und Globalisierungsgegners José Bové für den 2. August 2003 zugestimmt. Die verbleibende Strafe solle in gemeinnütziger Arbeit abgegolten werden, erklärte Bovés Anwalt Francois Roux. Bové war am 22. Juni nach einer gewalttätigen Aktion der Spezialpolizei wie ein Schwerverbrecher ins Gefängnis eingeliefert worden. Er sollte eine insgesamt zehnmonatige Haftstrafe wegen Zerstörung gentechnisch veränderter Pflanzen verbüßen. Über 800.000 Protestschreiben von Sympathisanten an den Staatspräsidenten Chirac - im Rahmen einer europaweiten Kampagne - zeigten offensichtlich Wirkung.

Mit seinen gewaltfreien Protestaktionen riskierte er immer wieder gerichtliche Sanktionen. Im vergangenen Jahr saß er wegen einer Aktion gegen eine McDonald's-Filiale in Millau 43 Tage im Gefängnis. Ist das Protestieren/ Demonstrieren gegen die Gefährdung durch Gentechnikprodukte und durch andere Auswirkungen der Globalisierung nicht eine vorrangig "gemeinnützige Arbeit" - in Frankreich und europaweit gegen die EU-Entscheidung für eine "Koexistenz" von Genpflanzen neben gentechnikfreien? Jedenfalls konnten Bovés Freunde vom Larzac ihn bei ihrem Treffen auf dem Larzac vom 8. - 10.8. entsprechend feiern - dank der rechtzeitigen Entscheidung des Gerichts von Montpellier.

In einem Protestbrief an die Botschaft Frankreichs in Wien erklärt Dr. Elisabeth Moser aus Salzburg die Beweggründe des gewaltfreien Widerstandes gegen die Gentechnik und ihre Lobbyisten:

"...(Bovés) 10-monatige Inhaftierung steht in keiner Relation zu den Vorkommnissen. Er ist gegen die Gentechnik-Lobbies und ihre Manipulationsmaschinerie massiv und in französischer Tradition aufgetreten!! Einer Tradition übrigens, auf der sich die französische Demokratie begründet! Diese Inhaftierung erfolgte aus politischen Motiven und ist eines europäischen Staates unwürdig! Im Saatgutbereich Gentechnologie beherrschen bereits nur (!) 4 Firmen zu 100% den Markt!

WEM NÜTZT DIE GENTECHNOLOGIE IN DER LANDWIRTSCHAFT? WER HAT DIE VORTEILE?

Wer eine Pflanze oder ein Tier gentechnisch verändert, kann sich seine Kreation patentrechtlich schützen lassen und wird damit zum Eigentümer einer ganzen Tier- und Pflanzenart, deren Reproduktion ihn anschließend keinen Cent kostet. Dann kauft er konkurrierendes Saatgut auf, lässt es sich ebenfalls patentieren oder nimmt es vom Markt - und schwingt sich auf diese Weise zum Eigentümer einer ganzen Gattung auf. Hier wird das Recht der Industrie, das Warenrecht, auf Leben angewandt. Die Gentechnik ist ein Mittel, um auch auf Lebewesen Lizenzgebühren erheben zu können. (José Bové und Francois Dufour: Die Welt ist keine Ware -Bauern gegen Agromultis, 2001, Rotpunktverlag)

Das jahrtausendealte Bauernrecht, aus der Ernte Saatgut zu gewinnen um es selbst wieder anzupflanzen
oder mit anderen Bauern zu tauschen, wird durch Patente außer Kraft gesetzt und zu einem kriminellen Akt. Die Zusatzausgaben für Lizenzzahlungen und Nachbaugebühren werden die Überlebensfähigkeit vieler Klein- und SubsistenzbäuerInnen in Frage stellen. In den Ländern des Südens mit einem überwiegenden Anteil an ländlicher, bäuerlicher Bevölkerung wird diese Entwicklung die Armutsspirale beschleunigen und die Landflucht verschärfen. Im Norden werden den kleinstrukturierten Landwirtschaftsbetrieben die Existenzgrundlagen entzogen werden.

Wer sich gegen die Agrolobbies nicht zur Wehr setzt, will dass die Welt zur Ware wird." Dr. Elisabeth Moser

Matthias Reichl

 

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Bauernmarsch und Völkerforum

Zwischen 15 000 und 20 000 Kritiker der Globalisierung sind nach Cancún gekommen. Am Montag, den 8.9.03 trafen beispielsweise zahlreiche Gruppen mexikanischer Bauern ein, die aus allen Teilen des Landes zu Fuß zum Konferenzort der WTO gewandert sind. Im Rahmen des "Foro Campesino" (Bauernforum) debatierten sie jeden Tag ein anderes WTO-Thema. Erwartet wurden auch so prominente Referenten wie Vandana Shiva, Walden Bello und Lori Wallach. Höhepunkt der Proteste war am Mittwoch ein Marsch durch die Stadt. Die Bauern wehren sich vor allem gegen die Patentpolitik der WTO, nach der bei jeder Aussaat Gebühren an den Inhaber des Patents fällig werden. Unterstützt werden sie von den Zapatistas.

Gleichzeitig tagte ebenfalls im Stadtzentrum das "Forum der Völker", an dem NGOs aus aller Welt beteiligt sind und zu nichtgewalttätigen Aktionen, Blockaden und Streiks aufriefen. Dazu gehört auch ein Frauenforum, das sich mit den Folgen der Globalisierung speziell für die Frauen befaßt. Am 12. 9. rief eine Gruppe von mexikanischen Studenten dazu auf, öffentliche Plätze zu besetzen - mit Theaterstücken und originellen Aktionen, um den nach offiziellen Angaben rund 3500 Sicherheitskräften ein Schnippchen zu schlagen. Am 13. September war die Abschlussdemonstration verbunden mit einem weltweiten Aktionstag zum Thema WTO vorgesehen.

Über Aktionen in deutschen Städten informiert www.attac.de/cancún

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Zweites Europäisches Sozialforum

Vom 12. - 16 11. 2003 findet in Paris das 2. Europäische Sozialforum statt, das ein Zusammenströmen der sozialen Bewegungen, "Rechtlosen"-Organisationen, Vereinigungen, NGOs, Gewerkschaften, Friedens- und Bürgerbewegungen Europas ermöglichen soll.

www.fse-esf.org

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Die Schnecke als Hoffnungsträger

Die Zapatistas haben sich von ihrer Arbeit hinter den Kulissen im politischen Zentrum Mexikos zurückgemeldet. Viele Ohren spitzten sich, millionen Augen schauten zu. Die Mexikanische Regierung, entsetzt, reagierte einerseits mit diplomatischen Floskeln, anderseits mit verschärfter Gewalt. Auf einer großen Fiesta mit über 10 000 Gästen, darunter Vertretern internationaler Solidaritätsgruppen, feierten die Zapatistas, fast zehn Jahre nach ihrem Aufstand, den Übergang von revolutionären Organisationsformen hin zu fünf repräsentativen Verwaltungsstrukturen.

Die neugebildeten "Räte der Guten Regierung", auch Caracoles (Schnecken) genannt, umfassen 30 autonome Gemeinden, insgesamt über eine Million Menschen. Die Schnecke soll die Bemühungen der Zapatistas um eine Selbstverwaltung des "gehorchenden Regierens" versinnbildlichen: die Spirale eines kollektiven Entscheidungsprozesses. Die Nationale Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN), bisher der militärische Teil der Zapatistischen Bewegung, ist künftig auf die Rolle der Verteidigungsorganisation des autonomen Gebiets im südlichen Mexiko beschränkt. EZLN-Subcomandante Marcos gibt seine Vertretungsrolle auf: "Ich gebe euch euer Gehör, eure Sprache und euren Blick zurück... Wir glauben als EZLN unseren Teil der Änderungen vollbracht zu haben".

Die Caracoles organisieren nun die Entwicklung der Gemeinden, die Errichtung von Schulen und Gesundheitseinrichtungen, den Handel, die Verteilung von Ressourcen im autonomen Gebiet. Und sie schaffen, was in der Geschichte der Zapatistas ganz neu ist, eine nach außen offene Vertretung, die Ansprechpartner für viele Hunderte von politischen Organisationen in Mexiko und in aller Welt sein wird. Wer bisher Kontakt zur EZLN suchte, mußte stundenlang durch den mexikanischen Dschungel wandern, um mit der "Comandancia" zu sprechen. Nun erklären sich die MandatsträgerInnen in den "Caracol-Büros" bereit, alle an Diskussion und Zusammenarbeit Interessierte zu empfangen. "Wir sind einfache Leute, ohne großartige Bildung, aber unsere Arbeit ist, gut zu regieren".

Die Zapatistas und ihre Politik genießen große Sympathie bei vielen Mexikanern, einem großen Spektrum marginalisierter Gruppen, vor allem in der indigenen Bevölkerung (ca. 15 Millionen Menschen). Das war besonders im Frühjahr 2001 zu spüren gewesen, als mehrere Tausend Zapatistas auf einer "Karawane der Würde" durch ganz Mexiko zogen, um über soziale Probleme in Veranstaltungen zu diskutieren, an denen Hundertausenden von Menschen teilnahmen. Doch dann verabschiedete das mexikanische Parlament eine Verfassungsänderung, das sogenannte Indígena-Gesetz, das die zwischen Zapatistas und Regierung unterzeichnete "San-Andres-Abkommen" über die kollektiven Rechte und die Kultur der indigenen Gemeinden verhöhnte. Danach schwiegen die Zapatistas zwanzig Monate lang.

Als im Januar 2003 die Zapatistas sich durch ihre Kommuniqués wieder in der Öffentlichkeit einfanden, formierte sich zugleich starker Widerstand gegen die mexikanische Regierung im ländlichen Raum. Kleine Landwirte (in ihrer Mehrheit Indigenas und die ärmsten Teile der Bevölkerung), die durch billige Nahrungsmittelimporte um ihre Erwerbsmöglichkeiten gebracht wurden, organisierten sich, besetzten lokale Behörden, sperrten Autobahnen und stürmten sogar mit Pferden das mexikanische Parlament, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Speziell an die 20 Millionen Landwirte wandten sich die Zapatistas während der Gründung der "Caracoles": "Wir erwarten nicht mehr, daß aus irgendeiner Regierung oder Partei wirkliche und würdige Änderungen kommen, die den Bedürfnissen des ländlichen Raums entsprechen. Der einzige Weg, der uns übrig bleibt, ist die Organisation von Widerstand und Rebellion."

Die starke Bauernbewegung ist symptomatisch für das gegenwärtige politische Klima in Mexiko. Nach Regional- und Parlamentswahlen im Juli, an denen sich nur 60 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten (und dann wurden drei Millionen Stimmen nach der Wahl annulliert), äußert sich die Enttäuschung über die führenden mexikanischen Politiker immer vernehmlicher, besonders über Präsident Vicente Fox, der bei seinem Amtsbeginn im Jahr 2000 versprochen hatte, den Zapatista-Konflikt "in 15 Minuten zu erledigen". Drei Jahre danach bleibt Mexiko ein Land mit extremer, zunehmender Ungleichheit, in dem mehr als 25 Prozent der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag leben.

