jedermensch
 

Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung,
neue Lebensformen und Umweltfragen

Winter 2006 - Nr. 641
Politik des Friedens

Inhalt

Mega-out
Andreas Pahl macht sich Gedanken über Technikfolgen

Globale Mäßigung nötig
Jürgen Kaminski meint, wir sind noch lange auf Erde, Wasser, Wind und Feuer angewiesen

Bankier der Armen
Dieter Koschek stellte einige politische Kurznachrichten zusammen

An Konflikten reich, aber dennoch versöhnlich
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

Einer, der den Atomkrieg verhindern half
Die Pressehütte Mutlangen gedenkt Oberstleutnant Petrow, der einen technischen Fehler ignorierte

Mutige Visionen von Mubarak Awad
Awad ist überzeugt, das sich der israelisch-palästinensische Bruderkonflikt nur durch Gewaltlosigkeit lösen lässt

Eine Kultur der Gewaltfreiheit
Über die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion

Vom Bösen, vom Trauma und der Vergebung
Karl-Heinz Dewitz über das Buch „Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung"

Nicht über dem Recht stehend
Jürgen Kaminski zu Guatanamo

Ein neues Milas
Das Milas-Team über die Wiedereröffnung ihres Projekts in Indonesien

Eulenspiegel und die Selbstverwaltung
Dieter Koschek über das Projekt Eulenspiegel und seine Wandlungen

Eulenspiegelnachrichten
Dieter Koschek berichtet über Neues im Eulenspiegel

Wärmefähre in Achberg
Christine Hahn über die Tagung über Lebensgemeinschafen

Tauschringe in Wangen
Heinrich Haussmann über das Bundestreffen der Tauschringe

Biologisch-dynamische Landwirtschaft
Michail Sobadjiew über bio.-dyn. Landwirtschaft als Leserreaktion auf den Schwerpunkt vom Winter 2005

Zum spirituellen Aspekt der Arbeitslosigkeit
macht sich Andreas Pahl seine Gedanken

Anthroposophie und jedermensch: Freiheit und Frieden bis ins Religiöse
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

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Mega-out

Claus Eurich (geb. 1950), Professor für Journalistik in Dortmund, muss sich noch in seinem 1991 erschienenen technikkritischen Buch »Die Megamaschine« gegenüber den Predigern des technologischen Fortschritts rechtfertigen. Ihre Standardhymne fasst er wie folgt zusammen:

»Wer den Widerstand proklamiert und gar praktiziert, gefährdet, was eine ganze Generation nach dem Krieg aufgebaut hat. Wider-stand ist eine Form des Ausstiegs. Aussteigen aber ist parasitär, geht immer nur zu Lasten des Volksganzen. Das Bild der Überlebenskrise ist eine typische kulturpessimistische und apokalyptische Horrorvision. Sie ist unsachlich, romantisches retour à la nature und von tiefer Technikfeindlichkeit geprägt.« – Manchem 68er mag auch noch das Wort vom »Nestbeschmutzer« in den Ohren klingen.

Max Planck wird der Satz zugeschrieben, dass Einsicht nicht durch Überzeugung Platz greifen würde, sondern durch Aussterben der Träger des Irrtums. Das Gekrähe über »Nestbeschmutzer« hat mit der Zeit nachgelassen, möglicherweise durch Nachlassen radikaler Forderungen seitens der Jugend, aber gewiss z.T. auch durch langsames Aussterben der »ewig Gestrigen«. Die Probleme sind zwischenzeitlich auch derart evident geworden, dass herablassendes Gelächel über »Bio-Landwirte«, »Müsli-Fresser« oder sonstige »Weltverbesserer« langsam auf den Lippen der Sterbenden erfror. Die Argumente oben zitierter Passage, die Claus Eurich noch sorgfältig Wort für Wort widerlegt, haben sich großenteils selbst ad absurdum geführt, die kurzsichtige Blindheit ihrer Urheber sich selbst entlarvt. Eine bemerkenswerte Stelle der Gegenstimmen soll dennoch hier herausgegriffen werden: »Im "Buch vom Frieden" von Bernhard Benson sagt der Präsident zu den Kindern der Welt: "In ihrer Dummheit hat unsere Generation die Erde ausgeplündert, während unsere Vorväter sie in Ehren gehalten haben. Unsere Generation hat fleißig gearbeitet, um Mittel zu ihrer Vernichtung zu erzeugen, während unsere Vorväter sich bemühten, ihr Gedeihen zu sichern."«

Anknüpfend an diese Sätze, die auch fast aus indianischem Mund stammen könnten, kann noch ein Gesichtspunkt aus der Reinkar-nationslehre dies ergänzen: Denn nach ihr sind die »Kinder« ja in Wahrheit die wiedergekommenen Väter bzw. Ahnen der Väter. Damit ist der patriarchalische Anspruch außer Kraft gesetzt, mit der die Kriegsgenerationen teilweise noch besondere Autorität beanspruchten, wie sie in o.g. Passage zum Ausdruck kommt. Nicht ob eine Generation früher da war oder »etwas aufgebaut« hat ist dann entscheidend (wobei noch zu untersuchen wäre, was sie aufgebaut hat), sondern wie sie sich ins Ganze der langzeitlichen Entwicklung der Erde und ihrer Zivilisationen gestellt hat. Und so hat man bei der besagten »Aufbau«-Dogmatik das Gefühl, diese wurde deshalb so demonstrativ und plakativ hochgehalten, weil dieselbe Generation, die sich so sehr des »Aufbaus« brüstete, zuvor auch eine Zerstörung in bisher nie gekannter Größenordnung geleistet hat. Der »Aufbau« übte deshalb in nicht geringem Maße auch eine (oft zugegebene) Betäubungsfunktion (quasi als Eigentherapie zur Verdrängung des Erlebten) aus. Fakt ist, dass viel des traditionellen Erbes, insbesondere Kulturerbes, sowohl durch Krieg wie auch durch »Wiederaufbau« komplett vernichtet wurde und damit den nachkommenden Generationen tiefer reichende kulturelle Wurzeln genommen wurden.

Die Vorgänge im nationalsozialistischen Deutschland sind auch von einer solchen Peinlichkeit, dass es kein Wunder nimmt, dass die ältere Generation ihren Kindern mehr oder weniger ausweichende Märchen über die Vergangenheit erzählte. Die Kinder sollten deshalb nicht über sie richten, denn es hätte ihnen selbst ebenso passieren können (wie ein amerikanischer Pädagoge in einem Experiment nachwies, welches in dem Film »Die Welle« dokumentiert wurde). Die »Kinder« sind vielmehr in der glücklichen Situation, dass ihnen eine gewaltige Irrtumsmöglichkeit vorweggenommen wurde, in die sie nun selbst nicht mehr tappen müssen. Dies ist sogar ein gewisser Dienst der älteren Generation an der jüngeren. Nur muss der Irrtum als solcher klar deklariert sein und bleiben, und Geisteshaltungen, die irgendwie noch eine Rechtfertigung oder Verdrängung des Erlebten versuchen, stehen dem im Wege. Verständlich ist, dass die Lüge oft erfunden wurde, um noch einen Rest an Selbstachtung sich zurechtzuzimmern –dennoch bleibt sie eine Lüge und hilft niemandem, schon gar nicht ihrem Träger. Die verführenden Elemente und Gedanken müssen vielmehr in ihrem Eigencharakter gesehen werden, dass sie in ihrem Wesen falsch und irreführend sind und der Mensch auf sie hereinfallen konnte. Die Sache bloß an die Person zu fixieren, macht keinen Sinn und erfasst das Übel nicht im Kern, welches sich einfach neue Personen aussucht, solange es selbst als Überpersönliches nicht entlarvt wurde.

Die Aufgabe der rückblickenden Selbsterkenntnis ist den Deutschen vielfach abgenommen durch die neue Europaintegration, welche Bedingung für die deutsche »Wiedervereinigung« war. Dennoch ist sie ein brachliegendes Talent, welches nicht vollkom-men einer multinationalen Spaßgesellschaft geopfert werden sollte. Die Gründlichkeit, mit der die Deutschen die von England importierte darwinistische Lehre ad absurdum führten, sollte auch in der »Nachbereitung« dieser Exzesse zum Tragen kommen dürfen. Jene, die noch nach dem Prinzip »Frechheit steh‘ mir bei« die Flucht nach vorne suchten, indem sie die kritische Jugend als »Nestbeschmutzer«, »parasitär«, »kulturpessimistisch« und »fortschrittsfeindlich« diffamierten, sollten inzwischen eingestehen, dass diese Jugend nur die Finger in die verdrängten Wunden legte. Die gleiche Jugend, die nun wiederum mit gutem Recht manchem Alt-Linken etc. den Vorwurf macht, er sei bloß »anti«, nur immer »gegen« etwas usw., und damit – nach nötigen Demontagen von Verlogenem – eine positiv aufbauende Welthaltung einfordert.

Schwere Seitenschläge bringen ein Fahrzeug zum Schlingern, so dass es mal zur einen, mal zur anderen Seite vom Wege abzukommen droht. Die kulturtragenden Generationen können sich jedoch nicht ewig weder mit ausschweifendem Irrtum, noch mit der nachträglichen Geißelung davon aufhalten. Sie müssen die Orientierung am Eigentlichen herausfinden, was stets schon Kultur im eigentlichen Sinne ausgemacht hat. »Nichts taugt Ungeduld - noch weniger Reue! Diese vermehrt die Schuld – jene schafft neue!« So charakterisierte Goethe auf kürzestem Raum die beiden Elemente.

Die Probleme liegen heute nicht mehr auf nationaler Ebene. Global stehen sich Technokraten und eher ganzheitlich denkende Menschen gegenüber. Der Kulturkampf wird zwischen ihnen entschieden werden, wobei eine Entwicklung mit Zukunft wohl nur aus spiritueller Vertiefung heraus erhofft werden kann. 
Andreas Pahl

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Globale Mäßigung nötig

Eine Serie zur globalen Rohstoffsituation ließ das Wochenmagazin "Der Spiegel" mit der Überschrift "Der Treibstoff des Krieges" beginnen (2006). Das passte zum Gesamtthema: Der Kampf um die Rohstoffe.

Hauptsächlich geht es dabei um die Gas- und Ölreserven und eine zunehmende weltumspannende Konkurrenz über diesen Treibstoff der neueren Zivilisation. Spitzenreiter im Verbrauch waren und sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die nahezu ein Drittel vom global geförderten Öl für sich beanspruchen.

Neben der übrigen rohstoffverbrauchenden Staatenwelt sind nun insbesondere China und Indien in den Blickpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit gerückt. China hat ein industrielles Wirtschaftswachstum von etwa 8 bis 10 Prozent, Indien steht dem kaum nach. Die Bevölkerungen beider Länder haben zusammen etwa eine Größe von 2,5 Milliarden Menschen. Beide drängen verstärkt auf die internationalen Rohstoffmärkte und gewinnen dort immer mehr Anteile. Wobei es China ist, von dem gesagt wird, es trete ziemlich rücksichtslos und aggressiv auf. Kontrakte gelten hier mehr als eine Distanz zu schlimmen Diktatoren. War solches bisher auch nicht viel mehr als ein politischmoralisches Feigenblatt, so fallen jetzt in der angespannten Konkurrenzsituation wohl auch die letzten Hürden.

Sonst wäre eine atomare Entwicklung im Iran so wohl nicht möglich und auch im Sudan könnte eine massive Einschüchterung und Vertreibung eines Teiles der Bevölkerung nicht geschehen. Ein Druck auf beide Länder lässt sich nicht aufrechterhalten, wenn eine global aktive Seite nur auf ihren Konkurrenzvorteil lauert. Andererseits muss aber bemerkt werden, dass auch etwas Befreiendes darin liegt, wenn nicht nur die westliche Seite die Rohstoffländer im Griff hat. Letztere könnten sich dem Werben nun freier gegenüberstellen.

Trotzdem liegt über dem Schauplatz etwas Bedrohliches. Nicht nur, dass die Millionen und Milliardengeldflüsse bisher nur wenig für eine gedeihliche Entwicklung beigetragen haben. In vielen südlichen Ländern steigert sich ein extremes Ungleichgewicht zwischen denen, die Zugang zu den hereinkommenden Mitteln haben und den Vielen, bei denen eher die Armut wächst.

Solches galt vielfach auch in der islamischen Welt. Waren es zunächst westliche, vor allem amerikanische Interessen, welche sich im 20. Jahrhundert über diese Region hermachten, so erweckte dies aufrührerische Gegenimpulse, die für ihre Attacken bisher eher ruhende religiöse Gefühle missbrauchen. Dass der Westen sich für seine Ölinteressen mit anachronistischen Herrschaftsstrukturen verband, diese festigte oder gar noch etablierte, ließ eine soziale Gärung aufkommen, die in alt-religiöse Richtung abglitt. Der wirtschaftliche Interessendruck verstärkte eine Zerrissenheit in der Bevölkerung, die sich zwischen religiösen und weltlichen Neigungen erst wieder neu finden muss. Wirtschaftliche Gier und verblendeter Fanatismus bedingen sich also hier gegenseitig und lassen in ihrem Kampf Zerstörerisches herein.

Schon deshalb sollte eine Mäßigung bei den Ansprüchen auf Energiezufuhr vorwalten. Die dazwischenliegenden Gebiete leiden am meisten und benötigen eine Beruhigung der allgemeinen Lage.

Ansonsten kann durchaus vieles auf eine Konfrontation zusteuern. Es ist nicht hinzunehmen, dass ein Bürger der Vereinigten Staaten durchschnittlich 13mal soviel Öl verbraucht wie ein solcher von China. Würde letzterer ein gleiches erreichen, müsste dafür die gesamte Ölproduktion nach China gehen. Da bliebe für die übrige Welt nichts übrig. Für eine globale Rohstoffversorgung führt also kein Weg an vernünftigen Absprachen herum. Anstelle zum archaischen Kampf zu schreiten, müsste ein jedes Gebiet eine angemessene Berücksichtigung finden. Die einen brauchen bereits Mäßigung, andere eher Hilfe für eine stärkere technische Entwicklung. Bei allem ist die Grundlage die Situation der Erde überhaupt. Das setzt die Grenzen unserer Entwicklung, welche mit ihr in einem Lebenszusammenhange steht. Es verlangt mehr und mehr ein Hinhören auf Äußerungen gegenüber unserem Verhalten. Erde, Wasser, Wind und Feuer bilden unsere Umgebung und wir sind noch lange darauf angewiesen.
Jürgen Kaminski

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Bankier der Armen

Mit 27 Dollar für 42 Korbflechterinnen startete Muhammad Yunos seine Kreditvergabe. Ein Banker, den seine Schuldner regelmäßig hochleben lassen - das gibt es nicht oft. Das gibt es eigentlich nur bei Muhammad Yunus, dem Gründer der Grameen-Bank. Yunus ist allerdings auch nicht irgendein Banker, sondern eher ein Erfinder. Seine Erfindung ist der Mikrokredit. Er kam als Erster auf die Idee, mit Leuten Geschäfte zu machen, die jede andere Bank nicht mal zur Tür hereinlassen würde.

Der 66-jährige Wirtschaftsprofessor aus Bangladesch hat es aber nicht nur geschafft, mit seiner Bank Geld zu machen, er hat dabei auch noch Millionen Menschen geholfen, sich aus der Armut zu befreien. Und deshalb befand das Nobelkomitee in Oslo, dass er für seine Geschäftsidee nicht weniger als den Friedensnobelpreis verdient. "Dauerhafter Frieden kann nicht erreicht werden, wenn große Teile der Bevölkerung keinen Weg finden, aus der Armut auszubrechen", begründete der Präsident des Friedensnobelpreiskomitees, Ole Danbolt Mjøs, die Entscheidung. Der mit 1,1 Millionen Euro dotierte Preis geht zur Hälfte an Yunus selbst und zur Hälfte an die Grameen-Bank.
aus der taz von Nicola Liebert

220 000 demonstrierten gegen Sozialabbau in Deutschland

Am Samstag, den 21. 10. 2006 hatten die Gewerkschaften (und auch attac) unter dem Motto: „Das geht besser. Aber nicht allein!" zu einem Aktionstag in fünf Städten aufgerufen. Nach Angaben der Gewerkschaften versammelten sich in Stuttgart, Frankfurt am Main, Dortmund, Berlin und München mehr als 220 00 Menschen. Allein in Berlin gingen rund 80 000 Menschen gegen die Reformpläne de Bundesregierunge auf die Straßen.
dk

Massenprotest zwingt Banken in die Knie

Sowohl die Deutsche Bank als auch die HypoVereinsbank erklärten, dass sie sich nicht an der Finanzierung des bulgarischen Risiko-AKW Belene beteiligen werden. Hintergrund ist eine monatelange Kampagne der Umweltorganisation urgewald und des Anti-Atom-Bündnisses .ausgestrahlt. Beide Organisationen haben für den 23. - 27. Oktober zu einer bundesweiten Aktionswoche mit Protesten in rund 60 Städten vor Bankfilialen aufgerufen.

