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Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen und Umweltfragen

Herbst 2004 - Nr. 632

Inhalt
Die Demokratie entwickelt sich
Aufgrund des schlechten Zustandes der Demokratie entwickelt Dieter Koschek Vorschläge für die Zukunft

Hartz !V
Es gibt viele gute Gründe, die "neue Sozialhilfe" Arbeitslosengeld II (Alg II) abzulehnen.


Das Nürnberger Sozialforum
Widerstand gegen Sozialabbau und Lohndumping

Das Märchen von den hohen Kosten: Unternehmerverbände und die ihnen nahestehenden Politiker/innen und „Wirtschaftsexperten" behaupten, dass Deutschland über seine Verhältnisse lebt und sich den Sozialstaat nicht mehr leisten könne. Deshalb wurden mit der Gesundheits-, der Renten- und der Arbeitsmarktreform (Agenda 2010, Hartz-Gesetze) Gesetze verabschiedet, die über die Senkung der Lohnnebenkosten die Unternehmen entlasten sollen. Dies sei notwendig, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen, lautet die Argumentation.
Doch wie sehen die Fakten aus? Das Nürnberger Sozialforum


Volksabstimmung über EU-Verfassung
In voraussichtlich mehr als einem Dutzend EU-Staaten wird das Volk über die europäische Verfassung abstimmen. Thomas Meyer berichtet von den Aktivitäten von Mehr Demokratie

Hamburg macht Demokratiegeschichte

Der deutliche Sieg der Initiative „Mehr Bürgerrechte" beim Volksentscheid über eine Wahlrechtsreform wird das politische Leben Hamburgs von Grund auf verändern.


Keine Handy-Verträge mit Steuerklauern
Vodafone-Kunden zerschreddern ihre Verträge

Im Rahmen einer Attac-Aktion vor der Düsseldorfer Vodafone-Zentrale haben ehemalige Kunden des Mobilfunk-Unternehmens spektakulär gegen die Steuertricks von Vodafone protestiert.


Auf nach London! Europäisches Sozialforum vom 14.-17. Oktober 2004 in London
Nein zu Neoliberalismus, Rassismus und Krieg:Eine andere Welt ist möglich!
Ein anderes Europa ist nötig!


Argentiniens Schulden müssen weg!
Argentinien ist pleite und steckt in der tiefsten sozialen und wirtschaftlichen Krise seiner Geschichte.attac fordert einen Schuldenerlaß


Am 3. Mai ins Land der Freiheit
Als ich ... auf dem Londoner Flughafen Heathrow das Flugzeug nach Los Angeles bestieg, freute ich mich auf meinen ersten Besuch in Kalifornien. Ich flog als freie Journalistin im Auftrag einer britischen Zeitschrift dorthin, wollte mir auf Einladung von Freunden während meines sechstägigen Aufenthalts aber auch ein wenig das Land ansehen. Stattdessen verbrachte ich 26 Stunden in einer Haftzelle, und meinen einzigen Blick auf Los Angeles warf ich aus dem vergitterten Fenster des Gefangenentransportes, mit dem man mich in Handschellen vom Flughafen zu dem in der Stadt gelegenen Gefängnis fuhr. Von Elena Lappin


Freundeskreistreffen 31. Juli 2004
Am Samstag, den 31.Juli 2004 trafen wir uns im kleinen Kreise zum Freundeskreistreffen. Ein Bericht von Günter Edeler.


Schwerpunkt: Frau-Mann-Beziehungen

Bewähren im Begegnen
Die Bezüge zu technischen Geräten haben massiv zugenommen. Menschliche Verbindungen hingegen drohen zu Verkümmern.
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen


Sensibilität erschließen und bewahren
Ich bin sicher, dass manche „ganz einfache und unausgebildete" Frau auf diesem Gebiet die Lehrerin ihres „hochbebildeten" Mannes ist, ohne jemals als solche erkannt, geschweige denn anerkannt zu werden. Von Peter Schilinski


Über die wahre Liebe
Zitate von Andreas Pahl bis zu Anthony de Mello


Rudolf Steiner und die Vorzüge des Weiblichen
Zum Genialsten, was ich von Rudolf Steiner gelesen habe, gehört seine Zusammenschau der weiblichen und der männlichen Grundtendenzen. Von Günter Bartsch


Die Liebe muss nicht aufhören
Ich erlebte, dass dann, wenn es mir wirklich gelungen war, einen neuen, nur freundschaftlichen Raum in der Beziehung zu der geliebten Frau zu öffnen, einen Raum, in dem wir uns gewissermaßen als Freunde begegnen konnten, dass dann eine bestimmte Form von Liebe auftrat, die ich als höher und wertvoller empfand als diejenige, die aus der intim-erotischen Beziehung kommt. Von Peter Schilinski


Freuden und Tücken des Beziehungslebens
Wie gerne trumpfen manche Männer auf, wennsie ihre ABenteuer mit dem anderen Geschlecht erzählen. Zuweilen scheint die Meinung zu bestehen, der eigenen Wert hinge damit zusammen, wie viele Frauen bisher erobert worden sind.
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen


