jedermensch
 

Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen und Umweltfragen

Sommer 2004 - Nr. 631

Inhalt

Europäische Geburtswehen
Europawahlen und die europäische Verfassung lassen Dieter Koschek darüber nachdenken, wie ein Europa von unten gestaltet werden könnte.


Ein offenes und gegliedertes Ganzes
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen


Direkte Demokratie in Deutschland
Hinweise zum bundesdeutschen volksentscheid und zu Hamburg
von Thomas Mayer


Internationales Tribunal der Völker über die Aggression gegen den Irak
Mitmachen un die Initiative für ein internationales Irak-Tribunal unterstützen.


Krieg mit dem eigenen Minister
Paul O'Neill liegt mit George W. Bush quer.
von Jürgen Kaminski


Grundeinkommen in Brasilien
Der Brasilianische Präsident Luis Inacio Lula da Silva hat im Jänner ein Gesetz über die Einführung eines Grundeinkommens verlautbart. Dieses verspricht allen   BrasilianerInnen (ohne jeden Unterschied) und AusländerInnen, die seit mehr als   fünf Jahren im Land leben, eine staatliche Leistung, mit der ihre   Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Erziehung und Gesundheit abgedeckt werden   sollen.

Grundeinkommen in Deuschland
Ankündigung der Gründung des netzwerk Grundeinkommen in Deutschland


Das Unterdrücktsein üerwinden
Vom 6. bis 12. Oktober 2003 hat in der chilenischen Küstenstadt Lota in der Nähe von Concepción der Kongress „Für eine strategische Einheit des Mapuche-Volkes" stattgefunden. 330 Mapuche-Delegierte aus ganz Chile haben an dieser Versammlung teilgenommen, um sich in einer einmaligen historischen Begegnung eine neue Struktur und eine eigene Vertretung zu geben. Rund 46 Prozent davon waren Frauen.
Von Claudia Schmidt u.a.


Bundesweite Auszeichnung für die Kampagne „Made by Kinderhand – München gegen ausbeuterische Kinderarbeit"
Das Nord Süd Forum München als Träger der Ka-pagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit bekam in einer feierlichen Zeremonie am 5.5.04 in Berlin von Staatssekretärin Dr. Uschi Eid eine von fünf Sieger-urkunden überreicht. Die Laudatio auf die Auszeich-nung der Münchner Kampagne hielt der neue peruanische Botschafter.


Weltweite Anerkennung
Am 11. Dezember 2003 wurde in Stockholm der „Right Livelihood Award", der alternative Nobelpreis, verliehen, neben anderen auch an zwei anthroposophisch orientierte Männer: Ibrahim Abouleish von der ägyptischen „Sekem"-Initiative und Nicanor Perlas von den Philippinen, einem Aktivisten in der Zivilgesellschaft.
Von Barbara Wagner


Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel
Die Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel hebt sich von den Kulturzentren in der Umgebung ab, vor allem durch seine Kleinheit und durch seine Einbettung in einen sozialen Prozess, der vor dreißig Jahren als Arbeits- und Lebensgemeinschaft zur Förderung der sozialen Dreigliederung begann. Durch die Arbeit von Peter Schilinski und den Mitgliedern dieser Gemeinschaft wird der Eulenspiegel heute noch als eine besondere Begegnungsstätte wahrgenommen.
Von Dieter Koschek

Eulenspiegel-Nachrichten


"Entdecke den Clown in dir ..."

Oft ist es die Suche nach Humor und das Gefühl, dass da „noch etwas ist", das ausprobiert, ausgedrückt, rausgelassen werden will, das Menschen in meinen Workshop bringt.
Von Elke Maria Riedmann


Ethos des Spiels
Spiel um seiner selbst willen ist der höchste Ausdruck menschlicher Freiheit – und Freiheit ist nichts, was man kaufen kann.
Jeremy Riffkin


Eine Schulalternative in Lindau
20 Jahre nach der Freien Spielgruppe im Eulenspiegel und unseren Versuchen zur Gründung einer Freien Schule hat sich für uns völlig überraschend ein Verein gebildet, der genau dieses vorhat. Zwar gibt es sicherlich Unterschiede im geplanten Konzept zu unseren damaligen Überlegungen, aber erst mal ist dieses Vorhaben zu begrüßen und zu unterstützen. Die Aktivengruppe der Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel hat überlegt wie wir unsere Kontakte zu anderen Reformschulen in den Entstehungsprozess einbringen können. Erste Gespräche mit Vorstandsmitgliedern, die auch Gäste des „Eulenspiegels" sind, haben stattgefunden.
Eine Selbstdarstellung


Atomismus und ganzheitliches Denken
Das 21. Jahrhundert hat gute Chancen, Träger eines neuen, ganzheitlichen Bewusstseins zu werden, welches das atomistische und mechanistische Denken des 19. und 20. Jahrhunderts schrittweise überwindet. Gewiss sind die Aussichten nicht sehr rosig, wenn man sich umschaut hinsichtlich der Ausbreitung des materialistisch-atomistischen Denkens, welches sich weiterhin kundtun und Geltung zu verschaffen suchen wird, jedoch wird es vielerorts schon als etwas Fragwürdiges, Brüchiges oder Dekadentes erlebt.
Von Andreas Pahl


NO AL PONTE  
No al Ponte!– Nein zur Brücke ! Gemeint ist die geplante Mega-Brücke über die Meerenge von Messina. Immer wieder werden wir von Gästen, die von auswärts kommen, gefragt, warum der Brückenbau so umstritten ist und welche Argumente dagegensprechen. Das möchte ich zum Anlass nehmen, einmal ausführlich darüber zu berichten.
Von Renate Brutschin


Leben mit Natur- und Hausgeistern
Die "Gespräche mit Müller" von Verena Stael von Holstein und Friedrich Pfannenschmidt (Flensburger Hefte Verlag 2003, 2 Bde.) sind allerdings Tagebücher besonderer Art.
Von Andreas Pahl


Anthroposophie & Jedermensch
Ehrlichkeit sich selbst gegenüber
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

   nach oben


 

Europäische Geburtswehen

Ich sitze hier am Vorabend der Wahlen zum Europaparlament und frage mich, soll ich wirklich wählen gehen?

Um es vorweg zu nehmen: Es gibt nur einen Grund, warum ich wählen gehen werde. Der Anti-Militarist Tobias Pflüger kandidiert auf dem Platz 4 der PDS und ich gönne ihm den Platz im Europaparlament, denn jahrelanges ehrenamtliches Engagement verdient auch eine Anerkennung. Wenn Tobias ins Europaparlament will, dann gebe ich ihm meine Stimme.

Als ich ihn zuletzt auf dem Perspektivenkongress in Berlin traf, meinte er, dass er dann ja mal ein richtiges Einkommen habe, aber er mit diesem auch sicher viele Projekte fördern „müsse". So ist er eben.

Und wenn so einer in den Genuss der Gehälter, Spesen, Zusatzrenten und Tagegelder eines Europaparlamentariers kommt, dann gönne ich es ihm von Herzen.

Hans-Peter Martin, der Autor des Buches „Die Globalisierungsfalle" sitzt bereits im Europaparlament. Er ist als SPÖ-Spitzenkandidat gestartet. Heute wird er von allen Politikern der anderen Parteien verschmäht, weil er die alltägliche Praxis der persönlichen Bereicherung durch Abkassieren aller möglichen völlig legaler Geldmittel anprangerte und auch erst mal überhaupt diese Praxis in die Öffentlichkeit brachte.

Aber es liegt nicht nur an den Kandidaten im Europaparlament, sondern dieses System fordert es ja geradezu heraus. Ein Parlament, das keine Gesetze beschließen kann, sondern nur befragt wird und Vorarbeiten leisten kann, hat natürlich auch keinen wirklichen demokratischen Einfluss. Die immer mehr und bedeutender werdenden europäischen Gesetze, die die einzelnen Nationen verbindlich befolgen müssen, werden von einer eingesetzten Kommission beschlossen. Auch bei bestem Willen und Verständnis für die Schwierigkeiten eine europäische „Regierung" zu wählen und arbeiten zu lassen, kann bei dieser Konstruktion kein „europäisches Volk" entstehen, das als Souverän seine Geschicke verantwortet. Nein, Europa ist als Projekt der Konzerne als Wirtschaftsunion, als Binnenmarkt und als dynamische Marktwirtschaft kein Projekt der Bürger und Bürgerinnen Europas.

Auch jetzt soll dieses Konzernprojekt eine Verfassung erhalten, die ein Konvent erarbeitet hat. Polen und Spanien haben den Durchmarsch dieser Verfassung zunächst verhindert. Das hatte durchaus sein Gutes, denn damit hatte die Zivilgesellschaft nochmals Zeit erhalten diese Verfassung zu studieren und zu kritisieren.

Tobias Pflüger war einer der ersten, der die Militarisierung Europas durch diese Verfassung erkannte und sich entsprechend engagierte. Die Informationsstelle Militarisierung war dabei, entsprechende Initiativen gegen diese Verfassung zu starten. Hauptkritikpunkt ist , dass die Verfassung Europa geradezu zur Aufrüstung nötigt. Zitat: "Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird ein Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen" (Art. I.40). Wozu soll die Umwandlung der EU in eine Militärmacht dienen? Dazu heißt es in Art. III.210.1: "Die in Art. I.40.1 vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampf-einsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus."
Ulrich Duchrow, Mitarbeiter von Kairos Europa, schreibt in seinem Bericht „Dokumentation" (veröffentlicht in der Zeitschrift für Entwicklungspolitik Heft 5/6/2004) dazu: „Die EU soll also per Verfassung in eine weltweit operierende militärische Interventionsmacht umgewandelt werden. Was das bedeutet, kann man unschwer an den Strategieentwicklungen und faktischen Kriegen des vergangenen Jahrzehnts ablesen. Die NATO hat sich bereits das Recht der Selbstmandatierung genommen. Auch Angriffskriege wie gegen das ehemalige Jugoslawien und Afghanistan wären nun in Europa verfassungsmäßig legitimiert. So wird man sich wahrscheinlich auch bald der Präventivkriegsstrategie der USA anschließen." Dem kann ich mich nur anschließen.

Wie Ulrich Duchrow in seinem sehr lesenswerten Beitrag weiter analysiert, dient dieser zu installierende Militärapparat dem Götzen der freien Marktwirtschaft. In Europa gilt der freie Verkehr von Waren, Arbeit, Dienstleistungen und Finanzen. Das ist in einem überschaubaren Bereich mit gleicher Gesetzgebung ja vernünftig. Fragwürdig wird diese jedoch, wenn die wirtschaftlich Starken (USA, Europa, Japan) dies dem Rest der Welt zur Verpflichtung machen wollen, wie dies das GATS-Abkommen der WTO vorschreibt. Dann haben die Konzerne nicht nur die absolute Freiheit zu tun, was sie wollen, sondern sie haben auch die Politik als Geisel und als Waffe zur Seite. Und das bedeutet für die Menschen im Süden zumeist nichts Gutes. Bereits heute werden unsere Konsumgüter unter Bedingungen des Sklavenhandels in sogenannten „Export-Produktions-Zonen" hergestellt. Damit sich da nichts ändert, wird der militärische Schutz der freien (neoliberalen) Marktwirtschaft auch noch in die europäische Verfassung geschrieben.

Aber wenn Wählen gehen auch nicht hilft, was dann? Wir Europäer können diese Verfassung nicht einmal verhindern, denn die meisten europäischen Länder lassen ihre Bürger nicht darüber abstimmen. Nur sieben Länder (Dänemark, Irland, Luxemburg, Holland, Portugal, Spanien und Tschechien) lassen einen Volksentscheid über die europäische Verfassung zu. In dem Rest werden die nationalen Regierungen diese Verfassung ratifizieren.

Zwar diskutieren acht weitere Länder diese Möglichkeit, aber was dabei herauskommen wird, ist noch nicht abzusehen.

Ich bin ein überzeugter Anhänger eines Europas der Bürgerinnen und Bürger, denn ein vereintes Europa bringt Vorteile. Sehr wichtig finde ich den freien Personenverkehr, das bedeutet die Überwindung von Grenzen und das Ende der Nationalstaaten. Auch der Euro fördert die Europäisierung der Menschen und mir persönlich als Grenzgänger ist er eine große Vereinfachung meines Lebens. Des weiteren hat Europa Einfluss auf wichtige Belange der einzelnen Staaten. Hier möchte ich die, wenn auch nicht gleich gelungene, Wiedervereinigung Zyperns nennen. Der Demokratisierungsprozess in der Türkei muss hier genannt werden und die Steigerung der Bedeutung von Ökologie in den neuen Betrittsländern der EU. Die Weltkriege des letzten Jahrhunderts zeigen deutlich die Vorteile eines geeinten Europas.

Doch dies muss in einem demokratischen Prozess vor sich gehen: Die europäische Verfassung muss europaweit von den Bürgerinnen und Bürgern per Volksentscheid authorisiert werden, das Europäische Parlament muss die Basis der europäischen Gesetze werden und die Zivilgesellschaft muss an europäischer Dimension gewinnen und auch ihren Einfluss auf Europa nehmen können.

Ich möchte hier zum Schluss einige Adressen nennen, von Organisationen und Netzwerken, die eine europäische Dimension von Unten haben. Mir selber ist es bewusst, wie schwer es die europäischen Bewegungen haben, zumal mir selber die Sprachbarrieren die größten Probleme bereiten. Aber es lohnt sich, mindestens eine weitere europäische Sprache zu sprechen.

Das Europäische Sozialforum www.fse-esf.org (nur Internetadresse) dient der Vernetzung der Zivilgesellschaft. Die folgenden beiden bemühen sich um die Volksabstimmung zum einen IN der europäischen Verfassung zum anderen ÜBER die Verfassung:

Mehr Demokratie e.V. Greifswalder Str. 4 10405 Berlin
Tel.: 030 42082370 Fax: 030 42082380

http://mehr-demokratie.de/index.htm

und

European Referendum Campaign Kurfürstenstraße 18
D-60486 Frankfurt am Main - Germany
tel. (+49) 69 / 77 03 36 98 fax (+49) 69 / 77 03 97 40

http://www.european-referendum.org/.