Die mexikanische Regierung versucht nun, die politischen Kosten der zapatistischen Gegenmacht, die sie kaum stoppen kann, so niedrig wie möglich zu halten: Innenminister Santiago Creel "freut" sich über "die erneuerte Möglichkeit, den Dialog aufzunehmen", und vertritt die Meinung, daß sich die autonomen Regierungen in den Rahmen der Verfassung integrieren lassen. Verschwiegen werden aber die 60 000 Soldaten der mexikanischen Armee im Gebiet der Zapatistas und die Fortsetzung und Verschärfung des Kriegs "niedriger Intensität", der mit Sabotagetaten, Einschüchterung und Gewalttaten weitergeführt wird.

Die Politik der Zapatistas läßt sich jedoch nicht vom Herzen Mexikos wegreißen. Wie starken Rückhalt sie hat, zeigte das enthusiastische Echo in den ersten Tagen nach der Inauguration der "Caracoles". Die "Räte der guten Regierung" sind bereits Realität und Hoffnungsträger.

Aus Ossietzky Nr. 17/2003 Miriam Boyer

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 Schwerpunkt Ökologie und Verkehr

Menschengemäße Verkehrsordnung

1. Die heute im Verkehrswesen entfesselten Triebkräfte wirken sozial destruktiv: Welche Art von Kräften ist es, die in solcher Weise wirksam sind?

2. Grundlegende Änderungen der Struktur des Verkehrswesens sind notwendig, um die entfesselten Triebkräfte sozial zu bändigen: Wie sieht eine Grundordnung im Verkehrswesen aus, die dazu imstande ist?

3. Es geht nicht um das, was die Medizin „Palliativmittel" nennt, die nur dazu dienen, die Krankheitserscheinungen erträglich zu machen, sondern gleichsam um Heilung durch eine Umkehrung der heute wirksamen Tendenzen. Ist eine solche überzeugend vorstellbar, wirtschaftlich und technisch realisierbar und gesetzlich durchführbar? – Eine Analyse des heutigen Verkehrswesens soll zu den Grundphänomenen und von da zur Vorstellung des notwendigen Strukturwandels hinleiten.

Wenn man so vorgeht, wird man auf Vernunftwidrigkeiten in den bestehenden Verkehrsverhältnissen aufmerksam. Es tauchen Gegensätze auf, die keine sind: Schiene oder Straße, allgemeiner oder privatem Verkehr, öffentliche oder private Unternehmensform, öffentliche oder private Verkehrsbetriebe. Schiene, Straße, Schifffahrt, Luftverkehr sind keine Gegensätze von Natur aus, sondern unterschiedliche Verkehrs-Mittel. Es ist sinnwidrig, von allgemeinem oder privaten Verkehr im Sinne eines (natürlichen) Gegensatzes zu sprechen. Soweit ein solcher besteht, ist er sekundärer Natur: Er geht aus dem privatwirtschaftlichen Prinzip erst hervor, das auf verkehrswirtschaftlichem Gebiet unweigerlich in Widerspruch zu allgemein verkehrswirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen gerät.

Der als primäre Ursache im Hintergrund wirksame Widerspruch in den Verkehrseinrichtungen macht das Verkehrswesen gewissermaßen krank; er ist sozial „virulent" wie wesensfremde Kräfte im Einzelorganis-mus, dadurch, dass er nicht ideale – diese gibt es nicht – sondern (best-)mögliche Verkehrsverhältnisse, das heißt eine rationale Verkehrsplanung und –entwicklung verhindert.

Die verschiedenartigen Verkehrsmittel sind notwendig für die Bewältigung des Verkehrs. Ihre soziale Koordinierung ist der Angelpunkt aller Verkehrsforschung und der Kernpunkt der im Verkehrschaos verknäulten sozialen, humanitären und verkehrstechnischen Fragen. Der unbewältigte Konflikt im Hintergrund ist der zwischen Individualprinzip und Sozialprinzip, zwischen gewinnorientiertem privatwirtschaftlichem Denken und Handeln und zwingend notwendig allgemeinen Verkehrserfordernissen. Aus ideologischen Vorurteilen einerseits und sozialen Notwendigkeiten andererseits ist eine Spaltung des Verkehrswesens hervorgegangen, die in dem Verkehrsvorgang selbst nicht begründet ist und irrationale Faktoren in den Verkehr hineinträgt.

Das Urphänomen, das den Verkehr in Gang setzt, ist weder das private Gewinnstreben noch die Versorgung der Verkehrs durch die öffentliche Hand, sondern das im sozialen und individuellen Leben begründete Verkehrsbedürfnis.

Von da aus beurteilt, hat die Spaltung des Verkehrs keinen Sinn: Es ist für mein Verkehrs- und Transportbedürfnis gleichgültig, ob es für mich durch ein privatwirtschaftlich oder öffentlich organisiertes Verkehrsmittel erfüllt wird (wenn man von subjektiven, durch den Verkehrsdualismus selbst bedingten Wertschätzungen absieht).

Soziale Tatsachen und Einrichtungen führen schon durch ihre Existenz „oft zu Sinnlosigkeiten und Fehlentscheidungen, die mitunter groteske Formen annehmen". Dieser Satz von F. Niessen zielt auf den modernen Verkehr: Die sinnlose Verkehrsspaltung führte zu „grotesken" Verzerrungen und verhinderte bislang eine dem technischen Entwicklungsstand entsprechende Verkehrsordnung.

Nach vier Richtungen lässt sich zeigen, wie der Verkehrsdualismus zur Blockade des Fortschritts wird.

1. Auf dem Gebiet der Verkehrsforschung kommt es zu keiner originären gedanklichen Lösung der Verkehrsprobleme: Wissenschaft und Praxis pendeln zwischen den Zwangsläufigkeiten hin und her, die aus dem Gegensatz von Individualprinzip und dem Sozialprinzip hervorgehen, das schließlich als ein (utopisches) Ideal in der Luft schwebt (Nulltarif!). Es bleibt der Forschung nur die Wahl zwischen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Sicherstellung eines (dann ruinösen!) Wettbewerbs und der Verstaatlichung der gesamten Binnenschifffahrt und des Güterstraßenverkehrs.

2. In der Praxis wird durch den Dualismus eine zielstrebige und konsequente Kooperation zwischen den Sparten des Verkehrs und eine Orientierung des Sachverstandes ausschließlich auf den optimalen Faktoreneinsatz vom heutigen System her unterdrückt. Was in der Kombination aller Verkehrsmittel technisch und wirtschaftlich optimal möglich wäre, liegt durch den Zwang der Verhältnisse jenseits des routinemäßigen Denkens und Handelns aller leitend oder ausführend dabei Tätigen. Die Macht der Verhältnisse dissoziiert das geforderte soziale Bewusstsein und Tun. Das ist der Fall, obschon jeder das Folgende genau weiß: dass die Schiene der Straße um ein Vielfaches überlegen ist in bezug auf Wirtschaftlichkeit, Umweltfreundlichkeit, Sicherheit, Raumbedarf und –darbietung, Leistungsfähigkeit, Verschleiß, Energie und Arbeitskräfteeinsatz. Man ahnt auch, dass die öffentlichen Defizite durch einen optimalen Einsatz aller Verkehrsmittel verschwinden könnten. Die Verkehrsvernunft bleibt dennoch durch die Verkehrsspaltung blockiert.

3. Alles, was mit dem Verkehr zu tun hat, besitzt einen besonders hohen Marktwert. Die an der Aufrechterhaltung der Spaltung interessierten privaten Kapitalinteressen haben es dadurch leicht, grundlegende Veränderungen abzulehnen mit dem Hinweis auf die Millionen von Arbeitskräften, die durch den Individualverkehr Beschäftigung finden. So lassen sich angeblich wohlverstandene allgemeine Interessen sehr gut mit den in das Verkehrssystem einzementierten privaten Kapitalinteressen zusammenwerfen. Das ist die gleiche (lobbyistische) Logik, wie wenn man argumentieren wollte, Krankheiten dürften letzten Endes nicht geheilt werden, weil die Arzneimittelhersteller und die Apotheker um so besser leben könnten, je mehr Krankheiten es gibt. In Wirklichkeit wird in einem auf Arbeitsteilung beruhenden System die durch die Verlagerung von Bedürfnissen in einer Branche freigestellte Intelligenz und Arbeitskraft durch Kaufkraft- und Kapitalverlagerung in anderen Branchen wieder benötigt.

4. Übersteigerung des Individualverkehrs führt zu jenen „Sinnlosigkeiten und Fehlentscheidungen", weil schon die damit verbundenen Allgemeinlasten („social costs") eine exponentiell steigende Tendenz annehmen. Die antreibenden Kräfte steigern sich gegenseitig: Eine profitierende Autoindustrie treibt den Individualverkehr hoch, dieser saugt Kapital und Intelligenzen in die Produktion und den Ausbau der Verkehrswege. Die Tätigkeit von Millionen von Intelligenzen produziert permanente Innovation im Straßenverkehr, technologische Stagnation und wirtschaftliche Auszehrung auf dem Schienensektor. Dieser Zirkel hat den Charakter des Karzinoms.

Kauft man beim Bäcker Brot, so vollzieht sich – wie der Jurist sagt – ein vertraglicher Vorgang aufgrund von allgemeinen Usancen und Qualitätsregeln, auch wenn kein Vertrag abgeschlossen wird. Dasselbe gilt für die Teilnahme am Verkehr. Wer Verkehrseinrichtungen in Anspruch nimmt, unterwirft sich den allgemeinen Beförderungsbedingungen und –preisen.

Daß der Verkehrskonsument bei der Verkehrs- und Preisgestaltung grundsätzlich mitzubestimmen habe (weil er Auftraggeber und Zahlender ist), liegt im Gegensatz zu den privatwirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten durch die Perversion der Tatsachen auf dem Verkehrsgebiet jenseits allgemeiner Vorstellung. Gesetzt, die Konsumenten wären Partner der Verkehrsträger: Würden sie dann sich vertraglich verpflichten, alle finanziellen, humantitären und Umweltlasten zu tragen – ohne Rechenschaft zu fordern, wie sie zustande kommen und inwieweit sie vermeidbar wären? So ist es aber: Ohne zu fragen, wird das defizitäre Resultat fehlender Vernunft im Einsatz der Verkehrsmittel direkt und indirekt
über den Staat der Allgemeinheit (das heißt dem Konsumenten) aufgeladen.

Wir kommen zu folgendem Ergebnis: Solange die praktische Lösung der Verkehrskrise nur in einer optimalen Mischung von Individualprinzip und Sozialprinzip gesehen wird, bleibt man in der mechanischen Betrachtungsweise derselben befangen, aus der sie pragmatisch entstanden ist.

Die Frage ist: Gibt es –wie im Einzelorganismus – in den Bereichen des sozialen Organismus auch jenes geniale Regelkreisprinzip, durch welches alle Teilbereiche miteinander gekoppelt sind, sich gegenseitig regulieren und sich dadurch „organisch" weiterentwickeln können?