Frau-Mann-Beziehungen
Sechs Gedankensplitter von Peter Schilinski


Gewandelte Frauenbeziehung
Lange Jahre hindurch konnte ich den Zwang, der in mir selbst lebte und der dazu führte, die Intimbeziehung zu einer Frau zu suchen, die mich sehr anzog oder die mir in längerer Zeit vertraut geworden war, überhaupt nicht widerstehen. Von Peter Schilinski


Anthroposophie & Jedermensch
Der Sturz in die Pupertät und ihre Umwandlung
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

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Die Demokratie entwickelt sich

Italien hat es gezeigt. Die Parteienlandschaft hat sich verändert. Die alten großen Parteien lösen sich zunehmend auf und formieren sich neu. Das alte Schema rechts und links weicht zunehmend auf. In der Bundesrepublik zeigt dies der Zerfall der SPD und das Aufblinken der Parteien am rechten Rand, wie die Schill Partei in Hamburg oder das Ergebnis der Rechten in Brandenburg und Sachsen.

Ein weiteres Indiz für die Veränderung sind die abnehmenden Wahlbeteiligungen. Bei den Landtagswahlen im Saarland sank sie auf bloße 55,5 Prozent. Diese Tendenz zeigt die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Demokratiestruktur im Lande.

Haben wir Alternativen?

Die „Wahlalternaive für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" bleibt blass im Hintergrund stehen und wird wohl auch keine Alternativen anbieten. Wie sich der Werdegang von einstmals hoffnungsvollen Parteien für die sozialen Bewegungen entwickelt, sind sie erst einmal in der Regierungsverantwortung, zeigt sich ernüchternd am Beispiel der Grünen. Die Oppositionspartei PDS macht sich selber unglaubwürdig, wie ihre Regierungsbeteiligung in Berlin deutlich zeigt.

Nein, die Weiterentwicklung der Demokratie kann nur außerhalb der Parlamente erfolgen. Zum einen ist es der Weg von „Mehr Demokratie e.V." mit den Bürgerentscheiden auf kommunaler und Länder-Ebene sowie in der Weiterentwicklung der Wahlen wie sie der Volksentscheid in Hamburg brachte.

Des weiteren ist es der Zusammenschluss der vielen außerparlamentarischen Bürgerinitiativen auf regionaler Ebene, wie es sich in den sich gründenden Sozialforen zeigt. Wir dokumentieren in diesem Heft den Gründungsaufruf des Sozialforums Nürnberg. Und auf nationaler und internationaler Ebene sind die Sozialforen wie in Porto Allegre oder Mumbai, wie in Paris und London der richtige Weg.

Ich möchte hier nochmals an das wichtige Buch von Jaroslav Langer „Grenzen der Herrschaft" (Opladen 1988) erinnern, in dem er das Ende der Herrschaft andeutete und den Weg in eine selbstbestimmte freie Basisdemokratie aufzeigte.

Um diesen Weg zu beschreiten, sind Ideale, geistige und politische Ideen von großer Notwendigkeit. Nicht allein der Widerstand gegen die sogenannten Reformen reicht aus. Es müssen Wegleuchten entzündet und die Herzen der Menschen erreicht werden.

Die Bürgerinitiativbewegung, die sich in dem Netz attac oder zuletzt in den Montagsdemonstrationen zeigt ist vorhanden. Das zeigen die Aktionen dieses Jahres überaus deutlich. Auch entsprechende Vernetzungsstrukturen sind im Entstehen. Attac zum Beispiel versteht sich nicht als eine Bewegung, sondern als ein Netz, ein Bündnis, das sich auf wenige Kernsätze einigt, ansonsten aber den Kern der einzelnen Initiative unberührt lässt. „Attac ist ein Ort, wo politische Lern- und Erfahrungsprozesse ermöglicht werden, in dem unterschiedliche Strömungen emanzipatorischer Politik miteinander diskutieren und zu gemeinsamer Handlungs- und Aktionsfähigkeit zusammenfinden" (attac-Rundbrief1/02)

An diesen gemeinsamen Zielen muss noch mehr gearbeitet werden, so dass hier deutlich wird, wie die Bewegung sich eine neue demokratische Struktur der Gesellschaft vorstellt. Auch hier ist die Arbeit von Mehr Demokratie e.V. und ihren verwandten Gruppen nicht zu unterschätzen.

Aber genauso wichtig wie die äußeren gemeinsamen Ziele sind die inneren Ziele einer Bürgerinitiative. Jaroslav Langer hat folgende Prinzipien genannt:

eine Gruppe, wo man sich kennt
der Verzicht auf hierarchische Organisationsformen
keine Mehrheitsentscheidungen
keine erzwungene Eintracht
keine Konflikte unterdrücken
offener Meinungsaustausch
eine eventuelle Spaltung sollte ein normaler Vorgang sein
Pluralität ist keine Sünde
Strukturen nur pro forma, etwa bei Vereinsgründungen
kritische und undogmatische Einstellung zum Majoritätsprinzip
keine Abstimmungen
Mehrheitsbeschlüsse sind nicht bindend für Minderheiten
kein Zwang für Mitglieder etwas zu tun
die Diskussion kann jederzeit wieder aufgenommen werden
Erarbeitung eines Konsenskerns
Übereinstimmung über politische Moralwerte
das Gewissen des Einzelnen hat Gewicht
jeder Einzelne übernimmt persönliche Verantwortung
maximale Transparenz
Vorschläge sind namentlich zu kennzeichnen
keine formalisierten Funktionen
Sprecher sind ad hoc durch Kenntnisse und Fähigkeiten zu benennen.