Die Initiative Netzwerk Dreigliederung hatte sich bereits früh in den Prozess einer europäischen Verfassung von unten eingebracht:

Initiative Netzwerk Dreigliederung

Institut für soziale Gegenwartsfragen e.V. Stuttgart

Haußmannstr. 44a, D-70188 Stuttgart
Tel. +49 (0) 0711/  2368950, Fax 2360218

http://www.sozialimpulse.de/aufruf.htm

http://www.sozialimpulse.de/Texte_html/Europa.htm

Die Arbeitslosenbewegungen Europas haben in "Europäische Märsche"

Euromarsch-Bundeskoordination c/o IG Medien
Dudenstr. 10 10965 Berlin Tel.: (SoZ-Büro Köln) 0221-9231196, Fax: 0221-9231197

http://www.euromarches.org/

eine Form des Netzwerkes gefunden und europaweit wird über ein Grundeinkommen im

Basic Income European Network
p/a Philippe Van Parijs
Chaire Hoover d'éthique économique et sociale
Université catholique de Louvain
Place Montesquieu 3 B-1348 Louvain-la-Neuve
Belgium www.basicincome.org  diskutiert.

Dieter Koschek
nach oben


Direkte Demokratie in Deutschland

Bundesweiter Volksentscheid
Nach einem Vorstoß der FDP-Bundestagsfraktion will sich die rot-grüne Koalition erneut für die Einführung bundesweiter Volksbegehren und Volksentscheide stark machen. Die Koalition hat sich am 30. April darauf geeinigt, einen entsprechenden Gesetzentwurf aus der letzten Legislaturperiode erneut in den Bundestag einzubringen. Eine Volksabstimmung über die Europäische Verfassung sieht der Gesetzentwurf allerdings nicht vor.
Von unten wächst die Direkte Demokratie!
**Hamburg: Mit beachtlichen 76,8 Prozent sprachen sich die Hamburger am 29. Februar beim Volksentscheid "Gesundheit ist keine Ware" gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) aus. www.volksbegehren-hamburg.de
**Sachsen-Anhalt: 275.314 Unterschriften reichten die Initiatoren des Volksbegehrens "Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt" am 20. Februar ein, um einen Volksentscheid herbeizuführen. www.buendnis-kinder.de
**Bayern: Die bayerische ödp hat am 19. März 2004 zwei landesweite Volksbegehren gestartet. Mit "Gerecht sparen, auch an der Spitze!" sollen u.a. beitragsfreie und überzogene Politikerpensionen gestrichen sowie Aufsichtsratsposten und Beraterverträge für Abgeordnete verboten werden. Ziel des zweiten Begehrens "Für Gesundheitsvorsorge beim Mobilfunk" ist die Einführung einer Genehmigungspflicht für Mobilfunksendeanlagen und eine verbesserte Mitsprache der Gemeinden beim Aufbau neuer Netze.
www.oedp-bayern.de/aktuelles/volksbegehren.html
Weitere Informationen bei www.omnibus.org

Thomas Mayer

nach oben


Internationales Tribunal der Völker über die Aggression gegen den Irak

Auftaktkonferenz am Samstag, 19. Juni 2004 in Berlin

Gewerkschaftshaus, Keithstr. 1 - 3

In vielen Ländern gab es bereits Anhörungen oder laufen Vorbereitungen zu einem internationalen Tribunal über den Irak-Krieg. Ziel des Tribunals soll es sein, mittels öffentlicher Anhörungen und Tribunalsitzungen eine gut recherchierte und aufgearbeitete Dokumentation über den Krieg und seine Vorgeschichte zu erhalten, Gegenöffentlichkeit gegen die Verharmlosung des Krieges und seiner Folgen zu schaffen, mögliche Kriegsverbrechen zu untersuchen und öffentlich Anklage gegen die Verantwortlichen zu erheben. Auch die deutsche Beteiligung soll Gegenstand der Untersuchung sein.
Aufgearbeitet werden soll – mit den Methoden eines juristischen Prozesses – auch die gesamte Vorgeschichte der Aggression, inklusive UN-Embargo, sowie die aktuellen Maßnahmen der Besatzungsmacht.
Am 19. Juni fand in Berlin eine eintägige Auftaktveranstaltung für Deutschland. Sie sollte einen Überblick über die Thematik geben und erstes Beweismaterial sammeln, das in die Anklageschrift einfließen wird. Im Anschluss an die Konferenz wurde in Projektgruppen und einem abschließenden Treffen unter Beteiligung der ausländischen Gäste das weitere Vorgehen diskutiert.

Mitmachen und die Initiative für ein internationales Irak-Tribunal unterstützen!

Friedens- und Zukunftswerkstatt e. V. c/o Gewerkschaftshaus, 60329 Frankfurt am Main, Wilhelm-Leuschner-Straße 69-77, Tel.: 069/24249950, Fax: 069/24249951e-mail: Frieden-und-Zukunft@t-online.de

nach oben


Krieg mit dem eigenen Minister

Einmal mehr war es „Der Spiegel", welcher hierzulande publik machte, was wohl für die Regierung von George W. Bush derzeit mit zu den größten Problemen gehört. Es ist dies eine Veröffentlichung, ein Buch des bekannten Journalisten und Pulitzer-Preisträgers Ron Suskind. Dem liegt umfangreiches Material des ehemaligen Finanzministers dieser Regierung zugrunde, das er Ron Suskind übergeben hatte.

Paul O’Neill war bereits Wirtschaftsberater zweier Präsidenten gewesen, Richard Nixon und Gerald Ford. Vor seiner Zeit als Finanzminister war er Vorstandsvorsitzender beim Aluminiumkonzern Alcoa. Kein Leichtgewicht also, sondern ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann, der die Notenbank-Koryphäe Alan Greenspan zu seinem Bekanntenkreis zählt und mit ihm wöchentlich die Wirtschaftslage besprach.

Der Umgang mit seinen Regierungskollegen war für ihn leidvoll. Er kam sich „wie ein Blinder in einem Raum voller Gehörloser" vor. Brachte er die Wirtschaftsdaten zur Sprache, wirkte der Präsident George W. Bush unsicher und überfordert. Selbst einfache Memos hatte er anscheinend nicht gelesen.

Außerdem war etwas wie eine ideologische Blockade zu spüren, unter deren Einfluss der Präsident stand. Maßgeblich dafür waren Vizepräsident Richard Cheney und der Berater von Bush, Karl Rove.

Der Bruch mit den genannten entstand, als Paul O’Neill den stattlichen Haushaltsüberschuss, den die Regierung vorfand, dazu benutzen wollte, das marode Rentensystem zu reformieren. Dazu wäre als Kapitalstock eine gewaltige Summe nötig, und es war bereits abzusehen, in welchem Zeitraum das alte System endgültig zusammenbrechen würde.

Doch davon wollten die Leute um George W. Bush nichts wissen. Sie hatten andere Prioritäten: Riesige Steuergeschenke wurden verteilt und der Militärhaushalt enorm aufgestockt. In kurzer Zeit war der Überschuss aufgebraucht, und stattdessen klaffte ein Finanzloch von bisher nicht gekannten Ausmaßen. Einer soliden Haushaltspolitik wurde sozusagen das Wasser abgegraben. Eine Zeitlang versuchte Paul O’Neill dagegenzuhalten, doch Ende 2002 war es aus. Im Dezember wurde er von Richard Cheney gefeuert.

Die Passagen um den Irakkrieg geben eher eine Seitenlinie der Aufzeichnungen ab. Doch gerade sie enthalten eine außergewöhnliche Brisanz. Der Finanzminister nahm seinem Status gemäß an den Besprechungen des Sicherheitsrates teil. Schon während der ersten Sitzung der neuen Regierung am 30. Januar 2001 gab Condoleezza Rice die neue Leitlinie vor. Man solle sich möglichst aus dem palästinensischen Problemen heraushalten und sich auf den Irak konzentrieren. Der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurde bereits jetzt beauftragt, die militärischen Optionen dafür zu prüfen.

Bei einer zweiten Besprechung des Sicherheitsrates ging schon ein Plan herum, wie mit dem Irak nach einem Sturz Saddam Husseins zu verfahren sei. Auch der Ölreichtum des Irak war hier Thema.

Paul O’Neill hatte allerdings nie Zweifel, dass es der Gruppe um Richard Cheney darauf ankam, der Welt mit dem Sturz Saddam Husseins zu demonstrieren, was eine Unbotmäßigkeit gegenüber der stärksten Weltmacht für Folgen zeitigen kann. Eine Einschüchterung war geplant. Eigentlich wurde nur noch ein Vorwand gebraucht, um loszuschlagen. Den lieferte der 11. September 2001 mit den Flugzeuganschlägen.

Mit plausibel klingenden Behauptungen sollte daraufhin die Öffentlichkeit für den Feldzug gewonnen werden. Allein, von irakischen Massenvernichtungswaffen, gegen die es einzuschreiten galt, hatte Paul O’Neill in seiner ganzen Amtszeit nichts gehört.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen nun zwei ebenfalls veröffentlichte Studien. Das von den amerikanischen Streitkräften betriebene War-College nennt darinnen den Krieg gegen Irak „überflüssig" und den von der Regierung ausgerufenen „Krieg gegen den Terror" unrealistisch und sogar gefährlich. Dadurch könnte es zu Kriegen mit anderen Staaten kommen, ohne dass vorher eine Bedrohung vorgelegen hat.

Auch das weltweit anerkannte amerikanische Friedensinstitut Carnegie Endowment for International Peace wendet sich gegen vormalige Behauptungen der Regierung von George W. Bush. Es ist nachzuweisen, dass es eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und der Terrororganisation Al Qaida nie gegeben hat. Deshalb konnten auf diesem Wege auch keine Massenvernichtungswaffen in die Hände der Terroristen gelangen.

Jürgen Kaminski

nach oben


Grundeinkommen in Brasilien

Der Brasilianische Präsident Luis Inacio Lula da Silva hat im Jänner ein Gesetz über die Einführung eines Grundeinkommens verlautbart. Dieses verspricht allen   BrasilianerInnen (ohne jeden Unterschied) und AusländerInnen, die seit mehr als   fünf Jahren im Land leben, eine staatliche Leistung, mit der ihre   Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Erziehung und Gesundheit abgedeckt werden   sollen. Dabei handelt es sich um eine allgemeine Beihilfe, die von der Geburt   bis zum Tod ausbezahlt wird, bedingungslos und ohne Unterschied, für Reiche und   Arme gleichermaßen. In Brasilien ist das Votum für ein Existenzeinkommen, das   nach und nach eingeführt werden soll, der Hartnäckigkeit des Abgeordneten   Eduardo Suplicy zu verdanken, der seit 1991 für ein solches Gesetz eintritt, welches nun von  der aktuellen Regierung unterstützt wird.

Recht auf Leben  für alle anerkannt

Das Brasilianische Grundeinkommen entspricht dem Prinzip des Mindesteinkommens, das  in vielen Ländern BefürworterInnen hat. Durch dieses wird das Recht auf Leben für  alle anerkannt, unabhängig von bezahlter Arbeit. Erwerbsarbeit und Einkommen   werden dadurch voneinander getrennt. Die Idee gewinnt zunehmend an Bedeutung in   einer Welt, in der sich die Wirtschaft globalisiert und Arbeitsplätze   vernichtet. Zuletzt gab es in Südafrika eine breite Mobilisierung für die   Einführung eines Grundeinkommens durch eine breite Allianz aus Gewerkschaften,   Kirchen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Seit vielen  Jahren treten etliche Ökonomen für ein Grundeinkommen für jede Bürgerin und jeden Bürger ein,  das ohne Rücksicht auf die persönliche Situation oder Tätigkeit ein Leben lang  ausbezahlt wird. Es gibt dafür verschiedene Bezeichnungen, die immer auch etwas  über das Projekt aussagen: je nach Anliegen und Akteuren spricht man von  Allgemeiner Beihilfe, Existenzeinkommen, Bürgereinkommen, bedingungslosem  Einkommen oder universaler Dividende. Es gibt bereits ein Experiment in Alaska,  wo durch die Verteilung der Erdölrente an alle EinwohnerInnen ca. 1.500 Dollar  pro Person und Jahr ausbezahlt werden.

Schrittweise  Einführung ab 2005

Das Gesetz, das  nach 12 Jahren parlamentarischer Beratungen beschlossen wurde, soll ab 2005  schrittweise verwirklicht werden - beginnend mit der Auszahlung an die Armen. Je  nach den budgetären Möglichkeiten müssen somit auch Konzessionen an die realen  Gegebenheiten gemacht werden, was die Kraft des Gesetzes beschränkt und dazu  führen könnte, dass es letztlich nicht die vorgesehene Wirkung entfaltet. Man müsse alles daran setzen, dass dieses  Gesetz "wirkt", so Präsident Lula da Silva.

 Bereits  umfangreiche soziale Bemühungen

Der brasilianische  Staat hat seit Jahrzehnten auf unterschiedliche Art die finanziellen Hilfen für  die ärmsten Bevölkerungsteile ausgeweitet, um die sozialen Ungleichheiten, das  Elend und den Hunger zu mildern. So existiert eine Schulbeihilfe für arme  Familien, die ihre Kinder in die Volksschule schicken, eine   Lebensmittel-Beihilfe (Programm zur Ausrottung der Kinderarbeit) und die   Gas-Beihilfe (eine kleine, zweimonatlich ausbezahlte Summe, um Gas für die Küche   zu kaufen). Der Erfolg der Schulbeihilfe in den vergangenen 10 Jahren in   Brasilia hat dazu geführt, dass sie als eine der brasilianischen Sozialtechniken   von der UNO empfohlen und in viele Länder "exportiert" wurde.

Programm "Null-Hunger"

Die derzeitige  Regierung hat unmittelbar nach Übernahme im Jänner 2003 ein Programm namens  "Null Hunger" ins Leben gerufen, das neben einer finanziellen Hilfe auch  "strukturelle" Maßnahmen umfasst, wie die Entwicklung der Kleinlandwirtschaft;  Alphabetisierung und den Bau von Zisternen, um in den semi-ariden Zonen Regen  für Trinkwasser zu sammeln. 