In dem lebendigen System Mensch-Umwelt-Mensch kommt es auf die organischen Zusammenhänge an. Der organische Zusammenhang im Verkehr ist der von Verkehrsbedürfnis und Bedürfniserfüllung. Heute schieben sich zwischen beide das private Gewinnstreben und die staatliche Reglementierung. Das Zustandekommen der Verkehrsleistung wird damit gleichsam zum Abfallprodukt sachfremder Zwecke im Gewinnstreben und in der bloßen Verkehrsverwaltung. Verkehrsträger und Verkehrsdienste-Suchende sind die natürlichen Partner für eine genossenschaftliche Grundordnung des gesamten Verkehrswesens. Was in dieser Richtung bisher schon an Ideen entwickelt wurde, orientiert sich an alten oder abwegigen Vorbildern: Zunftwesen, Syndikat, Zwangskartell. Sie lassen das für eine neue Kategorie von verkehrswirtschaftlichen Einrichtungen heute entscheidende Kriterium außer acht: Die Arbeitsteilung und die damit zwangsläufige Abhängigkeit aller Bereiche voneinander (Interdependenz) oder die allgemeine Vernetzung. Damit ist gesagt, dass alle Vorgänge im sozialen Organismus wie bei einem Netz über dessen Knotenpunkte unmittelbar und mittelbar zusammenhängen. Sie werden dadurch zu Regelkreisen, wenn ihr Funktionszusammenhang nicht durch Verfremdung gestört wird. Wenn ein genossenschaftliches Prinzip etwas Neues bedeuten soll, so muß es dieser neuzeitlichen Revolutionierung der sozialen Existenzgrundlage entsprechen. Das ist nur dann der Fall, wenn gerade nicht wie früher die gleichartigen (zünftigen) Elemente genossenschaftlich aktiv verbunden sind, sondern wenn elementar gegensätzliche Prozesse (wie Konsumieren und Produzieren) auf genossenschaftlicher Ebene ihren (vertraglichen) Ausgleich suchen und finden können. Damit wird eine ursprüngliche Ganzheit hergestellt, in welcher die Kommunikation das wichtigste Element darstellt. Man nenne die neue Genossenschaftsform nach Rudolf Steiner eine Assoziation, und man hat damit das ordnende Prinzip im Griff – das System mit dem geringsten Systemverlust: infolge der darin dynamisch wirkenden Dauer-Kooperation der Teile des System zur Verwirklichung der sozialen Vernunft durch vertraglichen Ausgleich.

Die assoziative Genossenschaftsform hat die Tendenz zum Gleichgewicht zwischen allen Verkehrsträgern einerseits und Verkehrskonsumenten andererseits, wenn der Sachverstand anstelle des Gewinns oder der Bürokratie in die alleinige Zuständigkeit und Verantwortung eingesetzt wird. Sie ist darauf angewiesen, von der Aufgabe her soziale Zielvorstellungen mit individuellen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Freigelegt wird damit erst im Bewusstsein der Beteiligten ein Realitätsinstinkt für die soziale Aufgabe; eine Kettenreaktion der Vernunft kann ausgelöst werden, wenn selbständige Körperschaften – Bahn, Post, Luftfahrt und so weiter – sich nach einem föderativen Prinzip zusammenschließen können, anstatt nach ideologischen Gesichtspunkten handeln zu müssen. Wenn auf diese Weise soziale Empfindungen unmittelbar in die sachliche Berufstätigkeit einfließen können, dann wird dies helfen, die egozentrische Kopflastigkeit im heutigen gegenseitigen Verhalten zu überwinden und die Neigung zur Aggression abzubauen, Herzlichkeit und soziales Vertrauen an ihre Stelle zu setzen – humane Werte, deren Stellenwert von der sozialwissenschaftlichen Forschung bei der Beurteilung gesellschaftlicher Ordnungselemente und Einrichtungen überhaupt noch nicht gewürdigt wird. Die
Idee der Assoziation dagegen tut dies.

Wenn sich regionale Koalitionen für Nahverkehr, Fernverkehr, Bahnen, für Abrechnungen und Dispositionen bilden können, deren Gesamtinteresse die schnellste, sicherste und billigste Beförderung unter Ausnutzung aller technischen Möglichkeiten ist, dann entfällt das Problem der defizitären Teilgebiete. Die in diesen Koalitionen mitwirkenden Vertreter der am Verkehr als Konsumenten interessierten Branchen und Bevölkerungsgruppen können dann Verständnis dafür entwickeln, dass ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln stattfinden muß, der sich des Mittels der Tarifbildung, der gegenseitigen Hilfe, der optimalen Transport- und Verkehrsplanung bedient. Dabei wird auch der Computer zur Steuerung und bestmöglichen Ausnutzung der Transportmöglichkeiten die besten Dienste tun, wie alle technischen Hilfsmittel und Fortschritte nun erst ihren sozialen Wert erweisen können.

Das damit skizzierte assoziative Prinzip hat einen „Rückkopplungseffekt", vergleichbar dem instinktiven „Feedback-Mechanismus" natürlicher Regelkreise, jedoch mit dem gewichtigen Unterschied, daß an die Stelle der instinktiven Genialität das bewusste sachkundige und sachbestimmte Urteilen und Handeln selbstbewusster Individuen treten kann. Während der natürliche Regelkreisorganismus auf seiner Entwicklungsstufe stehen bleiben muß, wird durch die Kooperation polarer geistiger Kräfte eine weitere Tür aufgestoßen, durch die fortwährend neue technische und soziale Impulse zur Wirksamkeit kommen können. Assoziativ-bewußte soziale Regelkreise sind so durch den Vernunftsverkehr unmittelbar und mittelbar mit dem Gesamtorganismus verbunden.

Wenn soziale Vernunft in die Stelle des Profits und der Bürokratie und statt dessen das persönliche Interesse am sozialen Auftrag und an einer von den mitwirkenden Verkehrsbedürfnissen gewürdigten Leistung treten kann, dann wird erst das verborgene Ideenpotential und die Kreativität des einzelnen zum Wettbewerb bei der Entfaltung der Phantasie und der geistigen Kapazität herausgefordert, die durch das Profit- und Lohntütendenken gelähmt oder fehlgeleitet sind.

Gesetzgeberische Maßnahmen sind jeweils nur erforderlich, um zu gewährleisten, dass durchgeführt werden kann, was die kompetenten Einzelkörperschaften aufgrund von Sach- und Fachkenntnissen miteinander vereinbart haben.

Von zwei Seiten her ist so die Autonomie des Verkehrs zu gewährleisten: durch die Selbstverwaltung von Verkehrsträgern und Repräsentanten der Verkehrsbedürfnisse und durch die gesetzlich gewährleistete Eindeutigkeit des Zieles einer sozial begründeten optimalen Verkehrsplanung und Verkehrspolitik.

Die Frage nach der Durchführbarkeit einer neuen Ordnung im Verkehrswesen konzentriert sich zuletzt auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: Läßt dieses überhaupt eine fundamentale Neuordnung zu? – Da dem Grundgesetz (nach eindeutiger Bekundung des Bundesverfassungsgerichtes) eine prinzipielle „soziale Interpretation" zugrunde zu legen ist, kann sich eine Aktion auf den dritten Weg nach Artikel 15 berufen, der auch „andere Formen der Gemeinwirtschaft" vorsieht. Eigentumsrechte können durch Tilgungsdarlehen zu Lasten der zu gründenden Assoziationen abgelöst werden, während Sachverständnis und Erfahrungen diesen verbleiben. Viele würden dem „ruinösen Kampf auf der Straße" (A. Prodöhl) ebensowenig nachtrauern wie die Finanzverwaltung den Defiziten.

Mit der freien Verfügung über ihre Verkehrsmittel ist der Assoziation in ihrem Bereich und im ganzen die volle Verantwortung als öffentlicher Auftrag gesetzlich auferlegt. Dieser hat als Konsequenz eine vollständige laufende Rechenschaftsablegung (Offenlegung von Fakten und Vorgängen, Prinzip der „gläsernen Taschen"!), das Ende der Anonymität und der Interessenpolitik. Dafür ist die Öffentlichkeit ein positiv in der Verkehrsgestaltung mitwirkender Faktor.

Die Organisation bringt keine wesentlichen Probleme. Es werden sich nach rationalen und Bedarfsgesichtspunkten regionale und überregionale Assoziationen (mit besonderem öffentlichem Rechtsstatus) bilden, die weder zu groß (und damit bürokratisch) noch zu klein (und damit unrationell), aber dynamisch (anpassungsfähig) sind, mit Tätigkeiten, die heute schon weitgehend genossenschaftlich ausgeübt werden.

Regional und überregional wird man sachkundige Konsumenten als Vertreter des Personen- und Frachtenverkehrs in die Assoziation berufen, deren Aufgabe es ist, bei der Preisbildungs- und Kapazitätsentscheidungen und bei der finanziellen Lastenverteilung für die Verkehrswege ihr Votum abzugeben und die Entscheidungen in der Öffentlichkeit mit zu vertreten: So kann diese ein Verständnis für notwendige soziale Verkehrsregelungen gewinnen. Da Kapitalinteressen entfallen, sind die Erträge innerhalb der Verkehrsträger nach Bedarf delegierbar mit dem Ziele der Gesamtwirtschaftlichkeit des Verkehrswesens.

Ein besonderer Problemkomplex steht vor der Tür: Rohstoffverbrauch und Umweltgefährdung. Die geforderte Einschränkung des Rohstoffverbrauchs zwingt in Kürze auch im Verkehr zum Abbau aller vermeidbaren Verkehrsbelastungen (in der Indu-strieplanung, der Müllabfuhr, der Renn-Unsitte und so weiter). Wenn dies nicht zu einer kriegswirtschaftsähnlichen Bewirtschaftung des Mangels führen soll, ist eine aktive Mitwirkung der Bevölkerung notwendig. Wenn dann noch Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes (Würde des Menschen und Entfaltung der Persönlichkeit) die Verfassung bestimmen sollen, dann kann eine Gesamtvernunft, die auf die Grenzen des zivilisatorischen Verkehrs stößt, nur eine assoziativ begründete sein.

Die Ausnutzung technischer Möglichkeiten, die gegeben sind für den Schnellverkehr zwischen Großstädten oder umweltfreundlicher Verkehrsmittel in den Ballungsgebieten, ist wirtschaftlich nur fruchtbar durch eine gezielte Gesamtplanung und –entwick-lung des Verkehrs. Diese muß sowohl in den Individualverkehr wirksam eingreifen wie in die Standortsfragen der Industrie, die Raumordnung bis zum Wohnungsbau mit neuen beweglichen Besitzformen. Der Verkehr soll die Individuen verbinden und eine Kulturgesellschaft möglich machen.

Wann ist eine Idee „machbar"? Sie muß durch das Bedürfnis gefordert sein. Die Idee „Uhr" entstand, als das dringende Bedürfnis nach einem Zeitmesser auftrat; ihre Verwirklichung konnte erfolgen, als man fand, wie das Räderwerk dafür ineinandergreifen muß.