"Die Öffentlichkeit in Deutschland hat Tschernobyl nicht vergessen und lehnt den Neubau von Atomkraftwerken ab. Dies liegt im Fall von Belene besonders nahe, denn das AKW kombiniert eine gefährliche Technik mit einem gefährlichen Standort. Nur 14 km vom geplanten AKW-Standort entfernt sind 1977 bei einem Erdbeben 200 Menschen umgekommen. Der geplante russische Reaktortyp wäre in Deutschland nicht genehmigungsfähig und die Umweltverträglichkeitsprüfung ist unvollständig und manipuliert", stellt Regine Richter, Energieexpertin von urgewald, fest.

Gegen die Gewissenlosigkeit der Banken, ein solches Projekt finanzieren zu wollen, mobilisierten urgewald und .ausgestrahlt. Beides sind kleine Organisationen, ihr Aufruf zum Protest vor den Bankenfilialen wurde jedoch von einem breiten Bündnis aus Einzelpersonen, Umweltgruppen wie Greenpeace und Robin Wood und vielen lokalen Anti-Atom Initiativen aufgegriffen. Rund 10.000 Protestzuschriften wurden in den letzten Monaten an die Banken geschickt, viele Kunden der Finanzinstitute drohten mit einem Kontowechsel.

"Wer den Atomausstieg will", so Jochen Stay, Sprecher von ausgestrahlt, "muss nicht nur demonstrieren oder den Stromversorger wechseln, sondern sich auch fragen, bei welcher Bank er sein Konto hat. Die Belene-Kampagne zeigt eindeutig, dass die Finanzierung von Atomgeschäften - ob hier oder im Ausland - von vielen Bankkunden nicht gewollt wird." Diese Botschaft scheint nun bei den Banken angekommen zu sein. Die Deutsche Bank schreibt "An der Finanzierung des Kernkraftwerkes Belene werden wir uns nicht beteiligen" und im Brief der HypoVereinsbank heisst es, dass man "sich aus geschäftspolitischen Gründen" aus dem Belene-Deal zurückzieht.

Die Geschäftsführerin von urgewald, Heffa Schücking, freut sich über den grossen Erfolg: "Es passiert schliesslich nicht alle Tage, dass eine kleine Umweltorganisation mit Hauptsitz in Sassenberg zwei der mächtigsten Banken Europas in die Knie zwingt." Die Frage, ob mit dem Ausstieg der Banken nun auch die geplante Aktionswoche vom Tisch ist, verneint sie aber: "In Osteuropa ist der Bau von etwa 20 weiteren AKWs im Gespräch. Und wir wollen sicher gehen, dass wir nicht schon in Kürze mit dem nächsten ’Belene' konfrontiert werden." Schliesslich schreibe die HVB/UniCredit in ihrem Brief auch: "Die Gruppe verweist jedoch darauf, dass dies kein grundsätzlicher Ausstieg aus der Finanzierung von Atomkraft ist." "Genau das fordern wir aber von den Banken", so Schücking.

Bahn für Alle
Mehr als 34.000 Unterschriften gegen die Bahn-Privatisierung hat das Bündnis "Bahn für Alle" an Bundestags-Vizepräsidentin Dr. Susanne Kastner übergeben. "Das sind 34.000 von 50 Millionen", erklärte dazu Jürgen Mumme von ROBIN WOOD, einem der Partner im Bündnis. Eine repräsentative Emnid-Umfrage hatte ergeben, dass 71 Prozent der erwachsenen Bevölkerung für einen Verbleib der Bahn in öffentlichem Eigentum sind.

Trotzdem hat der Bundestag eine Vorentscheidung für die Bahnprivatisierung getroffen, gegen den Willen der Bevölkerung und gegen jede Vernunft, wie wir einen Tag vor der Abstimmung in Berlin gezeigt haben. Jetzt wird im Verkehrsministerium an einem Gesetzentwurf gebastelt - dass der die Zustimmung der Parlamentsmehrheit findet, werden wir verhindern. Auch Fachleute sind skeptisch, dass es eine sinnvolle Lösung zur Privatisierung geben kann. Die KritikerInnen in der SPD sehen die Entscheidung offenbar eher verschoben als getroffen. Es geht munter weiter!

Protest verzögert Castor und bringt Diskussion in Schwung
Rund 1.000 Menschen nahmen an der großen Sitzblockade von X-tausendmal quer und Widersetzen teil. "Trotz des großen Polizeiaufgebotes haben wir entschlossen und gewaltfrei die Straße am Verladekran erreicht und 17 Stunden lang blockiert", sagt Jens Magerl von der wendländischen Inititaive Widersetzen. Obwohl die letzten Castorbehälter bereits um 0.40 Uhr von der Schiene auf die Schwerkraftlastwagen umgeladen waren, konnte der Transport erst nach der Räumung gegen halb 5 am Montag morgen losrollen.
Magerl: "Unsere Aktionen haben mit dazu beigetragen, dass das Thema Atompolitik wieder ganz oben auf der Tagesordnung steht. Der Druck von der Straße ist weiterhin groß. Und er muss es sein, denn die Bundesregierung weicht lieber den fragwürdigen Atomkonsens auf, als wirklich am Ausstieg zu arbeiten."

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Hartz IV ist offener Strafvollzug

"Hartz IV ist offener Strafvollzug", haben Sie einmal gesagt. "Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität."
Das gilt immer noch. Ist es das, was wir uns unter einer freiheitlichen Gesellschaft vorgestellt haben: dass die Behörden hinterherschnüffeln, wie die Arbeitslosen leben? Hartz IV verstößt gegen einen elementaren Grundsatz: Was du nicht willst, das man dir antut, das füg auch keinem andern zu. Mit Hartz IV werden die Menschen sozial ausgegrenzt. Es gehört abgeschafft.Sozial ist, was Arbeit schafft, sagen die Politiker. Egal, wie die Arbeit bezahlt wird. Egal, ob die Arbeit zum Arbeitslosen passt. Ganz egal, ob überhaupt genug Arbeit da ist.  Die Politiker glauben immer noch an den Mythos der Vollbeschäftigung. Sie sind ganz benebelt davon. Aber Vollbeschäftigung ist eine Lüge. Hängt nicht trotzdem einfach alles an der Erwerbsarbeit: Wohlstand, Identität, Selbstachtung, Zugehörigkeitsgefühl? Nein! Dieses manische Schauen auf Arbeit macht uns krank.

Werden wir nicht krank, wenn uns die Arbeit entzogen wird?
Widerspruch! Wir haben kein Problem mit der Arbeitslosigkeit.

Bitte?
Wir haben ein kulturelles Problem. Zum ersten Mal nach über 5.000 Jahren Menschheitsgeschichte leben wir im Überfluss. Aber wir kommen mit dieser neuen Wirklichkeit nicht klar. Wir schaffen es nicht, dass alle Menschen davon profitieren und daran teilhaben.

Das erzählen Sie mal einem Arbeitslosen, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen ordentlichen Job.
Die Arbeitslosen haben wir nur, weil wir den Begriff der Arbeitslosigkeit verwenden. Die meisten so genannten Arbeitslosen haben ja Arbeit, sie liegen nicht den ganzen Tag auf der Couch und gucken Pro 7. Sie sind beschäftigt, in der Familie, in der sozialen Arbeit, im Sportverein. Sie tun wertvolle Dinge. Wenn sich jemand um seine Kinder kümmert, dann ist er für die Gesellschaft doch viel wertvoller, als wenn er in einer Fabrik Deckel auf die Flaschen dreht.

Reden Sie jetzt nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, die darunter leiden, dass Sie ihre Arbeit verlieren und damit auch ihren inneren Halt?
Diese Menschen leiden darunter, dass sie nicht respektiert und anerkannt werden. Dass sie von der Gesellschaft stigmatisiert werden, weil sie angeblich nutzlos sind. Als Arbeit gilt nur das, was Werte schafft. Wenn eine Frau ihre drei Kinder großzieht, dann wird sie gefragt: Arbeitest du oder bist du zu Hause?

Arbeitsminister Franz Müntefering zitiert gern die Bibel und August Bebel: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.
Müntefering ist ein paar hundert Jahre zurückgeblieben. Er lebt noch in der Selbstversorgungsgesellschaft, als alle gegen den Mangel gewirtschaftet haben. Damals galt: Wer seinen Acker nicht bebaute und sein Feld nicht bestellte, der war selbst daran schuld, wenn er nichts zu essen hatte. Jetzt leben wir in der Fremdversorgungsgesellschaft. Ich kann gar nicht für mich allein arbeiten. Immer wenn ich arbeite, arbeite ich für jemand anderen. Ich brauche also ein Einkommen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

Aus dem taz-Interview vom 27.11.2006

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 Einer, der den Atomkrieg verhindern half

Oberstleutnant Stanislav Petrov war der diensthabende Offizier im sowjetischen Kontrollzentrum für Atomwaffen in der Septembernacht 1983, in der der sowjetische Spionagesatellit Kosmos 1382 plötzlich den Abschuss 5 amerikanischer Atomraketen in Richtung Sowjetunion meldete. Der Oberstleutnant musste eine Entscheidung treffen.

"Der kalte Krieg war 1983 eiskalt", erinnert sich Petrov. US-Präsident Reagan nannte die Sowjets "Evil Empire" (Reich des Bösen''). Das russische Militär hatte drei Wochen vor dem Vorfall ein koreanisches Passagierflugzeug abgeschossen, und die Führung in Moskau war nervös. Die Vereinigten Staaten von Amerika und der Nordatlantikpakt planten die Stationierung von Pershing II Raketen in Europa. In der Nacht auf den 26.9.1983 hatte Oberstleutnant Stanislav Petrov die Vertretung für einen Kollegen übernommen. So kam es, dass er Dienst hatte im obersten Kontrollzentrum für Atomwaffen der Sowjetunion, Serpukhov-15. Plötzlich leuchtete mitten in der Nacht auf dem "roten Knopf" das Signal "Start".

Petrov erinnert sich: "Es fühlte sich an wie ein Schlag in mein Nervensystem. Auf der Kontrollkarte sah ich, dass eine Militärbasis an der US-Ostküste blinkte als Signal dafür, dass von dort eine Rakete auf uns abgefeuert worden war. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sich der Deckel vor dem Raketensilo wegschob und der Silo durch das Feuer der abgeschossenen Rakete zerstört wurde. Die Silos wurden nicht dafür gebaut, mehr als ein Mal benutzt zu werden, denn es würde keiner übrigbleiben, um sie noch einmal mit einer Rakete zu bestücken. Ich dachte: In 40 Minuten ist sie hier. Und dann dachte ich: Aber wenn sie nur eine schicken, dann ist noch kein
Atomkrieg."

In dem Moment blinkte wieder der Startknopf, und dann nochmals und nochmals. Insgesamt wurde der Abschuss von fünf interkontinentalen ballistischen Atomraketen registriert. Petrov wusste, dass auch die Kommandozentrale automatisch den Bericht erhalten hatte. Er rief dort an und stotterte: "Das ist verrückt", noch bevor die Stimme am anderen Ende befahl: "Ich kann sie sehen. Bleiben Sie ruhig; tun Sie Ihre Pflicht."

Petrov und seine Truppe hatten 8 bis 10 Minuten um zu entscheiden, ob es ein falscher Alarm war oder nicht. „Ich handelte nach dem Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten", sagt Petrov. "Die Amerikaner wussten, dass ein atomarer Angriff auf uns bedeuten würde, mindestens die Hälfte ihrer eigenen Bevölkerung auszulöschen. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte: So ein großer Idiot ist noch nicht geboren, nicht mal in den USA, und dann nahm ich das Telefon und meldete einen falschen Alarm an die Kommandostation."

Nach quälenden Minuten erwies sich Petrov´s Entscheidung als richtig. Es war ein Computerirrtum, der den US-Angriff signalisiert hatte.

Zwar gab es auf amerikanischer Seite mehrere Fehlalarme, in denen zum Beispiel Zugvögelschwärme mit Atomraketen verwechselt wurden. Bruce Blair, Präsident des amerikanischen Zentrums für Verteidigungsinformation, sagt jedoch: „Ich denke, dies war der Fall, in dem wir einem ‚versehentlichen Atomkrieg’ am nahesten gekommen sind."
Oberst Petrov bekam eine Rüge für sein nicht ordnungsgemäßes Handeln und wurde nach einigen Jahren mit einer kaum für das Leben ausreichenden Pension aus der Armee entlassen. Seine Gesundheit verschlechterte sich wegen des hohen Stresses während des Vorfalls. Seine Frau starb an Krebs, und er lebt heute mit seinem Sohn in einer kleinen heruntergekommenen Wohnung in einem Wohnblock bei Moskau.
2004 erhielt Petrov den World Citizen Award. Daraufhin bekam er die Einladung, im Januar 2006 im Dag Hammarskjöld Auditorium bei der Organisation der Vereinten Nationen in New York zu sprechen.

Petrov weist darauf hin, dass Tausende Atomraketen aus dem Kalten Krieg heute noch genau dort stationiert sind, wo sie damals waren. Viele von ihnen befinden sich nach wie vor in höchster Alarmbereitschaft.

Aus „FreiRaum", Pressehütte Mutlangen, April 2006

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Mutige Visionen von Mubarak Awad

Awad, Christ und Psychotherapeut, ist Begründer und Leiter des „Palästinensischen Zentrums für Gewaltlosigkeit". Wie kein anderer ist er davon überzeugt, dass sich der israelisch-palästinensische Bruderkonflikt nur durch Gewaltlosigkeit überwinden lassen wird.

Schon während der ersten Intifada 1987 hatte er versucht, mit den Mitteln der Gewaltlosigkeit zu kämpfen. Er wurde damals als Pa-lästinenser mit amerikanischem Pass von Israel in die USA abgeschoben. Heute lebt er in Washington. Von dort erhebt er weiterhin seine Stimme für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina. Die von ihm vorgeschlagenen acht Schritte zu diesem Ziel erscheinen heute wie ein Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont der Verzweiflung.

Erster Schritt: Entschuldigung und Vergebung.
Awad erinnert daran, dass die Bitte um Verzeihung auch der Schlüs-sel zum Frieden in Südafrika war. Deshalb müssten die Israelis den Palästinensern gegenüber Abbitte leisten für jede Art von Verletzung ihrer Grundrechte. Das Gleiche erwartet Awad von den Palästinensern den Israelis gegenüber für alle Akte der Gewaltanwendung. Von ganzem Herzen sollte jeder die Entschuldigung des anderen akzeptieren.

Zweiter Schritt: Anerkennung und Annahme.
Awad plädiert dafür, dass die Palästinenser und die ganze arabische Welt das Existenzrecht des jüdischen Staates anerkennen, Israel als integralen Bestandteil der Nahost-Region betrachten und auf den arabischen Landkarten erscheinen lassen. Für die arabische Bevölkerung sei es auch notwendig, sich der Tragödie des Holocausts bewusst zu werden.
Im Gegenzug habe Israel zu akzeptieren, dass es ein palästinens-isches Volk mit eigener Geschichte gibt - und nicht nur die „Westbankler". Israel müsse aufhören, das palästinensische Land immer nur als „Juda und Samaria" zu bezeichnen. Awad möchte, dass die Berufung der Palästinenser auf ihr Land von den Israelis als legitim anerkannt wird. Israel solle sich selbst als ein Teil des Nahen Ostens sehen, nicht als ein überlegener Vorposten des Westens in der Region.

Dritter Schritt: Beendigung einer Beziehung der Gegnerschaft.
In internationalen Foren solle Israel möglichst nicht gegen arabische Staaten stimmen. Dementsprechend müssten die arabischen Länder vor der Weltöffentlichkeit Israel als Nachbarn - und nicht als Feind - behandeln. Dieser Umgang miteinander würde den Weg zu kooperativen Beziehungen ebnen.