Für diese Prinzipien braucht es selbstbewusste Individuen, wie auch in den Beziehungen zwischen Mann und Frau, die wir in diesem Heft diskutieren.

Gruppen die nach diesen Prinzipien arbeiten verändern sich, lösen sich auf, schlafen ein, wachen wieder auf, bedeuten in jedem Fall Bewegung.

Dann muss dieser Bewegung noch ein Gerüst gegeben werden, wo sie sich einbringen und mitwirken kann:

Hier wäre die Erweiterung der parlamentarischen Demokratie durch Volksabstimmungen, durch eine dritte Kammer von Experten oder ähnliches zu erwähnen. Wichtig ist auch, einen Weg zu öffnen, wo sich diese Bürgerbewegungen jederzeit in die Entscheidungsfindungen einbringen können. Durch Planungszellen, durch offene Mediation, Bürgerbegehren und Volksentscheide müssen die politischen Entscheidungen jederzeit direkt diskutierbar sein.

Langer schlägt einen unabhängigen Sachverständigenrat vor, der von beiden Seiten, also der Bürgerinitiativbewegung und der Regierung, in Anspruch genommen werden kann.

Ich denke dabei an eine Art „Runder Tisch", wie er in den letzten Tagen der DDR vorhanden war. Alle relevanten Bürgervereinigungen sitzen gemeinsam an einem Tisch, beratschlagen, diskutieren und entwerfen Gesetze, die einen institutionellen Weg gehen müssen, um dann wirklich Gesetz zu werden.

Wie sich diese neue Demokratiestruktur wirklich entwickeln kann, wird die Zukunft zeigen. Notwendig ist dafür weiterhin intensive Aufklärungsarbeit aller, die diese Ziele bejahen.

Dieter Koschek

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Hartz !V

Es gibt viele gute Gründe, die "neue Sozialhilfe" Arbeitslosengeld II (Alg II) abzulehnen.

Wußten Sie schon, dass:

- einem 50jährigen Erwerbslosen beim Alg II lediglich 10.000 Euro zur Alterssicherung zugestanden werden? Ist mehr angespart - wozu die Politik ArbeitnehmerInnen in den vergangenen Jahren beinahe genötigt hat - und kann dies nur unwirtschaftlich verwertet werden, bekommen Erwerbslose das Alg II zwar darlehensweise, sie sind jedoch fortan über das Alg II weder kranken- noch pflege- und rentenversichert!

- ab dem siebten Monat des Alg II-Bezuges nur die „angemessenen" Unterkunftskosten übernommen werden sollen?

- aus einer Erbschaft das in den letzten 10 Jahren vor dem Ableben bezogene Alg II zurückzuzahlen ist?

- einem Arbeitslosengeld oder -hilfebezieher, der bislang einen anrechnungsfreien Nebenverdienst von 165 EUR hatte, von diesem Nebenerwerb beim Alg II lediglich ca. 20 EUR bleiben? Der übersteigende Betrag wird vom Alg II abgezogen. Nur 15 Cent von jedem Euro dieses Einkommens verbleiben dem Erwerbslosen.

- einem bisher Sozialhilfe beziehenden Jugendlichen, der sich neben der Sozialhilfe 40 EUR Taschengeld zum Beispiel durch Zeitungsaustragen anrechnungsfrei dazuverdienen konnte, beim Alg II von diesen 40 EUR nur noch 6 EUR bleiben? Der übersteigende Betrag wird vom Alg II abgezogen. Nur 15 Cent von jedem Euro dieses Einkommens verbleiben dem Jugendlichen.

- sämtliche Kosten die im Zusammenhang mit der Schule entstehen, aus der Regelleistung bezahlt werden sollen? (Einzige Ausnahme: mehrtägige Klassenfahrten)

- das Kindergeld voll auf das Alg II angerechnet wird, während bei der Hilfe zum Lebensunterhalt immerhin 10 Euro für die ersten beiden Kinder in der Familie blieben?

- Familien, die den 'Kinderzuschlag' des Bundeskindergeldgesetzes bekommen, den unter Umständen höheren 'befristeten Zuschlag' nach dem Wechsel von der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld ins Alg II verlieren?

- sich der Bund beim Alg II auf Kosten unterhaltsberechtigter Kinder von Kosten der Massenarbeitslosigkeit befreit?

- sich der Bund zur Finanzierung des Alg II bei der Versichertengemeinschaft bedient? Denn für jeden Arbeitslosengeldbezieher, der ins Alg II wechselt, erhält er aus der Kasse der Arbeitslosenversicherung einen Betrag in Höhe von 12 Monatsbeträgen Alg II einer durchschnittlichen Bedarfgemeinschaft (sog. "Aussteuerungsbetrag").

- sich der Bund zur Finanzierung des Alg II auch bei den Kommunen bedient, denn alle Einnahmen, die eine Bedarfsgemeinschaft erwirtschaftet, mindern zuerst die Aufwendungen des Bundes und nur wenn sie diese übersteigen, wird der kommunale Träger entlastet.