Das Verkehrslabyrinth fordert eine Ordnungsidee, die wie der Ariadnefaden aus der Sackgasse herausführt. Für die Verkehrsoziologie ist der assoziative Regelkreis dasselbe wie Anker und Unruhe bei der Uhr mit dem Unterschied, dass dort das Institutionelle zur Steigerung des sozialen Bewusstseins führt und dieses wiederum zum Fortschritt in den Verkehrseinrichtungen – beide Ursache und Wirkung zugleich. Auf der heutigen Stufe des gesellschaftlichen Pluralismus bildet der Verkehr nicht nur die Grundlage für die materielle Existenz, sondern für die Kultur schlechthin. Ein allgemeines Bewusstsein von den soziologischen Gesetzen des Verkehrs ist somit das Ferment für eine künftige Kulturstufe. „Wenn jemals ein sechster Sinn vonnöten war, dann im Verkehr, wie es einer Gesellschaft ansteht, die im Begriff ist, eine Mobilität zu erreichen, von der frühere Generationen keine Vorstellung hatten." (Traffic in towns, Buchanan-Report,London, 1963)
Aus einem Beitrag von Hans Georg Schweppenhäuser

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Fahrgastverband PRO BAHN fordert neue Qualität der Kundenorientierung
Preissystem-Desaster wäre vermeidbar gewesen

Der Bundesvorsitzende von PRO BAHN, Karl-Peter Naumann, hatte eine Woche nach Einführung des neuen Preissystems einen Test der Beratungsqualität der DB mit den Worten kommentiert "Jeder zweite zahlt zuviel für sein Ticket". Trotz der Bestätigung dieser Kritik durch die Stiftung Warentest führte Mehdorn den Prozess gegen Kritiker weiter, um mit dem Druckmittel des Prozesskostenrisikos die Meinungsfreiheit der Verbraucherverbände einzuschränken.

Der PRO BAHN-Bundesvorsitzende Karl-Peter Naumann und die Deutsche Bahn AG haben sich inzwischen geeinigt, das Gerichtsverfahren über eine von "Bild am Sonntag" wiedergegebene Äußerung von Naumann zu beenden. Herr Naumann hat in einem Brief an Herrn Mehdorn seine Äußerung klargestellt und die Bahn hat daraufhin die Klage zurückgezogen. Der ursprünglich für den 1. August anberaumte Gerichtstermin vor dem Hamburger Landgericht fand daher nicht statt.
Der PRO BAHN-Bundesverband geht davon aus, dass damit der Weg für eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen der DB als größtem deutschen Verkehrsunternehmen und dem Fahrgastverband PRO BAHN e.V. als größtem deutschen Verbraucherverband, der ausschließlich die Interessen der Fahrgäste des öffentlichen Verkehrs vertritt, geebnet ist.

Kritiker sollen mundtot gemacht werden

"Statt Kritik ernst zu nehmen und seinen Kurs zu korrigieren, bleibt Mehdorn bei seiner Einstellung, Kritiker zu bekämpfen und zu verfolgen. Die Deutsche Bahn AG braucht nicht einen gewonnenen Prozess, sondern eine neue Qualität der Kundenorientierung", meint Engel. Hartmut Mehdorn hatte nach seinem Amtsantritt Stück für Stück alle Gesprächsbeziehungen mit Verbraucherverbänden abgeschnitten. Ein vom Vorgänger Ludewig eingerichtetes Kundenforum wurde bald nach Mehdorns Amtsantritt aufgelöst, und die Arbeit einer Tarifkommission wurde "ausgesetzt", als die DB-Führung erkannte, dass hier keine "Hurra-Zustimmung" zum neuen Preissystem zu erreichen war. Interne Kritiker im Konzern hatten der Presse immer wieder mit Detailinformationen über das neue Preissystem zugespielt, auch sie wurden Stück für Stück kaltgestellt. Die zahlreichen Kundenbeschwerden erreichen die Unternehmensführung gar nicht erst, weil die Kunden mit Formbriefen aus einer Zentralstelle aus Hannover abgespeist werden.

PRO BAHN fordert Kundenbeirat und Schlichtungsstelle

Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert daher die Einrichtung eines Kundenbeirats, in dem Verbraucherverbände unmittelbar mit der Unternehmensführung sprechen können. Viele Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde haben bereits solche Kundenbeiräte und schätzen die Möglichkeit, Kritik früh und ohne öffentliches Aufsehen anhören zu können. "Während Spitzenmanager wahrscheinlich noch nie eine Fahrkarte selbst gekauft haben, kennen wir die Probleme des Bahnfahrens aus eigener Anschauung," erklärt Engel. "Beispielsweise haben wir aufgrund unserer Erfahrungen das Preissystem der DB analysiert und können die zahlreichen Probleme genau benennen. Wer als Unternehmer diesen Sachverstand nicht nutzt, muss zwangsläufig in ein Desaster steuern." Weiter fordert PRO BAHN die Einrichtung einer Schlichtungsstelle für den Fernverkehr, damit Fahrgäste in Streitfällen kompetente Unterstützung erhalten. Die "Schlichtungsstelle Nahverkehr" in Nordrhein-Westfalen hat sich bewährt und einen wichtigen Beitrag zum Verbraucherschutz geleistet.

PRO BAHN e.V., Bundesgeschäftsstelle
Schwanthalerstr. 74
80 336 München
Tel.: (089) 54 456 213; Fax: 54 456 214   www.pro-bahn.de

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Preiskorrektur bei der Bahn

Seit dem 1. August ist sie wieder da, die Bahncard50. Das ist ein großer Erfolg für die Bürgerinitiative „Verkehrsclub Deutschland (VCD)". Diese hat seit den Tarifänderungen der Bahn dafür gekämpft, diese wieder zurückzunehmen und vor allen Dingen die Bahncard50 wieder einzuführen. Zur Revision des Tarifsystems hat auch der massive Kundenverlust der Bahn geführt.

Der VCD sieht aber noch mehr Verbesserungsmöglichkeiten. Die Umtauschgebühr liegt mit 15 Euro immer noch zu hoch. Der Sparpreis von 25 Prozent sollte – wenn man sich schon auf einen Zug festlegen muss – eine Platzreservierung beinhalten, und Fahrkarten sollten generell wieder vier Tage pro Fahrtrichtung gelten.

(VCD, Eiffelstr. 2, 53119 Bonn, 0228,985850, www.vcd.org)

 

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Von der Schweiz lernen

Die Schweizer Bundesbahnen (SBB) waren das Vorbild für die Banhcard50. Auch heute kann die Deutsche Bahn noch einiges von der Schweiz lernen:

Der Erfolg der SBB liegt vor allem an

- einer engen Kooperation mit allen Partnern im öffentlichen Regional- und Lokalverkehr. Öffentlicher Verkehr präsentiert sich unter der Marktführerschaft der SBB als informatorisches und tarifliches Gesamtsystem voller partnerschaftlicher Kooperation. Daran ändert auch der in der Schweiz vorhandenen Wettbewerb im Regionalbereich um Strecken und Netze nichts. Man bleibt im Interesse der Kunden und maximaler Gesamtnachfrage auf Partnerschaft fixiert.

- einem maximalen Marktehrgeiz, engagiertem Systemdenken und flächendeckendem Ansatz. Alle Investitionen werden breiten- und flächenwirksam konzipiert. Korridordenken und minimalistische Rumpfphilosophie sind in der Schweiz verpönt. Kundennähe ist Trumpf. Daher gibt es in Relation zur Netzlänge dreimal mehr Haltepunkte und Bahnhöfe im Netz der SBB, wenn man die regionalen und kommunalen ÖPNV-Systeme der Schweiz hinzunimmt, ist die Zahl der Haltestellen sogar fünfmal höher, im ländlichen Raum teilweise sogar fast zehnmal.

- einem dichten InterRegio-Netz, das zuschlagsfrei alle Groß- und Mittelstädte, vielfach auch Kleinstädte im ganzen Land mindestens im Stundentakt, auf vielen Relationen auch im Halbstundentakt verbindet.

- einem engagierten Offensivkurs mit schrittweiser Angebotsverdichtung im Regional- und Fernverkehr.

- einem Verzicht auf Hochgeschwindigkeitsstrecken und Vorzeigebahnhöfe. Die Investitionen werden nach Regeln der breiten Systembeschleunigung auf das ganze Land verteilt, um so einen integralen Taktfahrplan mit vielen Knoten zu ermöglichen.

- der Kundennähe der SBB. Diese äußert sich auch in einem positiven Umgang mit der Öffentlichkeit. Endkunden werden als Fahrgäste und Wähler ernstgenommen. Denn mit ihrer Bereitschaft, für Mobilitätsdienstleistungen zu zahlen, und mit der Bereitschaft, bei den vielen Volksabstimmungen für Investitionen in den öffentlichen Verkehr, sorgen sie dafür, das die Bahn rollen kann.

- dem Ernstnehmen der Kantone und Kommunen mit ihren Mandatsträgern und Verwaltungen durch die SBB und bindet sie auf lokaler und regionaler Ebene eng in alle Angebots- und Tarifmaßnahmen ein. Natürlich auch, um eine hohe Priorität des öffentlichen Verkehrs politisch abzusichern.

- der engen Kooperation mit dem VCS, dem Verkehrsclub der Schweiz, der seit seiner Gründung engagiert die Interessen des öffentlichen Verkehrs vertritt und neben der SBB selber erfolgreichster Verkäufer von Fahrkarten und General-abos ist.

Aus einem Beitrag von Heiner Monheim

in fairkehr, 4/2003, der Zeitschrift des Verkehrsclub Deutschland www.fairkehr.de

 

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Konzept „MobilitätsPlus trotz HaushaltsMinus"
auf 14. Bundesweiten Umwelt- und Verkehrskongress in München vorgestellt

Nicht nur der Finanzminister des Bundes soll wieder durchschlafen können, auch seine Kollegen in Ländern und Kommunen. Bessere Gesundheit (nicht nur) für die Schatzmeister der Nation, die öffentlichen und Sozialversicherungs-Haushalte und ein Plus an Mobilität lassen sich gleichzeitig erreichen.
Dies erfuhren die knapp 200 Teilnehmer des 14. Bundesweiten Umwelt- und Verkehrskongresses (BUVKO) Ende Mai in München. Nach drei Tagen, die prallvoll mit Arbeitsgruppen, Exkursionen und Podiumsdiskussionen gefüllt waren, stellten die Veranstalter das Konzept „MobilitätsPlus trotz HaushaltsMinus" vor.
Es besteht aus den folgenden Bausteinen:

1. Weniger Ausgaben

Zuschussbedarf für die Bahnen durch Ausschreibungspflicht im Schienen-Nahverkehr (SPNV) reduzieren

Private Eisenbahnen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass besserer Service für die Fahrgäste bei geringeren Zuschüssen durch die öffentliche Hand möglich ist. Deshalb müssen in Zukunft alle SPNV-Leistungen öffentlich ausgeschrieben werden. Exklusiv-Verträge mit dem (Noch-) Monopolisten DB AG müssen der Vergangenheit angehören. Durch Vorgaben müssen Dumpinglöhne, schlechtere Arbeitsbedingungen und ein Absinken des Sicherheitsniveaus verhindert werden.

Budgets der Sozialversicherungen durch Förderung gesunder Fortbewegungsmittel entlasten

Wer die Lohnnebenkosten senken will, muss in die Gesundheits-Prävention investieren. Erforderlich sind die Einbindung des Gehens, des Wanderns und des Radfahrens in die Bundes-Gesundheitspolitik.
Ein gutes Beispiel hierfür sind die von mehreren Bundesministerien geförderten Kampagnen des Fußgängerschutzvereins FUSS e.V. „Zu Fuß zur Schule" und „Gehen bewegt mich" (ein Modellprojekt in Berlin-Brandenburg zum Wandern von Bahnhof zu Bahnhof).
Wer nicht krank wird, entlastet die Budgets der Sozialversicherungen.