Vierter Schritt: den Fortschritt miteinander teilen.
Für Awad gibt es keinen Frieden ohne gemeinsames wirtschaftliches Wohlergehen. Das intensive Bemühen um ökonomisches Wachstum auf beiden Seiten werde Israelis und Palästinenser so beschäftigen, dass für Misstrauen, Paranoia und Aggressivität kein Raum mehr bleibe.

Nun legt der Friedenskämpfer den Finger auf eine wunde Stelle in der Beziehung beider Völker: „Die israelische Gesellschaft und Industrie ist zwar technisch hoch entwickelt, jedoch zeigt Israel kaum die Bereitschaft, den Palästinensern ökonomisch unter die Arme zu greifen. Warum kann Israel nicht in Palästina investieren, um dort zur Entwicklung der Wirtschaft mit beizutragen?" Dieses Beispiel werde dann auf andere arabische Länder, die Israel zurzeit boykottieren, positiv ausstrahlen.

Fünfter Schritt: Rechte der Völker.
Awad beschwört Israelis und Palästinenser, sie sollten endlich die Rechte des jeweils anderen Volkes anerkennen. Israel müsse einräumen, dass es das palästinensische Flüchtlingsproblem verursacht habe; den palästinensischen Flüchtlingen möchte Awad eine Chance zubilligen, dort zu leben, wo sie es wünschen. Die gleichen Rechte solle man auch jüdischen Siedlern auf palästinensischem Boden gewährleisten.

An die von israelischer Seite so sehr befürchtete arabische Rückwanderer-Lawine glaubt der „palästinensische Gandhi" nicht: „Würde Israel die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge akzeptieren, käme nur ein kleiner Prozentsatz zurück." Die meisten würden in Jordanien, im Libanon und in Syrien bleiben - was allerdings die Be-reitschaft dieser Länder voraussetzt, die palästinensischen Flüchtlinge in ihre Gesellschaft zu integrieren.

Sechster Schritt: gegenseitige religiöse Toleranz.
Judentum, Christentum und Islam hätten sich gegenseitig voll anzu-erkennen. Das heißt für die israelische Seite: Respektierung des Islam als gleichberechtigter Partner in einem fruchtbaren Dialog. Die muslimische Seite wiederum müsse die historische, religiöse und emotionale Bindung des Judentums an die Altstadt von Jerusalem, vor allem an den Tempelberg, respektieren.

Siebter Schritt: Erziehung zum Frieden.
Hier macht Awad auf die zu oft praktizierte tendenziöse Geschichts
schreibung aufmerksam. Beide, Israelis und Palästinenser, hätten dringend eine Veränderung ihrer Lehrbücher nötig, um die Basis eines neuen Vertrauens zu schaffen.

Gerade jene Israelis und Araber, die einander nicht kennen, gebärden sich am aggressivsten, weil der andere für sie kein mensch-liches Gesicht hat. Die Folge solcher Vorurteile sei Entmensch-lichung. Es geht Awad um nicht weniger als die „Re-Humanisierung" des israelisch-palästinensischen Verhältnisses. Mit einem hoffnungsvollen Blick auf die junge Generation unterstreicht er die nicht zu übersehenden Gemeinsamkeiten israelischer und palästinensischer Jugendlicher. Indem sie sich mit den Unterschieden vorurteilslos auseinander setzten, entdeckten sie verwandtschaftliche Merkmale auf beiden Seiten.

Achter und letzter Schritt: Jerusalem.
Eine Lösung dieses Problems ist für Awad nur möglich, wenn die anderen Schritte schon getan sind. Er wird nicht müde zu betonen, dass Juden, Christen und Muslimen die gleichen Rechte in Jerusalem zugestanden werden müssten. Jede religiöse Gruppe sollte des-
halb die Ansprüche der anderen anerkennen.

„Wir brauchen eine Politik, die sich außerhalb der Altstadt bewegt!", ruft Awad seinen eigenen Landsleuten und den Israelis zu. „Ein Gre-mium, das die verschiedenen religiösen Kommunitäten repräsentiert, sollte die Altstadt verwalten, in deren Mauern die heiligen Stätten der drei Religionen liegen. Ihre Einwohner sollten sich für die israelische oder palästinensische Staatsangehörigkeit entscheiden können. Die Leitung des Rates sollte dem Rotationsprinzip folgen. Die Sicherheit in der Altstadt wäre von Israelis und Palästinensern gemeinsam zu gewährleisten."

Die beiden Parlaments- und Regierungssitze sieht Mubarak Awad außerhalb der Altstadt Jerusalems angesiedelt. Das gelte auch für die ausländischen Diplomaten, die sowohl bei der israelischen als auch bei der palästinensischen Regierung akkreditiert sein könnten.

Aus einem Beitrag von Karl-Heinz Fleckenstein in „Islam – Die missbrauchbare Religion ... oder Keimzelle des Terrorismus?" Herausgeber ist Rudolf Zewell (München 2001)

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Eine Kultur der Gewaltfreiheit

Gewalt und Krieg, Diskriminierung und Unfreiheit erfahren täglich zahllose Menschen. Passiv bleiben oder sich gewaltsam wehren erscheint vielen als einzige Handlungsmöglichkeit. Dem setzen wir hoffnungsvolle und konstruktive gewaltfreie Alternativen entgegen. Wir wollen den Boden bereiten für eine Kultur der Gewaltfreiheit. Das bedeutet, Konflikte zu erkennen, gewaltfrei auszutragen und gewaltfreien Widerstand zu leisten. Die Werkstatt bietet einen Lern-Raum, in dem erfahren werden kann, die Welt ist veränderbar - auch ohne Gewalt.

Mit diesem Grundgedanken wurde die Werkstatt 1984 als friedenspolitische Bildungseinrichtung und Trainingszentrum gegründet. Langjährige Erfahrungen und Wissen aus der Friedens- und Ökologiebewegung fließen in die Arbeit der Werkstatt. Sie ist ein Ort, der gewaltfreie Praxis und Aktionserfahrungen unter aktuellen Bedingungen vermittelt. In Trainings unterstützen wir die Vorbereitung gewaltfreier Aktionen, zum Beispiel von Umwelt-, Friedens- oder globalisierungskritischen Gruppen. In Einrichtungen der Erwachsenenbildung und mit Berufsgruppen führen wir Seminare und Trainings in gewaltfreier Konfliktaustragung durch. Das seit einigen Jahren durchgeführte Fortbildungsprogramm zur Grundqualifikation in gewaltfreier Konfliktbearbeitung ergänzt unser Angebot.

Gewaltfreie Konfliktaustragung ist nicht nur möglich, sie kann auch erlernt werden. In Werkstattseminaren und -veranstaltungen entwickeln wir Kampagnen (zum Beispiel gegen Sozialabbau oder Minenproduktion), üben wir Zivilcourage ein (zum Beispiel bei Fremdenfeindlichkeit, bei Sexismus) und führen Mediationen durch (zum Beispiel in Stadteilkonflikten). Darüber hinaus arbeiten Werkstattmitarbeiter an politischen Konzepten ziviler Konfliktaustragung (zum Beispiel ziviler Friedensdienst).

Die Methoden aktiver Gewaltfreiheit unterstützen Menschen im Alltag und Gruppen in der politischen Auseinandersetzung darin, handlungsfähig zu werden und ihre Interessen gegen zerstörerische Entwicklungen unserer Zeit zu vertreten. Privates und Politisches gehen dabei Hand in Hand: gewaltlos, aber nicht machtlos.

Gemeinsam mit zwei hauptamtlichen (Büro Heidelberg und Freiburg), zwei ehrenamtlichen (Büro Karlsruhe) und circa einem Dutzend freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leiten wir zur praktischen Friedensarbeit an. Wir vermitteln Grundlagen und Methoden gewaltfreier Konfliktaustragung für Gruppen und Organisationen. Im Sinne einer "Werkstatt" geht es uns um das Weiterreichen von Handwerkszeug, das Gruppen und einzelne Menschen in der Auseinandersetzung mit direkter und struktureller Gewalt zum gewaltfreien Handeln befähigen.

Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden. Büro Heidelberg: Renate Wanie, im Eine-Welt-Zentrum, Am Karlstor 1, 69117 Heidelberg; Büro Freiburg: Christoph Besemer, Vauban-Allee 20, 79100 Freiburg; Geschäftsstelle des Trägervereins Gewaltfrei Leben Lernen: Alberichstraße 9, 76185 Karlsruhe.

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Vom Bösen, vom Trauma und von der Vergebung!
Von der Wahrheit zur Versöhnung, vom Menschen.
Pumla Gobodo-Madikizela, Das Erbe der Apartheid - Trauma, Erinnerung, Versöhnung, Verlag Barbara Budrich

Das Buch hat eine selten interessante und schöne Komposition von Sachlichkeit, tiefer Emotionalität, klarer Analyse, Spiritualität und Iebendiger Schilderung persönlichen Erlebens zu bieten.Die Autorin beschreibt ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in der Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrikas (Truth and Reconcilitation Commission), die die Ursprünge, Motive und Hinter-gründe der Unterdrückung, sowie die Gedankengänge der Täter aufzudecken und nachzuvollziehen bemüht ist. Dabei ringt sie im Buch mit Angst, Reue, Hass, Schuld und Vergel-tung. Sie lässt nichts aus, aber sie weitet. Die südafrikanischen Zusammenhänge finden sich immer in allgemein-menschlichen Fragen ein. Südafrika erscheint als Beispiel, das Menschliche ist zentral. 
Besonders beeindruckend sind ihre phänomenalen Emphatiefähig-keiten, auch in sehr heiklen Angelegenheiten, z.B. ihre Gespräche mit Eugene de Kock, "Prime Evil" (frei übersetzt: der oberste Verbrecher), der vielleicht brutalste Folterknecht der Apartheid. Mehrfach plädiert sie, wir können die Verbrecher als Menschen ansprechen, nicht als „Monster", um sie nicht zu isolieren. Allein die Veränderung des "Täters" Eugene de Kock macht diese Geschichte lesenswert.
Klarheit und Wärme zeichnet dieses Buch aus. Ich wünsche mir, es sollen möglichst viele Oberstufenschüler oder sonstwie "junge" Menschen lesen.
„Das Ziel, den Geisteszustand des Bösen zu verstehen, den Gedan-kengängen zu folgen und mich mit dem Antlitz des Bösen zu konfrontieren, ohne mediale Stereotype und ohne Distanz, die durch Hass vereinfacht wird. Als Mensch auf gleicher Augenhöhe zu einem Monster Kontakt aufzunehmen wird also zu einer immens beängsti-genden Angelegenheit, denn letztlich bedeutet das nichts anderes, als sich mit dem eigenen Gewaltpotenzial auseinander zu setzen. Mitgefühl und schließlich Vergebung für Menschen, die eine Spur des Grauen hinterlasen haben, führt „unschuldige" Opfer und ver-derbte Verbrecher zusammen. Sie werden an den einzigen, gemein-samen Tisch der Menschheit gezwungen..."
Karl-Heinz Dewitz

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Nicht über dem Recht stehend

Mit einer Ausrufung des "Krieges gegen den Terror" reagierten die Vereinigten Staaten von Amerika auf die Flugzeugattentate vom 11. September 2001. Hierunter wurde zusammengefasst und zunächst vom Kongress abgesegnet, was der Regierung zur Abwehr der Bedrohung als nötig erschien. Das beinhaltete in der Folge die Kriege in Afghanistan und Irak, eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Land (zum Beispiel die Ausweitung der elektronischen Überwachung), internationale Flug- und Finanzkontrollen und etliche Aktionen in diversen Länder - wie die geheimen Gefangenentransporte auch im Gebiet der Europäischen Union.

Mit dem "Krieg gegen den Terror" als eine neuartige Definition glaubte die amerikanische Regierung sich nur wenig um gültige Rechtsbestimmungen kümmern zu müssen. So landeten hunderte von Gefangenen im kubanischen Guantanamo, einer vertraglich zugesicherten Enklave auf der ansonsten ja wenig freundlich gestimmten Insel. Das wurde bald zu einem weltweiten Beispiel für eine rechtlose Unterbringung, willkürliche Behandlung bis hin zu folterartigen Praktiken und dem Versuch, sich außerhalb der völkerrechtlichen Bestimmungen zu stellen.

Ohne Anklage und Aussicht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren harren hier etliche Menschen nun schon Jahre lang aus. Viele haben den Mut verloren, weiterzumachen. Allein für das Jahr 2003 sind 350 Versuche sogenannter "Selbstschädigungen" aufgelistet, darunter 120 Versuche, sich zu erhängen. Der Anlass für einen Bericht der "Neuen Ruhr-Zeitung" vom 12. Juni 2006, dem diese Zahlen entstammen, war der Tod dreier Häftlinge, die sich auf Guantanamo umgebracht haben.

Allerdings gab es bereits vor zwei Jahren einen ersten juristischen Erfolg darin, dass den Gefangenen die Möglichkeit eines Widerspruchs vor ordentlichen amerikanischen Gerichten eingeräumt wurde. Eine überraschende Nachricht gab es nun Ende Juni 2006. Nach einem Grundsatzurteil vom obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verstößt die für Guantanamo vorgesehene Militärgerichtsbarkeit gegen eigenes und internationales Recht. Der Gerichtshof bezieht sich dabei ausdrücklich auf die "Genfer Konvention" zur Behandlung von Kriegsgefangenen. Diese habe ebenso für die amerikanische Regierung zu gelten, also selbst für einen George W. Bush, was dieser nun gezwungen ist, einzusehen.

Jürgen Kaminski

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Ein neues Milas

Das Milas, ein Restaurant und Straßenkinderarbeit in Yogyakarta, Indonesien wird von Ebby Litz, einer Freundin des Eulenspiegel geleitet. Der jedermensch berichtete wiederholt. Durch das verheerende Erdbeben im Juni 2006 wurde die gesamte Region und auch das Milas selber in Mitleidenschaft gezogen. Hier ein gekürzter Bericht aus Indonesien:
Nach langer Suche und mehreren Momenten der Ohnmacht ob der fehlenden Alternativen für ein neues Milas, haben wir nun endlich eine neue Heimat gefunden. Unweit vom alten Milas mitten in einem Garten von Bäumen wächst langsam das neue Milas zusammen. Nach und nach wird aus einem ehemals als "kleine Müllkippe" genutzten Garten ein Platz der Ruhe und der Idylle mitten im hektischen Treiben der Stadt. Die Bambushäuschen des Restaurants stehen bereits, der Garten wird von mehreren Schichten von Plastiktüten und anderem Müll befreit und das neue und größere (!!!) Milas beginnt langsam zu atmen...

Das von seinen Mitarbeitern nun schon als "alt" bezeichnete Milas, das viele von euch kennen, verabschiedete sich am 15. Oktober von seinen Nachbarn und Freunden mit einem ihm angemessenen Büffet und einer Mischung aus Gitarrenklängen, Trommeln, Gesang, gelöstem Lachen und leichten Anflügen von Melancholie.

Der drei Wochen dauernde Umzug fand passend vor dem Lebaran (23. bis 29.Oktober), dem mehrtägigen Fest des Fastenbrechens (Ramadhan), sein Ende. Das "alte" Milas ist nun komplett geräumt. Die Bambushäuschen aus dem alten Garten sind umgezogen und an ihrer neuen Stätte wieder aufgebaut. Auch die Küche ist umgezogen, ebenso das Open House für die Strassenkinder, die Bücherei, das Büro, die Galerie, das gesamte Resto. Ein Kraftakt bei dem Ebby wieder einmal die treibende Kraft war und nicht nur als Umzugssupervisorin, sondern vor allem im neuen Milas als Bauleiterin fungierte...

MILAS - Ökologie und Umwelt – Gesundheit – soziales Lernen

1) Milas Vegetarian Resto
Wie eben beschrieben wird das neue Milas ein Gartenrestaurant mit mehreren Bambushütten, die sich zwischen zahlreichen Mango- und anderen Bäumen einfügen. Auch die Milas-Küche wurde neu gebaut und rückt nun räumlich näher an die Gäste heran. Unser neuer Küchenchef man Mahdi hat die Küche gemeinsam mit Ebby nicht nur selbst konzeptioniert, sondern auch selbst aufgebaut, da er nicht nur ein vorzüglicher Koch, sondern auch noch ein Zimmermann-Meister ist. Es lebe das Allround-Talent! Indonesien eben!