Heute sollte nicht darüber gestritten werden, wer von CDU, CSU, FDP, Grünen oder SPD beim Streit um Hartz IV mehr heuchelt!
Hartz IV muß weg - Wir fordern auf, den Verarmungsreformen ein Ende zu machen! Als erster Schritt: Sofortiger Stopp von Hartz IV!

gg

Anne Allex (Berlin) anne.allex@gmx.de
Guido Grüner (Oldenburg) quer-redaktion@t-online.de
Frank Jäger (Frankfurt/M.) jaeger@bag-shi.de

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Das Nürnberger Sozialforum
Widerstand gegen Sozialabbau und Lohndumping

Das Märchen von den hohen Kosten

Unternehmerverbände und die ihnen nahestehenden Politiker/innen und „Wirtschaftsexperten" behaupten, dass Deutschland über seine Verhältnisse lebt und sich den Sozialstaat nicht mehr leisten könne. Deshalb wurden mit der Gesundheits-, der Renten- und der Arbeitsmarktreform (Agenda 2010, Hartz-Gesetze) Gesetze verabschiedet, die über die Senkung der Lohnnebenkosten die Unternehmen entlasten sollen. Dies sei notwendig, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen, lautet die Argumentation.

Doch wie sehen die Fakten aus?

Das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für den gesellschaftlichen Reichtum ist in den letzten fünfzehn Jahren im Durchschnitt pro Jahr um ca. 45 Milliarden Euro gewachsen.

Deutschland wurde 2003 Exportweltmeister mit einem Außenhandelsüberschuss von ca. 130 Milliarden Euro.

Durch die rot-grüne Steuerreform wurden den Unternehmen massive Steuergeschenke erbracht. So betrug der Steuerausfall bei den Gewinnsteuern für die Jahre 2001-2003 knapp 80 Mrd. Euro.

Die Kehrseite dieser sogenannten Reformen heißt Sozialabbau. Hier nur einige Beispiele:

· In Nürnberg nimmt die Armut massiv zu. Ein Drittel aller Nürnberger ist entweder arm oder von Armut bedroht (NN 17.4.04).

· Trotz zunehmenden Zwangs, jede Arbeit annehmen zu müssen, kommen nach wie vor 27 Arbeitssuchende auf einen freien Arbeitsplatz

· Anstatt die Arbeitszeit zu verkürzen und Arbeit gerecht zu verteilen, werden Wochen- und Lebensarbeitszeit verlängert.

· Die Leistungskataloge der Sozialversicherungen werden fortschreitend gekürzt. Die Vorsorge wird privatisiert und das Sozialversicherungssystem damit unterhöhlt.

· Durch die Gesundheitsreform werden gerade sozial schwache Menschen mit Praxisgebühr und Zuzahlungen unzumutbar belastet und von der Versorgung ausgegrenzt.

· Kommunales Eigentum wird veräußert und privatisiert (z.B. Sozialer Wohnungsbau, Grünflächen).

· Im Bildungsbereich drohen Wegfall der Lernmittelfreiheit, Einführung von Studiengebühren und weitere Einsparungen. Wenig privilegierte Menschen, Migrant/innen und Jugendliche werden damit noch mehr benachteiligt, gleichzeitig sollen aber Eliteuniversiäten geschaffen werden.

Die Axt an den Sozialstaat legen …

Eines der zentralen Argumente der neoliberalen Politik lautet: Die Kosten für die Wirtschaft sind zu hoch, egal ob Arbeitskosten, Sozialabgaben oder Steuern. Deshalb müssen diese gesenkt werden. Begründet wird dies wahlweise mit dem Versprechen, Unternehmen würden neue Arbeitsplätze schaffen, wenn die Kosten nur niedrig genug wären, oder aber mit der "Konkurrenz in der globalisierten Welt".

Sozialabbau schafft keine Arbeitsplätze!

Jedes Unternehmen ist bestrebt, die Kosten zu senken und die Gewinne zu maximieren. Deshalb wird die Forderung nach Senkung der Kosten nie aufhören, egal wie niedrig sie schon sind. Es ist eine Illusion zu glauben, höhere Gewinne aufgrund von Sozialabbau und niedrigen Arbeitskosten würden automatisch in Arbeitsplätze investiert. Unternehmen investieren dort, wo sie die höchsten Gewinnchancen haben: z. B. um weitere Arbeitsplätze wegzurationalisieren, neue Märkte zu er-obern oder in lukrativen Geld- und Kapitalmärkten.

Die Abwärtsspirale der "Konkurrenz auf dem Weltmarkt"

Dass niedrige Löhne im Umkehrschluss nicht Wohlstand bedeuten, zeigt uns auch die Geschichte der meisten Länder der sogenannten Dritten Welt. Seit mehr als dreißig Jahren wurden dort auf Druck der Konzerne und Industriestaaten die Löhne gekürzt und Sozialleistungen abgebaut. Die Folge war dort aber nicht wachsender Wohlstand für die Mehrheit der Bevölkerung, sondern die Schere zwischen arm und reich wurde noch weiter geöffnet. Die sogenannte Dritte Welt galt als Experimentierfeld. Was dort an Sozialabbau ausprobiert wurde, soll jetzt auch in den Industrieländern umgesetzt werden.