Haushalte durch arbeitsplatzintensive Investitionen zur Erhaltung und zum Umbau der Verkehrsnetze entlasten

Bund, Länder und Kommunen sollen in Maßnahmen investieren, die der unnötigen Autonutzung in Städten und Gemeinden entgegenwirken. Derartige Maßnahmen sind kostengünstiger als der derzeit fortgeführte Ausbau von Straßen.
Der neue Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2003) will dagegen den Straßenbau auf Rekordniveau weiterführen. Er darf daher in seiner vorliegenden Form nicht verabschiedet werden! Auch im Straßenbau sollte gelten: Statt Großbetriebe, die oft keine Steuern zahlen, zu alimentieren, sollte lieber der arbeitsplatzintensivere Mittelstand gestärkt werden.

Ausgaben für kommunale Verkehrsförderung durch Verzicht auf Bevorzugung von Großprojekten senken

Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) muss zu einem Spargesetz werden, d.h. die kostengünstigsten und effektivsten Baumaßnahmen müssen gefördert werden, nicht aber Großvorhaben. Derzeit sind wirksame Maßnahmen im Fuß- und Radverkehr sowie die Verkehrsberuhigung nicht förderfähig, nicht zuletzt, weil sie weniger kosten als der gesetzlich festgelegte Mindestbetrag (Bagatellgrenze).

Versteckte Auto-Subventionen einsparen

Der Autoverkehr in unseren Städten wird hochgradig subventioniert. Spürt man diese in den Kommunalhaushalten versteckten Ausgaben auf, so kommen erstaunliche Beträge dabei heraus: So subventioniert z.B. Dresden den Autoverkehr mit jährlich rund 55 Mio. Euro.

Ausgaben der Kommunen durch Verlagerung vom Parkplatzbau zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs senken

Es ist nicht Aufgabe der Gemeinden, jedem Bürger überall in der Stadt Parkflächen zur Verfügung zu stellen. Die Stellplatzverordnungen müssen entsprechend verändert werden. Billiger und effektiver ist die Schaffung und Unterhaltung von Fuß- und Radverkehrsnetzen sowie von komfortablen und sicheren Querungshilfen.

2. Mehr Einnahmen

Kostendeckende Gebühren im Flugverkehr erheben

Angesichts der niedrigen Ticketpreise der Billigflieger ahnt es eigentlich jeder: Hier kann etwas nicht stimmen. Die öffentliche Hand investiert für Ryanair & Co in den Ausbau der Flughäfen und landseitigen Anschlüsse, verzichtet in der Regel aber trotz enormer Folgekosten durch Luftverschmutzung und Lärmbelästigung auf kostendeckende Gebühren. Emissionsabhängige Gebühren würden diese indirekte Subventionierung aufheben. Die Airlines müssten diese Gebühren über kurz oder lang an die Passagiere weitergeben. Dann würden auch die Preise stimmen!

Entfernungspauschale abschaffen

Die Entfernungspauschale wirkt als "Zersieelungsprämie", da sie lange Wege zur Arbeit belohnt. Diese flächenverbrauchende und verkehrserzeugende Subventionierung ist abzuschaffen oder mindestens stark zu reduzieren.

Einnahmen der DB AG aus Fahrscheinverkäufen durch ein attraktives Preissystem erhöhen

Das neue Preissystem der DB AG führte zu verärgerten Kunden und zurückgehenden Fahrgastzahlen. Es ist eben nicht so einfach und kostengünstig wie die Werbung versprach. Die Wiedereinführung der 50%-BahnCard, die Abschaffung der Strafgebühren für Umbucher und die Einführung eines einfachen Preissystems vor allem im Nahverkehr mit ausreichenden Rabatten für Jugendliche wären wichtige Schritte, um das Bahnfahren wieder konkurrenzfähig zu machen. Mit diesen Maßnahmen liessen sich die Einnahmen der DB nennenswert erhöhen.

Der Geldmangel der öffentlichen und Sozialversicherungs-Haushalte birgt nicht nur Probleme in sich. Das auf dem Kongreß vorgestellte Konzept „MobilitätsPlus trotz HaushaltsMinus" zeigt Grundlagen auf, wie die finanzielle Ebbe zu einer ökologischen Verkehrswende führen kann.

 

I walk to school - Zu Fuß zur Schule

In diesem Jahr beteiligt sich Deutschland zum zweiten Mal mit einer thematisch breit angelegten Kampagne "Zu Fuß zur Schule" an der vierten Internationalen Woche "I walk to school". Aufgrund der Ferientermine startet die Kampagne in Deutschland bereits am 2. Oktober. Voraussichtlich werden sich ca. 30 Staaten und mehrere Millionen Menschen weltweit an den Aktivitäten beteiligen.

Im Rahmen der Gemeinschaftsaktion des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Umweltbundesamtes, mit Unterstützung der Bundesministerien für Verkehr, für Gesundheit und für Familie, wird FUSS e.V., der Fachverband Fußverkehr Deutschland, Faltblätter in großer Auflage an die Eltern von eingeschulten Kindern verteilen. Thematische Schwerpunkte der Aktivitäten in Deutschland sind der offensichtlich zunehmende Bewegungsmangel und die damit zusammenhängenden Gesundheitsprobleme und die unausgeglichenen Verhaltensweisen von Grundschülern. Es wird darauf hingewiesen, dass das Zu-Fuß-Gehen zur Schule die Lernfähigkeit, die Selbständigkeit und die Kontakte unter den Kindern fördert. Darüber hinaus ist jeder derartige Gang auch ein Beitrag für den Umwelt- und Klimaschutz: Bei einem Schulweg von 2 Kilometern Länge und 200 Schultagen werden ca. 160 Kilogramm CO² pro Schulkind und Jahr weniger in die Luft geblasen.

Der Wunsch von immer mehr Eltern, ihre Kinder vor Verkehrsunfällen zu schützen, ist mit dem Kinder-Taxi nicht erfüllbar. Kinder werden durch das Zur-Schule-Gefahrenwerden nicht sicherer im Straßenverkehr und das Unfallrisiko verschiebt sich lediglich auf die Zeiten, wo sie dann doch als Fußgänger am Straßenverkehr teilnehmen müssen.

Das Faltblatt, Anschreiben an Lehrer und Eltern und weitere Hintergrundinformationen sind gegen Erstattung der Versandkosten erhältlich beim FUSS e.V., Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstr. 20, 13 357 Berlin, Tel: 030/492 74 73, Fax:492 79 72, info@fuss-ev.de, weitere Informationen unter www.fuss-ev.de > Themen oder international: www.iwalktoschool.org

Nutzen und Kosten neuer Straßen

Die Pläne für den Ausbau des Bundesstraßennetzes ignorieren die leeren öffentlichen Kassen. Jetzt gilt es, einen "Realitäts-Check" durchzuführen und alle Investitionen auf den Prüfstand zu stellen. Straßen bauen kostet viel Geld, ein einziger Autobahnkilometer durchschnittlich 7 Millionen Euro. Vorfinanzierte Straßenbauprojekte sind mehr als doppelt so teuer und für Tunnelstrecken werden bis zu 50 Millionen Euro pro Kilometer verlangt. Die Beantwortung der Frage, ob Straßenbau tatsächlich die Wirtschaft in Schwung bringt und eventuell noch weitere Vorteile schafft, wird immer wichtiger.

Das wegen der damaligen Haushaltsreform Anfang der siebziger Jahre entwickelte Bewertungsverfahren von Straßenneubauten, die so genannte BundesVerkehrsWegePlan-Methode (BVWP-Methode), zielte darauf ab, den viel zu teuren Straßenbau zu rechtfertigen. Nachgewiesen werden soll mit dieser Methode, dass eine bereits in die Planung aufgenommene Straßenbaumaßnahme mehr Nutzen als Kosten mit sich bringt. Das Verfahren findet bis heute in der Bundesverkehrswege-Planung Anwendung, obwohl Deutschland bereits übererschlossen und daher der Nutzen weiterer Straßen kaum nachzuweisen ist.

Die Bundesregierung hatte in ihrer Koalitionsvereinbarung eine Überarbeitung des BVWP beschlossen. Diese Änderungen sind jetzt abgeschlossen und lassen erkennen: Im Kern hat sich nichts geändert. Die Korrektur betrifft insbesondere die Verbesserung der Methodik bei der Behandlung der Auswirkungen in den Bereichen Umwelt, Raumordnung und Städtebau. Dabei sollen die Erweiterungen der methodischen Basis in den genannten Bereichen zwar einerseits den wesentlichen Kritikpunkten an dem bisherigen Verfahren gerecht werden, andererseits soll aber die Praktikabilität des Planungsverfahrens sichergestellt bleiben. Demnach haben grundsätzliche Änderungsvorschläge von Anfang an keine Chancen.

Eine weitere Kritik an der BVWP-Methode ist deren fehlende Transparenz und die daraus resultierende mangelnde Nachvollziehbarkeit für am Verfahren unbeteiligte Personen. Der pauschale Verweis auf die wissenschaftliche Methode zur Rechtfertigung neuer Straßenbaumaßnahmen vermag nicht von deren Notwendigkeit zu überzeugen. Repräsentativen Umfragen zufolge spricht sich eine Zweidrittel-Mehrheit der Deutschen dafür aus, Autoverkehrs-Probleme mit einer Verringerung des Autoverkehrs und nicht mit weiterem Straßenbau zu lösen.

UMKEHR e.V. versucht in einer neuen Veröffentlichung die BVWP-Methode zu durchleuchten und folgende Fragen zu beantworten:

Wie kann ein für den Bau einer Ortsumgehungsstraße ausgegebener Euro fünffachen Nutzen stiften? Wie kommt ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 10:1 zustande? Wie kann weniger Lärm oder bessere Luft einen Wert in Euro haben? Welche Gedanken und Annahmen wurden den Verfahren zugrunde gelegt? Was wird berücksichtigt, wie groß sind die Manipulationsmöglichkeiten? Welchen Nutzen bringen immer mehr Straßen, und damit immer mehr Pkw?

"Nutzen und Kosten neuer Straßen", Verkehr Kompakt Nr. 8, 28 Seiten, erhältlich für 2 Euro zzgl. Versandkosten bei: UMKEHR, Exerzierstr. 20, 13357 Berlin, Fon 030 492 74 73, Fax 492 79 72, info@umkehr.de

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 Die Macht der Konsumenten

Unzählige Beispiele belegen:
Konsumenten können durch ihre Kaufverhalten Unternehmen ökologischer und sozialer werden lassen. So soll es auch sein.

Denn die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt.

Unzählige Beispiele belegen:
Konsumenten können durch ihre Kaufverhalten Unternehmen ökologischer und sozialer werden lassen. So soll es auch sein.

Denn die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt.