2) Open House für die Strassenkinder und -jugendlichen und die Handicraft-Galerie
Gleichzeitig mit der Eröffnung des Milas werden die Aktivitäten im Open House nicht nur wieder aufgenommen, sondern vermehrt auf Erziehung und Bildung ausgerichtet sein. Das Open House hat nun auch sein eigenes Büro, zwei Räume und genügend Platz im Freien, um dort Work-shops durchzuführen und den Kindern und Jugendlichen genügend Platz zu geben, um Handwerkstechniken zu erlernen. Die fertigen Produkte werden wie gehabt in der Galerie verkauft, die nun unter einem ästhetischen Bambusdach im "Freien" vor der neuen Bibliothek ihren großzügigen Platz finden wird.

3) Play Group
Die Playgroup hat nun neben einem Bambushaus im Garten zwei eigene Räume mit Büro. Wie vor dem Erdbeben ist für die Teilnahme der Kindern an der Playgroup, in der überwiegend sozial und ökologische Kompetenzen vermittelt werden sollen, nun eine Registrierung gegen eine geringe Gebühr obligatorisch. Die Spielgruppen der 3- bis 5jährigen finden nun dreimal die Woche in jeweils zwei Gruppen statt.

4) Bücherei
Die Bibliothek, die neben fremdsprachigen, vor allem eine kaum zu übertreffende Anzahl an sozialkritischen, ökologisch und kulturell bildenden Büchern in indonesischer Sprache umfasst, findet ihr Zuhause nun in zwei großen Räumen, die nicht nur zum Stöbern, sondern auch zum Lesen und Verweilen einladen sollen.

5) Bioecke
Ähnlich wie im "alten" Milas, werden weiterhin auch biologisch angebauter Kaffee, Reis, Honig, Tee, etc. zum Verkauf angeboten.

6) Kriya Yoga
Die wöchentlichen Yogastunden finden weiterhin im Freien statt. Aufgrund des großzügigen Geländes des neuen Milas kann nun je nach Wetter, Anzahl oder dem Stand des Mondes zwischen unterschiedlichen Übungsplätzen gewechselt werden.

7) Community Work
Aus dem Posko Milas wird nun ein Community Center. Zum einen rückt das PoskoTeam näher an die "Krisenregion", zum anderen liegt unser Fokus auf der Langzeithilfe. Dies bedeutet auch, dass wir uns nun auf ein Dorf konzentrieren und dort versuchen Workshops mit den Jugendlichen zu veranstalten, vor allem die Frauen bei ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen, und eine kleine Bibliothek einzurichten. Im Vordergrund steht die Unterstützung kleiner wirtschaftlicher Unternehmungen, um vor allem die informelle Dorfökonomie zu stärken, und die Bewussteinsbildung der Kinder und Jugendlichen bezüglich sozialer Kompetenz, Gesundheit und Hygiene und Umweltfragen.

Durch das verantwortungsvolle und respektvolle Miteinander zwischen den Mitarbeitern und den Menschen im Dorf konnte nicht nur gegenseitiges Vertrauen gewonnen werden, sondern jenes bildet vor allem im traditionell javanischen Kontext auch die Basis für eine nachhaltige Kooperation. In den letzten sechs Wochen haben wir nicht nur geholfen kaputte oder versiegte Brunnen und Pumpen zu installieren, sondern haben auch einen Ort für unsere zukünftigen Aktivitäten gefunden. Es handelt sich um einen alten Kindergarten, der seit drei Jahren nicht mehr genutzt, leider aber vom Erdbeben arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies bedeutet, dass wir das Gelände zunächst sichern und renovieren müssen, bevor wir dort unsere Workshops abhalten. Weiterhin konzentriert sich das Team auf die medizinische Versorgung überwiegend kranker Kinder und Jugendlicher.

Zum Abschluss noch einmal Vielen Dank für Eure Unterstützung! Wer uns weiterhin finanziell unterstützen möchte, sei hiermit höflichst und mit einem verschmitzten Lächeln dazu aufgefordert seinem oder ihrem Geberdrang durchaus nachzugeben...

Wir sind noch lange nicht am Ziel, und wie ihr wisst, ist die Verwirklichung vieler unserer Ideen und Projekte ohne Eure Hilfe einfach nicht möglich.

DANKE FÜR EÜER ENGAGEMENT, Liebe Grüße aus Earthquake Country, Euer Milasteam

MILAS-Spendenkonto: Kontoverbindung international: Aktionskreis Lebendige Kultur e.V. Sparkasse Bodensee FN Arbeitskreis Lebendige Kultur e.V. Kontonr.: 20817888 Milas - Indonesien BLZ: 69050001 IBAN : DE32 6905 0001 0020 8178 88 Stichwort: Milas-Indonesien-Erdbeben BIC : SOLADES1KNZ Für Spendenquittungen setzt Euch bitte mit Dieter Koscheck vom Aktionskreis Lebendige Kultur e.V. unter 08382/89056 in Verbindung.

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Eulenspiegel und die Selbstverwaltung

Eine Geschichte, subjektiv aufgeschrieben, über ein innovatives Pro-jekt, das heute in seiner Ursprungsidee nicht mehr vorhanden ist. Ich will neben dem Erzählen von Geschichte den Fragen nachgehen: Welche Faktoren spielen eine Rolle für die Veränderung. Ist das Pro-jekt gescheitert? Welche Schlussfolgerungen können für Projekte in einer Solidarische Wirtschaft gezogen werden?

Die historische Geschichte des Projektes
1953 bildet sich um Ulle Weber und Peter Schilinski die erste „Kommune" oder besser „Lebens- und Arbeitsgemeinschaft" auf Sylt. Künstler und politisch Aktive bilden die Gruppe, die die Teestube Witthüs, Theaterprojekte, Gesprächskreise und Politik im Sinne der sozialen Dreigliederung (nach Rudolf Steiner) bilden. Es geht schon damals um die Entwicklung der Einzelnen und die Gestaltung des Sozialen.
Besonders Peter Schilinski wird durch den Prager Frühling und die beginnende Studentenbewegung inspiriert. Begegnungen mit Dutschke in Berlin und auf Sylt, Fahrten nach Prag führten zu einer bundesweiten Kooperation verschiedener Gruppen und Einzelpersonen.
Diese kleine entstehende Bewegung setzt sich zwischen alle Stühle. Der eingesessenen Anthroposophenschaft ist sie zu radikal und zu politisch. Den Studenten sind die Damen und Herren zu alt und zu ver"steinert".
1970 konzentriert sich die Kerngruppe auf die Errichtung des „Internationalen Kulturzentrum Achberg" als politisches Zentrum der Dreigliedererbewegung. Es finden große Sommertagungen statt, die viele Jugendliche begeistern.  Doch beginnende Konflikte über Zielsetzung und Umsetzung um die eigenen Ideale lassen sich nicht lösen. Peter Schilinski und seine Gruppe Kommunikation verlassen das „INKA" und gründen 1976 in Wasserburg am Bodensee das „Modell Wasserburg", das Projekt Eulenspiegel. Aus den vergangenen Streits zog Peter Schilinski den Schluss: Was bringt die ganze politische Chose ohne die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit? Nicht viel! Und so sollte das Modell Wasserburg diesen Weg skizzieren: die soziale Dreigliederung im Mikrokosmos einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft zu erüben:

- ein Haus im Gemeineigentum (eines eingetragenen gemeinnützigen Vereins)
- Kücheneinrichtung etc. ebenfalls im Gemeineigentum (Vergesellschaftung der Produktionsmittel)
- Demokratisches Wirtschaften gemeinsam ohne Chef
- Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung
- Achtung und Toleranz des Anderen.

Die Schule der Gemeinschaft
Der folgende Beitrag von Peter Schilinski stammt aus dem Jahr 1979 und war übertitelt mit "Soziale Dreigliederung im Projektalltag". Er verdeutlicht sehr gut die frühen Ziele des Projekt Eulenspiegels.

"Die Freiheit im Geistesleben, die die Dreigliederung will, muß sich in erster Linie auf die geistige Freiheit andersdenkender beziehen. Auch die Anerkennung der Gleichheit von Mensch zu Mensch und jene Brüderlichkeit, die im Rahmen einer assoziativen Wirtschaft die Richtungskraft einer Wirtschaft im Dienste des Menschen sein soll, muß in erster Linie immer den anderen meinen, denjenigen, der es anders machen will. Nach meiner Erfahrung handelt es sich bei dieser Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nur um Ideen, die jedem einigermaßen liberal denkendem Menschen vom Verstand her einleuchten können. Es geht um mehr.
Es geht um eine charakterliche Qualität bei der Verwirklichung dieser Ideen. Ist diese Qualität nicht vorhanden und wird nicht einmal zugestanden, da sie nicht vorhanden ist, daß in einem inneren Kampf mit sich selbst darum gerungen werden muß und: Findet dieses Ringen nicht offensichtlich statt, dann bleibt es bei den Phrasen, zu denen diese Ideen inzwischen entartet sind.
Es wollte mir lange nicht in den Kopf, daß selbst unter den Dreigliederern die mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verbundenen charakterlichen Qualitäten nicht vorhanden waren. Selbst unter ihnen fand man und findet man noch heute kein Bemühen die anders gearteten Ansätze anderer Dreigliederer im Sinne dieser geistigen Freiheit, dieser menschlichen Gleichberechtigung brüderlich, das heißt für mich auch positiv zu verstehen. Es soll ja keiner seinen Standort verleugnen, aber es müßte doch selbstverständlich sein, daß der andere Weg des anderen auch positiv verstanden wird. .

Wenn ich die Veröffentlichungen der Vertreter der Dreigliederung sehe, bekomme ich den Eindruck, als würde jeder die Beiträge der anderen nur mit dem Rotstift zensieren, um "Fehler nachzuweisen", Fehler im Ganzen und Fehler im Einzelnen. Ich sehe kein Bemühen, zu verstehen warum der andere, oder die anderen so denken und handeln.

Im überschaubaren Bereich einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft geht es laufend, Tag für Tag darum, denjenigen oder diejenigen, die anders denken, zu verstehen, ihre Gleichberechtigung als Mensch zu achten und ihnen womöglich brüderlich zur Seite zu stehen. Da wird es für jeden klar, wie wahnsinnig schwer das ist, besonders dann, wenn wirklich eine kollegiale Struktur vorgegeben ist, wenn keiner durch seine äußere Position mehr zu sagen hat. In der Arbeits- und Wohngemeinschaft wird aber auch klar, daß ein Mindestmaß der mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verbundenen menschlichen Qualitäten errungen werden muß, wenn das gemeinsame Projekt nicht zerstört, sondern gemeinsam weiter entwickelt werden soll.

In jedem großen Zusammenhang kann nach meiner Erfahrung unkontrollierbar manipuliert und gemauschelt werden. In einem überschaubaren Zusammenhang treten Manipulationen zutage. Sie können erkannt werden, man kann sie zur Diskussion stellen. Es ist möglich, sie zu verändern. Die Arbeits- und Wohngemeinschaft ist für mich ein Kampffeld, auf dem jeder mit sich selbst und mit anderen um die inneren Qualitäten von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpfen muß. Hier erfahre ich mit aller Deutlichkeit, welche Kraft die Idee der Dreigliederung hat, wenn sich eine Gruppe von Zusammenarbeitenden bewußt auf diese Idee im Alltag bezieht.
Habe ich meinen eigenen Standpunkt frei geäußert?
Hab ich (aus Angst) gekniffen?
Hab ich in die Freiheit des anderen eingegriffen?
Habe ich seine Gleichheit als Mensch bewahrt?
Die der anderen geachtet?
Hab ich, was ich kritisch zu bemerken hatte, in einer brüderlichen Gesinnung ausgesprochen?
War ich mal wieder "besser"?
Oder hab ich brüderlich beachtet, daß jeder etwas "Besser" kann und ich manches "Schlechter"?
und so weiter.

In der Arbeits- und Wohngemeinschaft führte mich die Idee der Dreigliederung dazu, sehr deutlich meine mangelnden Qualitäten im Hinblick auf die große Freiheit, die große Gleichheit und die große Brüderlichkeit zu erkennen. Aber auch dazu, daß in einer solchen Gruppe allmählich wirklich etwas von dem verwirklicht werden kann, daß für alle fühlbar wird, was die Dreigliederung meint."
Peter Schilinski (7/8 1979)

Wie ich zum Projekt kam oder Der Kuss in der Disco
Obwohl ich in direkter Nachbarschaft zum Eulenspiegel aufgewachsen war und als Aktivist der Jugendzentrumsbewegung politisch engagiert war, war diese Bewegung für mich lange Zeit nicht existent. Sie war anthroposophisch und damit hatten wir „Politischen" von damals nichts zu tun, solche geistige Themen gehörten nicht in unser Blickfeld. So brauchte es schon ein außergewöhnliches Ereignis, dass das Projekt in mein Gesichtfeld rutschte. Es war im Sommer 1986. In der Disko unseren Kulturzentrums „Club Vaudeville" in Lindau machte ein Gruppe von Menschen auf sich aufmerksam indem sie geschlossen auftrat, im Kreis tanzte und sich sichtlich gut verstand und harmonierte. Diese Gruppe bestand überwiegend aus Frauen in meinem Alter und ich fühlte mich sofort hingezogen. In einer Tanzpause kam es zum Kuss, einem sprachlosen Kuss, da die hohe Lautstärke jedes Gespräch verhinderte.

Auf der späteren Suche nach dieser Frau begegnete ich dem Eulenspiegel und bekam einen Blick in das faszinierende Innenleben dieses „anthroposophischen" Projekts.

Nach nicht langer Zeit war mir klar, dass ich am Ziel meines Suchens angekommen war. In einer Gemeinschaft leben, die gemeinsam wirtschaftet, politisch nach außen wirkt und dabei an einer persönlichen Weiterentwicklung arbeitet, fand ich alles wieder, was mir wichtig war. Die Idee der Sozialen Dreigliederung erscheint mir damals wie heute, als etwas, was mein Leben zusammenbrachte und meinen vielfältigen Bestrebungen ein Gerüst gab, von dem ich noch vieles lernen konnte und das weit über mich hinaus in die Zukunft zeigte. Die Beziehungen veränderten sich, aber seit ich 1988 einzog, hat die Faszination nichts verloren.

Anders arbeiten oder Warum arbeitete ich gerne im Eulenspiegel
Dieser Abschnitt bezieht sich im Wesentlichen auf meine Erfahrungen in den Jahren nach dem Tode von Peter Schilinski 1992 bis zu Jahre 2000.

„Die Hölle ist los"
Was ja wohl heißt, dass viele Gäste den Weg zu uns gefunden haben und die Arbeit nicht geruhsam ist, sondern heftig, ja hektisch und auch körperlich erschöpfend.
Die Frage stellte sich immer: „Warum arbeiten wir hier, wenn wir doch nicht mehr als 650 € verdienen und dazu noch Geld für Essen und Wohnen abgeben müssen, so dass nicht mehr als 350 € für "Leben" übrigbleiben?"