Die neoliberale Politik zeigt auch in Nürnberg immer deutlicher ihr wahres Gesicht. Arbeitslosigkeit und Armut wachsen, bei Schulen, Sportanlagen, kulturellen Einrichtungen und bei sozialen Dienstleistungen wird gekürzt. Was an öffentlichem Eigentum lukrativ erscheint, wird privatisiert. Was alle im Bundestag vertretenen Fraktionen mit der Verabschiedung der Hartz-Gesetze und der Agenda 2010 vorgemacht haben, setzt sich im Nürnberger Rathaus fort: Während in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur eine Streichorgie die andere jagt, sind für zweifelhafte und teure Bauobjekte wie für das neue Stadion Millionen da.

Wir wollen dies nicht tatenlos hinnehmen! Es gibt Alternativen!

Die Kürzung der Sozialleistungen ist nicht die unausweichliche Folge der Globalisierung, wie von Politikern in Regierung und Opposition behauptet wird. Mit dem Argument der Alternativlosigkeit wird verdeckt, dass diese Globalisierung politisch gewollt ist. In allen Institutionen und Gremien, die in den letzten Jahrzehnten national und international die neoliberale Globalisierung vorangetrieben haben, sitzen Vertreter der jeweiligen nationalen Regierungen, die deren politischen Willen umsetzen. Auch die deutschen Vertreter in der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank, der WTO, dem IWF oder der Weltbank, wie auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene verfahren derzeit nach demselben Muster: Einzig die Kostensenkungen für Unternehmen als Heilmittel werden mit schon religiöser Inbrunst als Heilmittel propagiert. Wer auf Alternativen hinweist, ist des Teufels.

Dagegen stellen wir fest: Eine neoliberale Politik, die weltweit die Kluft zwischen arm und reich vergrößert, die Zerstörung der Natur beschleunigt und Kriege verursacht, darf keine Zukunft haben.

Ein Wirtschaftssystem, das Millionen Menschen zu Erwerbslosigkeit und prekärer Beschäftigung, andere zu Überstunden und längerer Lebensarbeitszeit zwingt, ist nicht akzeptabel.

Erschwingliche öffentliche Dienstleistungen, Nahverkehr, Bildung, Gesundheit, Wasser, Kultur sind Voraussetzungen eines zivilen Zusammenlebens und dürfen nicht Profitinteressen einiger weniger geopfert werden.

Unsere Stadt gehört den Menschen, die hier leben - egal welcher Herkunft oder Nationalität und unabhängig von ihrem rechtlichen Status. Wir wenden uns gegen eine St.Florians-Politik und setzen auf Solidarität statt Standortdenken, wenn angebliche lokale Interessen gegen andere Industrie-Standorte, Kommunen oder Länder ausgespielt werden sollen.

Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 lehnen wir ab, denn sie sind ein Programm für den sozialen Kahlschlag. Wir fordern deren Rücknahme und den Stopp des Sozial-, Bildungs- und Lohnabbaus!

Wir wollen eine demokratische Diskussion über die Verwendung öffentlicher Gelder.

Dazu haben wir - Nürnberger Initiativen, politische, soziale und gewerkschaftliche Gruppen und engagierte Einzelpersonen – uns zum Sozialforum Nürnberg zusammengeschlossen. Der Schwerpunkt unserer Aktivitäten liegt in unserer Stadt.

Allerdings wissen wir: Eine dauerhafte Veränderung kann nur im internationalen Zusammenhang geschehen. Daher wollen wir unseren Widerstand vernetzen und beteiligen uns an entsprechenden bundes-, europa- und weltweiten Aktionen - gegen Krieg und Militarisierung, gegen Ausbeutung und Ausverkauf des gesellschaftlichen Reichtums! Dass dies möglich ist, zeigt die Geschichte des Widerstandes der letzten Jahre. Bei den europäischen Aktionstagen im April 2004 demonstrierten allein in Deutschland 500 000 Menschen gegen den Sozialabbau. Auch bei Protesten der Sozialverbände brachten Zehntausende ihren Unmut gegen diese Politik zum Ausdruck. An den Protesten in Seattle und Genua beteiligten sich Menschen aus der ganzen Welt. Am 15. Februar 2003 demonstrierten 15 Millionen Menschen weltweit gegen die drohende Invasion im Irak. Auf internationaler Ebene haben sich Bauernorganisationen zusammengeschlossen, um erfolgreich Widerstand gegen die Agrarkonzerne zu leisten. Dies alles zeigt: Es gibt eine Alternative. Widerstand ist möglich. Wenn jemand den Gürtel enger schnallen soll, dann nicht die Armen und Lohnabhängigen, sondern die Konzerne und ihre Vorstandschefs.