Ende Oktober vorigen  Jahres hat die Regierung beschlossen, die Weiterentwicklung dieser Aktivitäten,  die von mehreren unterschiedlichen Ministerien abhingen, abzubrechen und vier  davon in einer Familienbeihilfe zusammenzuführen. Diese beträgt mindestens 50  Reales (17,40 US-Dollar), zuzüglich Schulbeihilfen, Lebensmittelhilfe und  Gas-Beihilfe. Bis Ende des vergangenen Jahres waren nach offiziellen Quellen  3.615.596 Familien in dieses Programm übernommen worden.

 Diese Verschiebung hat  es erlaubt, das mittlere Familieneinkommen von 8,45 auf 25,30 Dollar zu erhöhen;  ein großer Teil dieser Erhöhung konnte durch Reduktion der Bürokratie finanziert  werden, wie Ana Fonseca, die für die Familienbeihilfe verantwortliche Staatssekretärin, erklärt.

 Im Jahr 2003 wurden  rund 1,5 Milliarden Dollar für die verschiedenen Programme aufgewandt, und für  dieses Jahr wird mit einer Erhöhung um 23% gerechnet, was eine bedeutende  Subventionierung für die ärmere Bevölkerung und die ärmeren Zonen Brasiliens  bedeutet, so Fonseca.

 Frau Fonseca weist  darauf hin, dass die Höhe des Einkommens "nicht das einzige Gesicht der Armut"  ist, und dass daran gearbeitet wird, andere Kriterien mit heranzuziehen wie  Schulbildung, Wohnort (Land oder Stadt und im zweiten Fall auch deren Größe),  Eigentum oder Miete der Unterkunft und Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität.

 41,4 Millionen Menschen  vom Hunger befreien

Das Programm  Familienbeihilfen hat zum Ziel, bis zum Jahre 2006 11,4 Millionen Familien zu  erreichen, was 41,4 Millionen Personen entspricht, weil die Familien im  Durchschnitt 3,6 Mitglieder haben. Dies entspricht nach Ansicht der   Verantwortlichen der gesamten vom Hunger betroffenen Bevölkerung in einem Land   mit 175 Millionen EinwohnerInnen.

 Diese Unterstützungen,  die bis zur Einführung des Grundeinkommens beibehalten werden, sind an  Gegenleistungen der Familien gebunden, wie etwa Schulbesuch, Impfungen,  Teilnahme der Erwachsenen an Alphabetisierungskursen,   Informationsveranstaltungen über Ernährung oder Berufsausbildung. Wie Staatssekretärin Fonseca erklärt, ist es  sinnvoll, die Bedingungen Kinder betreffend noch aufrecht zu erhalten, denn  Familien mit Kindern und Jugendlichen im Schulalter sind am meisten gefährdet.

 Das Brasilianische  Grundeinkommen, das laut Senator Suplicy bis 2008 oder 2010 zur Gänze eingeführt  sein soll, ist anders konzipiert: Es ist ein Recht der Einzelperson und nicht  der Familie. Auch ist es an keinerlei Bedingungen   geknüpft.

Quelle: DIAL ?  Information aus Lateinamerika - Nr. 38, Lyon

nach oben


Grundeinkommen in Deutschland

Ein Grundeinkommen in Deutschland braucht dagegen wohl noch länger. Doch gab es dieses Jahr bereits drei größere Veranstaltungen, die das bedingungslose Grundeinkommen zum Thema hatten. Das Sozialpolitische Forum der AG SPAK in Oberursel brachte die

Idee eines Netzwerkes Grundeinkommen in die Öffentlichkeit. Diskutiert wurde auf dem Bundeskongress Entwicklungspolitischer Gruppen und auf dem Perspektivenkongress in Berlin. Dort kamen in einem eintägigen Workshop viele der Mitstreiter für ein Grundeinkommen zusammen. Eingeladen hatte der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen. Im Anschluss diskutierte die Abschlussrunde die Gründung eines Netzwerkes. Ein erstes Treffen findet am 9. Juli in Berlin statt.
dk

nach oben


Das Unterdrücktsein überwinden

Vom 6. bis 12. Oktober 2003 hat in der chilenischen Küstenstadt Lota in der Nähe von Concepción der Kongress „Für eine strategische Einheit des Mapuche-Volkes" stattgefunden. 330 Mapuche-Delegierte aus ganz Chile haben an dieser Versammlung teilgenommen, um sich in einer einmaligen historischen Begegnung eine neue Struktur und eine eigene Vertretung zu geben. Rund 46 Prozent davon waren Frauen.

Die Zahl der Mapuche beläuft sich auf rund 1,2 Millionen im gesamten chilenischen Territorium, die Mapuche in Argentinien nicht miteingerechnet. Das entspricht rund 8 Prozent der gesamten chilenischen Bevölkerung und sie sind damit das größte indigene Volk Chiles mit einer eigenen Sprache, Kultur, Geschichte und Kosmovision. Die meisten von ihnen leben nach wie vor in großer Armut und für einige haben auch die Verfolgungen, die während des Pinochet-Regimes begonnen haben, nie wirklich aufgehört. So ist eines der zentralen Probleme der Mapuche nach wie vor die ungeklärte Landfrage. Im Laufe der Pinochet-Diktatur wurde das zuvor als unverkäuflich eingestufte Gemeinschaftsland der Mapuche zum Verkauf freigegeben, riesige Ländereien wurden zudem einfach geraubt und diejenigen, die sich für die friedliche Rückgabe einsetzten, waren der Verfolgung ausgesetzt. Zurzeit befinden sich 95 Mapuche als politische Gefangene in chilenischen Gefängnissen. So wurden auch zur gleichen Zeit, als in Lota der Kongress tagte, zwei Mapuche in Temuco zu je fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie sich für die Rückgabe ihres Landes eingesetzt hatten.

Die Probleme der Mapuche (was in Mapuchungun, ihrer eigenen Sprache, so viel wie „Menschen der Erde" bedeutet) sind jedoch äußerst komplex und bis dato gibt es von der chilenischen Regierung keinerlei ernsthafte Versuche für eine Lösung. Die Rechte der Mapuche sind noch immer nicht in der chilenischen Verfassung verankert. Es gibt zwar ein „Indigenes Gesetz" und die Nationale Körperschaft für Indigene Entwicklung, die aber beide nicht die erwarteten Verbesserungen gebracht haben und zudem die rund 400 000 urbanen Mapuche völlig außer acht lassen. Auch das groß angelegte staatliche Projekt „Origenes", das zur allgemeinen wirtschaftlichen, gesundheitlichen und kulturellen Verbesserung der indigenen Bevölkerung Chiles beitragen soll, hat bisher keine wesentlichen Änderungen bewirkt und wird – im Gegenteil – stark kritisiert.

Die Verwirklichung dieses Kongresses „Für eine strategische Einheit des Mapuche-Volkes" hat nun erstmals die Möglichkeit aufgetan, die Idee einer einheitlichen Organisation und einer gemeinsamen Strategie für eine bessere Verteidigung der eigenen Interessen in einem relativ breiten Forum zu diskutieren und darauf aufbauend Entscheidungen für ein weiteres Vorgehen zu treffen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker mit Sitz in Göttingen/Deutschland hat für diesen Kongress die Schirmherrschaft und die Finanzierung übernommen.

Die Ziele dieses Kongresses haben sich wie folgt definiert: Gründung einer einheitlichen Organisationsstruktur für das Mapuche-Volk, die der territorialen, organisatorischen und sozialen Vielfalt ihrer Identität Rechnung trägt. – Fertigstellung eines Programmes beziehungsweise einer Agenda, die konkrete Forderungen und Pläne für die Zukunft des Mapuche-Volkes widerspiegelt. Dazu Erstellung eines Zeitrahmens, in dem dieses Programm beziehungsweise die Agenda realisiert werden soll. – Wahl einer gemeinsamen, einheitlichen Führung während des Kongresses, die das ganze Mapuche-Volk repräsentieren soll. Diese neue Führung wird die Legitimation haben, die Mapuche gegenüber der Regierung und der chilenischen Gesellschaft zu vertreten.

Im Vordergrund stand also die Frage, ob und wie man sich in Zukunft gemeinsam organisieren würde, um den zahlreichen Problemen dadurch besser entgegentreten zu können. Das impliziert nicht nur eine zukunftsgerichtete Perspektive, sondern vielmehr auch einen Rückblick auf die gemeinsame Geschichte sowie ein Erfassen der eigenen Ressourcen und Möglichkeiten als Volk. So war die Tatsache, für diesen Kongress die unterschiedlichsten Untergruppen an einen Verhandlungstisch zu bringen, mindestens ebenso wichtig wie die Suche nach gemeinsamen Strategien für die Zukunft.

Vergleicht man die Ziele, die man sich vor dem Kongress vorgenommen hat, mit denen, die tatsächlich erreicht worden sind, so kann man feststellen, dass der Kongress sehr positiv verlaufen ist. Es steht nicht nur die institutionelle Vertretung der Mapuche, sondern auch die Agenda, die das Mapuche-Parlament zu realisieren hat. Insofern ist in diesen wenigen Tagen des Kongresses vieles erreicht worden. So gibt es bereits einen Präsidenten des Parlamentes, die Ressorts und ihre Aufgabenbereiche sind definiert und bilden einen Rahmen für die weitere Arbeitsweise. Ein eigenes Organisationskomitee ist mit der Umsetzung des Parlamentes, also mit der Einführung als juristische Person und der Frage der Finanzierung, betraut. Es bleibt natürlich noch viel zu tun, aber mit dem Kongress ist ein äußerst wichtiger Schritt zu einer echten Einheit der Mapuche getan.

Mehrere Dinge waren für uns als Vertreterinnen von Menschenrechtsorganisationen von zentraler Bedeutung bei diesem Kongress: Der Kongress ist auf den Wunsch der Mapuche selbst hin zustande gekommen. – Insofern kann festgehalten werden, dass dieser Kongress ohne die Einflussnahme von politischen Parteien oder sonstigen Vertretungen zustande gekommen ist. Das ist ein zentraler Schritt hinsichtlich von Autonomie und Selbstorganisation. – Die Organisatoren haben trotz gegenteiliger Anschuldigungen einen ernsthaften Versuch unternommen, Vertreter aller Mapuche-Untergruppen an einen Tisch zu bringen und so viele Mapuche-Organisationen wie möglich einzuladen. – Der Verlauf des Kongresses war äußerst angenehm und diszipliniert. Trotz der anstrengenden Arbeitswoche und der schwierigen Themen ist es zu keinem internen Bruch der Delegierten gekommen. Im Gegenteil, es hat sich im Laufe der Woche immer mehr herauskristallisiert, dass nur ein gemeinsames Vorgehen diesem Prozess nützlich sein kann. – Auch von außen ist es zu keinerlei Störungen des Ablaufes gekommen. – Weiters ist der Kongress hinsichtlich von Demokratie und Transparenz vorbildlich abgelaufen. Die Entscheidungen sind von allen gefällt worden, vorbereitet war nur die Agenda des Kongresses. Selbst die Aufgabenbereiche des Parlamentes sind von allen mitbestimmt und nicht etwa vom Organisationskomitee des Kongresses bestimmt worden.

Etwas, das bei der oberflächlichen Betrachtung des Kongresses verloren gehen könnte, das aber dennoch von zentraler Bedeutung ist, ist die Tatsache, dass das Hauptaugenmerk der Veranstalter und der Teilnehmer auf der wirtschaftlichen Entwicklung der Mapuche liegt. Mehr noch als ein politischer und spiritueller Kongress war dieses Treffen von der Überzeugung getragen, dass die ökonomische Besserstellung der Mapuche – sowohl am Land als auch in der Stadt – von absoluter Priorität ist.

„Este congreso es especial" (Dieser Kongress ist etwas Besonderes), haben wir internationale Beobachterinnen im Laufe der Kongresswoche oftmals gehört. Auf die Rückfrage, warum denn dieser Kongress so besonders sei, war die Antwort immer wieder dieselbe: „Weil dies zum ersten Mal wirklich unser Kongress ist. Hier können wir sagen, was wir denken, frei diskutieren und selbst bestimmen, was unsere Probleme und Prioritäten sind und wie wir arbeiten wollen. Dieser Kongress wurde weder von einer politischen Partei noch von sonstigen Interessenvertretern finanziert. Wir selbst haben die Organisation und die Durchführung in die Hände genommen. Hier hängt das Ergebnis ganz von uns ab, und das gibt enorm viel Hoffnung für die Zukunft."

Beispielhaft war auch die Organisation der Rahmenbedingungen für den Kongress: In einem Land, in dem das Transportwesen mit dem unseren nicht vergleichbar ist, standen genügend Busse bereit, die die Delegierten von ihren Heimatorten nach Lota und zurück brachten. Für die 330 Personen waren Unterkünfte und Mahlzeiten organisiert und kleinere Busse, die die Delegierten vom Kongresshaus zu ihren Unterkünften, zum Restaurant und so weiter brachten.

Als Beobachterinnen waren wir dann vor allem von der Disziplin und der Zielstrebigkeit der Teilnehmer während des Kongresses beeindruckt. Die Diskussionen über die jeweiligen Themen waren offen, gegenteilige Stimmen wurden nicht unterbrochen, sondern angehört und diskutiert. Die Abstimmungen erfolgten in der traditionellen Weise der Mapuche (durch Aufstehen oder eine lautstarke Zustimmung). Auch die Teilnahme an den verschiedenen Arbeitsgruppen war aktiv und zielbewusst. Menschen verschiedener geographischer und sozialer Herkunft haben sich bemüht, gemeinsam zu kommunizieren und zu arbeiten. Zudem hatten wir immer wieder den Eindruck, dass die Delegierten ihre Probleme sehr genau kennen und dazu auch klare Vorstellungen über mögliche Strategien und Lösungen haben.

Natürlich kann keiner den definitiven Erfolg dieses soeben erst gestarteten Prozesses garantieren. Angesichts der bisher geleisteten Arbeit sollte dem neuen Mapuche-Parlament jedoch zumindest die Möglichkeit gewährt werden, frei zu arbeiten und aus den Schwierigkeiten zu lernen, um die Teilnahme anderer Vereine, Organisationen und auch Einzelner auszubauen, damit das Parlament hoffentlich einmal tatsächlich im Namen aller Mapuche sprechen kann.