Wir arbeiteten selbstbestimmt!
Naja, es gab den Rahmen der Gastronomie, dort herrschen eigentlich nicht so gute Arbeitsbedingungen. Wir mussten abends arbeiten, am Wochenende, an Feiertagen und besonders in den Ferien, wenn alle anderen Urlaub machten? Aber wir arbeiteten nicht soviel? An sechs Tagen in der Regel nicht mehr als sechs Stunden, manchmal weniger, manchmal mehr. In den Zeiten außerhalb der Saison versuchten wir das noch zu verkürzen auf eine Fünf-Tage-Woche. Urlaub ist ebenfalls individuell gestaltbar gewesen. Wir hielten vier bis sechs Wochen für notwendig und möglich, wobei wir dann am Jahresende schauten wieviel der meiste im Urlaub war und gleichten dann alles mit Geld aus. Bei der Arbeitseinteilung war es wichtig, dass wir unsere Bedürfnisse respektierten. Wer, wann und was arbeitet versuchten wir uns selber einzuteilen. Es gab schon besondere Fähigkeiten oder Bedürfnisse und die sollten in den Vordergrund gestellt werden. Der Respekt der jeweiligen Haltung war wichtig und wesentlich beim Ringen um die Kompromisse bei der Arbeitseinteilung. Besondere Fälle gab es immer wieder. Bei Brigitte, die zwei jugendliche Söhne hatte, vereinbarten wir eine Verkürzung der Arbeitszeit auf fünf generelle Tage und etwas mehr Geld: Beides sozusagen als Kinderzuschlag. Den Kindergeldzuschlag erhielt auch Ursel, indem ihr Sohn umsonst mitaß und mitwohnte. Eine weitere Besonderheit war Dieter, der nach Bedarf arbeitete, die Verwaltung machte und sich dann der „politischen Arbeit" widmete. Das war etwa eine Halbtagesstelle in betrieblicher Sicht. Auch Jana arbeitete zur Hälfte und widmete sich in der anderen Zeit der Arbeit mit Flüchtlingen. Diese Möglichkeit eigene Interessen einzubringen und zu verwirklichen, war für viele der wichtige Aspekt, warum sie in der Gastronomie arbeiteten, denn wie Dieter einmal sagte: Eigentlich will ich gar nicht in der Gastronomie arbeiten, nur weil es der Eulenspiegel ist...!!!" Wir alle (bis auf Ursel) kamen ja aus anderen Berufen und die Gastronomie war für das Projekt Eulenspiegel zur wirtschaftlichen Grundlagen geworden, so dass wir diese am Leben erhalten mussten, aber eigentlich hatten wir ja andere Berufe: Uwe war Innenarchitekt, Norbert Goldschmied, Brigitte Schiatsu-Praktikerin, Dieter Sozialarbeiter….

Zum anderen bot der Eulenspiegel auch einen geschützten Bereich für die Zeit die man brauchte, um sich neu zu orientieren und den neuen eigenen Weg zu suchen und zu finden. Das konnte sechs Monaten dauern, aber sich auch über Jahre hinziehen. Selbst bestimmt hieß auch eigenverantwortlich. Alle Entscheidungen trafen mich selber, finanziell, arbeitszeitmäßig und inhaltlich. Wenn ich mich gegen die lange Arbeitszeit entschied und mir einen Sonderweg suchte, dann musste ich auch die Folgen selber tragen.

Was bedeutete respektvoll miteinander zu arbeiten?
Tja, den anderen zu achten und seine Wünsche, Fähigkeiten und Bedürfnisse als wahr zu nehmen, sie wahrzunehmen und in dem Arbeitsalltag einzuarbeiten und eben zu respektieren.

„Hau den Scheiß raus"
ist natürlich keine geeignete Einstellung in der Küche, sondern spiegelt eher den eigenen Gemütszustand, der ja auch mit anderen sich abwechselt und als Zeichen von Stress zu verstehen ist.

Und leben?
Heute, Jahre später, wird mir noch mal deutlich, dass die Zeit im Eulenspiegel nicht nur „selbstbestimmt arbeiten" war, sondern selbstbestimmtes Leben. Das Rollenverhalten war entscheidend verändert: Putzen, Waschen, Einkaufen, Kochen (für uns selbst) war kollektives Arbeiten und löste sich von den geschlechtspezifischen Zuordnungen. Der Eulenspiegel war unser Kommunikationsort, in den praktischerweise alle Freunde kamen und wir nur da sein mussten. Heute gestaltet sich die Freundschaftspflege schon aufwendiger.
Wir lebten selbstverständlich ökologischer als anderswo, Stromsparen, biologisch essen, Bücher und Musik teilen, Auto teilen und vieles mehr wurde Gemeinschaftssache. Werkzeug und Einrichtungsgegenstände wurden weitergegeben und mitgebraucht. Unzählige Gebrauchsgegenstände wurden nur noch einmal gebraucht und angeschafft.
In unserem Projekt lebten Paare und Einzelne mit Kinder und Peter, der Älteste wurde durch seine Behinderung immer mehr pflegebe-dürftig. Ein mindestens Dreigenerationenprojekt.
Die Türen der Zimmer waren zwar meisten zu, aber sie wurden (fast) immer geöffnet. Brauchte ich jemanden, immer war einer da. Konflikte waren keine Privatsache mehr, sondern fanden in einer solidarischen Umgebung statt. Ich war nicht mehr so wichtig, eine Gruppe sorgte sich um dich. In gemeinsamen Gesprächen (erst täglich, dann zweitäglich, dann zweimal die Woche, dann einmal die Woche, zuletzt nur noch Beiwerk der Arbeitsbesprechung) halfen bei der Bewältigung des Lebens und bildeten die Grundlage der persönlichen Entwicklung – was ja nicht hieß, dass alles gut wurde.....

Politisch sein müssen und dürfen
Das machte für mich den besonderen Reiz aus – wie für viele andere, aber nicht für alle. Für die soziale Dreigliederung aktiv sein hieß nicht nur an den gemeinsamen Gesprächen teilzunehmen, sondern auch politisch sich zu informieren, zu diskutieren und die eigne Meinung nach außen zu tragen. So gehörten Straßengespräche über tagespolitische Ereignisse dazu, Seminararbeit und das aktive Mitgestalten der „hauseigenen" politischen Zeitschrift „jedermensch". Zur Demo zu fahren war selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens. Durch unsere Zeitung hatten wir viele Austauschabos und konnten uns über viele Bewegungen der Zeit informieren. Durch die Rundgespräche gab es jede Woche die Möglichkeit mit Freunden und Besuchern zu diskutieren und immer gelerntes im Alltag umzusetzen zu versuchen.Arbeiten, Leben und Politik versuchten wir in Einklang zu bringen.......

The Wind of Change oder lebendige Prozesse
Die nachfolgend beschriebene Entwicklung ist ein Prozess, der eigentlich in solchen Projekten immer im Gange ist. Geschichtlich veränderte sich unser Projekt immer ein wenig weg von ursprünglichen Ziel einer Arbeits- und Lebensgemeinschaft, die für die soziale Dreigliederung aktiv ist. Das anfängliche intensive Zusammenleben lockerte sich über die Jahre, irgendwann konnte man die Augen vor den Tatsachen nicht verschließen und musste die Lebensgemeinschaft in eine Wohngemeinschaft umändern.

Der Tod von Peter Schilinski - Der Beginn des Verlustes einer gemeinsamen Vision
Ein wesentlicher Einschnitt war – zunächst unbemerkt – der Tod unseres Gründers Peter Schilinksi im Jahre 1992. Mit ihm verließ uns eine dominante Persönlichkeit, die die geschriebenen und ungeschriebenen Ziele – ja die Vision – unseres Projekte täglich in unser Leben stellte. Der Geist verblasste, wenn auch langsam, so dass uns erst Jahre später klar wurde, dass wir unsere Vision verloren hatten.

Zumindest haben wir das gemeinsame Bewusstsein über diese Ziele verloren, denn ich behauptete, heute wie damals, das unsere Ziele im Alltagsleben unseres Projektes lebendig geblieben sind. Sie sind in einigen Bereichen undeutlicher geworden und uneinheitlicher. Sicher war, das der anthroposophische Erkenntnisweg nicht mehr einheitlich gewollt war, sondern eine spirituelle Freiheit sich verbreitete.

Der bewusste Umgang miteinander in der Wohngemeinschaft wurde zunehmend materieller. Der eigene Entwicklungsweg und der gruppendynamische Prozess wurde zunehmend weniger in der Gruppenöffentlichkeit in Frage gestellt und somit der gruppenöf-fentlichen Diskussion allmählich entzogen. Somit verlor die Wohn-gemeinschaft ihre eigenen Ziele als Persönlichkeitsschule und Ort geistiger Auseinandersetzung und entwickelte sich zu einer Zweckwohngemeinschaft.

Trennung von Wohnen und Arbeiten
Die MitarbeiterInnen waren nicht mehr mit der Wohngemeinschaft identisch. Wir hatten eine Wohnung an Freunde vermietet. Aushilfen wohnten teilweise nicht im Haus. In der Wohngemeinschaft wohnten verantwortlich Mitarbeitende, angestellt Mitarbeitende und Aushilfen. Ich selbst wohnte gar nicht mehr im Haus. Damit haben wir das Konzept Wohn- und Arbeitsgemeinschaft ein Stück weit aufgegeben.Wir hegten auch schon bald Gedanken darüber, verschiedene Wohneinheiten zu planen und umzubauen. Dann wäre es eine Hausgemeinschaft geworden. Eine Entwicklung, die wir auch in anderen Projekten schon beobachten konnten. Um diese Entwicklung zu einer Hausgemeinschaft zu verstehen, ist es hilfreich auf die Motive der zuletzt ausgezogenen zu werfen:
                     - die familiären Entwicklungen erforderten es

- die Wohngemeinschaft hat einzelne problematischere Mitglieder nicht getragen,
- oder das Gemeinschaftsleben entsprach nicht ihren Vorstellungen.

Diese Motive wären mit einer nicht eng gemeinten Hausgemeinschaft zu bewältigen gewesen.

Die Verwandlung innerer Stärke
Was war denn das Besondere unserer „ehemaligen" Wohngemeinschaft? Ein regelmäßiges gemeinsames Frühstück stellte wohl die Besonderheit dar: Wir versuchten (mit der sozialen Dreigliederung im Hintergrund) eine unbedingte Achtung des jeweils anderen zu erreichen, geistige Freiheit zu erüben und sich selbst in einem Entwicklungsprozess zu verstehen. Dies wurde an den gemeinsamen Frühstücken in praktischer Form erübt durch Versuche den Alltag der Wohngemeinschaft in diesem Gespräch zu erhellen. Wir lasen Texte verschiedener Autoren und sprachen darüber, zum Beispiel den „Meditationsweg des Abendlandes „ von Peter Schilinski. Wir spielten gemeinsam und gingen gemeinsam spazieren. Und in regelmäßigen Runden fragten wir die Gefühlslagen der Mitbewohner ab und stellten die Menschen und die Gemeinschaft zur Diskussion.
In den späteren Jahren passierte davon vieles noch – aber nicht mehr als gemeinsam gewollter Prozess mit einer Struktur, sondern wie es halt so oft in vielen Gemeinschaften passiert, situationsbedingt, bei Anstau von Ärger usw.
„In dem letzten halben Jahr habe ich beobachtet, dass es die lange Liste von zu besprechenden Punkten für das Frühstück nicht mehr gibt. Vieles wird zwischendurch von den Verantwortlichen ent-schieden und in die Wege geleitet. Eine durchaus positive Entwick-lung, die aber es erforderlich macht, die Einbindung der anderen MitarbeiterInnen nicht zu vernachlässigen.
Deshalb werden wir in Zukunft zumeist nur ein gemeinsames wöch-entliches Frühstück haben, das vor allem die betrieblichen Fragen klären soll und dabei aber die Fragen des Zusammenarbeitens und Wohnens nicht vernachlässigen soll." (Dieter, 2000)
Das war ein Wunsch, die Quadratur des Kreises, der nicht gelingen konnte.

Die Projektgrundlage wird zur Lebensgrundlage
Unser Betrieb, das Biorestaurant, war jahrelang die Basis für unsere geistigen Aktivitäten. Dann entwickelte er sich mehr zu einem wirt-schaftlichen Betrieb, der Bio, Mitverwaltung, hohe Eigenständigkeit und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten innehat, doch nicht mehr die besondere Idee der Gründerzeit verkörpert. Nicht die Idee des Projektes ist meine Basis, sondern mein Einkommen aus dieser Arbeit. In den letzten Jahren machte sich diese Entwicklung dadurch manifest, dass immer weniger MitarbeiterInnen auch Mitglied im Verein waren, so dass es dann klar war, das der Verein Vorstände bekam, die nicht mehr in der Arbeits- und Wohngemeinschaft lebten – und nicht die Verantwortung über den Wirtschaftsbetrieb (Unter-nehmer, Arbeitgeber,...) haben wollten. Sehr schnell wurde klar, das sich neue Strukturen ergeben müssen: die Trennung des Wirtschaftsbetriebes vom Verein war angesagt, damit die in Wasserburg Wirtschaftenden auch die Verantwortung für ihr Tun übernehmen müssen.

Konsequenzen – die letzen vier Jahre

Ein partizipativer Betrieb - Ade schöne Selbstverwaltung
Ab 2001 hatte ich das Haus gepachtet und mit (vorerst) zwei festen verantwortlichen MitarbeiterInnen den Betrieb geführt. Auch wenn wir den Betrieb weiterhin kollektiv führten war durch die gewählte Rechtsform (Einzelunternehmer mit Angestellten) die Selbstverwaltung nicht mehr das, was sie mal war. Das Ziel, dass diese Drei auch das wirtschaftliche Risiko tragen, also bei Gewinnen über deren Verwendung und bei Verlusten darüber, wie diese getragen werden können entscheiden, konnte nicht erreicht werden. Ein Teil der weiteren MitarbeiterInnen war zwar angestellt, trug aber dieses unternehmerische Risiko von vorneherein nicht mit oder ist auch gar nur auf Zeit angestellt. Und der dritte Teil hat den größten Abstand am Unternehmen; es sind Aushilfen ohne soziale Absiche-rung. Das sagt aber nichts darüber aus wie sehr sich die einzelnen mit dem Betrieb identifizierten und sich einbrachten. Grundsätzlich hatte jede/r ein Initiativrecht und konnte sich ins Geschehen einbringen. Diese Differenzierung wirkte sich in unter-schiedlichen Löhnen aus. Sie stellte aber auch ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Verantwortung und des Eigeninteresses der MitarbeiterInnen dar. Wir verstanden uns trotz allem hier am Bodensee als ein alternativer Betrieb, Pionier im Biorestaurantwesen, in der Energieversorgung (Solaranlage) und eben im gesamten Projektzusammenhang mit Zeitung, Kulturzentrum, Tagungsstätte usw.

Ein letzter Versuch
„Zurück zur Wohngemeinschaft, die alle MitarbeiterInnen umfasst wird es wohl keinen Weg mehr geben und zurück zur Selbstverwaltung aller führt wohl auch kein Weg mehr – aber dies bedeutet für uns, dieses Ergebnis des Prozesses nur als einen Schritt zu betrachten. Die Trennung von Verein und Betrieb ist ein greifbares und richtiges Ergebnis, doch die Weiterentwicklung des Projektes, des Betriebes ist ja noch nicht zuende. Mit neuen MitarbeiterInnen werden wir uns wieder auf die Suche nach wieder mehr kollektiven Strukturen machen und vielleicht gelingt es uns ja wieder, eine gemeinsame Vision zu gründen." (Dieter 2000)

Ich verkündete 2003, das mein letztes Jahr in der Gastronomie gekommen sei und setzte damit Energien frei, die den letzten Versuch in ein Gemeinschaftsprojekt zurückzukehren starteten, doch letztlich führte dies zu solchen Spannungen zwischen zwei Mitarbeitern, die zu einem ‚Du oder Ich’ führten, was mir letztlich zu entscheiden blieb. Ich, als scheidender Chef entschied und kehrte damit ein weiteres Jahr in die Gastronomie zurück. Doch der Wunsch war gehört worden und es fand sich eine Nachfolgerin von außen.

Der neue Eulenspiegel
2005 war es denn soweit: der alte Eulenspiegel existiert nicht mehr. Am 8.Januar 2005 schlossen wir die Pforten und fingen unter veränderten Mitwirkung sofort an den neuen Eulenspiegel zu bauen. Die neue Pächterin forderte einen professionellen Betrieb mit entsprechender Ausstattung und es wurden umfangreiche Umbaumaßnahmen und Investitionen getätigt. Drei Monate später eröffnete das neue Restaurant in der rechtlichen Konzeption einer Einzelfirma – mit Chefin und Angestellten. Der Verein bleibt der Eigentümer des Hauses und ist Betreiber der Kultur- und Begegnungsstätte und Förderer einzelner Initiativen für eine gerechtere Welt.

Warum gibt es nun den selbstverwalteten Betrieb bzw. das Gemeinschaftsprojekt nicht mehr?