Es sind die Konsumenten, die sagen müssen, was sie wollen und vor allem, was sie nicht wollen. Umgekehrt ist es der Handel, der im eigenen Interesse auf die Bedürfnisse der Konsumenten eingehen und ihnen die Möglichkeit der freien Wahl bieten sollte. Ein Henne-Ei-Problem, das direkt zu einem Beispiel von der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten" führt. Im Kampf gegen die Käfighaltung von Legehennen war die Vermarktung von Freilandeiern mit dem eigens geschaffenen Gütesiegel „tierschutzgeprüft" stets ein wesentlicher Faktor. Das Frühstücksei sollte von glücklichen Hühnern kommen, befanden die Österreicher. Der Druck nahm zu, der zweitgrößte Käfighühnerhalter Österreichs stieg auf Bodenhaltungssysteme um, und eine große Supermarktkette bietet seit 1994 nur noch Eier aus alternativen Haltungsformen zum Verkauf an. Mit einem Anteil von 25 Prozent aller Legehennen in Boden- oder Freilandhaltung liegt Österreich weltweit im Spitzenfeld.

Der Einfluss, den Konsumenten ausüben können, nutzt in erster Linie ihnen selbst. Im Jahr 1997 initiierten Greenpeace und Global2000 das Gentechnik-Volksbegehren. 1,2 Millionen Österreicher und Österreicherinnen unterstützen mit ihrer Unterschrift die drei zentralen Forderungen: Keine Gentech-Freisetzungen in Österreich, keine Gentech-Lebensmittel in Österreich und kein Patent auf Leben. Von dem Erfolg profitieren die Unterzeichner selbst. Denn in Österreich finden sich bis heute keine gentechnisch manipulierten Lebensmittel.

Dennoch ist Österreich in Punkto Gentechnik keine Insel der Seligen. Fast alle Futtermittel aus konventionellem Anbau sind gentechnisch manipuliert oder enthalten Spuren davon. Der mündige Konsument freilich weiß sich auch hier zu helfen: Lebensmittel aus biologischem Anbau müssen Gentechnik-frei sein. Die steigende Zahl der Biolebensmittel zeigt, dass die Österreicher/innen Wert auf gesunde Nahrungsmittel legen.

Im Jahr 2000 startete das EinkaufsNetz von Greenpeace Deutschland eine Kampagne gegen Gentechnik in Futtermitteln. Hauptadressat war die Fastfood-Kette McDonald’s. Tausende Briefe von Konsumenten gingen bei der Konzernzentrale ein. Der Burgerkette blieb gar nichts anderes übrig, als sich dem Druck zu beugen. McDonald’s versicherte, fortan kein gentechnisch verändertes Tierfutter mehr einzusetzen. Ein riesiger Erfolg für die EinkaufsNetzmitglieder, die regelmäßig Informationen von Greenpeace erhalten und zu Mitmachaktionen aufgerufen werden. Das EinkaufsNetz von Greenpeace Deutschland zeigt, wie man Konsumentenmacht bündeln und dadurch noch weiter vergrößern kann. Der Verbraucher kann selbst aktiv werden, Märkte gestalten und in einer Gemeinschaft für eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung dieser Welt kämpfen.

Es gibt unendlich viele Beispiele dafür, dass Konsumenten selbst riesige Konzerne in die Knie zwingen können.
Schließlich leben gerade Firmen mit bekannten, großen Namen von ihrem Image. Ein Image, das sie sich teuer und mühsam aufgebaut haben. Firmen wie Shell investieren heute große Beträge in die Umwelt. Sie tun dies, um sich von ihrer Schuld freizukaufen, um ihr Image zu verbessern und um Kritik zu begegnen.
Doch sie reagieren nur auf den Druck der Kunden. Wir, die Konsumenten, haben alle Möglichkeiten, das Handeln der Konzerne zu beeinflussen! Wir haben die Macht in unserem Geldbeutel. Wir treffen täglich Kaufentscheidungen, und vor allem brauchen wir uns nicht davor zu fürchten, den Konzernen unsere Meinung mitzuteilen.

Es gibt heute in fast allen Produkt-Sparten ökologisch und sozial verträgliche Alternativen. Das war nicht immer so. Dass es sie gibt, haben wir vielen zu verdanken: uns selbst und den vielen anderen Konsumenten, die zu solchen Produkten greifen. Und all jenen, die auf die Straße gingen, Briefe verschickten und sich nichts gefallen ließen. Aber es gibt auch noch sehr viel zu tun. Denn wir besitzen eine ungeheure Macht: die Macht der Konsumenten.

Katrin Heidemann
in: ACT-Greenpeace, 3/2003
 

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 Nachrichten aus Case Caro Carrubo, Sizilien

Diesmal weniger über uns, dafür mehr zum Thema Wasser.

Vor mir liegt der Bericht von 'legambiente', einer der größten Umweltschutzverbände Italiens, zum Thema Wasser in Italien. Der Bericht entstand im Zusammenhang des diesjährigen "Internationalen Jahr des Wassers" der UNO.

Schau ich vom Hügel von Case Carrubo in die Ebene, leuchten, von Jahr zu Jahr mehr, inmitten der sonnenverbrannten Erde, sattgrün die Maisfelder zu mir hoch. Das monotone 'Zisch, Zisch, Zisch' der allgegenwärtigen Wassersprenkler gehört fast schon zur "natür-lichen" Geräuschkulisse.

Seit längerem war ich nun diesen Sommer wieder mal in Deutschland. Es der Länge nach mit dem Zug durchfahrend, fiel mir dabei auf, in was für einem erschreckenden Ausmaße auch hier die Maismanie sich ausgebreitet hat ... Nur mit Unterschied der Farbe, da die Wassersprenkler in den (un-)gemäßigten Breitengraden rarer sind.

10 - 13 Liter bestes Grundwasser gehen pro Sekunde aus der Spritzdüse so eines Sprenklers...

Sizilien - Land ohne Wasser!?

Legambiente fordert, daß der Maisanbau nur noch für die Menge des Eigenbedarfs genehmigt werden soll. Doch die Subventionspolitik der EU macht diesen Raubbau erst möglich. Nachhaltigkeit - wie lange dauert es wohl bis sie wieder Einzug in die Landwirtschaft findet?

Ich möchte anschließend Auszüge aus diesem Bericht bringen. Manche Informationen daraus waren mir bis dahin nicht bekannt.

Zum Beispiel, daß Italien das Land in Europa mit dem größten Wasserverbrauch ist und das an dritter Stelle weltweit, hinter den USA und Kanada. Trotzdem hat 1/3 der italienischen Bevölkerung keinen regulären und ausreichenden Anschluß ans Trinkwasser. Das meiste Wasser wird in der Landwirtschaft verbraucht. Zum Vergleich (aus dem Jahr 1999): mehr als 20 Milliarden Kubikmeter gegenüber knapp 8 Milliarden Kubikmeter für die öffentliche Trinkwasserversorgung. Wasserverschwendung herrscht in allen Bereichen, angefangen von den uneffizienten Bewässerungssystemen (ein großer Teil des Wassers verdampft dabei) bis zu den maroden Trinkwasserleitungen. Es wird davon ausgegangen, daß rund 27 Prozent des Wassers auf dem Weg durch die Rohre verloren geht. Am Beispiel Agrigentos wird dieser Fakt absurd: Auch wenn der errechnet Pro-Kopf-Verbrauch der Einwohner höher liegt wie in den Städten Ferrara oder Bozen, die keinerlei Wasserversorgungsprobleme haben, bleiben die Bewohner-Innen des öfteren auf dem Trockenen.

Auf dem Abwassersektor sieht es nicht besser aus: Mehr als ein Drittel der Abwässer gelangt noch immer ungereinigt in die Flüsse bzw. ins Meer. Städte wie Milano und Florenz haben bis jetzt keine ausreichenden Kläranlagen. Legamiente untersuchte die Wasserqualität von 18 Flüssen in über 250 Proben. Mehr als die Hälfte resultiert belastet bis schwer belastet.

Eigentlich ist Italien ein Land mit großen Waserressourcen - doch mit sehr ungleicher Verteilung: Im Norden 65 Prozent, 15 Prozent im Zentrum, 12 Prozent im Süden und 8% auf den Inseln. Mit quasi umgekehrtem Prozentsatz im Konsum: Im Süden und auf den Inseln wird das zur Verfügung stehende Wasser zu 96 Prozent gebraucht - ein Wert, weit, weit weg von Nachhaltigkeit.

Einher mit der Verschwendung des Wassers geht die Verarmung und Verödung der Böden. Auch hier sind vor allem die südlichen Regionen betroffen; allen voran Sizilien mit 36,6 Prozent seiner Fläche. Doch auch im Norden Italiens, ausgelöst durch die extreme Ausbeutung durch die Landwírtschaft bzw. Tierhaltung, schreitet die Verödung voran. 22 Prozent der Böden in der Poebene haben schon weniger als 1 Prozent organische Substanz und 26 Prozent riskieren es demnächst zu sein.

Und was macht die Regierung?

...Verspricht viel und realisiert wenig - eine Normalität der italienischen Politik: Nur 3 Prozent der versprochenen Gelder nach der extremen Dürre des letzten Sommers sind wirklich geflossen. Das Umweltministerium startete 2003 eine Aktion, das Bewußtsein der Bevölkerung für das Lebensgut Wasser zu stärken: große Plakate hängen von den Strassenlaternen der Städte. Abgelichtet wird ein kleines Kind, das mit beiden Händchen Wasser schöpft. Titel: 'Non sprecare l'aqua - é fonte de vita' (Bitte kein Wasser verschwenden, es ist unsere Lebensgrundlage). Aber wie als Bürger und Bürgerin diese Worte ernstnehmen, wenn die Verwaltungen selbst keinen Schritt in die Richtung tun, z.B. um die veralteten Rohrsysteme zu erneuern, und die Regierung stattdessen viele Gelder in utopische Bauprojekte, wie Entsalzungsanlagen oder das "Abschiessen" von Regenwolken steckt??!

Gut, daß es die Verbände wie Legambiente gibt. Sie haben eine gute Resonanz in der Bevölkerung - so ist zu hoffen, daß sich mit der Zeit des Bewußtsein der Menschen für die Problematik wirklich schärft und eine Änderung in Gang kommt.

Renate Brutschin

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Eulenspiegel-Nachrichten

Betriebsgruppe

Ein ereignisreicher Sommer geht zu Ende. Wie gehofft, hat sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert, d.h. im August und Anfang September waren die Umsätze etwa gleich wie im vergangenen Jahr. Dadurch hat sich der Rückgang geschmälert. Wir wollen hoffen und dafür arbeiten, dass sich diese positiven Ansätze weiterentwickeln.

Wir werden ab 5. Oktober wieder Sonntags einen Bio-Brunch anbieten und diskutieren derzeit darüber, ob wir auch in der Winterzeit durchgehend einen Mittagstisch im Abo, Take-Away-Mahlzeiten anbieten können. Dazu brauchen wir aber immer noch dringend eine begei-sterungsfähige Küchenmitarbeiterin.

Unsere Suche nach neuen EinsteigerInnen lies Ramona bei uns Station machen und wir einigten uns auf eine weitere Probezeit. Ansonsten hatten wir rund 50 Bewerbungsgespräche, etliche Probearbeiten und Kennenlerntage, was den Sommer sehr lebendig ge-staltet hat – aber hängen geblieben ist dabei noch keiner. Wir möchten allen Interessenten für ihre Mühe und Interesse danken. Viele gegebene Anregungen werden wir bedenken und aufheben, um zur gegebener Zeit diese aufgreifen zu können. Schön waren auch die vielen Hilfsangebote um die Saison zu überstehen. Wir suchen weiter.