Aus einem Bericht von Claudia Schmidt, Sabrina Bussani, Iris Castro, in Kooperation mit Eliane Alfaro

nach oben


Bundesweite Auszeichnung für die Kampagne „Made by Kinderhand – München gegen ausbeuterische Kinderarbeit"

Das Nord Süd Forum München als Träger der Ka-pagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit bekam in einer feierlichen Zeremonie am 5.5.04 in Berlin von Staatssekretärin Dr. Uschi Eid eine von fünf Sieger-urkunden überreicht. Die Laudatio auf die Auszeich-nung der Münchner Kampagne hielt der neue peruanische Botschafter.

Die Preisträger hatten sich beim Wettbewerb „Global vernetzt – lokal aktiv 2004" beworben und wurden von der Jury unter 171 Bewerbungen als - „besonders bemerkenswerte Projekte" ausgewählt und ausge-zeichnet. Am Wettbewerb beteiligt hatten sich vor allem entwicklungspolitische Initiativen und Netzwerke wie das Münchner Nord Süd Forum, aber auch Kommunen und Unternehmen.

Die Münchner Kampagne überzeugte die Juroren als besonders erfolgreiches Projekt der Lokalen Agenda 21, das zu einem modellhaften Stadtratsbeschluss mit weitreichender gesellschaftlicher Wirkung führte und die unterschiedlichsten Akteure in vorbildlicher Weise vereint.

Nähere Auskunft: Nord Süd Forum München e.V., Tel. 089-770524 Mail: nordsuedforum@einewelthaus.de

nach oben


Weltweite Anerkennung

Am 11. Dezember 2003 wurde in Stockholm der „Right Livelihood Award", der alternative Nobelpreis, verliehen, neben anderen auch an zwei anthroposophisch orientierte Männer: Ibrahim Abouleish von der ägyptischen „Sekem"-Initiative und Nicanor Perlas von den Philippinen, einem Aktivisten in der Zivilgesellschaft.

Die Preisverleihung im schwedischen Parlament nahm der Begründer, Jakob von Uexküll, selbst vor. Er kommt aus der bekannten Uexküll-Familie, in der sich schon andere Wissenschaftler auf naturwissenschaftlichem und psycho-medizinischem Gebiet einen Namen geschaffen haben. Ganz bewusst wurden für den alternativen Nobelpreis keine Vergabekriterien geschaffen, da in diesem Bereich das menschliche freie moralische Schöpfertum sich „jeglichem Klassifizierungsmaßstab entziehe", wie es von der Stiftung formuliert wurde. So will sich dieser Preis den Problemen des 21. Jahrhunderts widmen, wogegen der Nobelpreis die Probleme des 20. Jahrhunderts angegangen sei.

In seiner Rede bei der Preisverleihung schilderte Nicanor Perlas seinen Weg zum Aktivisten der Zivilgesellschaft. Er erlebte eine behütete Kindheit und Jugendzeit, war auf einer Eliteschule des Landes und wendete sich dann ganz den Problemen der armen und unterdrückten Menschen während der Marcos-Diktatur zu. Auch organisierte er eine Massenbewegung gegen den Bau von zwölf Atomkraftwerken, die in der Nähe von aktiven Vulkanen und erdbebengefährdeten Erdspalten gebaut werden sollten. Dieses Bauen konnte so verhindert werden. Auch wurde auf Initiative von ihm es möglich, dass 32 Pestizidrezepturen von den Philippinen verbannt wurden. Diese hätten die Existenz und Gesundheit der Reisbauern sowie die Natur bedroht.

Jetzt gibt es auf den Philippinen ein soziales Netzwerk von 5000 Mitgliedsorganisationen, das Nicanor Perlas mit Mitstreitern aufgebaut hat. Dieses Netzwerk ist neben Staat und Wirtschaft zu einer dritten Gewalt geworden, und so konnte die Agenda 21 der Philippinen zum Rahmenprogramm der Regierung werden.

Nicanor Perlas berichtete auch von den Morddrohungen, denen die Aktivisten ausgesetzt sind. Dabei wies er auf die innere Kraft hin, die entwickelt werden muss, um mit Mut und Überzeugung die Entscheidungen durchtragen zu können. Im Innern muss zuerst eine geistige Revolution stattfinden, denn „hinter jeder Tat des sozialen Widerstandes und der Kreativität steht eine geistige Tat", sagt er. Dies ist die eigentliche spirituelle Revolution, die die Kräfte für die Zukunft hereinhole. Es muss ein ganz neues Menschenbild entstehen, für dessen Rechte wir uns dann einsetzen. So wird aus dem Winter der Geschichte wieder ein Frühling werden, den jede Einzelne mitschafft.

Ibrahim Abouleish wies darauf hin, dass auch die „Sekem"-Initiative ganz auf der Idee der sozialen Dreigliederung begründet sei. Seine Vision war, „die Erde zu heilen und Wege zu suchen, die Menschheitsentwicklung voran zu bringen". Er wollte „eine Gemeinschaft mit Menschen aller Lebenswege, aller Nationen, Kulturen, mit verschiedenen Berufungen, Altersstufen, die zusammenarbeiten, voneinander lernen und sich gegenseitig helfen". Die biologisch-dynamische Landwirtschaft wurde zur Basis der Initiative. Damit können die Rohstoffe zur Verfügung stehen, die vielfach gebraucht werden zur Gesundung von Mensch und Erde. Die Demeter-Produkte aus „Sekem" werden heute europaweit im Naturkosthandel verkauft. Sie haben nicht nur die Wüste fruchtbar gemacht. In Ägypten gibt es jetzt eine Kooperation von etwa 800 Bauern, die mit Bioprodukten einen blühenden Handel betreiben. All dies konnte aus „News Network Anthroposophie" erfahren und einem Bericht in „Trigonal" entnommen werden.

Barbara Wagner

nach oben


Einzelsein und Gemeinschaft

Die Bewusstheit bildet sich vor allem am Einzelsein aus. Jegliche Form der Gemeinschaft dämpft das Bewusstsein wieder. Dies ist oft in Beziehungen, Familien usw. zu spüren, wenn Verantwortung nicht klar aufgeteilt wird. Sie verschwindet in diffusem Nebel. Schließlich mutmaßt jeder, der Andere hätte die Verantwortung; das Bewusstsein tendiert zum Einschlafen.

Im Alleinleben ist es klarer, deutlicher und schärfer: die Verantwortlichkeiten sind offenbar, gehen unmittelbar an. Das ist das Gefährliche, Rückschrittliche an Gemeinsamkeiten, dass die verschiedenen Aufgaben des Einzelnen verschwommen und verwässert werden, dass er in die Gemeinsamkeit wie in einen Urschoß hineinträumt, in dem sein Einzelsein, sein tatsächliches, irdisch-isoliertes Einzelschicksal undeutlich und konturlos wird. Rilke nennt dies im Sonderfall: "Liebende verdecken einander ihr Los." – Zwar kann der Einzelne seine höchste Erfüllung nur finden, wenn er die Früchte seiner Arbeit der Gemeinschaft widmet, jedoch bedarf es zuvor seiner vollen Selbstwerdung, seines Einzelseins, wie auch eine Knospe zuerst geschlossen ist, bevor sie sich als Blüte für alle öffnet.

Andreas Pahl

nach oben


Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel

Die Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel hebt sich von den Kulturzentren in der Umgebung ab, vor allem durch seine Kleinheit und durch seine Einbettung in einen sozialen Prozess, der vor dreißig Jahren als Arbeits- und Lebensgemeinschaft zur Förderung der sozialen Dreigliederung begann. Durch die Arbeit von Peter Schilinski und den Mitgliedern dieser Gemeinschaft wird der Eulenspiegel heute noch als eine besondere Begegnungsstätte wahrgenommen.

Ursprünglich verstand sich das Projekt als eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft: Zusammen Wohnen und Arbeiten und dabei bewusst an der eigenen und gemeinschaftlichen Entwicklung arbeiten. Dazu gehörte neben der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Gaststätte und dem Mitwirken an öffentlicher politischer Arbeit auch das tägliche gemeinsame Gespräch.

Doch die gesellschaftlichen Entwicklungen der Individualisierung machten diese gemeinsamen Prozesse immer schwerer. Zudem war das Verbinden mit der Ursprungsidee nach 10, 15, 20 Jahren immer schwerer zu erzielen.

Heute wohnen nicht mehr alle Belegschaftsmitglieder zusammen, und das gemeinsame Lernen gehört nicht mehr zum Alltag. Es entstand auch eine Trennung zwischen Gaststätte und Verein, die sich in der Verpachtung der Gaststätte zeigt. Das „Projekt Eulenspiegel" ist nicht mehr EIN Projekt, sondern das Zusammenwirken von verschiedenen Projekten mit teilweise unterschiedlichen Zielsetzungen.

Die Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel besteht heute aus dem Biorestaurant „Zum Eulenspiegel", dem Verein Modell Wasserburg, dem Verlag „Jedermensch", der Projektwerkstatt am See und der Begegnungsstätte „Case Caro Carrubo" in Comiso auf Sizilien.

Ich möchte mein Augenmerk in diesem Beitrag auf Kultur und Kunst im engeren Sinne einschränken.

Kunst ist individueller oder kollektiver Ausdruck eines inneren Vorgangs, die Beschäftigung des Individuum mit etwas, das es berührt, umwälzt und den Ausdruck sucht.

Dieser kann durchaus auch Einfluss nehmen. Entweder allein durch seine Wahrnehmungsmöglichkeit oder direkt durch die Bewegung, die dieser Ausdruck auslöst.

Kultur ist ein umfassender Begriff, der neben unseren alltäglichen Kulturpraktiken vor allem ein Ausdruck unseres geistigen Lebens ist. Für mich ist wesentlich die Begegnung und die Auseinandersetzung mit dem anderen. Dies um die persönliche Weiterentwicklung zu fördern in einem sozialen Feld. Friedfertigkeit, Offenheit, Respekt, Entwicklungsfähigkeit sind notwendige Elemente einer europäischen Kultur.

Kultur im Sinne von Peter Schilinski ist ein prozesshafter Vorgang im freien Geistesleben, der seine Auswirkungen auf das Rechtsleben und Wirtschaftsleben hat. Im heutigen modernen Sinne bedeutet dies, dass ein Kulturzentrum neben der künstlerischen Tätigkeit auch seinen sozialen und politischen Stellenwert haben wird. Dies kann sich durch das Programm und durch die Initiativen, die das Kulturzentrum auszeichnet, ausdrücken.

Dieses Kulturverständnis setzt sich heute praktisch durch eine Reihe von „Initiativen" in der Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel fort.

Gaststätte

Das Biorestaurant ist ein Ort der Begegnung. Die Gäste essen nicht nur gut, sondern begegnen Ideen, die auch heute noch nicht alltäglich sind. Ökologie, Vegetarismus und weitere Ernährungsphilosophien, damit auch ein etwas anderer Begriff des Wirtschaftens interessieren die Gäste immer wieder. Durch eine Anzahl von Informationsträgern (Zeitungen und Zeitschriften, Plakate, Faltblätter u.ä.) ist die Gaststätte auch ein Informationsort, der als solcher vielfach wahrgenommen wird.

Projektwerkstatt

Der Eulenspiegel ist ein Teil der Gesellschaft, somit spiegelt sich diese im Eulenspiegel wider: Das Büro für soziale Dreigliederung, die Projektwerkstatt ist ein Bürgerbüro, eine Anlaufstelle für die Zivilgesellschaft. Dort nutzen verschiedene Initiativen die Infrastruktur und bringen ihre Inhalte mit ein (AKLK, ASH, AG SPAK, Jedermensch-Verlag, Modell Wasserburg). Das Büro hat den Charakter einer Zukunftswerkstatt. Es dient als regionale Werkstatt dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger, der Entwicklung der Zivilgesellschaft. Die Projektwerkstatt ist ein Knotenpunkt für gelebte Demokratie, für freies Geistesleben, mit Impulsen für die gesamte Gesellschaft.

Neben der Infrastruktur eines Büros soll es Bibliothekscharakter haben (also Bücher, Zeitschriften und weitere Medien) und einen entsprechenden Aufenthaltsraum, der der ruhigen zwischenmenschlichen Begegnung dienen kann.

Rundgespräche

Rundgespräche als soziale Innovation sind seit Anfang Bestandteil der Arbeit. Menschen haben die Möglichkeit sich zu treffen und über ihre Themen mit anderen zu sprechen. Wirkliches Zuhören gilt dabei als ein Übungselement, um zu einem respektvollen Miteinander zu kommen.

Projektreihen und Seminare

Zum einen denke ich hier an Kooperationen und Zusammenarbeit mit anderen Initiativen, die unserer Idee nahe stehen. Neben der naturwüchsigen Zusammenarbeit mit dem Biorestaurant „Zum Eulenspiegel", dem Wege-Verlag von Anton Kimpfler, der AG SPAK, Case Caro Carrubo, sind Kooperationen mit vielen anderen (Energieverein, Biobauern, ...) denkbar. Aus dieser Arbeit entstehen Projektreihen und Seminare wie zum Beispiel die Ökotage, die Begegnungsseminare zwischen Anthroposophie und Psychotherapie und der Clownausbildung. Diese Veranstaltungen sind Innovationen und Teil einer regionalen Entwicklungsarbeit.

Gäste- und Tagungshaus

Durch unser Holzhaus, ein rustikales, einfaches Gästehaus entsteht die Möglichkeit eines kleinen Tagungshauses, das offen ist für Gruppen aller Art. Das Holzhaus soll von den Gästen selbst organisiert werden, zumindest in der Zeit ihres Aufenthaltes. Durch die Enge und Hellhörigkeit entstehen oft Probleme, die gemeinsam gelöst werden müssen. Ohne Rücksichtnahme, Achtung der Anderen und Zurücknahme der eigenen Bedürfnisse ist die Benutzung der Selbstversorgerküche nicht möglich. So entstehen oft neue persönliche Kontakte, die längere Zeit überdauern. Abreisen sind bisher die Ausnahme.

Doch neben dem Schwerpunkt der Begegnung der Individuen in einem sozialen und politischen Feld hat der Eulenspiegel einen Schwerpunkt, der die Entwicklung der Seele, des Inneren beinhaltet. Hier ist das Feld der Künste wiederzufinden. Nicht die direkte sozialpolitische Arbeit findet hier Einlass, sondern die indirekte, die Begegnung mit dem inneren Wesen des Anderen und dessen Ausdruck durch Musik, Theater, Malerei.