Verlust der gemeinsamen Vision

Wie bereits oben angedeutet begann dieser Verlust durch den Tod des Gründers an Fahrt aufzunehmen, aber bereits zehn Jahre davon führten persönliche Entwicklungen zu Veränderungen in der Struktur des Projektes. Die Arbeit an sich selbst durch tägliche Meetings wurde einzelnen zuviel und in Folge verkürzt. Nach 1992 wurde die Zeit dafür immer kürzer und verlor dann ab 2001 gänzlich an Bedeutung. Damit war das Herz des Gemeinschaftsprojektes gebrochen und eine neue Vision konnte auf dieser Basis nicht mehr entstehen. Die spirituelle Offenheit des Projektes brachte hier eine Differenziertheit mit sich, die sich gegen eigene kollektive Bestimmtheit wehrte. Der Wunsch nach Gemeinschaft entwickelte sich ungleichzeitig mit der Fähigkeit von Toleranz und Achtung.

Äußere Bedingungen?
Gibt es das wirklich, dass äußere Bedingungen ein Scheitern mit sich bringen? Sicher, wir hatten eigentlich immer Schwierigkeiten genü-gend Geld zu verdienen. Anfängliches Einverständnis damit war gegeben bei großer Übereinstimmung mit der Vision, aber beim Verlust der Vision wurden materielle Bedingungen immer wichtiger und damit die materielle Versorgung und Sicherheit im Projekt schlechter und die Unzufriedenheit damit wuchs.

Persönliche Entwicklungen
Gastronomie als Branche wurde akzeptiert – ja gerade zu als wichtig angesehen, solange die Vision im Einklang war. Mit späteren Jahren war die Gastronomie ein Hemmschuh, denn sie beschränkte das berufliche Tun, eine Ausbildung, Weiterbildung und Berufe nach Fähigkeiten und Bedürfnissen wurden wichtiger. Hier konnte das Projekt diesen Wünschen nicht entgegenkommen. Sicher spielte dabei Geldmangel eine Rolle, aber auch die Unterschiedlichkeit in der Entwicklung der Einzelnen.

Strukturelle Fragen der Selbstverwaltung
Mit zunehmender Erfahrung und Alter der Beteiligten verloren die anfänglichen Wünsche nach Rotation, Arbeitsteilung, Gleichberechti-gung an Wichtigkeit. Vielmehr gewinnt die Individualität an Bedeutung und sucht ihren Weg in der Selbstverwaltung. Der Wunsch nach Leitung wuchs, die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten und Schwerpunkte trat in den Vordergrund, die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme sank.

Individualität und Gemeinschaft
Wie wir unschwer erkennen können, schließe ich, dass in unserem Projekt das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft aus dem Lot geriet. Unsere Gruppe war nicht in der Lage aus Gründen der Ausstattung und der Größe die Entwicklungen der Mitglieder mitzutragen und letztlich dazu führten, dass immer wieder Trennungen stattfanden, die letztlich die Vision schwächten.
Wie bereits Udo Herrmannstorfer sagt (im „Rundbrief Dreigliederung" Nr. 3/2001 „Delegation und kollegiale Führung, am Beispiel der Selbstverwaltung der Waldorfschule", alle Zitate) „steckt hinter allen Fragen der Selbstverwaltung ein grundsätzliches Problem von Gemeinschaften in der modernen Zeit. Wenn wir in die Vergangen-heit schauen, da sehen wir:: Früher dominierte Gemeinschaft – das ist eine allgemeine Erscheinung. Der Einzelne hat nichts zu sagen, die Gemeinschaften haben das Leben bestimmt. Und dann kommt in der Moderne die Mündigkeit herauf, der einzelne Mensch wird wach für sich selbst, bekommt ein eigenes Urteil, und jeder Mensch, der seine eigene Meinung, sein eigenes Urteil hat, richtet sich nicht mehr am Urteil anderer aus, sondern er ist sich seines eigenen Urteils mehr oder weniger gewiss. Mit diesem Auf-sich-selbst-Stellen stellt man sich im Grunde aus der Gemeinschaft heraus. Das tut der moderne Mensch immer wieder erneut. Der Standort der Individualität ist nicht in der Gemeinschaft, die Individualität steht auf sich selbst.
Was folgt daraus für das soziale Leben? Einerseits ist es das Ziel der Gemeinschaft gewesen, den Menschen bis zur Mündigkeit zu führen, aber wenn er mündig wird, kann er in der alten Gemeinschaftsform nicht bleiben, denn die hat ja gerade bestimmt, was die Individualität zu tun hat. Es wäre ein Widerspruch, zur Mündigkeit hinzuführen und wenn sie beansprucht wird, zu sagen: Tut uns leid, wir sind eine Gemeinschaft! Das geht nicht. Also muss sich eine Gemeinschaft umformen, kann im Zeitalter der Mündigkeit des Einzelnen nicht so bleiben, wie sie vorher gewesen ist."
Genau dies ist in unserem Projekt geschehen. Die Individuen wurden mündig und die Gemeinschaft hatte nicht die Chance sich zu ändern. Sie änderte sich schon, aber meist zu spät und nicht so, dass die vorangegangenen Entwicklungen einer Gemeinschaftsperspektive gedient hätten. Nicht das Plenum, Forum, die Gemeinschaftsseele (in unserem Projekt die gemeinsamen Frühstücke) wurden gestärkt, sondern diese immer weiter zurückgefahren. Das war ein Fehler! 
Denn dadurch nahmen wir uns die Möglichkeit an einer Stärkung und Entwicklung einer gemeinsamen Vision zu arbeiten. Denn die hätten wir gebraucht, um an Problemen und Aufgaben zu arbeiten, die sich zwischen Individuum und Gemeinschaft ergaben.

Ohne das alle gemeinsam an den Problemen und Entwicklungen arbeiteten, konnten keine Lösungen für die einzelnen und keine gemeinsame Vision mehr entstehen.

Dieter Koschek 

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Visionenwerkstatt
Initiative Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel

Es gab fünf Ideen zu Mehrgenerationenwohnen, Gemeinschaftsprojekte mit Selbstversorgung, Jugendprojekte und ähnlichen, zudem vier Seminarangebote. Das war eine schönes Ergebnis unserer Anzeige. Zudem meldeten sich ein paar Menschen, die auf der Suche nach Gemeinschaftsprojekten sind. Aber aus den Gesprächen mit allen - und einige waren ja auch hier in Wasserburg - ergab sich kurzfristig eine Woche vorher, dass nur eine Interessierte kommen würde. Deshalb verkürzten wir die Visionenwerkstatt auf den Nachmittag. Letztlich waren wir dann zu fünft: der engere Kreis und zwei Interessierte.
Da bereits aus den Vorgespräche klar war, dass es um keine grundlegende Umwälzung oder gar eine vollkommene Neugestaltung mehr gehen wird, engten wir das Thema für die Zukunft der Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel ein.
In einer lockeren Runde und guter Stimmung suchten wir Themen und Formen für die Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel. Wir fanden selbstverständlich viele: Biothemen, Lebensmittelmarkt in Wasserburg, Energiefragen, Heilung, Mutter Erde, „regelmäßiger Abend mit Ilse", Lesekreis Dreigliederung, AG Dreigliederung (Ideen auf den Boden bringen , Hausstruktur), Vorurteile abbauen, Rundgespräche und Seminare, Malen am See, Mantra-Tanzen–Meditation, Ausstellungen, Musik, Seminare der Ag Spak, der besondere Film, Beuys.
Wir sammelten Ziele: Bezüge zu Menschen vor Ort, Kooperieren mit Gruppen der Umgebung, Begegnungen organisieren, Dreigliederungsarbeit praktisch, Neubelebung und Erweiterung der Begegnungsstätte. Es herrschte Einigkeit darüber, dass die Anliegen verschieden sein werden. Grundsätzlich soll jedoch in der Begegnungsstätte Kunst, Kultur und Herz verbunden werden, kreative Prozesse und eine Politik mit Herz gefördert werden.
Die Anwesenden fühlten sich als tragende Gruppe und wollten den Prozess weiterführen. Inzwischen gab es zwei weitere Treffen und es fühlt sich gut an. Eine Initiative für die Kultur- und Begegnungsstätte vor Ort entsteht.

Mitgliederversammlung
Vorrangiges Thema der Mitgliederversammlung war, ob die finanzielle schwierige Situation gemeistert werden kann. Grundsätzlich sieht es so aus, als ob die Gaststätte sich tragen kann. Natürlich gibt es dabei keine Garantie, dass die Umsätze so werden wie geplant, aber der Plan basiert nun auf Erfahrungswerten. Trotzdem wird es noch mehrere Winter schwierig werden, da der November und der Februar aus gastronomischer Sicht schwierige Monate sind und im Winter sicher kein Gewinn gemacht wird, sondern die Pachtzahlungen auf den Sommer verschoben werden müssen. Deshalb brauchen wir noch finanzielle Unterstützung durch Kredite, um für den Winter das nötige Polster zu haben. Gerade zur Jahreswende werden Versicherungen, Zinsen, Strom- und Gasabrechnung fällig.

Rundgespräche
Der Plan, die Rundgespräche auf eines im Monat zu beschränken und dann mit Anton Kimpfler, Dieter Koschek und Karl-Heinz Dewitz gemeinsam durchzuführen, wird langsam umgesetzt. Im Oktober und November waren die Rundgespräch schon so etwas wie ein kontinuierlicher Freundeskreis, offen für jeden und jede.

Projektwerkstatt
Neben den ständigen Projekten (Eulenspiegel, AG SPAK, Arbeitslosenselbsthilfe Lindau, attac Lindau, bionetz, jedermensch) waren besonders zwei im Vordergrund: Neue Arbeit und Solidarische Wirtschaft.

Neue Arbeit
Unter diesem Namen propagiert Fridjoff Bergmann seit Jahren die Abkehr von der Erwerbsarbeit, die Förderung der Eigenarbeit und die Entwicklung von dem „Wirklichwirklichwollen". Dieter Koschek hat in Vorarlberg eine Arbeitsgruppe mit Mitarbeitern der Offenen Jugendarbeit geleitet, um zu Projektideen und deren Umsetzung in der Offenen Jugendarbeit zu kommen. Eine Projektskizze entstand, doch sind die Rahmenbedingungen eng und der Fokus steht auf Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, sodass wir weiterarbeiten müssen. Ein Seminar zeigte von großem Interesse, doch bleibt es offen, ob in Vorarlberg Strukturen entstehen werden, die diese Idee weiterverfolgen. Das Konzept ist mehr Bewusstseinsbildung und eine Neuorientierung zu neuen Formen von Tätigsein, die die Abhängigkeit von „Arbeit für andere" mindert. Es werden dadurch aber keine kurzfristigen Arbeitsplätze entstehen, denn neue Wege zu gehen erfordert auch Mut und Entschlossenheit.

Solidarische Ökonomie
Der Kongress in Berlin Ende November wurde ein großer Erfolg. Statt der erwarteten 500 Teilnehmer kamen über 1400 in die Technische Universität in Berlin. In über einhundert Veranstaltungen diskutierten die TeilnehmerInnen die verschiedensten Aspekte einer solidarischen Wirtschaft. Professor Rathenow von der TU sprach in seinem Grußwort von den Idealen der französischen Revolution und der Sozialen Dreigliederung. Workshops von Ulrich Rösch, Michael Wilhelmi u.a. beleuchteten die Aspekte der Sozialen Dreigliederung und Silvan Coiplet hatte einen Informationsstand aufgebaut.
Grundsätzlich war der Kongress eher politisch ausgerichtet mit Zielrichtung Politik, Staat und Gewerkschaften. Doch waren auch viele Projekte und Betriebe vertreten, die das praktische Tun in den Vordergrund stellten. International war es sehr spannend, von Projekten in Venezuela, Argentinien, Indien, Brasilien und Afrika zu hören und die zunehmende internationale Vernetzung zu verfolgen. In Brasilien gibt es zum Beispiel einen Staatssekretär für Solidarische Ökonomie. Die AG SPAK stand mit ihrer Arbeit im Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie und entsprechenden Veröffentlichen mehr für die konkreten Ansätze der letzten dreißig Jahren in Deutschland.
Die spürbare Aufbruchstimmung wird sicherlich zu einer Weiterarbeit führen. Eine Infoliste per Email, eine Website und ein Nachbereitungstreffen sind bereits vereinbart.
(Menschen ohne Internet können Informationen gerne bei Dieter Koschek in Wasserburg anfragen.)
dk

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„Lebensgemeinschaft – Kommune - Wärmefähre"

Bericht einer Tagung, veranstaltet vom Verein zur Förderung des Erweiterten Kunstbegriffs und der Sozialen Plastik e.V.

Durch die Tagung wurde der Blick auf vergangene Gemeinschaften zurück geschickt und dann versucht, Zukünftiges zu erkennen. Die Teilnehmenden der Tagung lobten den gelungenen Tagungsverlauf, der von Rainer Rappmann zusammengestellt wurde. Die Beiträge brachten Hilfestellung, um den eigenen Vorstellungen von gewünschten Lebensformen auf die Spur zu kommen, auch wenn diese Erfahrung insgesamt nicht für alle formuliert werden kann.
Die besonderen Ausprägungen der Gemeinschaft durch Einzelne traten besonders hervor. Es wurde die besondere Färbung, die erst entsteht, wenn zwei oder mehrere Menschen zusammenkommen und etwas miteinander beginnen, erlebbar. Die Motivationen zur Gemeinschaft waren in etwa gleich. Das wäre:
Den anderen erfahren, - Frieden in die Welt zu bringen, - Hilfen und Güter austauschen.
Die Auffassungen trafen auf die Überzeugung einer Reihe von Menschen. Sie entschlossen sich, die gemeinsamen Ideen umzusetzen in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Die gesetzten Ziele lagen insgeheim oder bewusst in globalen Größen. Das ist gemessen an dem, was je schon möglich war, ein sehr hohes, ja geradezu unerreichbares Ziel. Es gab auf der Erde schon immer sehr hoch entwickelte Kulturen. Solange jedoch Menschen geboren werden und sterben und sich der einzelne und die gesamte Menschheit fortentwickeln, wird es die endgültige Lebensform nicht für alle Menschen auf Erden geben. Jede Generation muss die Frage des Miteinanders und der Gemeinschaft neu stellen und für sich zu beantworten suchen, und so kann es sich wohl nur um ein Annähern an das Ideale handeln.
Die Gemeinschaft um Johannes Heimrath stellte sich den Schwierigkeiten des nicht Akzeptierens ihrer neuen Lebens- und Arbeitsform. Die starken Unterschiede waren entstanden durch die Vergangenheit – 2. Weltkrieg und Mauerbau. Die Gemeinschaft vermochte mit Liebe und Geduld und Tatkraft die Weichen umzulegen in ein gemeinsames Zukunftsgestalten.
Die Vogeler Gemeinschaft, geschildert von Berit Müller, haben in der Zeit des Kommunelebens aktiv die Nächstenliebe in Geben und Nehmen umgesetzt. Dabei haben sie die Grenzen der äußeren Machbarkeit kennen gelernt und sind daran gescheitert, als die Gemeinschaft zu sprunghaft wuchs.
Die Gemeinschaft, in der Ingrid Feustel mit Peter Schilinski lebte, hatte zum Ziel, einen Beitrag für den Frieden und die Liebe in die Welt zu bringen. Die Verbreitung einer Zeitschrift („Jedermann"/heute: „Jedermensch") durch Peter Schilinski sollte ganz konkret zur Verständigung untereinander und auch in der politischen Situation umsetzen. In den Arbeits- und Gesprächskreisen, namentlich „Rundgesprächen", kamen die Menschen in dem Versuch alles auszusprechen, was früher unter Ordnungsregeln nicht erlaubt war: Junge hatten Älteren nicht zu widersprechen u. a. m.
Die Otto Mühl Gemeinschaft, die Birgit Weidmann vorstellte, hat unbegrenzt die „körperliche Liebe" gelebt. Dabei lernten sie gründlich die Grenzen der tiefen Verbindung anderen gegenüber und zu sich selbst kennen.
Die gescheiterten Versuche schulen erst den Blick um das glückliche Umsetzen in der Zukunft zu ermöglichen. Für manche, die in die Zukunft gehen mit Zielrichtung eine Gemeinschaft mit Wohnen zu gründen, bleibt dennoch für sich selbst unklar, wie die Umsetzung angegangen werden kann. Aber ein Bild von seiner eigenen Vorstellung sich zu schaffen, ist ein unerlässlicher Zwischenschritt. Dabei befördert jeder sein Bild von Wünschen an sich selbst und die Gemeinschaft in sein Bewusstsein. Vieles wird einfach gewagt sein müssen. Schritt um Schritt kann nur im Tun entstehen. Dazu bedarf es einer Reihe mutiger, sich gut kennender und sich vertrauender Menschen.