Im Sozialforum arbeiten wir alle gleichberechtigt zusammen. Bei gemeinsamen Aktionen und Entscheidungen legen wir Wert auf finanzielle Unabhängigkeit. Das Nürnberger Sozialforum versteht sich dabei als Teil der weltweiten Sozialforumsbewegung, beginnend mit dem Weltsozialforum 2001 in Porto Alegre (Brasilien) und dem Europäischen Sozialforum 2002 in Florenz.
Das Sozialforum

ist ein Treffpunkt für Menschen, Gruppen und Bewegungen zum Austausch und zur Entwicklung von Ideen und Alternativen, zur Diskussion und für gemeinsame Tätigkeiten im emanzipatorischen Widerstand gegen neoliberale Politik und Bestimmung der Gesellschaft bzw. der Welt im Interesse des (trans)nationalen Kapitals.

nimmt Bezug auf lokale, regionale, nationale und globale Themen und Auseinandersetzungen: von den Auswirkungen der sog. Reformpolitik der Bundesregierung, über fortschreitenden Sozialabbau und Umverteilung von unten nach oben, bis hin zu den Kämpfen gegen den Raubbau an der Natur
oder gegen imperialistische Kriegsaktionen.

solidarisiert sich mit Menschen, die durch den Prozess der Globalisierung durch internationale Konzerne und kooperierende Regierungen und Weltorganisationen geschädigt bzw. geschwächt werden.

Gründungserklärung des Sozialforums Nürnberg, beschlossen auf der Gründungsversammlung am 26. Juni 2004 

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Volksabstimmung über EU-Verfassung

In voraussichtlich mehr als einem Dutzend EU-Staaten wird das Volk über die europäische Verfassung abstimmen.
Zehn Staaten haben bereits ein Referendum angekündigt: Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Spanien und Tschechien lassen die Bürger entscheiden. In einer Reihe weiterer Staaten ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen. Wahrscheinliche Kandidaten für ein Referendum sind unter anderem Italien und Polen. (http://www.mehr-demokratie.de/europa)

In Deutschland ist ein Verfassungsreferendum noch umstritten.
+++ Die FDP hat einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht, der nach der Sommerpause zur Abstimmung kommen soll. Auch die bayerische CSU und die sozialistische PDS fordern ein Verfassungsreferendum.
+++ Die Grünen tun sich derzeit schwer mit der Frage nach einem Referendum über die EU-Verfassung. Außenminister Joschka Fischer scheint sich schon vor Monaten mit dem Kanzler einig geworden zu sein, dass es in Deutschland kein Referendum geben werde. Seine Partei sieht das mehrheitlich anders.
+++ Vier SPD-Landesverbände (Niedersachsen, Bayern, Hamburg, Saarland) haben dem Kanzler bereits die Gefolgschaft gekündigt und sind ins Lager der Referendumsbefürworter übergewechselt. Auch in der Bundestagsfraktion gärt es.
+++ In der CDU, die mehrheitlich ein Referendum ablehnt, haben Saarlands Ministerpräsident Müller, Thüringens Regierungschef Althaus und sein Kollege Böhmer aus Sachsen-Anhalt, die geschlossenen Reihen bereits verlassen und sich für das Referendum ausgesprochen.
 

Forsa-Umfrage: 81 Prozent der Bundesbürger für EU-Referendum
Ginge es nach den Bundesbürgern, ein Referendum über die Europäische Verfassung wäre selbstverständlich. 81 Prozent der Deutschen sprechen sich laut einer im Auftrag des Magazins Stern durchgeführten Forsa-Umfrage für ein Referendum aus - soviel wie nie zuvor. Nur 16 Prozent hingegen meinen, das Parlament sollte die Verfassung ratifizieren.

Emailaktion an den Bundestag
Letztlich muss der Bundestag und der Bundesrat ein Verfassungsreferendum beschließen. Es ist durchaus möglich, dass es im Laufe diesen Jahres noch eine 2/3-Mehrheit dafür im Bundestag gibt. Deshalb ist es sinnvoll, wenn sich viele Bürgerinnen und Bürger an die Bundestagsabgeordneten mit individuellen emails und Briefen wenden und eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung fordern. Denn je mehr der Druck und der Wille der Bevölkerung sichtbar wird, umso eher wird der Bundestag ein Referendum beschließen. Viele Politiker haben ihre Meinung in den letzten Wochen schon gewandelt.
Natürlich ersetzt ein EU-Verfassungs-Referendum nicht eine grundsätzliche Einführung der dreistufigen Volksabstimmung (Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid), bei der Gesetzesinitiativen von den Bürgern selbst eingebracht werden können. Es ist aber ein erster Schritt!
Die Emailaktion ist ganz einfach: Auf der Homepage http://www.bundestag.de finden Sie sehr schnell die Adressen aller Abgeordneten. Nehmen Sie sich doch einige Minuten dafür Zeit.
Mit herzlichen Grüßen

Thomas Mayer

Weitere Informationen gibt es unter http://www.europa-von-unten.org.

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Hamburg macht Demokratiegeschichte

Der deutliche Sieg der Initiative „Mehr Bürgerrechte" beim Volksentscheid über eine Wahlrechtsreform wird das politische Leben Hamburgs von Grund auf verändern. „Die Parteien werden sich vermutlich ab sofort umstellen und ihre Strukturen modernisieren. Sie werden sich in Zukunft weniger mit sich selbst und dafür mehr mit ihren eigentlichen Aufgaben beschäftigen, nämlich Politik für die Menschen dieser Stadt zu machen", ist Initiativensprecher Manfred Brandt überzeugt. Das neue Wahlrecht, mit dem das bisherige Ein-Stimmen-Wahlsystem abgelöst wird, sieht wesentlich mehr Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Zusammensetzung ihres Landesparlaments vor. Brandt: „Bis zu den nächsten Bürgerschaftswahlen im Jahr 2008 haben Parteien und Verwaltung genügend Zeit, sich auf die Einführung von Wahlkreisen vorzubereiten und die nötige Aufklärungsarbeit zu betreiben."