Jeder ist ein Künstler. Schon aus diesem Grund bietet sich die Kleinkunst an – und hier der Schwerpunkt auf Kinder und Halbprofis (ohne die Profis auszuschließen). Das bedeutet auch die Künstler über eine längere Zeit zu begleiten und ihnen wiederholte Aufführungsmöglichkeiten zu bieten. Damit und durch die Auswahl von entsprechenden Künstlern wird das Programm selbst zu einer sozialen Plastik im Sinne von Josef Beuys.

Ausstellung

Im Biorestaurant haben wechselnde Ausstellungen einen festen Platz. Vier bis sechs Mal im Jahr haben Künstler die Möglichkeit ihre Werke der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir legen hierbei Wert auf regionale Künstler, denen der Eulenspiegel ein Forum bieten kann. Die Bilder sprengen öfters mal den Rahmen eine Ausstellung bzw. überschreiten die Erwartungen einer Ausstellung im Gasthaus. Moderne Kunst neben Anfängern und Autodidakten begegnet den Gästen und fordert sie heraus. Ruhige schöne ästhetische Bilder laden zur Ruhe, Freude und inneren Einkehr ein, während andere Ausstellungen die Diskussion und den Widerspruch hervorrufen. Kunst bietet eben beides. Nicht nur die Kontemplation, sondern auch die Revolution. Im Eulenspiegel gehören beide Elemente zusammen, sind Teil des Einzelnen und damit auch der Kulturstätte.

Musik und Theater

Musik- und Theateraufführungen sind bisher eher selten, doch gewinnen sie durch die Künstler eine besondere Qualität. Nicht das Honorar steht im Vordergrund, sondern die Spielfreude. Damit wird das Können der Musiker um eine Facette reicher, die im herkömmlichen Kulturbetrieb oft verloren geht. Veranstaltungen im Eulenspiegel haben oft einen mehr privaten Charakter, sind Kammermusik im eigentlichen Sinne, die Begegnung zwischen Musiker und Publikum ist direkter und nach der Aufführung am Gasttisch weitergeführt.

Die Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel bedeutet Raum geben ...

Für einen Ort der Begegnung von Menschen, Ideen, Informationen
Für Ausdruck innerer Vorgänge
Für Freude und Trauer, Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit,
Für Miteinander und Auseinandersetzung
Für Ruhe und innere Einkehr, Diskussion und Widerspruch
Für Friedfertigkeit, Offenheit, Respekt, Entwicklungsfähigkeit
Für Engagement der Bürgerinnen und Bürger
Für die Entwicklung der Zivilgesellschaft
Für Kooperationen und Zusammenarbeit
Für Innovationen und regionaler Entwicklungsarbeit
Um bewusst an der eigenen und gemeinschaftlichen Entwicklung zu arbeiten
Um Einfluss auf die Gestaltung unserer Gesellschaft zu nehmen

Dieser Raum ist selbst organisiert und selbst Teil einer sozialen Plastik.

Dieter Koschek

nach oben


Eulenspiegel-Nachrichten

Betriebsgruppe

Der Spruch „das einzig Beständige ist die Veränderung" bleibt für den Eulenspiegel immer aktuell. Mein „Ausstieg" aus der Gastronomie gelang ja im vergangenen Jahr nicht. Nachdem ich nun dachte, dass es denn halt so sein soll, meldete sich Monika Halbhuber mit der Frage, ob wir denn noch eine Pächterin suchen. Inzwischen sind die Gespräche soweit gediehen, dass wir davon ausgehen, dass ein Pächterwechsel stattfindet.

Monika Halbhuber, die bereits Anfang der achtziger Jahre im Eulenspiegel lebte, hat inzwischen Ernährungsberaterin gelernt und als Diätassistentin gearbeitet. Zwei Kinder mit Mann Bernhard bilden die Familie, die bereits zum kommenden Schuljahr den Eulenspiegel beziehen wird.

Zur Zeit laufen die Diskussionen und Planungen für eine Modernisierung des Eulenspiegel vor allem im Theken und Küchenbereich: Damit das Restaurant ein fester Bestandteil der Kultur- und Begegnungsstätte bleibt, sind sich alle einig, dass der Verein „Modell Wasserburg" Kredit aufnimmt, um vor allem die technische Seite zu modernisieren, um Arbeitsabläufe zu vereinfachen und die Kapazität durch Technik zu halten bzw. zu erhöhen, damit ein rationelles Wirtschaften möglich ist.

Diese Modernisierung soll im Winter 2004/2005 geschehen und mit Wiedereröffnung wird Monika Halbhuber den Eulenspiegel führen.

Diese Entwicklung wird im Vorstand, der Belegschaft und im Umfeld diskutiert und vorwiegend als guten Schritt in die Zukunft gesehen. Damit erfährt die Gaststätte einen Einschnitt und wird mit klarer Struktur neu starten. Monika ist eine Frau, die aus einer Gastronomiefamilie kommt, die Brüder betreiben ebenfalls Gaststätten, und die als Wirtin den Mut zum eigenverantwortlichen Wirtschaften besitzt.

Der Eulenspiegel wird sich äußerlich nicht verändern: er bleibt Biorestaurant mit Vollwertküche, Teil der Begegnungsstätte. Monika selber fühlt ihren Schritt wie eine Heimkehr.

Allen ist klar, das damit auch ein klarer Schnitt in den Bemühungen, das Lokal als gemeinschaftlichern Betrieb zu führen, vorgenommen ist. Das Projekt „Arbeits- und Lebensgemeinschaft" ist damit klar beendet.

Kultur- und Begegnungsstätte

Die Planungen im Gaststättenbereich bedeuten für die Vereinsarbeit im wesentlichen, dass ich mehr Zeit dafür haben werden. Dieser Gedanke erfreut mich gerade zu, denn ich erhoffe mir davon Inhalte vertiefen zu können und die Möglichkeit den Kreis der Aktiven zu erweitern. Der „Monattreff der Aktiven" neu ins Programm aufgenommen, soll die Basis bieten, einen Ort für neue interessierte an der Kulturarbeit zu sein und die Pragrammlinien weiter zu entwickeln. Im Gespräch ist die regionale Vernetzung im Biobereich und die Zusammenarbeit mit der Freien Schule Lindau, was als Programmpunkte einfliessen sollen.

Dieter Koschek

nach oben


"Entdecke den Clown in dir ..."

Oft ist es die Suche nach Humor und das Gefühl, dass da „noch etwas ist", das ausprobiert, ausgedrückt, rausgelassen werden will, das Menschen in meinen Workshop bringt.

Die Frau, die fünf Kinder großgezogen hat und ihrem verborgenen Humor auf der Spur ist; der Mann, der als Beamter tagaus tagein mit Krawatte und Anzug zum Dienst zu erscheinen hat und manchmal ausbrechen will; die TheaterschülerInnen, die noch mehr ausprobieren wollen. Vorsichtig nähern wir uns in diesem ganz speziellen Theaterworkshop all diesen Bedürfnissen an.

Gefühle wieder entdecken

Gefühle sind dabei eines der Schwerpunktthemen. Wir spielen alle Gefühle, die wir kennen. Wir gehen, wir bewegen uns in verschiedenen Gefühlen. Schließlich waren wir alle schon einmal traurig oder fröhlich, haben Angst gehabt, waren verliebt oder eifersüchtig, also können wir diese Gefühle auch in uns hochkommen lassen und wieder erleben – ohne sie „dramatisch" darstellen zu müssen, ohne zu übertreiben.

Je echter das Gefühl einer Clownfigur ist, um so schöner ist die Figur – der Clown!

Dabei geht es nicht um den Zirkusclown, um zu große Schuhe und viel Schminke, sondern um einen Theaterclown, um den Clown, der die Manege verlassen hat und auf kleinen Bühnen ganz nah bei den Zuschau-erInnen oder sogar – wie die Clinic-Clowns - am Krankenbett spielt.

Jede Spielerin und jeder Spieler muss ihren und seinen eigenen Clown finden. Das ist eine sehr persönliche Suche und somit eine persönliche Sache, die jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer anders erlebt.

Dabei bleibt der Workshop Theaterarbeit und hat keinen therapeutischen Anspruch, auch wenn man etwas von sich erfahren oder in sich entdecken kann.

Obwohl in unserem Sprachgebrauch meist vom "Clown" in der männlichen Form die Rede ist, nenne ich selbst mich ganz bewusst Clownfrau und es ist mir auch wichtig, dass die Frauen in meinen Workshops Frauenfiguren bleiben!
Clowninnen, Clownessen, Clownfrauen eben. Es ist Arbeit genug, die eigene Clownfigur zu entdecken und zu entwickeln, es ist unnötig und einfach zu viel, sich auch noch in das andere Geschlecht zu spielen, zu verwandeln, einzufühlen.

Die kleinste Maske der Welt

Die Entdeckungsreise zum Clown in uns beginnt mit Bewegungsübungen und mit der Arbeit mit Masken. Das Spiel mit den Masken ist wichtig für Körperwahrnehmung und –ausdruck und hilft zur Echtheit von Gefühlen zu finden. Sobald sich die Gesichtszüge nicht mehr verändern, richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen auf den Körperausdruck und die Bewegungen scheinen wie vergrößert.

Nach Jacques Lecoq ist die rote Nase "die kleinste Maske der Welt". Tatsächlich verändert sie unser Gesicht unglaublich stark. Mit der runden Nase bekommt unser Gesicht einen naiven Ausdruck und so fällt uns die Verwandlung in eine naive Person leichter. Ein Clown glaubt alles, was man ihm sagt, nimmt alles wörtlich.

Hier kommen viele Fähigkeiten und Eigenarten von Kindern zum Vorschein: offen und ganz ohne Misstrauen zu sein, spontan zu bleiben und ohne langes Nachdenken zu reden; das Staunen noch nicht verlernt haben!

Im Workshop spielen wir deshalb zunächst einmal Kinderszenen, im Sandkasten, auf dem Schulhof, im Kindergarten. Das „Kind in uns", das wir dabei wiederentdecken können, versuchen wir später in die Clownfigur zu integrieren.

Dann wählen wir unsere Clownkleidung aus. Was normalerweise tabu ist, ist hier erwünscht. Wir kleiden uns nicht - wie gelernt - vorteilhaft, nett und adrett, sondern suchen schräge und unvorteilhafte Kombinationen aus, gestreift mit kariert, zu weite Hosen mit einem viel zu engen T-Shirt. Bei manchen geht das recht schnell, bei anderen TeilnehmerInnen wächst der Mut zur Hässlichkeit erst im Laufe des Workshops.

Dumm sein und sich blamieren dürfen
In den neuen Kleidern probieren wir unterschiedliche Arten zu gehen aus. Wir suchen den Gang, der zu unserem Kostüm passt: mit den Zehenspitzen nach innen und nach außen, mit dem Oberkörper nach vorn ... .

Später improvisieren wir kleine Szenen, die wir einander in Gruppen vorspielen: Etwas passiert plötzlich, es gibt Reaktionen; wir jodeln und singen und tanzen.

Den Clown in sich zu entdecken, heißt dumm sein zu dürfen. Normalerweise können wir uns das nicht leisten. Wer etwas nicht weiß, bleibt lieber still. Als Clown kann ich mich auf eine Bühne stellen und sagen: "Ich bin dumm!". Ich kann meine Stärken und Schwächen so übertreiben, dass man darüber lachen kann. Anstatt mich zu bemühen, mich ja nicht zu blamieren, kann ich lernen mich so oft zu blamieren, bis es mir richtig Spaß macht.

Kunigunde, Rosalinde, Frau Knuddel

Gegen Ende des Workshops bekommt jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer einen Clownnamen. Meist machen die anderen dazu Vorschläge. Man verbeugt sich, nennt seinen richtigen Namen, hört sich die Vorschläge an. Wenn ein Name passt, dreht man sich zweimal im Kreis und sagt dann den neuen Namen.

Das sind oft Namen wie Lollo, Bimbo, Pipa, Frau Knuddel, aber auch Kunigunde, Rosalinde, Augustine und andere altmodische Namen, die in den heutigen Ohren komisch klingen.

Ein Clown, schreibt XY in „Gottes Clown sein", "ist kein Held, den man bewundert. Er ist oft unbeholfen, unsicher, linkisch, aber: die Leute sind auf seiner Seite ... und sie haben das Empfinden: Ein Clown ist wie unsereins. Er teilt mit seinem Weinen und Lächeln unsere menschlichen Schwächen. (...) Ein Clown lacht über sich selbst, über die eigenen Schwächen und Fehler. Es ist für die Seele äußerst heilsam, wenn ein Mensch über sich selbst lachen kann. Das Weinen und das Lachen sind heilsame Vorgänge für Leib und Seele. Das Lachen ermöglicht Distanz und Gelassenheit und bewahrt einen Menschen davor, sich zu wichtig zu nehmen. Der Clown lebt uns diese Tugenden beispielhaft vor."

Den Clown in uns selbst zu entdecken, gibt uns Mut so zu sein wie wir sind - auch mit dem, das wir normalerweise verstecken.

Elke Maria Riedmann

Heilpädagogin und Clownfrau; Theaterausbildung bei Dimitri im Tessin, Desmond Jones in London und Jaques Lecoq in Paris; Arbeit als Clinic-Clown und in der Ausbildung von Clinic-Clowns, Clownarbeit in Kindergärten (z.B. zu Verkehrserziehung, Haushaltsunfällen u.a.), Clown-Workshops mit Frauen und Männern allen Alters und unterschiedlicher Berufsgruppen

Kontakt: Elke Maria Riedmann, Rohrmoos 55, A-6850 Dornbirn,  e-mail: riedmann.koschek@aon.at

nach oben


Ethos des Spiels

Spiel um seiner selbst willen ist der höchste Ausdruck menschlicher Freiheit – und Freiheit ist nichts, was man kaufen kann. Im 15. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen aus dem Jahr 1795 bemerkt Friedrich Schiller: „...der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Das ist so, weil reines Spiel im Bereich der Kultur der wichtigste Ausdruck menschlicher Bindung ist. Wir spielen miteinander aus Liebe zur Begegnung mit anderen Menschen. Es ist der intensivste Akt gemeinsamer Teilnahme und wird durch gegenseitiges Vertrauen ermöglicht – das Gefühl, dass jeder Spielende seine Abwehrmaßnahmen niederlegen und sich selbst für einen Augenblick der Fürsorge anderer überlassen kann, um die Freude zu erleben, die im freien Verkehr der Menschen miteinander entsteht. Aus diesem Grund kann man auch nicht wirklich alleine spielen, in der Isolation von den anderen entsteht keine wirkliche Freude. Selbst wenn man alleine in einem Wald spazieren geht, erwächst die kontemplative Freude aus dem Gefühl tiefer, fester Verbindung mit der Lebenskraft, die uns umgibt.