Einen ausführlichen Bericht findet man auf der homepage des Vereins. www.fiu-verlag.com
Christine Hahn
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Bericht vom Treffen deutschsprachiger Tauschringe
Wangen/Allgäu 3.-5.November 2006

Nach dem zehnten Jahrestreffen der bundesdeutschen Tauschringszene, fand Anfang November 2006 erstmals der offiziell grenzüberschreitende Austausch mit Österreichern, Schweizern sowie Südtirolern statt, also alles was sich im deutschsprachigen Raum an Tauschringinitiativen bewegen konnte und wollte. Auch inhaltlich stellte dieses Treffen eine neue Qualität dar. Mit anwesend waren auch Initiativen aus verschiedenen Regionalwährung, was im Vorfeld zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen führte. Manche sahen in der Vermischung von Zeit und Geld orientierten Initiativen den Niedergang der Tauschringidee. Andererseits steht das Argument, dass, wenn es um die wirtschaftliche Belebung einer Region geht, dass dann sowohl Tauschringe als auch andere komplementäre, also ergänzende Währungsansätze hilfreich sein können. Sicher bedarf es eines größeren organisatorischen Geschicks, damit beide Ansätze sich nebeneinander produktiv entfalten können. Als demonstrative Modellregion für diesen Versuch bot sich die Initiative von fünf Kommunen aus dem Leiblachtal in Vorarlberg an. Statt isolierte Randregion zu bleiben, wagen sie den Sprung über den Grenzfluss und fördern Handel und Wandel mit allen Instrumenten der Komplementärwährung.
Die angebotene Themenvielfalt des Kongresses reichte von den organisatorischen Klassikern, Werbung, Qualitätssicherung, Buchhaltung, EDV, Recht, auch für Stellen schaffen, Gewerbe, Kooperationen mit Wohlfahrtsträgern, regionale Vernetzung und Verrechnung. Daneben standen auch bundesweite Unterstützung, lokale Agenda, Bürgergeld, Sterntaler und CENT, die ökologische Kreislaufwährung und der Barterhandel zur Auswahl.

Da der Tagungsort, die Waldorfschule in Wangen/Allgäu, zur Euro-freien Zone erklärt wurde, konnte ein Währungsmangel durch den Erwerb von Allgäu-Talern gegen Geld oder Zeit leicht abgewendet werden. Weit schwerer fiel es wohl vielen Tagungsgästen, die fleischfreie Zone durch das Angebot von Tofu zu akzeptieren, selbst als die Küche diesen Fleischersatz in Herzchenform servierte.

Am Freitag stellten sich über 20 Themen- und Arbeitsgruppen vor. Die weiteren Diskussionen und ausführliche Präsentationen fanden in kleineren Gruppen statt.

Im Abendvortrag berichtete Jon Roger vom Wales Institute for Community Currencies, vom Einsatz komplementärer Währungen bei der Versorgung von alten Menschen in seiner Heimat. Auch die japanische Pflegewährung „Hureai Kippu" tauchte auf. Er schloss mit dem Satz: "Wir haben was wir brauchen, wenn wir gebrauchen was wir haben ".
Der Samstag stand im Zeichen eines breiten Angebots offener Themen. Die Methode des Open-Space, des offenen Raumes, ermöglichte es jedermann, jedefrau also jedermensch, Themen einzubringen und Interessenten um sich zu scharen. Da die Türen zu allen Gruppenräumen offen blieben, stand bei Bedarf, einem Wechsel zu einer anderen Gruppe nichts im Wege. Die teilweise kontroversen Ergebnisse der Arbeitsgruppen fanden ihren Niederschlag in Protokollen und Wandzeitungen. Sämtliches Material wurde dokumentiert und wird im Internet abrufbar sein unter www.Tauschring.Info. Der mobilen Mikrophontechnik aber vor allem dem einfühlsamen Geschick der Moderatoren war es zu verdanken, dass viele einzelne zu Wort kamen und so ein Stimmungsbild von nahezu 200 Personen transparent wurde. Antworten auf polarisierende Fragen konnte man im wahrsten Sinne laufend erzeugen. Zwei Punkte im großen Raum markierten die unterschiedlichen Antworten und jede-r konnte sich zu dem Ort begeben, der der eigenen Meinung am ehesten entsprach. So stellte sich unter anderem heraus, dass nur wenige der anwesenden Gruppen kleine Tauschring haben wollen. Das Interesse an Geld- oder Zeitorientierung der Tauschwährung verteilte sich nahezu symmetrisch, wobei ein starkes Mittelfeld offensichtlich auch Mischformen, sprich das „sowohl als auch" bevorzugte.

So ein Treffen lebt von der Attraktivität des offiziellen Programms, aber auch von den informellen Kontakten die sich mit interessanten Menschen ergeben, sei es bei den Quartiergebern, sei es in den Pausen.

Gegen Ende, nach dem Dank an die Organisatoren, kam das Angebot aus Kassel, das nächste Treffen zu organisieren mit dem Hinweis dass jede Region einen Teil der Vorbereitungen übernehmen sollte. Sogar für das übernächste Treffen kam ein Angebot. Rainer Vieregg lud ein nach Tollensen, (www.tollensen.de) in Brandenburg Dort entsteht ein dörfliches Wohnprojekt, in dem Tauschring- und Regionalwährungsinitiativen miteinander eine neue Gemeinschaft entwickeln. Möglicherweise wird dieses Treffen länger als nur ein Wochenende angeboten werden.
Fazit:
Es tut sich allerhand in Tauschland. Man glaubt gar nicht, wie viel interessante Menschen rumlaufen. Man muss nur mit ihnen reden.
Heinrich Haußmann

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Biologisch-dynamische Landwirtschaft

Richtig ist dass die Wühlarbeit von Würmern, Insekten, und Umsetzung durch kleine Bodenlebewesen eine wichtige Rolle spielen und sie zu schützen und fördern sind. Auch der Wahrheit entsprechend ist die Behauptung das Pflügen behandele den Boden nicht unbedingt schonend. Der Pflug ist in der Tat ein Arbeitsgerät dessen Auswirkungen weder unbesprochen, noch das als das Bodenbearbeitungsgerät schlechthin betrachtet werden sollte. Ein gepflügter Acker sieht zwar schön und sauber aus, doch halten diese großen Erdschollen einige andere Aspekte unter sich verborgen, im buchstäblichen Sinne oder auch nicht. Gezielte Unkrautbekämpfung findet zwar statt, Kraftstoffverbrauch, Erosionsschutz, Humusabbau und Bodenleben aber, sind drei Beispiele von Kriterien die außen vor gelassen werden.

Bodenverdichtung ist ebenfalls ein Problem mit dem viele Landwirte zu kämpfen haben und schwere Maschinen sind in der Tat schuld. Jedoch pauschal zu behaupten in ökologisch wirtschaftenden Betrieben werde weder gepflügt, noch seien schwere Maschinen im Einsatz, ist schlichtweg falsch und fördert deshalb nur das ideal märchenhafte Bild der Bio-Landwirtschaft welches uns keineswegs weiterbringt und wo wir uns schließlich in die eigene Tasche lügen. Wer zunächst eine solche Landwirtschaft mit dieser idealen Vorstellung meint kennen zu lernen und später dann die Tatsachen erfährt, ist enttäuscht und tendiert dann schon mal zu erneutem Willkür bezüglich seiner Ideologie.

Nee, der gesündere Boden und die damit verbundene bessere Aufnahmekapazität des Wassers, haben noch mehr Gründe. Ein paar von ihnen, plus die zunächst im Artikel aufgeführten Argumente etwas ergänzt, sollen hier kurz behandelt werden.

Das Pflügen ist auf den Höfen des ökologischen Landbaus zwar in der Regel ein aktuelles, reizbares und reizvolles Thema, viele dieser Betriebe jedoch haben einen Pflug stehen und er kommt immer wieder zum Einsatz. Entweder aus der Not heraus (Unkrautdruck oder große Restbestände vorheriger Kulturen), oder aus Überzeugung des Bauern das Pflügen stelle auf seinen Flächen die richtige Methode dar. Vor allem Gärtnereien mit ihrem intensiven Anbau verzichten oft ungern auf das traditionsreiche Gerät. Durch diese Thematisierung kann aber schon einiges in Bewegung gebracht werden: Bioverbände regen an so flach wie möglich zu pflügen (nur 15 cm tief anstatt der üblichen 30 cm, weil bei letzterer schon oft mehr als nur der Oberboden gewendet wird) oder alternative Pflugverfahren oder Geräte zu testen. So gibt es zum Beispiel den Zweischichtenpflug, zwei Funktionen an einem Gerät, der flach pflügt und tief lockert ohne zu wenden. So kommt Luft in die tiefere Schicht der Erdkrume ohne dass Oberboden und organisches Material dorthin gelangt.

Über schwere Geräte kann man folgendes sagen: es gibt weniger schwere Geräte bei den Bios (ab wann auch immer dieses „schwer" als schwer zu betrachten sei), aber es gibt sie durchaus. Ein Biobauer mag zwar beim Kauf eines Schleppers oder eines Gerätes mehr auf das Gewicht achten als sein konventioneller Kollege, andererseits wird das Dreschen, Mähen oder eben Pflügen immer wieder von einem Lohnunternehmer gemacht. Und die haben in der Regel große und schwere Maschinen.

Ein grundlegender Unterschied zwischen den Biohöfen einerseits und den herkömmlichen Betrieben andererseits, ist oft die Struktur. Obwohl es in Brandenburg riesengroße Biohöfe gibt mit 250 ha und mehr, sind konventionelle Höfe in der Regel größer und allzu oft tendieren sie zur monotonen Landwirtschaft. Reine Milchviehfarms oder pure Ackerlandschaften sind keine Ausnahmen. Dass Monotonie auf die Dauer nichts Gutes mit sich bringt bedarf hier keiner Erklärung. Arbeitsdruck und niedrigere konventionelle Erzeugerpreise lassen einen fast nur Zeit für die reine Arbeit und „Nebensachen" bleiben auf der Strecke. Gerade bei diesen so genannten zweitrangigen Sachen fängt der Naturschutz und letzten Endes die langfristige Erhaltung des Hofes mit all seinen Komponenten an. Als Beispiel sei erwähnt dass bei kleineren landwirtschaftlich genutzten Flächen öfter Hecken, Wald oder Bäche vorhanden sind die die Chance auf Erosion und Überschwemmungen verringern oder ihren Umfang nicht so groß werden lassen.

Auf ökologisch wirtschaftenden Betrieben ist eine reichhaltige, mehrjährige Fruchtfolge Standard. Dem Boden wird sozusagen ein abwechslungsreiches Menü angeboten. Tief- und flachwurzler, Stark- und schwachzehrer im Wechsel. Ein wichtiger Bestandteil dieser Fruchtfolge ist der Anbau von Kleegras- oder Luzernegrasgemengen. Diese beiden Stickstoffsammler (Leguminosen, holen sich den Stickstoff aus der Luft und lagern ihn in den Knöllchenbakterien an den Wurzeln und bringen so ein Hauptnährelement in den Boden), wurzeln tief, die Luzerne bei mehrjährigem Anbau sogar mehr als zwei Meter. Diese Gemenge kommen dem Luftanteil und der Menge an organischer Substanz im Boden zugute. Dies führt zu gute Bedingungen für die „Arbeit" von z.B. Regenwürmern (vgl. aus dem Artikel den Begriff „Bioporen"). Zudem wächst diese Kombination aus Klee(Luzerne auf trockenen Standorten) und ausgewählten Gräsern flächendeckend – der Weißklee wird auch Lückenfüller genannt – und halten so die Beikräuter in Schach. Ferner bedeutet diese Anbauform, vor allem beim Zwei- oder mehrjährigem Anbau eine Art Pause für den Boden weil während dieser Zeit keine Bodenbearbeitung durchgeführt wird. Lediglich der Tritt und das Befahren des Schleppers während des Mähens für Heu- oder Frischfutterwerbung finden statt. Ein guter Kleegrasbestand kann diese seltene Last gut ab weil er durch dichtes Wachstum eine bestimmte Tragfähigkeit besitzt; der Druck für den Boden bleibt also relativ gering.

Als wichtiger Faktor für einen gesunden lebendigen Boden sind die biologisch-dynamischen Präparate zu nennen. Das Hornmistpräparat, als verdünntes Spritzgut direkt auf dem Acker ausgebracht, sorgt, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Kohlenstoff, für gutes vegetatives Wachstum, und eben für starkes Wurzelwachstum und gute Bodenstruktur. Die Kompostpräparate (Schafgarbe, Kamille, Brennnessel, Eichenrinde, Löwenzahn und Baldrian), dem rottenden Mist auf der Mistplatte dazu gegeben, lassen den Rotteprozess besser voranschreiten, er wird schneller und mehr dem Boden ähnlich, was das Bodenleben, nachdem der Mist ausgefahren wurde, sehr erfreut. Außerdem gelangt durch diese Präparate geistige Information in dem Boden die hilft die Lebensprozesse im Boden positiv zu beeinflussen. Der gut verrottete Mist gibt den Pflanzen ein Bild, eine gute Verdauung vor, was ihrem Wachstum zugute kommt.

Der Verzicht auf mineralischen Dünger in Biobetrieben ist ein direkter Anlass zur Anregung des Bodenlebens, denn diese synthetischen Materialien (bei deren Herstellung übrigens viel CO2 in die Luft geht), werden schon in der pflanzenverfügbaren Form auf den Acker gebracht. Beim organischen Dünger, wie dem Mist ist dies eben nicht der Fall. Pflanzenverfügbar (=Mineralisierung) machen ihn die vielen kleinen Bodenlebewesen, die in Böden auf die nur mineralischer Dünger hinkommt nicht gebraucht werden, ja, es werden ihnen sogar die Bedingungen zur Vermehrung weggenommen. Bioporen: nicht oder kaum vorhanden.

Pflanzenschutz wird in der Regel mechanisch mit Maschine oder Hand (z.B. Hacken was wiederum eine Anregung der Krume bedeutet) oder vorbeugend (z.B. Kleegrasanbau) durchgeführt. Bodentiere werden so gut wie es geht geschont.

Durch künstlerisches Bekämpfen von Pilzkrankheiten, können die konventionellen Bauern ihr Getreide dichter säen. Es sind aber nicht diese Pflanzen, die zudem züchterisch gedrungen bleiben, die sehr dicht aneinander stehen, die für voluminöses (Wurzel)wachstum sorgen. Sondern das tun jene die durch das Hacken („Kratzen" an der Pflanze), in ihrem Jungstadium zu extra Bestockung angeregt wurden, genügend Platz haben und hoch hinaus wachsen dürfen, wie z.B. der Roggen der über zwei Meter wird. Bei solchen Pflanzen steht das Verhältnis nach Gewicht Wurzelmasse zu Strohmasse 1:1. Über so viel „Zeugs" im Boden würden die Teilnehmer des Regenwurmkongresses sich nur freuen können. (siehe dem Artikel in derselben Ausgabe des „Jedermensch").

Zum Schluss dieser einiger Beispiele dient erwähnt zu werden: Die Landwirtschaft ist ein lebendiger Organismus und als Mensch kann man lernen wie man ihn pflegen und verstehen lernt. Da sind viele Persönlichkeiten an der Arbeit die eigene Ansichten haben und die sie auch haben sollen. Deshalb muss man bei Vergleichen der beiden Hauptrichtungen unserer heutigen Landwirtschaft immer „in der Regel" dazu denken. Es gibt herkömmliche Bauern die trotzdem versuchen den Giftschrank nur im äußersten Notfall öffnen; genauso gibt es Höfe die offiziell Bio sind und auf denen tief gepflügt wird aus welchem Grund auch immer. Einen reinen schwarz-weiß Unterschied machen zu wollen, wie es meiner Meinung nach im Artikel „Überschwemmungen verhindern" versucht wird, hat keinen Sinn. Dies führt zu Frontbildung was den Dialog zwischen den beiden „Parteien" nicht fruchtbar werden lässt. Die Vorstellung auf Biohöfen herrsche nur die Idylle ist eine Folge unvollständiger und einseitiger Berichterstattung (an der auch Leute aus der Bioszene Schuld sind).