Hamburg hat damit Demokratiegeschichte gemacht: Noch nie zuvor stimmten in Deutschland die Bürgerinnen und Bürger über ihr künftiges Wahlrecht selbst ab. Nachdem SPD und CDU zwanzig Jahre lang eine mehrfach angemahnte Reform verweigert hatten, entwickelte die Initiative, die aus einem Arbeitskreis von Mehr Demokratie hervorgegangen ist, in dreijähriger Arbeit ihren Gesetzentwurf. „ Volksabstimmungen sind wichtig, um Reformstau zu überwinden. Von dem Hamburger Ergebnis geht eine Signalwirkung auf die Demokratiebewegung auch in anderen Bundesländern aus," so Manfred Brandt. „Wenn notwendige Reformen durch Machtüberlegungen in den Parteien blockiert werden, müssen die Bürgerinnen und Bürger selbst aktiv werden. Dass sie tatsächlich etwas bewegen können, zeigt der Hamburger Volksentscheid."

Thomas Mayer

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Keine Handy-Verträge mit Steuerklauern
Vodafone-Kunden zerschreddern ihre Verträge

Im Rahmen einer Attac-Aktion vor der Düsseldorfer Vodafone-Zentrale haben ehemalige Kunden des Mobilfunk-Unternehmens spektakulär gegen die Steuertricks von Vodafone protestiert: Mit einem großen Schredder zerstörten sie ihre Handy-Verträge. "Keine Verträge mit Steuerklauern" war auf einem großen Transparent zu lesen. "Vodafone will sich trotz Milliardengewinnen ums Steuerzahlen drücken. Mit so einem Unternehmen will ich nichts mehr zu tun haben", sagte der Bremer Unternehmer Klaus-Rainer Rupp.

Seit Attac vor rund drei Wochen erstmals zu Protesten gegen den "Vodaklau" aufgerufen hat, gab es in mehr als 50 Städten Aktionen und Info-Stände vor Vodafone-Filialen. Mittlerweile sind tausende von Postkarten und (allein von der Webseite www.attac.de/vodaklau aus) rund 25.000 E-Mails an Vodafone geschickt worden, in denen der Konzern aufgefordert wird, seiner Steuerpflicht ohne Rechentricks nachzukommen.

Doch immer mehr Vodafone-Kunden sind so empört, dass sie einen Schritt weiter gehen und - ohne dass Attac dazu aufgerufen hat - ihre Handy-Verträge beenden. Hunderte Menschen haben per Mail von der Kündigung berichtet oder Kopien ihrer Kündigungsschreiben an Attac gefaxt. "Bisher finden diese Kündigungen im Verborgenen statt", sagte Detlev von Larcher, Mitglied der Attac-AG Steuern und selbst ehemaliger Vodafone-Kunde. "Das wollen wir mit dieser Aktion ändern und damit andere zur Nachahmung animieren."

Hintergrund der Proteste sind die umstrittenen Pläne von Vodafone, den öffentlichen Kassen rund 20 Milliarden Euro vorzuenthalten, indem Buchverluste aus der Mannesmann-Übernahme in Höhe von 50 Milliarden Euro abgeschrieben werden. Vodafones Behauptung, dass das Vorgehen legal und sogar vorgeschrieben ist, wird von vielen Experten bezweifelt. Es gibt deutliche Hinweise, dass Vodafone bewusst getrickst hat, um den Steuervorteil zu beanspruchen. Neben den Protesten gegen die Vodafone-Pläne wirbt Attac mit der Kampagne zudem für das Schließen von Steuerschlupflöchern und für ein Ende des ruinösen Steuerwettbewerbs zwischen Staaten.

Für Rückfragen:
Detlev v. Larcher, Attac-AG Steuern, Tel. 0172-2462250
Malte Kreutzfeldt, Attac-Presssprecher, Tel. 0170-2334746

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Auf nach London!
Europäisches Sozialforum vom 14.-17. Oktober 2004 in London
Nein zu Neoliberalismus, Rassismus und Krieg:
Eine andere Welt ist möglich!
Ein anderes Europa ist nötig!

Das Europäische Sozialforum (ESF) ist ein offener Raum, um zusammenzukommen und zu diskutieren, wie wir eine andere Welt schaffen und eine Opposition zu Militarisierung und Sozialabbau organisieren können. Zum zweiten ESF im letzten November in Paris kamen 50.000 Menschen zusammen, auf dem Weltsozialforum in Mumbai im Januar diskutierten und demonstrierten 100.000 gegen Neoliberalismus und Krieg. Nach dem Erfolg der globalen Antikriegsdemonstration vom 15. Februar des vergangenen Jahres verständigten sich die sozialen Bewegungen beim Europäischen Sozialform von Paris auf „ein Europa, das den Krieg verweigert", einen Aktionstag gegen den Krieg am 20. März 2004 und den Europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau am 2. und 3. April 2004.