Freiheit und Spiel haben also einiges gemeinsam. Man lernt durch das Erleben reinen Spiels in der kulturellen Sphäre, offen zu werden für andere Menschen und mit diesen etwas gemeinsam zu tun. Wir werden zu Menschen, wenn wir gemeinsam feiern. Wir werden niemals wirklich frei sein, wenn wir uns nicht vollkommen dem reinen Spiel hingeben können.

Reifes Spiel – im Gegensatz zur passiven Unterhaltung – entsteht nur im kulturellen Bereich. Wenn Menschen sich einander verpflichten, dann sind sie an einem sehr reifen Spiel beteiligt. Das geschieht in Vereinigungen, die sich der Solidarität, dem zivilen oder kirchlichen Leben widmen, geschieht in der Kunst, im Sport oder in Organisationen, die für soziale Gerechtigkeit oder Schutz der Umwelt eintreten. Sozialer Austausch in solchen Gruppen schafft Inseln sozialen Vertrauens und eine Menge sozialen Kapitals, auf das sie sich stützen können. Reifes Spiel ist immer eine Gemeinschaft vieler. Es bringt Menschen in einer Gemeinschaft zusammen und ist die intimste und raffinierteste Form menschlicher Kommunikation, die es gibt. Reifes Spiel ist auch das Gegenmittel gegen die ungehemmte Ausübung institutioneller Macht, ob in der politischen oder der kommerziellen Sphäre.

Jeremy Rifkin: Access. Das Verschwinden des Eigentums.(Frankfurt am Main 2002)

nach oben


Lernen ist die Entdeckung, dass etwas möglich ist.
F. Pearls

Eine Schulalternative in Lindau

20 Jahre nach der Freien Spielgruppe im Eulenspiegel und unseren Versuchen zur Gründung einer Freien Schule hat sich für uns völlig überraschend ein Verein gebildet, der genau dieses vorhat. Zwar gibt es sicherlich Unterschiede im geplanten Konzept zu unseren damaligen Überlegungen, aber erst mal ist dieses Vorhaben zu begrüßen und zu unterstützen. Die Aktivengruppe der Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel hat überlegt wie wir unsere Kontakte zu anderen Reformschulen in den Entstehungsprozess einbringen können. Erste Gespräche mit Vorstandsmitgliedern, die auch Gäste des „Eulenspiegels" sind, haben stattgefunden.

Im Folgenden stellt sich die Initiative selbst vor:

Die Freie Schule in Lindau wird zum Schuljahresbeginn 2005/2006 als Schule in freier Trägerschaft den Betrieb aufnehmen. Sie wird eine Ergänzung zum bestehenden Lindauer Schulangebot sein und Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zum Schulbesuch in der Grund- und in der Sekundarstufe von der ersten bis zur zehnten Klasse anbieten: Die Schülerinnen und Schüler sollen die Möglichkeit haben, je nach Neigung nach neun Jahren den Hauptschulabschluss oder nach zehn Jahren den Realschulabschluss abzulegen, und im Anschluss an weiterführende Schulen wie z.B. für die letzten beiden Jahre bis zum Abitur an ein staatliches Gymnasium überzuwechseln.

Die Schule und ihre Lehrkräfte erfüllen dafür die entsprechenden Anforderungen der bayerischen Schulverwaltung. Der Lehrplan der Freien Schule Lindau orientiert sich an den Lehrplänen der bayerischen öffentlichen Schulen.

Das Konzept der Schule stellt aber darüber hinaus ein mehr an Gemeinsamkeit und Betreuung und vor allem andere Schwerpunkte und andere Formen des Lernens in den Mittelpunkt.

Erkläre mir und ich werde vergessen,
zeige mir und ich werde mich erinnern,
beteilige mich und ich werde verstehen

Anonym

Pädagogik

Die Pädagogik unserer Schule verfolgt praxiserprobte Ansätze und bewährte Lehr- und Lernkonzepte aus unterschiedlichen erfolgreichen reformpädagogischen Richtungen und Modellen. Ein besonderes Vorbild für uns ist dabei neben skandinavischen Schulmodellen die "Laborschule Bielefeld", in der seit 1974 ein "anderes" schulisches Lernen erprobt, realisiert und wissenschaftlich begleitet wird – mit hohem Erfolg.

Besondere Ziele unserer Pädagogik in Stichworten

- den Kinder ihre ursprünglich vorhandene Lust am Lernen bewahren
- durch selbstbestimmtes Lernen die Kinder früh zur Selbständigkeit führen
- Lernen durch Erfahrung - das Leben als "Lehrmeister" zum Ausgangspunkt von Lernsituationen machen
- Ganzheitliches Lernen - Lernen mit Kopf, Herz und Hand
- praktisches Lernen an echten Lernsituationen und realen Aufgaben in der Schule, in der Natur und an Alltagsorten im Schulumfeld, auf Exkursionen und auf Reisen
- vernetztes Lernen in fachübergreifenden Projekten
- das Lernen lernen – Wege kennen lernen, sich Wissen selbstorganisiert und selbstverantwortlich zu erschließen
- lernen, die eigenen Stärken und Schwächen und den individuellen Lernbedarf realistisch einschätzen zu können
- lernen, die Ergebnisse seiner Arbeit präsentieren und reflektieren zu können
- exemplarisches Lernen – nicht Einzelheiten lernen, sondern das Prinzip einer Sache erkennen
- selbstorganisiertes Lernen - sich selbst realistische Ziele setzen und Wege finden, diese Ziele zu erreichen
- kooperatives Lernen – mit anderen lernen – Große lernen von Kleinen, Kleine lernen von Großen
- Individuelle Lernförderung – Begabte fördern - Schwachen helfen, stark zu werden – Behinderungen und Unterschiede nicht als Makel, sondern als Bereicherung sehen
- Angstfreies Lernen – Lernen ohne Leistungs- und Zeitdruck
- lernen, Autoritäten zu hinterfragen und sich einzumischen
- Aufwachsen als Prozess erfahren – die Kindheit - die Jugend –das Erwachsen sein – das Alter als Phasen des Lebens kennen lernen, wahrnehmen und akzeptieren – jede Altersstufe hat ihre Besonderheiten und Schwierigkeiten
- Soziales Lernen - sich als Teil einer Gemeinschaft erfahren - Verantwortung für andere übernehmen – für andere da sein, aber auch für sich sorgen können – das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen "sich selbst" und "der Umwelt" als fruchtbar erfahren

Lernen an der freien Schule

Im Zentrum des Schulgeschehens stehen die individuelle Förderung und das Lernen an echten Situationen. Besonders kennzeichnend für das Schulkonzept sind dabei:

- altersübergreifende Gruppen, die ein Lernen voneinander ermöglichen
- Unterrichten ohne die übliche 45-Minuteneinteilung -Orientierung am Tageslauf und den besonderen Ereignissen des Tages
- das soziale Miteinander in allen Jahrgängen - gemeinsames Frühstück und regelmäßige Versammlungen von Schülern und Pädagogen als zentrales Element
- eine besondere Konzentration auf den Schulstart – sanfter Übergang vom Kindergarten bzw. Elternhaus in die Schule
- Lernen in Projekten und an realen Erfahrungen in der Schule und an Lernorten im Schulumfeld
- enge Zusammenarbeit mit den Eltern und Einbeziehung ihrer Kompetenzen in die Arbeit der Schule
- ein hohes Maß an Selbstverantwortung und Selbstorganisation für das Lernen umgesetzt in Formen von Freiarbeit
- keine Ziffernbenotung, dafür individuelle Entwicklungsberichte, bei gleichzeitigem Erlernen und Einüben einer gesunden Selbsteinschätzung, was Leistungen und Lernbedarf anbelangt
- eine Ganztagesbetreuung und in den höheren Jahrgängen auch Ganztagesunterricht
- das Entfallen des Übertrittsdrucks von der vierten Grundschulklasse in die fünften Klassen der weiterführenden Schulen durch die Möglichkeit, die Schullaufbahn in der Freien Schule Lindau weiterführen zu können
- ein höherer Betreuungsschlüssel und ein pädagogisches Team, bei dem die Lehrerinnen und Lehrer von pädagogischen Fachkräften interdisziplinär ergänzt werden.

Die Freie Schule Lindau wird 10 Jahrgänge umfassen. Nach dem zehnten Schuljahr soll es die Möglichkeit geben, durch eine externe Prüfung die mittlere Reife zu erhalten, sowie an ein Gymnasium überzutreten, um das Abitur zu machen.

Die Schule startet zum Schuljahr 2005 / 06 mit Schülern der 1. und 2. Klasse. Sie wird von Jahr zu Jahr aufbauend wachsen, indem sie jeweils neue Erstklässler aufnimmt.

Die Größe der Schule wird mit einem Umfang von 25 – 30 Schülern pro Jahrgang am Ende eine überschaubare Gruppe von insgesamt etwa 300 Schülern umfassen.

Aktueller Stand:

Genehmigung: Die Genehmigungsbehörde – die Regierung von Schwaben mit Sitz in Augsburg – wie auch das staatliche Schulamt Lindau sind persönlich über die Pläne informiert. Sie prüfen und begleiten das Antragsverfahren ausgesprochen wohlwollend. Aus Sicht des Vorstandes kann bereits jetzt gesagt werden, dass sich dem Gründungsverfahren keine unüberwindbaren Hürden in den Weg stellen.
Räumlichkeiten: Es gibt derzeit mehrere vielversprechende Objekt-Optionen im Lindauer Stadtgebiet. Hier tritt der Vorstand in den nächsten Tagen in die Verhandlungen ein.
Personal: Derzeit beginnt der Vorstand mit der Suche nach geeignetem Personal, das die reformpädagogischen Konzepte der Schule tragen und ausgestalten kann und will. Dem Trägerverein obliegt – im Gegensatz zu staatlichen Schulen - die Personalhoheit.
Kosten: Der Staat übernimmt nach erfolgreichem Ablauf der ersten beiden Jahre die Personalkosten (zu 100%) sowie Raum- und Sachkosten (zu 80%). Die Zusatzkosten werden ca. 120 bis 150 Euro pro Kind betragen (Vergleichszahlen von ähnlichen Schulmodellen). Sie kommen vor allem durch das intensivere Betreuungsverhältnis sowie die Ausdehnung der Betreuung auf den Nachmittag zustande. Dabei prüft der Vorstand aktuell, ob und wie besondere Fördermittel, beispielsweise für die Ganztagesbetreuung, zu erschließen sind.

Freie Schule Lindau e.V. Bahnhofsplatz 1b, D-88131 Lindau www.freieschulelindau.de

nach oben


 Atomismus und ganzheitliches Denken

Das 21. Jahrhundert hat gute Chancen, Träger eines neuen, ganzheitlichen Bewusstseins zu werden, welches das atomistische und mechanistische Denken des 19. und 20. Jahrhunderts schrittweise überwindet. Gewiss sind die Aussichten nicht sehr rosig, wenn man sich umschaut hinsichtlich der Ausbreitung des materialistisch-atomistischen Denkens, welches sich weiterhin kundtun und Geltung zu verschaffen suchen wird, jedoch wird es vielerorts schon als etwas Fragwürdiges, Brüchiges oder Dekadentes erlebt. Vordenker ganzheitlicher Anschauung, wie z.B. Jean Gebser, der für das postrationale Zeitalter das Herausformen eines "integralen Bewusstseins" prophezeite, welches den Materialismus überwindet, selbst manches, was unter dem zunächst in etwas esoterischer Übertriebenheit daherkommenden Begriff des "New Age" eingeordnet wird, wie Fridtjof Capra's "Wendezeit", sind doch unübersehbare Symptome, gegen die das Alte sich jedoch quälend und konservativ aufbäumt.

Schützenhilfe kommt nun jedoch auch noch aus den Bereichen schlichter therapeutischer Lebenspraxis, aus fernöstlicher (Akupunktur-)Medizin und verwandten Methoden und Systemen, die als Feng Shui, Tai Chi, Qui Gong, Reiki, Ayurveda usw. dem schon länger im Westen vertretenen Yoga sich zugesellt haben. Gemeinsam ist diesen neuen asiatischen Importen, dass sie tatsächlich heilend, ausgleichend, auf typisch westliche Schädigungen (wie Managerkrankheit, Überreiztheit, Neurosen, Stress usw.) lindernd wirken können, und sie damit gänzlich anderen Charakter aufweisen als vieles, was als östliche Meditationstechniken ab den 1970er Jahren teilweise chaotisch und dekadent die westliche suchende Jugend - oft zusammen mit Drogen - heimsuchte.

Recht aufgefasst, können die "neuen" alten östlichen Systeme eine gute Unterstützung sein und Hilfe bei der Entwicklung des ganzheitlichen, "integralen" Bewusstseins, da sie aus einer Anschauung stammen, in der umfassendere Aspekte der menschlichen und der Naturexistenz noch selbstverständlich waren, wie es auch in Europa vor der Zeit des Rationalismus ein selbstverständliches Zusammenleben der Bevölkerung mit Gnomen, Elfen und anderen Naturgeistern, mit kosmischen Einflüssen (Mondstand) usw. gab, wovon viele Sagen und Volksmärchen berichten.