Die Saison geht zu Ende und wir wollen uns bei Frieder, Günter, Daniel, Krishna, Ramona, Kathrin, Katrin, Wieland, Anne-Kathrin, Angela, Ursel, Irmgard, Julie und Jürgen für ihre Unterstützung und Mitarbeit bedanken.

Zur Zeit unterstützen uns Iris, eine WooferIn für zwei Wochen sowie Johannes als Praktikant für vier Wochen.

Die vom Freundeskreistreffen diskutierten Impulse hat die Betriebsgruppe aufgegriffen und wir werden im Herbst an die Umsetzung gehen.

- Es soll wieder ein zweites Frühstück in der Woche geben, wo die Person, der Mensch wieder im Mittelpunkt steht mit seinen Fragen, Bedürfnissen und Träumen.

- Einmal im Monat wollen wir eine Hausversammlung einberufen, wo alle Mieter, Bewohner und Mitarbeiter zusammenkommen, um darüber zu sprechen, was das Besondere am Projekt Eulenspiegel ist: Selbstverwaltung, Ökologie, soziales Miteinander, Dreigliederung,....

- Günter wird den Arbeitskreis Dreigliedrige Gesprächskunst ins Leben rufen. Wir wollen auf freiwilliger Basis den Text von Henning Köhler „Peter Schilinskis Verständnis einer dreigliederungsgemäßen Gesprächskunst" lesen und besprechen.

 

Aufruf unser Projekt zu unterstützen

Erfreulich sind die Reaktionen auf unseren Aufruf in den beiden letzten jedermenschen. Die Kampagne für neue Kredite brachte bislang folgende Resultate:
9000 € neue Kredite. Und viertausend Euro alte Kredite wurden verlängert.
Spenden sind bislang circa 500 Euro eingegangen.

Ich möchte mich im Namen von Modell Wasserburg recht herzlich bedanken. Damit haben wir die Hälfte unseres Weges schon erreicht und um die zweite Hälfte zu bewältigen stehen hier nochmals die Möglichkeiten uns zu unterstützen.

Es gibt zwei Wege unsere Arbeit zu unterstützen:

1. Spenden für die ideelle Arbeit des Vereins, kleine, große, einmalige und regelmäßige, auf das Konto 100212652 bei der Bodenseebank Wasserburg (BLZ 73369821), Spendenbe-scheinigungen werden ausgestellt).

2. 20 x 1000 € - Kredite, kleinere und größere, mit einer Laufzeit von bis zu 10 Jahren, zins-los oder zinsgünstig, um die wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu überstehen. Der Verein bürgt in jedem Fall für die Kredite. Bitte sprechen Sie uns an.

Nähere Informationen (über die Geschäftslage des Betriebes und des Vereins) direkt bei Dieter Koschek in Wasserburg. Anruf genügt!

 

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Projektwerkstatt am See - Büro für Soziale Dreigliederung

Als Informations- und Anlaufstelle diene ich allerlei Fragen, nach Kontakten und Projekten aller Art. Hier konnte ich im letzten Vierteljahr 13 Menschen weiterhelfen.

Existenzgeld

Eine Anfrage gilt der Mitarbeit bei der Durchführung des Bundeskongresses Entwicklungspolitischer Gruppen im Mai 2004 zum Thema Einkommen ohne Abeit/-Existenzgeld. Hier werde ich mit Aktiven aus dem Umfeld der AG spak mitwirken.

Sozialpolitisches Forum der AG SPAK

Dies wird vom 26. – 28 März 2004 in Oberursel stattfinden. „Selbstbestimmung im 21. Jahrtausend". Thema ist die Zukunftsvision einer Bürgergesellschaft.
Ausschnitte aus dem geplanten Programm:
Soziale Sicherung im 21. Jahrtausend, Referent Michael Opielka
Forum 1:
- Die Soziale Stadt als Vision der Gemeinwesenarbeit

- Bürgerhaushalte a la Porto Alegre

- Bürgerentscheide als Element einer visionären Kommune

- Agenda 21 als Prinzip einer dialogischen Politik

Forum 2:

- Gesundheitsreform, Visionen einer solidarischen Gesundheitskasse,

- Arbeit als Kapital im Besitz der Arbeitenden

- Grundsicherung für alle

- Lebensgemeinschaften als neue Form der soziale Keimzelle

- Umverteilen. Visionäre Modelle einer Finanzierung eines solidarischen Gesellschaftsvertrages (Wertschöpfungsabgabe, Grundeinkommen, Bodenrente)

Hier gilt es für mich Inhaltliches und Organisatorisches vorzubereiten.

Agenda 2010

Damit im Zusammenhang steht die Diskussion und die Debatte um die Agenda 2010 der Bundesregierung. Hier sammle ich Informationen und arbeite sie für die website der AG SPAK auf. Dort werden vierteljährlich Berichte über die Aktivitäten der sozialen Bewegungen gegen den Sozialabbau und für soziale Alternativen zu finden sein.

Regionales Sozialforum

Wenn es die Zeit erlauben sollte, möchte ich in unserer Region verstärkt Kontakte knüpfen, um ein Regionales Sozialforum (als Teil des globalisierungskritischen Netzwerkes) in die Wege zu leiten

Faltblätter

Ich habe einen neuen Prospekt des jedermensch-Verlages drucken lassen und dazu gleich zwei Faltblätter, die bereits in kopierter Form zirkulierten:

1. Existenzgeld für alle - Einkommen ohne Arbeit

2. Soziale Dreigliederung

Diese Faltblätter können gerne bei mir zum Weiterverteilen bestellt werden: für 100 Stück 10 € im Umschlag.

www.jedermensch.net

Die Website wird kontinuierlich weitergestaltet. Im Sommer habe ich den gesamten Text der Broschüre von Peter Schilinski „Soziale Dreigliederung – Eine Einführung" ins Internet gestellt. In Zukunft soll noch eine Seite zu Peter Schilinski selbst dazu kommen sowie eine Textsammlung, die über die Zeitschrift jedermensch hinaus geht. Gut Ding will Weile haben!

Es befinden sich noch weitere Ideen in der gedanklichen Arbeit und werden in der Projektwerkstatt weiter bearbeitet. Doch heißt es ja nicht Ideenwerkstatt, wie es mal in den Anfangszeit eine gab, sondern eben Projektwerkstatt, in der aus Ideen faßbare Projekte entstehen können.

Kultur- und Begegnungsstätte

Bis Dezember sind derzeit 8 Wochenende mit Seminaren (Familienaufstellung, Yoga und Meditation, Clownerie) gebucht, davon werden wir selber zwei (Modelltagung und soziale Projekte) veranstalten.

Dienstagabend findet immer unser öffentliches Rundgespräch (mit Anton Kimpfler, Karl-Heinz Dewitz, Fried-Günter Hansen, Hans-Dieter Meyer und Dieter Koschek) statt. Regelmäßig wird ab dem 9.10. ein Kreativkurs mit Marco Ceroli am Donnerstagabend stattfinden. Dazu wird ab November noch ein Yogakurs für Kinder am Donnerstagmorgen stattfinden. Einmal monatlich finden Kreistänze mit Iris Flechter mittwochs statt, sowie einmal monatlich ein Abendseminar Familienaufstellung. Der Naturheilverein Lindau trifft sich jeweils am zweiten Donnerstag im Monat im Lokal. Die Artabana-Gemeinschaft kommt am ersten Montag im Monat zu uns.

Weitere Informationen können unserem zweimonatlichen Programmzettel oder dem Internet entnommen werden.

Für den Programmzettel haben wir uns auf die Suche nach Sponsoren gemacht und konnten nun die Kronenbrauerei Tettnang und einen Biohof gewinnen. Wir suchen weiter.

Workshop soziale Projekte

Dieses Vorhaben hat sich weiterentwickelt zu einem Treffen von Mitarbeitern aus kollektiven Projekten und wird am 1. und 2. November 2003 im Eulenspiegel stattfinden.

Termine:

Freundeskreistreffen und Mitgliederversammlung von Modell Wasserburg: 20.-22.Februar 2004

Sizilianisches Wochenende 27.-29. Februar 2004

Modelltagung 12.-14. März 2004

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Freundeskreistreffen Modell Wasserburg August 2003

Anwesend: Günter Edeler, Ingo Mäder, Inge Lahmann, Renate Brutschin, Dieter Koschek zeitweise, Fried-Günter Hansen, Karin Koch, Martin Rösing, Hans-Dieter Meyer, Claudia Müller und Rainer Rappmann

1. Dieter stellte nochmals die vom Modell Wasserburg geförderten Projekte dar:

Biorestaurant Zum Eulenspiegel
Kultur- und Begegnungsstätte Zum Eulenspiegel
Case Caro Carrubo
Jedermensch
Projektwerkstatt

2. Renate berichtete ausführlich über CCC:

Inzwischen gibt es einen weiteren Gemüsegarten. Eine Tröpfelanlage für die Bewässerung von kleinen Bäumen und Gemüse erleichtert die Arbeit immens. Sie wurde letztes Jahr gebaut und dieses Jahr erweitert. Das brauchbare Land ist zum größten Teil kultiviert.

Elvi war jetzt über zwei Jahre hinweg im Projekt und ist im Sommer in Finnland. Dort bildete sich der Wunsch bei ihr, wieder verstärkt in Finnland zu leben und zu arbeiten. Wie sich eine zukünftige Zusammenarbeit gestalten kann, wird sich zeigen.

Folgende Punkte stellen die größten Schwierigkeiten im Projekt dar:

- Geldmangel
- Ermüdungserscheinungen: das Bauen raubt Kräfte, ein im Bau befindliches Bad wird nicht fertig
- Es gibt wenig „fremde" zahlende Gäste
- Eine weitere Küche ist dringend notwendig, weil immer wieder Gäste einen eigenen Kochbereich wünschen
- Es mangelt an Wohnbereich für Mitarbeiter/innen

Im Rahmen einer Zukunftswerkstatt wurden die Pro-bleme, auch zwischenmenschliche und persönliche, angegangen. Das hat einen neuen Schwung gegeben.

Der Direktverkauf von Gemüse ist inzwischen legali-siert, wie auch die Beherbergung von Gästen über ein Programm „Bed & Breakfast". So ist auch eine offizielle, öffentliche Werbung möglich.

Eine Vereinsgründung ist angedacht, um öffentliche Gelder beantragen zu können.

Ein finanzielles Desaster war ein Rechtsstreit mit einem Nachbar: Der Nachbar erstattete Anzeige wegen einem angebrachten Tor auf dem Weg zu CCC. Er forderte, dass das Tor wieder entfernt wird. Der richterliche Entscheid sieht nun so aus, dass das Tor bleiben kann. CCC aber zu einer Strafe von 2.500 € verurteilt wurde. Der Beschluss ist mehr als fragwürdig, doch ein Widerspruch hat laut Aussage verschiedener Rechtsanwälte kaum Aussicht auf Erfolg.