Deshalb wollte ich gerne warnen Artikel dieser Art allzu oft zu publizieren, in einer solchen Zeitschrift dessen Ziel es unter anderem ist eine alternative Art der Berichterstattung aufrecht zu erhalten.

Für Reaktionen jeglicher Art bin ich jederzeit dankbar
MICHAIL SOBADJIEW ENTRUP 119 48341 ALTENBERGE

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Zum spirituellen Aspekt der Arbeitslosigkeit

Als die europäischen Eindringlinge und Siedler den Oglalla-Sioux gegenüberstanden, von denen sie verlangten, daß sie nach europäischem Modell "arbeiten" sollen, antwortete ihnen deren Häuptling Crazy Horse: "Der Große Geist hat uns nicht erschaffen, damit wir arbeiten, sondern damit wir von der Jagd leben. Ihr Weißen könnt ja arbeiten, wenn ihr wollt." Damit meinte er das traditionelle Leben der "Jäger und Sammler", wie es später von europäischen Kulturhistorikern genannt wurde. Dabei kannten die Indianer durchaus verarbeitendes Handwerk, z.B. in Töpferei, Hausbau und Weberei. Heute importieren westliche Firmen indianische Stoffe und lassen sich von deren Mustern und Farben inspirieren, während die Seele des "Weißen Mannes" leer geworden ist.

Wie wenig der weiße Zivilisierte noch zu ganzheitlichem Denken und historischem Gewissen in der Lage ist, sieht man auch am Beispiel der "Pilgrim Fathers", die 1620 mit der "Mayflower" nach Neuengland übersetzten. Den harten Winter überlebte etwa nur die Hälfte von ihnen, und die übrigen verdankten ihr Überleben der Fürsorge der Pawtuxet-Indianer, die ihnen Fallenstellen, Jagd und Feldbau beibrachten. Der amerikanische "Thanksgiving Day" geht auf die Ernte des folgenden Jahres zurück und müßte also eigentlich den Indianern gewidmet sein. Als Dank verstarb vielmehr der Pawtuxet-Führer an der von den Weißen eingeschleppten Pockenkrankheit. Zugleich bezeugt diese Geschichte, daß die amerikanischen Ureinwohner sehr wohl eine Form der Feld-Arbeit kannten, und zwar eine solche, die nicht nur zum Überleben genügte, sondern darüber hinaus auch noch zur Fremdversorgung.

Die Engländer fanden in der Prärie, aus der später die Intensivlandwirtschaft des "Corn Belt" wurde, bis zu einem halben Meter tiefe Humusschichten vor und fielen wie Hyänen darüber her. Derart fruchtbare Böden waren in Europa unbekannt. Damit setzte symptomatisch ein Arbeitsprinzip ein, was später als "Ausbeutung" das Vorgehen insbesondere der modernen westlichen Industrienationen charakterisierte. Monokulturen und technisierte Landwirtschaft führten in der Folge zwar zu kurzfristigen Rekordernten und damit indirekt zu Bevölkerungswachstum, jedoch auf Kosten von Zukunft und "Nachhaltigkeit", wie es heute heißt. Das beschränkte, funktionell und nutzorientiert ausgerichtete Denken des materialistischen Europäers bringt in der Folge vielfache Störungen und Ungleichgewichte hervor, auch auf anderen Gebieten. Das indianische Bewußtsein war dagegen auf langfristige Nachhaltigkeit und Kulturpflege bedacht, Entscheidungen wurden etwa in ihren Folgen für die nächsten sieben Generationen übersonnen nach dem Prinzip: "Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen." – Der europäische Besatzer führte dagegen mit der Arbeit zugleich die Arbeitslosigkeit, d.h. Rücksichtslosigkeit gegenüber seinen Mitmenschen ein. Rücksichtslosigkeit ist ohnehin ein zentraler Schwerpunkt seines Vorgehens – die Geschichte etwa der Conquista ist voll von Beispielen grausamster Exzesse den meist staunenden und freundlichen Ureinwohnern gegenüber. Daß diese zunehmend den Eindruck bekamen, daß Dämonen an ihren Küsten gelandet wären, darf nicht Wunder nehmen.

Das Paradoxon, Arbeit und Arbeitslosigkeit gleichzeitig einzuführen, rührt von der einseitigen, nicht vollmenschlichen, sondern intellektuellen Auffassung des Arbeitsbegriffs. Nur so kann es zu einer gezielten, eingeschränkten, reduktionistischen Betrachtung einzelner Arbeitsvorgänge, und zur Heraustrennung dieser aus dem Gesamtzusammenhang. Ein zerfallendes, zerstückeltes Denken kommt hier zum Zuge, welches einzelne Elemente unter Vernachlässigung anderer herausschneidet und hervorhebt: das Urprinzip technischen Denkens. Man könnte es ein "Binnendenken" nennen, welche bestimmte Eigenschaften unter Ausblendung der gesamten Umwelt hervorhebt. Auch hierbei kommt das Prinzip der Ignoranz zum Zuge, welches zugleich in das funktionalistische Prinzip der Spezialisierung hineinführt. Der Übergang des mittelalterlich handwerkenden Menschen zum spezialisierten Industriearbeiter ist konstitutionell-grundsätzlicher Art und nicht bloß epochal oder etwa als linearer "Fortschritt" zu sehen. Bemerkenswert dabei ist, wie der Urgedanke der Automation, die "Arbeitsvereinfachung", dabei nicht dem Wille zur Arbeit entspringt, sondern vielmehr dem Bedürfnis, sich von ihr zu distanzieren. "Vereinfachungen" begleiten etwa die Entwicklung des Pfluges zum Wendepflug bis zum automatischen Pflug, der von Motoren und Seilzügen am Feldrand vorangetrieben wird. Der Mensch wird vom Arbeitenden zum Aufseher der Arbeit, die ursprüngliche Funktion der Sklaven wird von Maschinensklaven übernommen. Zugleich wird mit der Mechanisierung von Arbeitsvorgängen das Augenmerk nur auf den mechanischen Teil der Arbeit gelenkt. Die "Rationalisierung" spart die Seele und die individuelle Beteiligung aus den Arbeitsprozessen aus – es kommt nicht mehr darauf an, wer das Produkt hergestellt hat, sondern es geht um die Produktion "an sich", also einen Vorgang, der vom Menschen absieht. Es nimmt kein Wunder, wenn am Ende dieses Prozesses der Mensch also auch überflüssig ist.

Eine der ungenießbaren Früchte des abstrakten Zweckdenkens ist der Monokulturanbau. Mit ihm gehen Überproduktion und zugleich Bödenauszehrung einher, Anzeichen dafür, daß der Mensch das rechte Maß verloren hat. Überproduktion ist Kennzeichen dafür, daß innerhalb des arbeitsteiligen Prinzips der Überblick verloren wurde: Es wurde mehr produziert, als Bedarf da war – auch dies ist ein Zeichen der Ignoranz. Maisanbau in Amerika gab es seit Jahrhunderten – erst mit der europäischen Kolonisation wurde es jedoch zum Problem. In der Unfähigkeit oder dem Unwillen, bedarfsgerecht zu wirtschaften zeigt sich die Maßlosigkeit der Gier, Gier nach Reichtum, Erfolg, unbegrenztem Profit als eigentlicher undisziplinierter Antrieb. Die Überproduktion hatte Preisverfall zur Folge – das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumption war gestört. Lediglich die Gier nach Profitsteigerung war es, keine vollmenschliche Notwendigkeit, die die Automation zuungunsten der Arbeitskräfte vorantrieb. Der anfängliche Arbeitskräftebedarf der monokulturellen Plantagen wurde zunächst durch Import afrikanische Sklaven, die wie jegliche andere Handelsware gekauft und verkauft wurden, gedeckt. Mit Erfindung und Anwendung der Baumwollpflückmaschine z.B wurde ein Großteil der Arbeitskräfte wieder freigesetzt – Entwurzelung und Verstoßen ist die Signatur dieser Form von "Kulturtätigkeit". Die Profitgier schuf zudem neue Formen der "Arbeit": die ideengetriebene Akkordarbeit. Diese ist ein Indiz dafür, daß die Arbeit an sich aus dem Gesamtzusammenhang entfremdet wurde – sie ist weder Arbeit mit und an der Natur, noch Arbeit für den Menschen.

Der Arbeiter, der nach dem Adam Smith’schen System der Produktionsaufteilung nur noch wenige spezialisierte Handgriffe in einem vielfältigen, gegliederten Arbeitsprozess ausführen darf, ist konsequenterweise auch bald durch eine Maschine ersetzbar. Diese ist dann nur noch Beleg dafür, daß nicht mehr menschliche Arbeit hier am Werke ist, sondern nur noch deren letzter und niederster, abstrakter Anteil: der rein mechanische Bewegungsablauf.

Die Definition der Arbeit als materiell-mechanischer Vorgang, wie er sich auch in der physikalischen Formel (Kraft mal Weg) niederschlug, geht parallel zur aufklärerischen, materiell-reduktionistischen Selbstdefinition des Menschen, die in Julien Offroy de LaMettrie’s "l’homme machine" gipfelt. Zu seinen Lebzeiten (1709-51) findet in England der Siegeszug der "Spinning Jenny" und der Dampfmaschine statt. Weniger eine folgerichtige Entwicklung scheint sich hier abzuspielen als vielmehr der Ausbruch eines Dschinns, eines Flaschen-Zeitgeistes, der sich in mehreren Ländern und Nationen unabhängig voneinander Geltung verschafft. Arbeit wird damit von einem Weg, einem Tao selbstgenügsamer und sinnstiftender Werktätigkeit zu einem bloßen Mittel, zu einem handhabbaren, käuflichen und verkaufbaren Objekt einer über sie herrschenden und sie instrumentierenden Idee: der des Gewinns, des abstrakten, aus ihr zu schlagenden "Mehrwerts". Dieser Dämon des Profits reitet fortan alle möglichen ihm verfallenden Unternehmer, stiftet sie zu stets größeren Grausamkeiten und Rücksichtslosigkeiten an, bis die von ihnen geschundenen und verschlissenen Arbeitssklaven zusammenbrechen oder sich zu Protestbewegungen zusammenrotten.

Verschleiß wird neben der Ignoranz das zweite große Kennzeichen des neuzeitlichen Arbeitsstiles, welcher viel mit einer Dämonenbeschwörung gemein hat. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschen und Tieren, gegenüber der Kreatur an sich, wirkt sich folgerichtig als Verschleiß aus. Weder Gesundheit, Leistungsfähigkeit noch Person oder Individualität werden vom peitschenschwingenden Dämon der Arbeit beachtet. Bald stellt sich eine Massenkonformität in nie gekanntem Ausmaß ein. Mit der Unterwerfung des Einzelnen unter den industriellen Prozeß beginnt zugleich seine Entindividualisierung, sein persönlicher Passionsweg in die Anonymität der Moderne hinein. Die mechanischen Zwänge und Handlungsvorschriften, denen er unterworfen wird, tragen zu seiner Entseelung bei, die verhärmten und grauen Gesichter der Arbeiter und Arbeiterinnen passen zu ihrer grauen Einheits-Arbeitskleidung, aus der alle Farbe gewichen ist. Das Arbeitslied verstummt, und statt seiner ertönt die Betriebssirene, erschallt das Klappern und Fauchen von Mechanismen und Energieerzeugern.

Der menschliche Arbeitsprozeß wird zum Hilfsprozeß, zum Handlanger- und Zuträgerprozeß an halbfertigen Maschinen, die in der Folge immer mehr perfektioniert werden. Aus Kaufmanns- und Handelsgewinnen abgeschöpfte Kapitalien werden zu Stiftern im Maschinenbau – Henry Ford verdankte seine Produktionsmöglichkeiten solchen Investitionen eines "Business Angels". Groteskerweise wird "Fleiß" (industria) genannt, was im Grunde strategische Faulheit ist: Denn der Mensch wird stufenweise aus dem Arbeitsprozeß verbannt, zieht sich aus ihm zurück. Am Ende stehen vollautomatische Produktionsprozesse und – der arbeitslose Mensch.

Man mag sich fragen, was an dieser neuen Gleichung nicht stimmt, auf deren einer Seite produzierende Automaten stehen, mit freiem Zugriff auf die Reserven der Erde – und auf der anderen Seite der in Reservate zurückgedrängte Mensch, dem der Zugriff auf den Arbeitsprozeß verwehrt ist. Untersucht man die Qualitäten dieser Kontrahenten, so wird festzustellen sein, daß Seele und Geist beim Menschen verblieben sind, während der mechanische Arbeitsprozeß, vom Menschen abgespalten, ein Eigenleben führt. Indem der Mensch seine seelischen und geistigen Qualitäten aus dem Arbeitsprozeß herausdefiniert hat, ist er Urheber und Opfer zugleich dieses grotesken Vorganges geworden. Er hat "Hand und Fuß" verloren, indem er Hände und Füße in Automation und Verkehr verselbständigt hat, indem er sich dem Trug hingab, es sei besser und weniger mühevoll, wenn er sich ihrer entledige. In kleinen Reservaten und Terrarien darf er nun noch manuellen Hobbies, darf er körperertüchtigendem "Walking" frönen. Sie gleichen jedoch psychiatrischen Zellen mit "Beschäftigungsmöglichkeiten" oder Gefängnishöfen mit begrenztem Auslauf, in denen er den Kontakt zur freien Welt und deren Wirklichkeit verloren hat.

Arbeitslosigkeit ist demnach keine Frage der Quantität, sondern vielmehr eine der Qualität. Die Schiefheit der Gleichung wird deutlicher, wenn man die "Produkte" betrachtet, welche die nur scheinbar "fleißige" Industrie hervorgebracht hat: An die Stelle von Unikaten und individuellen Erzeugnissen von Manufakturen, die noch durch persönliche Hände gingen, trat das industrielle Massenprodukt, Spiegelbild des rücksichtslosen, unpersönlichen und einfältigen Geistes, aus dem es entstand. Zugleich schwand das Lokalkolorit von Erzeugnissen und machte der nivellierten Schablonenproduktion ohne regionalen Bezug Platz. Die regionale Vielfalt und Individualität verschwand in der Industrienorm. Der Massenartikel gewinnt dabei einen Charakter, wie man ihn sonst nur von uniformierten Heeren kennt, und kommt ihm verdächtig nahe.

Des Rätsels Lösung liegt darin, daß Mittel – wie sie Maschinen sind – auch wieder nur Mittel hervorzubringen imstande sind, jedoch keine Kulturprodukte. Eine raffinierte Verkaufsstrategie zog dem nach, indem sie kurzerhand fortan jedes Ding nur noch als "nützlich", als "zweckdienlich", eben als Mittel erklärte. Es war dies ein Taschenspielertrick, um Dinge, die nichts mehr als nützlich sein konnten, in einem Umfeld anzupreisen, das weiß Gott noch mehr Gesichtspunkte als bloß den der Nützlichkeit aufzuweisen hatte. Es ist dies der zweite Sündenfall der Menschen, daß sie auf dieses Verführungsgesäusel hereingefallen sind, neben dem ersten, Arbeit für mechanisch definierbar zu halten.

Gewiß kann Arbeit einen mechanischen Anteil beherbergen, zumindest ab dem Zeitpunkt, ab dem der Mensch ein Knochensystem sein eigen nennt. Der reduktionistische Sündenfall besteht darin, diesen mechanischen Anteil für das Ganze zu halten – ganz im Sinne der vordergründigen Plumpheit des neuzeitlichen Mechanik-Fanatismus. Sollte der Mensch bei dieser Definition bleiben, so bestünde allerdings kein Unterschied zwischen seiner eigenen Arbeit und der einer Maschine, er dürfte sich dann nicht beklagen. In dreistufigem Prozeß würde ihn die Maschine durch Mechanik, Energie und Intelligenz ersetzen, den drei Phasen der "industriellen Revolution". Die Maschine stellt also gleichsam an ihn die Frage, ob er noch mehr zu bieten hat. Verneint er sie, so hat er damit sein eigenes Urteil über sich verhängt, den Stab über sich gebrochen. Sollte er jedoch auf die Idee kommen, daß noch andere Fähigkeiten in ihm schlummern, so könnte er damit einen kulturellen Weg einschlagen, auf dem ihm die Maschine als Begleiter, nicht als Ersatz zur Seite steht. Die Frage stellt sich also an die Selbstdefinition des Menschen. 
Andreas Pahl, August 2006
 

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