In den asiatischen Systemen ist es vor allem der Begriff des "Chi" oder "Qui" (Ki), der als Synonym für die Lebenskraft steht, auf den aufmerksam zu werden sich lohnt, und der Verwandtschaft mit älteren einheimischen Begriffen wie "Od" oder "Fluidum" hat. Od und Fluidum lassen sich übersetzen mit Atem und Fluss, dem Fließenden, welches wir wiederfinden etwa im chinesischen Feng Shui, was Wind (Feng) und Wasser (Shui) bedeutet. Jedoch ist im Sinne der alten Lehren nicht bloß der reduktionistische Begriff der physikalisch-materiellen Luft gemeint und der des reduktionistischen Aggregatzustandes, sondern die "Luft" ist hier beseelt zu denken (entsprechend dem Yoga-Begriff des "Prana") und das "Wasser" belebt, als Lebensträger. (In der aus dem Indischen entlehnten Theosophie und der daran anknüpfenden Anthroposophie finden sich entsprechend die Begriffe des "Astralischen" und des "Ätherischen", wobei letzter nichts mit dem Äther aus der Flasche oder dem Rundfunk-Äther zu tun hat, außer dass diese materiell-physikalische Ableitungen davon sind). Insbesondere das Fluidum des Shui oder Chi, das Fluidum der Lebenskraft, durchdringt alles Lebendige, und jeder Mensch lebt ganz selbstverständlich darin und davon getragen, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist oder keinen Begriff davon hat. Die Fähigkeit des Körpers, etwa eine Schnittverletzung am Finger oder eine sonstige Wunde wieder zu verheilen, beruht darauf: Eine Ganzheit wird wieder hergestellt, wird "heil" gemacht. Das uralte und äußerst tiefsinnige Trostlied für Kinder: "Heile, heile Segen, wird ja wieder gut…" beruht darauf. Es erinnert an die im Chi-Leib, im menschlichen Ätherleib liegende Fähigkeit, physische und physikalische Eingriffe wieder auszugleichen und den Organismus wieder ganz zu machen, so dass er "gut" wird.

Schaut man sich den heutigen Menschheits- und Erdzustand an, so können einem allerdings ernste Zweifel und Bedenken kommen, ob alles "wieder gut" werden könnte. Dennoch liegt dies - zumindest für entscheidende Bereiche - nicht außerhalb des Möglichen, wenn nur das ganzheitliche Denken und Bewusstsein erübt, gepflegt und ausgebildet wird. Dieses ganzheitliche Denken liegt in einer Überwindung des Materialismus und Atomismus, welche Anschauungen vom Materiezerfall sind. Diese Anschauungen sind in ihrem Geltungsbereich berechtigt, welcher jedoch nur der Geltungsbereich von Anatomie und Leichnamskunde ist. Die Leichnamskunde ist der berechtigte Bereich, den Zerfall von Organismen in Einzelteile hinein und des Unterworfenwerden unter physikalische Gesetze zu konstatieren, für den Bereich lebendiger Organismen gilt dies nicht und kann es nicht gelten, kann die Atomtheorie nichts Interessantes beisteuern.

Das Entstehen, Bilden und Gestalten von Organismen geschieht aus anderen Gesetzen heraus als aus mechanischen, und aus Zerfallendem kann niemals ein Ganzes werden. Lediglich wie ein Aneinanderhalten eines Puzzles oder der Scherben einer zerbrochenen Vase ist es, wenn der Physiker mithilfe von "Bausteinen des Lebens" sich das Zustandekommen von Organismen sich vorstellen will. Und nicht mehr als ein frankenstein'sches Flickwerk, ein Homunculus kommt dabei heraus, wenn er tatsächlich aus Teilen ein Scheinganzes zusammenbacken will. Das Entstehen ganzheitlicher Organismen geschieht eben nicht aus Zusammenbacken und Flickwerk heraus, aus einem Konglomerat, sondern aus vormateriellen Strömungen und Bewegungen heraus, welche sich gleichsam erst später mit Substanz (das heißt: das "Unterstehende") benetzen und ausstopfen. Aus Strömungen heraus entsteht und bildet sich jeder lebendige Organismus, davon hat Theodor Schwenk in seinem wichtigen Werk "Das sensible Chaos" einige anfängliche Beispiele gegeben.

An jedem Menschenleben ist sichtbar, wie in der Jugend das plastische, saftige und rundende "Chi"-Prinzip überwiegt (noch deutlicher, wenn man die Embryonalentwicklung, also die vor-irdische Entwicklung hinzunimmt, die gänzlich im Wässrigen der Gebärmutter verläuft), während im Alter die Verknöcherung, Austrocknung und Faltenbildung aufgrund der mehr irdischen Kräfte überwiegt, bis der Tod nicht mehr aufzuhalten ist, welcher den Menschen jedoch auch gleichsam vor dem Mitmachen der totalen Verhärtung rettet. Jeden Tag spielt sich ein kleines Abbild davon ab, wenn morgens mit frischen Kräften der Mensch - vom Schlafe "verjüngt" erwacht, und zum Abend hin müde und etwas zerknittert das Bewusstsein aufgibt: "Tod - Schlafes Bruder".

Das "ganzheitliche Denken" besteht in nichts anderem, als das, was im Schlaf an Erneuerung geschieht, sozusagen ins Tagesbewusstsein herüberzuholen, sich auch dort bewusst zu machen. Es ist dies ein Denken in ätherischen Strömen. Man braucht keine Sorge zu haben, dass dies Denken nun auch im Tagesbewusstsein abstirbt, so wie durch die Einwirkung des Nervensystems und der Sinnestätigkeit die Vitalität des Trägerkörpers geschädigt wird (und durch den Schlaf regeneriert werden muss). Vielmehr bekommt die nächtliche Regenerationsarbeit durch ein lebendiges Denken sogar "Schützenhilfe". Der Mensch schläft auch besser, wenn er sich tagsüber mit lebendigen, organischen Gedanken befasst. Denn er hat auch tagsüber ein "Fluidum", welches den ätherischen Strömungen entspricht, und das ist seine Denkbewegung. Wird das Denken belebt und lebendig, so kann es selbst einen erfrischenden, regenerierenden Charakter bekommen. Oftmals wird "Denken" und "Vorstellen" miteinander verwechselt. Das Vorstellen ist vielmehr das erinnernde Abrufen vergangener Sinneseindrücke, die relativ statisch sind, daher ist auch von "-stellen" die Rede. Wird eine Pflanze, etwa eine Rose, "vor-gestellt", so handelt es sich zumeist um ein ruhendes Bild, ähnlich einer Fotografie (welche ja auch tatsächlich im Auge, der ersten "Kamera", durch Belichtung der Netzhaut stattfindet). Die Vorstellung ist aber unterschwellig-suggestiv atomistischer Natur, weil sie auf Basis der Sehzellen, also einer Matrix, eines Rasters aus (atomistischer) Zellstruktur entstanden ist. Immer haben Sinnesvorstellungen die unterschwellige atomistische Suggestion beigefügt. Das Denken kann hingegen nur bildend mit diesen Eindrücken umgehen. Nichts anderes aber ist die von Rudolf Steiner (in "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?") empfohlene "Samenkornübung", in der das Wachsen und Werden einer Pflanze aus einem Samenkorn möglichst genau "vor dem inneren Auge" imaginiert werden soll. Beobachtende Vorstellungen sind hierbei nur Hilfsmittel der aus dem Innern heraus gebildeten schöpferischen Imagination, die schließlich die Bildung der Pflanze aus einem Werdefluss darstellt. Grundsätzlich gesagt kämpfen Nervensystem und Denken weltanschaulich gegeneinander: Beim Aufwachen fährt das Geistig-Seelische des Menschen in das Nervensystem wie in einen Handschuh hinein - die Millionen Nervenendigungen suggerieren dabei im Wachbewusstsein eine atomistische Weltstruktur. Auf den "Wogen" des Schlafes und Traumes erlebt der Mensch das fließende Kontinuum der Welt, das strömende und bildende Fluidum der Lebenskräfte. Er ißt, biblisch gesprochen, vom "Baum des Lebens", der ihm im Wachbewusstsein (dem Nerven-"Baum der Erkenntnis") zunächst verwehrt ist. In der Imagination jedoch betätigt er im Denken lebendige Kräfte, die ihn über die Sinnes-Illusion des Nervensystems hinausführen können. Das Erfassen des bildenden Strömens in Wolkenumbildungen, im Pflanzenwachstum, in Tierbewegungen wird zu "ganzheitlichem Denken", das die Leichnamskunde des Atomismus überwinden kann. Ganzheitliches Denken darf mit Recht das genannt werden, was im Erfassen vom Organismus und organischen Tätigkeiten lebt in den Bildungskräften des "Chi", welche stets organische Ganzheiten gestalten. Zugleich ist dies eine Überwindung des zu Tode Zerfallenden in die Anschauung von Lebensbereichen hinein.

Andreas Pahl
nach oben


Nachrichten aus Case Caro Carrubo, Sizilien Juni 2004

NO AL PONTE  

No al Ponte!– Nein zur Brücke ! Gemeint ist die geplante Mega-Brücke über die Meerenge von Messina. Immer wieder werden wir von Gästen, die von auswärts kommen, gefragt, warum der Brückenbau so umstritten ist und welche Argumente dagegensprechen. Das möchte ich zum Anlass nehmen, einmal ausführlich darüber zu berichten.

Es gibt sehr viele Dossiers zum Thema „Ponte", hunderte Seiten von Abhandlungen darüber, von Wissen-schaftlern, Umweltverbänden und verschiedensten Vereinen, (Ein Buch befasst sich nur allein mit dem Aspekt Mafia und Ponte!)

Der Brückenbau schwirrt schon seit altersher in Köpfen herum, die im Namen eines falsch verstandenen Fortschritts und aus Geltungssucht das Homerische Schicksal übergehen wollten. Immer wieder musste das Vorhaben aus technischem Unvermögen, durch Erdbeben, durch begründete Furcht und realistischerer Einschätzungen aufgegeben werden. Die Geltungssucht der Klasse eines Berlusconi und starke Verflechtungen bestimmter Kreise haben den Brückenbau nun das erste Mal bis in eine Realisierungsphase gebracht. Und: Das Projekt ist vom Europäischen Parlament, nach einer ersten Ablehnung, nun doch in die zu unterstützenden Großprojekte der EU aufgenommen worden.

Leider hatte ich nicht die Zeit, die vielen Dossiers, die ich in kurzer Zeit gesammelt hatte, durchzuarbeiten. Ich beschränke mich in diesem Bericht auf ein Dossier, das 1998 von Wissenschaftlern, Umweltverbänden, verschiedenen Vereinen und Einzelpersonen als Appell an die UNESCO verfasst wurde, die Meerenge von Messina in das Weltkulturerbe aufzunehmen. Titel dieses Dokuments „ Zwischen Skylla und Charybdis".

Zuerst ein paar Gesichtspunkte zur Einzigartigkeit dieses Erdwinkels, bevor ich zu den Argumenten komme, die gegen den Bau sprechen.

Die Meerenge hat die Form eines Trichters zwischen dem Tyrrhenischen und Ionischen Meer; an der engsten Stelle 3 km, an der weitesten 16 km breit. Die Meerestiefe in diesem Gebiet geht von nur 72 m an der engsten Stelle auf über 2000 m! Dieser krasse Tiefenunterschied, der verschiedene Salzgehalt und Temperaturunterschied der beiden Meere kreieren starke zyklische Strömungen in der Enge, die bei Homer in der Sage von Odysseus in den Gestalten der Meeresungeheuer Skylla und Charybdis auftauchen. Charybdis, Tochter von Poseidon und der Erde nistet auf einem Fels auf der sizilianischen Seite der Meerenge. Die Sage beschreibt sie als grausame Räuberin, die wie rasend die Seefahrer überfällt und sie allem beraubt. Gegenüber von Charybdis lebt Skylla, das andere legendäre Ungeheuer auf einem gleichnamigen Fels auf der Festlandseite. Wer dem Schicksal Charybdis entkam, findet vor sich Skylla, die mit ihrem riesigen Maul Mensch und Schiff verschluckt. Von Charybdis wird gesagt, dass sie dreimal am Tag das Meerwasser einsaugt und dreimal wieder ausspuckt. – Es ist nichts anderes als die legendäre Beschreibung der zyklischen Bewegung der Strömungen in der Meerenge: Ungefähr alle sechs Stunden dreht sich die Strömung um und die ständige Bewegung ist von bestimmten Pausen unterbrochen. Man/frau kann sich vorstellen, dass diese besonderen Faktoren eine Einzigartigkeit der Unterwasserwelt schufen und schaffen! Das Wasser (trotz der immer stärkeren Verschmutzung) bleibt durch die Strömung so klar, dass die Sonnenstrahlen bis in 30 m Tiefe dringen können.

Auch der Himmel über der Meerenge zeigt Besonderheiten: Seine Luftströmungen veranlassen einen großen Teil der Zugvögel die Meerenge als Durchzugsgebiet auf ihrer Reise nach Norden nehmen.

Was ganz besonderes, leider durch die Luftverschmutzung immer weniger zu beobachtendes, liegt auch in dem Phänomen der „Fata Morgana" : Bei bestimmten Luftverhältnissen erscheinen die bergigen Ufer dem Meer enthoben und die Küsten erscheinen als verformte Gebilde am Himmel.

Unter der Meerenge begegnen sich die Erdplatten und schaffen vulkanische Aktivität und hohe Erdbebengefahr. Trotz der mehrmaligen Zerstörung Messinas und Reggio Calabrias haben die Überlebenden den Ort nie verlassen. Das Zusammenleben mit dem Erdbeben, eine Kultur der Vorbeugung und Anerkennung des Risikos, des Unberechenbaren bestimmte das Leben der Menschen. Eine Kultur, die die Naturmächte respektierte und eine Kenntnis ihrer Grenzen hatte, auf die die heutige Zeit sich dringend besinnen müsste. Die Landschaft und das Ökosystem der Meerenge durchdrang die Kultur und nicht nur die örtliche . Die Trennung Siziliens mit dem Festland schafft nicht nur Vitalkräfte zwischen den verschiedenen Meeren, sondern auch zwischen einer mittelmeerländischen und europäischen Kultur und Gesellschaft.

Dieses Stück Meer und seine Strömungen halten eine Distanz und diese Distanz schafft den Raum der Begegnung der Unterschiede. Einen symbolischen Ausdruck dafür, findet sich in dem schönen Vergleich, auf den im Bericht Bezug genommen wird: Im Bild „ Die Erschaffung Adams" von Michelangelo sind die Finger des Menschen und Gottes zueinander ausgestreckt ohne sich zu berühren und in diesem Dazwischen strömt die Vitalkraft.