Weitere Aktivitäten in und um Case Carubo:

- Die Gemeinschaftsküche soll baldmöglichst ausgebaut werden, damit das Vorhaben für andere zu kochen, verstärkt in Angriff genommen werden kann.

- Case Carubo übernimmt auch dieses Jahr die Bewirtung beim Stadtfest gegen Fremdenfeindlichkeit / ‚Integration’ Ende September

- Anfang Oktober ist ein Treffen geplant, um das soziale Forum der Provinz wieder zu reaktivieren.

- Ein Forum zum Thema Wasser ist in Planung (regional)

- Viel Widerstand gegen den geplanten Brückenbau in der Meerenge von Messina

3. Die Diskussion drehte sich um die Frage nach dem Selbstverständnis des „Vereins": Ist er ein Förderverein oder hat der Verein ein Eigenleben?

Es zeigte sich ziemlich eindeutig, dass der Verein aufgrund der Verstreutheit der Mitglieder kein Eigenleben haben kann, Impulse und Initiativen aus den Reihen der Mitglieder können jedoch als Projekte oder Teile bestehender Projekte verwirklicht werden (so z.B. der Workshop „Soziale Projekte", den Günter auf der Mitgliederversammlung März 2003 angeregt hatte)

Daneben hat der Verein (die Mitgliederversammlung) die Aufgabe über die Ziele und den Zweck des Verein nachzudenken und ihn mit Inhalt zu füllen, und die geförderten Projekte daran zu beurteilen.

4. Es wurde überlegt wie die Mitglieder die inhaltliche Arbeit wieder beleben können, da dies besonders für Wasserburg geltend als notwendiger Bedarf gesehen wurde. Wie kann durch geistige Arbeit (des Freundeskreis, der Mitglieder) dem Projekt in Wasserburg Hilfestellung gegeben werden. Günter hat Interesse an einem Arbeitskreis der sich mit den grundlegenden Fragen des Vereins beschäftigt. Ausgehend von der „Sozialen Dreigliederung" wurden mehrere Themen vorgeschlagen: Die „soziale Frage" als Lesekreis, die Gaststätte als Schule (in Hinblick auf die Aktion im Oktober mit Mario Ohno), Dreigliederung als Hilfestellung für die Betriebsgruppe in Wasserburg, „Die dreigegliederte Gesprächskultur" (Henning Köhlers Artikel basiert auf Peter Schilinskis Arbeiten). Zum letzten Vorschlag wurde von mehreren Anwesenden Interesse geäußert.

Auch war das Interesse da, auf den zukünftigen Freundeskreistreffen zu einem Teil auch inhaltlich zu arbeiten.

Rainer Rappman brachte das Projekt Regionale Komplementärwährung (z.B. Argentaler) als ein mögliches Projekt ein. Dies sollte als ein Rundgesprächsthema weiter verfolgt werden.

Dieter Koschek erwog die Initiative für ein regionales Sozialforum in der Region Bodensee.

5. Es ergab sich konkret die Frage, wie aus unserem Freundeskreistreffen heraus Hilfestellungen für die Betriebsgruppe gegeben werden könnten:

Wichtig wurde die Frage der „Förderung" gesehen, wie müssen die restlichen Mitglieder der Betriebsgruppe mit den Schulden an den Verein umgehen? Wie kann eine Förderung oder ein rechtliches Verhältnis aussehen, ohne daß der Betriebsgruppe die Notwenigkeit für wirtschaftliches Handeln genommen wird? Ist die Gaststätte mehr als ein „normaler" Wirtschaftsbetrieb (Selbstverwaltung, Bio-Restaurant, ökologischer Pionier, offenes Haus,...) und welche Folgen hat dies?

Es erging die dringliche Empfehlung des Freundeskreis an die Betriebsgruppe wieder ein Gesprächsforum zu bilden, das über die betrieblichen Fragen hinaus geht und die persönlichen Seiten einbezieht. Hier kam die Zukunftswerkstatt als Methode ins Gespräch, wodurch einfache Regeln für die Gesprächsarbeit entstehen sollen.

Darüber hinaus besteht das Angebot für die Betriebsgruppe an dem geplanten Arbeitskreis „dreigliedrige Gesprächskunst" teilzunehmen.

Dieter Koschek & Günter Edeler

 

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Alles fügt sich in dieser Nacht zu einer Form.

GaumenKitzelKopf

oder Die Gaststätte als Schule

23. –26. Oktober 2003

Kunst für Geist und Gaumen

St. Amour auf Eulenspiegel

Mario OHNO, Künstler und Dozent an der Freien Kunstakademie Nürtingen wird an diesen Tage zusammen mit StudentInnen der freien Kunstakademie den Gastraum und die Speisekarte gestalten. Mario OHNO, der in Stuttgart eine „Ein-Zimmel-Tafel" betreibt, wird die Menues auch persönlich kochen. Die Aktion hat den Untertitel „Gaststätte als Schule", und verspricht Genuss für Geist und Gaumen.

Kunst im öffentlichen Raum

„Mein Interesse gilt der Kunst im öffentlichen Raum mit dem Schwerpunkt, dort ästhetisches Handeln zu ermöglichen. Dabei richtet sich meine Intention nicht nach der autonomen Kunst im Sinne des sich selbst verantwortlichen Kunstwerks, sondern nach ihrer Ausprägung, die interaktiv im Alltagsgeschehen Aufgaben übernimmt. Sie muß sich von der erhabenen Position loslösen und nicht mehr nach dem Prinzip Künstler-Betrachter, jedoch als Verhältnis zwischen Produzent und Benutzer funktionieren. Kunst ist ortlos geworden, entfernt von der Galerien- und Museenwelt findet sie überall statt. Die Entstehung und Ausprägung von Kunst muß also in allgemeine Kommunikationsformen eingebettet werden. "Es gibt keine Kunst außerhalb des öffentlichen Raumes, sondern nur die Wahl zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten mit jeweils eigenen Kommunikationsbedingungen" ( Michael Lingner)

Mein Vorhaben zielt vorwiegend darauf ab, alltägliche Abläufe derart zu inszenieren daß sie durch Handlung eine ästhetische Form bekommen. Der 'Kunstgegenstand' wird dabei zum Instrument für die alltägliche Rolle, die man zu spielen hat, spielen will oder zu spielen gezwungen ist. Es geht darum meine 'Kunstgegenstände' nicht nur nach ihrer Funktion zu bestimmen oder sie in Kategorien einzuordnen; ich beabsichtige vielmehr, die Vorgänge, die zwischen Menschen und Gegenständen Beziehungen stiften, und die sich daraus ergebende Systematik der menschlichen Verhaltensweisen und Verhältnisse herzustellen. Dementsprechend ist mein Anliegen nicht nur Kunst im herkömmlichen Sinne - relevant ist die Funktion, die das Werk zu erfüllen hat. Wichtig ist, daß die Notwendigkeit seines Gebrauchs hervorgehoben und es so zu einem Instrument eigener Erfahrung wird. Somit stehen meine Arbeiten auch immer in Korrelation zum Ort, was auch heißt zum jeweiligen Ereignis eines Ortes; es geht in ihnen nicht um 'form follows function', sondern um 'form produces visions', sie haben die Pluralität zum Fokus."

Mario Ohno

Die Gaststätte als Schule

Es verwundert nicht, dass Peter Schilinski selbst die Gaststätte in seiner Lebens- und Arbeitsgemeinschaft „Zum Eulenspiegel"als Freie Schule verstand. Es gehe in der „Freien Schule in der Gaststätte" um das „Lernen, miteinander in Gedanken immer bewusster und in Gefühlen immer anteilnehmender und mitfühlender zu leben".

Auch die Form der Freien Schule soll tatsächlich frei sein.

Mario Ohne greift diesen Gedanken auf und präsentiert die Gaststätte als Freie Schule, als Ort der Begegnung und des Miteinanders und stellt neben dem Essen das Wort in den Mittelpunkt. Es kommt zu Zwischen-Gang-Lesungen.

 

Saint-Amour zu Gast im Eulenspiegel

Saint –Amour ist der Name eines EIN-ZIMMER Restaurants in Stuttgart, in der Mozartstr. 11, fünfter Stock.

Saint-Amour hat keine festen Öffnungszeiten und auch keine gleichbleibende Speisekarte.

Saint-Amour ist die private Wohnung von Mario Ohno.

Man reserviert telefonisch und bespricht das Menue.

Niemand kennt OHNO und OHNO kennt die Esser nicht.

Hier kommt es zur Schnittstelle, öffentliches wird privat und Privatheit wird öffentlich. Der Fremde kommt als Unbekannter und geht als Freund. St. Amour als transfomativer Organismus. Der Austausch zwischen den kommunikativen Qualitäten entscheidet über die Form und den Inhalt des Abends, der Situation. St. Amour versteht sich als permanentes Lebenskunstwerk. Überall wo OHNO wohnt, ist St. Amour.

Der Name St. Amour bezieht sich auf den heiligen Amator, einen römischen Soldaten, der, zum Christentum bekehrt, das Martyrium erlitt, und dessen Statue im Dorf St. Amour-Bellevue zu sehen ist. Als nördlichster Beaujolais cru befindet sich St. Amour in einer geologischen Übergangszone zwischen den Granithängen des südlichen Beaujolais und dem Kalksteinplateau des Maconnais im Norden. Die somit auf Kalkstein und Granit abgelagerten Kiesböden lassen aus den Trauben von St. Amour Rotweine entstehen, die zu den zartesten und geschmeidigsten der Region zählten und oft mehr Ähnlichkeit mit einem Maconnais als einem Beaujolais haben.

Auf dem Weg nach Spanien kam Ohno (Sommer 2000) durch diesen besagten Ort, übernachtete, speiste und trank St. Amour Weine. Die Idee von St. Amour wurde geboren.

Da es OHNO schon immer um die Gestaltung von gesellschaftlichen Situationen ging, lag dieses Konzept von St. Amour, „die erste EIN-ZIMMER-TAFEL in Stuttgart", wie er sie nennt, nicht fern.

 

Alles fügte sich in dieser Nacht zu einer Form.

Das Lebenskunstwerk St. Amour enttäuscht unsere Sehnsucht nach dem endgültigen, richtigen, stimmigen Gesamtkunstwerk. Weil es sich eben um einen ständigen, sich immer wandelnden Prozess handelt. Das Lebenskunstwerk ist weder widerspruchsfreie Einheit noch harmonisches Mosaik, sondern ein Konglomerat, ein Gemisch, ein Gesteinsgefüge – ein Bausteinkasten zu einer Ästhetik des Lebens.

Kommunikation in St. Amour lässt sich nicht auf den Austausch von Botschaften verkürzen, sondern erfasst den ganzen Menschen in seiner jeweiligen biografischen, sozialen und ästhetischen Situation. So wie er in Lebensbedingungen empfindet, reflektiert und agiert.

St. Amour will zeigen, dass es nicht über, sondern aus dem Leben und der Kunst heraus argumentiert.

Einer Einladung folgend, gastiert St. Amour und seine Crew vom 23. – 26. Oktober 2003 im Eulenspiegel in Wasserburg am Bodensee und wünscht allen Teilnehmern einen guten Appetit und sinnliches Vergnügen, um das allgemeine Niveau zu Gunsten einer besseren Welt zu heben.

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