Das allgemeine Bedürfnis, die Insel mit dem Festland fest zu verbinden, hat noch einen mehr psychosozialen Grund (der demagogisch zum Brückenbau natürlich gut ausgenützt wird): Nicht die Inselhaftigkeit der sizilianischen Kultur und Gesellschaft, sondern das Gefühl des an den Rand gedrückt und Ausgeschlossenseins und das Gefühl zu Europa zu gehören und als Insel nicht weiter nur als Klotz am Bein des Festlands betrachtet zu werden, bringt die Bevölkerung dazu.

 Nun zu einigen Argumenten gegen den Brückenbau:

Die Schäden für die Umwelt:

Über sechzig Wissenschaftler aus dem Bereich Städte- und Landschaftsentwicklung drückten ihre große Sorge aus, dass dieses Megaprojekt die Zerstörung einer der bedeutendsten Landschaften und marinen Ökosystemen des Mittelmeeres mit sich brächte. Die Träger der Brücke wären 360 m hoch, die Hängebrücke selbst ergäbe mit ihren Verstrebungen eine „Riesenwand" von 1200000 Quadratmetern. Das heißt, die Meerenge wäre landschaftlich zweigeteilt und der Riesenschatten der Brücke würde die Meeresbiologie stark verändern. Die Küstenstreifen beidseitig würden landschaftlich zerstört (36 km neue Eisenbahn-, 25 km neue Autobahnlinie, Zubringer, Kontrollstellen etc.), Mikroflora und -fauna würden verschwinden, die Zugvögel würden ausbleiben.

Ökonomische und soziale Entwicklung:

Großprojekte wie die Brücke sind nicht geeignet die Probleme des „Mezzogiorno" zu lösen. Statt eine Entwicklung zu fördern, die die vorhandenen Gegebenheiten und Energien nachhaltig nutzt, werden diese zerstört.

Die Brücke ist vom Gesichtspunkt, ein modernes Transportmittel zu sein, überholt. Sie könnte allein als technisches Wunderwerk gelten ( sie wäre die längste Hängebrücke der Welt), doch sie wäre kein adäquates Werk, das den heutigen Anforderungen einer vielschichtigen Ausnützung der Transportmöglichkeiten entspricht. Statt Individualverkehr einzudämmen, was Gebot der Zeit wäre, wird er durch die Brücke noch mehr gefördert. Schon jetzt bewegt sich der Transport viel auf dem Wasser und in der Luft. Ein sinnvoller Ausbau der vorhandenen Strukturen, der auch die Umweltaspekte mit einbezieht, wäre weitaus realistischer und sehr viel weniger kostspielig. Gerade in der Rücksicht auf die Besonderheiten der Meerenge läge eine große Möglichkeit für eine mensch- und umweltverträgliche Entwicklung, die große Chancen in sich hätte, und dieser benachteiligten Zone eine neue Identität geben könnte.

Die Wirtschaftlichkeit der Brücke:

Über die Kosten des Brückenbaus kommen sogar die Experten des Ministeriums für öffentliche Angelegenheiten (1998) zu einem negativen Urteil. Großgeschrieben wird die Arbeitsplatzbeschaffung, die aber hauptsächlich in temporärer Arbeit beim Brückenbau besteht. Ist der Brückenbau beendet, wären viele Menschen erneut arbeitslos mit noch viel weniger Aussichten (Arbeitskostenanteil in der Projektplanung gerademal nur 1% der Gesamtkosten).

Auch die positivsten Rechenspiele über die Wirtschaftlichkeit ergeben klar, dass die Überfahrt auf jeden Fall teurer kommt als die aktuelle mit der Fähre. Bei Wind und Regen wäre die Brücke unpassierbar.

Dann das Problem der Straßenverhältnisse beziehungsweise der Gleise auf beiden Seiten der Brücke. Zum Beispiel bestehen 180 km Strassen und Gleise in Kalabrien aus Brücken und Tunnels und sind kaum ausbaufähig. Das ergäbe mit Gewissheit Staus über Staus und was ist dann an Zeit gespart ?

Die Brücke wäre eine typische Geldanlage mit hohem Kapitalaufwand und geringer Arbeitsplatzbeschaffung bei einer sehr bezweifelbaren wirtschaftlichen Effizienz und das in einem Gebiet, das unter einer hohen Arbeitslosenzahl leidet.

Das Erdbebenrisiko:

Im Durchschnitt wird die Meerenge alle neunzig Jahre von einem Erdbeben betroffen. Bei dem letzten, 1908, wurden 7,0 Grad auf der Richterskala gemessen. Die Brücke würde, so wird versichert, einem Beben von 7,1 auf der Richterskala standhalten. Kann ein solcher Bau bei diesen Aussichten gerechtfertigt sein?

 Die sozialen Auswirkungen und die Militarisierung des Gebietes:

Die Brücke wird eine Verschlimmerung der heutigen Missstände mit sich bringen. Schon jetzt bestimmen Ungleichheiten in der Verteilung, hohe Arbeitslosigkeit, illegale und kriminelle starke und aktive Interessen sowie mangelnde Fähigkeiten in der Regelung der öffentlichen und universitären Einrichtungen das Bild dieser Zone. Die in den letzten Jahren stark zugenommene Zerstörung der Landschaft ist ein Ergebnis dieser Faktoren.

Der Brückenbau als Megaprojekt wird eine Militarisierung des Gebietes mit sich bringen. Als strategisches Projekt wird es militärisch geschützt werden, was heißt, dass viel Küstengebiet zum Sperrgebiet erhoben werden wird.

Dies nun als nur einige der Beispiele, die gegen diesen Megabau sprechen.

Zum Abschluss eine persönliche Bemerkung: Wenn ich auf der Fähre bin, von oder nach Sizilien, überkommt mich ein immer wiederkehrendes Gefühl eines sozusagen „ inneren Kleiderwechsels". Ja, etwas ist einfach anders; unterscheidet die Insel von dem Festland. Schön ist es auch, in die Gesichter mancher Menschen bei der Überfahrt Richtung Sizilien zu schauen, ein Lächeln geht darüber: Sizilien, endlich Sizilien.

Cari saluti dalla Sicilia
Renate Brutschin aus dem Case Caro Carrubo
Anmerkung: Informationsquelle www.terrelibere.it

nach oben


Vertrau’ auf Gott, aber binde dein Kamel vorher an

Ein Lehrer war mit einem seiner Schüler unterwegs. Der Schüler hatte die Aufgabe, das Kamel zu versorgen. Eines Nachts kamen sie müde in einer Karawanserei an. Es war die Pflicht des Schülers, das Kamel anzubinden; Er kümmerte sich nicht darum und ließ das Kamel draußen stehen. Stattdessen betete er einfach. Er sagte zu Gott: „Kümmere Dich um das Kamel!" und schlief ein.

Am Morgen war das Kamel fort – gestohlen oder weggelaufen oder sonst wo. Der Lehrer fragte: „Was ist mit dem Kamel passiert? Wo ist das Kamel?" Und der Schüler sagte: „Ich weiß es nicht. Frage Gott, denn ich befahl ihm, sich um das Kamel zu kümmern. Ich war zu müde, daher weiß ich es nicht. Und ich bin auch nicht dafür verantwortlich, denn ich habe es ihm aufgetragen, und zwar sehr deutlich! Da gab es nichts misszuverstehen. Nicht nur einmal sagte ich es ihm, sondern dreimal. Und Du sagst mir immer „Vertrau’ auf Allah," so habe ich vertraut. Also schau’ mich nicht so böse an."

Der Lehrer sagte: „Vertrau’ auf Gott, aber bind’ Dein Kamel vorher an – weil Gott keine anderen Hände hat als Deine. Wenn Er will, dass das Kamel angebunden wird, muss er jemandes Hände benutzen; Er hat nur diese. Und es ist Dein Kamel. Der beste Weg und der leichteste und kürzeste ist es, Deine Hände zu benutzen. Vertrau’ auf Gott – vertrau’ nicht nur auf Deine Hände, anderenfalls wirst Du verkrampft werden. Bind’ das Kamel an und dann vertrau’ Allah."

Aus dem Arabischen

nach oben


Leben mit Haus- und Naturgeistern

Der Entschluss, Tagebücher zu veröffentlichen, ist immer ein Wagnis. Etwas intim Gehütetes wird der Öffentlichkeit, dem "publico" preisgegeben, welches nun Urteile aller Art darüber fällt. Dennoch gibt es einen starken Hang, eine Neigung auch des Lesers, an inneren Erlebnissen Anderer durch deren Aufzeichnungen teilzunehmen wie an einem "alter ego" – es erweitert die eigene, notwendigerweise begrenzte Erlebnisfähigkeit und zeugt letztlich von einer inneren Einheit der Menschheit, die Peter Handke einst "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" nannte.

So erfreut sich diese Literaturform großer Beliebtheit, ihr haftet der Geruch erlebnisgesättigter Authentizität an, das Nahrhafte und Vollsaftige zeitgenössischer Dokumentation gegenüber der Magerdiät abstrakter Gedankenpaläste.

Die "Gespräche mit Müller" von Verena Stael von Holstein und Friedrich Pfannenschmidt (Flensburger Hefte Verlag 2003, 2 Bde.) sind allerdings Tagebücher besonderer Art. Sie führen ein in ein Leben auf einem Hofgut am Rande der Lüneburger Heide, mit einer stillgelegten Wassermühle, wo Friedrich Pfannenschmidt seine Kindheit und Jugend verbrachte, in Landwirtschaft und umgebender Natur. Er hätte wohl ein friedliches Leben als Landwirt führen können, wäre ihm nicht eines Tages die Mitautorin begegnet, was beiderseitig zu einer Liaison in 2. Ehe führte. Nicht genug dessen, sondern Verena von Holstein brachte noch etwas Besonderes auf den stillen Hof mit: ihre seit der Kindheit vorhandene Fähigkeit, Elementar- und Naturgeister wahrzunehmen und mit ihnen sprechen zu können. Der seit Jahrhunderten auf der alten Mühle wohnende Mühlengeist freute sich nun, endlich mal mit jemandem vernünftig reden zu können. Das Fass, einmal angestochen, sprudelt seitdem zunehmend. Nicht nur, dass der "Müller"-Geist sein jahrhundertealtes Leid über Torheit und Unvernunft der Menschen klagt – nach und nach gesellten sich aus der ganzen Umgebung Wasser-, Wind-, Baum- und Steingeister hinzu, und die Mühle wurde zu einem Dialogzentrum zwischen Mensch und Naturgeistern. Was zur Sprache kam, war derart bedeutungsvoll, dass man sich zur Aufzeichnung in Form eines Tagebuches über ein Jahr hin entschloss (März 2000 bis Februar 2001) und dies an einen Verlag schickte (Flensburger Hefte). Dort lag das Manuskript, wie bei Verlagen so üblich, über ein Jahr herum, bis Wolfgang Weirauch den Inhalt realisierte. Er spart auch im Nachhinein nicht mit Selbstkritik und besorgte neben der Herausgabe der "Müller"-Gespräche gleich zwei Folgebände ("Was Naturgeister uns sagen" und "Neue Gespräche mit Naturgeistern", FH 79 u. 80, inzwischen erweitert durch "Naturgeister 3", Sonderheft 21), für die er selbst zur Mühle reiste und wohl die weltersten "Interviews" mit Naturgeistern führte. Neben 17 Haus-, Pflanzen-, Tier-, Feuer-, Mond-, Sand-, Salz- und Papiergeistern gesellen sich nun noch Wiesen-, Torf-, Rauch- und Maschinengeister hinzu. Die von ihnen angeschlagenen Themen – ergänzt durch Menschenfragen – reichen über Gott und die Welt, von Sucht- und Umweltproblemen, Gentechnik, Wasser- und Gartenbau bis zu Atomkraft, Strom und Kochrezepten. Zwischendurch schwärmt der Wassergeist von seinem Lieblingsalgenpunsch und der "Müller" tanzt einen Schuhplattler. Dass Verena Stael von Holstein zuweilen mal Medikamente gegen Kopfschmerzen nehmen muss, ist dabei nur allzu verständlich und man möchte ihr von Herzen Erholungspausen gönnen.

Wer für so etwas wie Aussagen von Naturwesen offen ist, findet auch hier in den 343+323+201+189+189 (=1245) Seiten erstmal genügend Studienmaterial (das er auch lesen muss, um sich ein sachgerechtes Urteil zu bilden). Theosophische oder anthroposophische Vorkenntnisse erleichtern das Verständnis, sind aber nicht zwingende Voraussetzung (Literatur wird angegeben).Wer nicht an Naturgeister "glaubt", dem sei milde verziehen, er teilt damit das Schicksal vieler Zeitgenossen. Jedoch: wenn er glaubt, dass ein Kreis rund sei und ein Punkt unendlich klein oder wenn er nur in der Lage ist, die Armbanduhr richtig abzulesen, ist er schon ein Kandidat mit verdächtiger spiritueller Begabung, denn das alles lässt sich materiell nicht beweisen (ein Schlaufuchs wies darauf hin, daß die Teilungsstriche der Uhr keine Raumausdehnung aufweisen dürfen, weil dann die Minuteneinteilung nicht mehr stimmt).

Die umfangreichen Flensburger Publikationen sind nicht die ersten neueren Mitteilungen aus der Elementarwelt. 1999 erschien Tanis Helliwell’s "Elfensommer", ein Gespräch mit einem irischen Leprachaun (einer Art Schumacher-Kobold – siehe Nancy Arrowsmith: "Die Welt der Naturgeister"). Auf anthroposophischem Felde sind der Maler-Dichter Gerhard Reisch und Ursula Burkhard ("Gute Träume für die Erde" 1985; "Karlik" 1987) bekannt. In mehr theosophischer Tradition stehen Flower A. Newhouse ("Lichtwesen" und "Die Engel der Natur", 1984 und 1996) und Dora van Gelder ("Im Reich der Naturgeister" 1995). Der Kontakt zur Elementarwelt beeinflusste die Landschaftsbearbeitung u.a. bei der Findhorn-Community, bei Anna und Marco Pogacnik und Ekkehard Wroblowski.

Andreas Pahl

 

  nach oben