Das nächste Europäische Sozialforum findet vom 14.- 17. Oktober 2004 in London statt. Unter der Losung "Eine andere Welt ist möglich! Nein zu Neoliberalismus, Rassismus und Krieg!" soll ein offener Raum entstehen, in dem Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, Hintergründen, Erwartungen und Erfahrungen gemeinsam diskutieren, streiten, nach Lösungen suchen und Aktionen verabreden.

Großbritannien ist das Musterland des Neoliberalismus in Europa und das Land, dessen Regierung sich ohne Einschränkungen am Krieg der US-Regierung gegen den Irak beteiligt. Wir wissen: Alle Regierungen in Europa treiben eine Politik der Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme und die Militarisierung der eigenen und europäischen Außenpolitik voran. Hier in Deutschland ist es die rot-grüne Regierung, die mit der Agenda 2010, der Duldung der Besatzung des Iraks und der Umwandlung der Bundeswehr in eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee politische Zeichen für eine solche Politik setzt.

Zunehmend wehren sich Menschen in allen Ländern Europas gegen eine Politik im Interesse der großen Profite. Wir wollen mit möglichst vielen Menschen nach London fahren, um unsere Erfahrungen im Kampf gegen Sozialabbau, gegen den Abbau von Arbeitnehmerrechten, Krieg, Armut, gegen die Verschuldung der armen Länder, gegen Rassismus, Demokratieabbau und Umweltzerstörung auszutauschen. Wir werden die Chance nutzen, mit Aktiven aus den globalisierungskritischen Bewegungen Europas zusammenzukommen und Netzwerke zur Ausweitung der Gegenwehr zu schaffen und so auch die soziale Bewegung in Deutschland zu stärken.

Weitere Informationen: Friedens- und Zukunftswerkstatt e. V., c/o Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69 – 77, 60329 Frankfurt am Main, Tel. 069 – 24 24 99 50, Fax 069 – 24 24 99 51.
E-Mail: Frieden-und-Zukunft@t-online.de.
Internet: www.fse-esf.org und www.dsf-gsf.org.

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Argentiniens Schulden müssen weg!

Argentinien ist pleite und steckt in der tiefsten sozialen und wirtschaftlichen Krise seiner Geschichte. Etwa fünfzig Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, jedes fünfte Kind ist unterernährt und dreißig Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung hat keine Arbeit oder ist unterbeschäftigt. Dadurch ist die Kriminalität sprunghaft gestiegen und Bildungs- sowie Gesundheitsniveau sind gesunken.

In den 90er Jahren war Argentinien ein Musterschüler des Internationalen Währungsfonds (IWF), heute ist es nicht in der Lage, die notdürftigste Versorgung seiner Bevölkerung und den Schuldendienst zu gewährleisten! Keine Lösung ohne Lösung der Schuldenkrise, Argentiniens Schulden müssen weg!

Attac und erlassjahr.de fordern:

· Ein faires und unparteiisches Entschuldungsverfahren für Argentinien! Nur wenn weder Schuldner noch Gläubiger alleine bestimmen, kann es eine politisch und sozial gerechte Lösung geben.

· Alle Gläubiger – der IWF, die Gläubigerländer, die Banken, die Anleiheeigner – müssen Abschläge hinnehmen!

· Vermögen aus Steuerflucht und Korruption, die im Ausland untergebracht worden sind, müssen herangezogen werden!

Im IWF wird wesentlich bestimmt, wie es mit den Schulden Argentiniens weitergeht. Die Macht im IWF liegt aber allein bei den wenigen Industrieländern, die im IWF die Mehrheit der Stimmen haben. Ohne Druck auf die Regierungen der reichen Länder wird im IWF nichts passieren, was die Schuldenkrise Argentiniens löst und den Armen hilft!

Die Jahrestagung von IWF und Weltbank am 4./ 5. Oktober bietet daher die Gelegenheit Druck zu machen, damit endlich eine Lösung für die Krise Argentiniens gefunden wird. Fordern Sie die Bundesregierung und insbesondere Bundesfinanzminister Eichel auf, sich im IWF endlich aktiv für eine vernünftige Lösung der argentinischen Schuldenkrise einzusetzen.

Unterstützen Sie diese Kampagne von Attac und erlassjahr.de, indem Sie Protestpostkarten bestellen, verteilen und versenden, den Mail - Automaten nutzen, um Protestmails zu verschicken oder durch Spenden die Kampagne unterstützen.

Für ein faires und unparteiisches Entschuldungsverfahren für Argentinien!

Weitere Informationen:http://www.attac.de/argentinien
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Am 3. Mai ins Land der Freiheit

Als ich ... auf dem Londoner Flughafen Heathrow das Flugzeug nach Los Angeles bestieg, freute ich mich auf meinen ersten Besuch in Kalifornien. Ich flog als freie Journalistin im Auftrag einer britischen Zeitschrift dorthin, wollte mir auf Einladung von Freunden während meines sechstägigen Aufenthalts aber auch ein wenig das Land ansehen. Stattdessen verbrachte ich 26 Stunden in einer Haftzelle, und meinen einzigen Blick auf Los Angeles warf ich aus dem vergitterten Fenster des Gefangenentransportes, mit dem man mich in Handschellen vom Flughafen zu dem in der Stadt gelegenen Gefängnis fuhr.

Versehentlich war ich als ausländische Journalistin ohne das Pressevisum auf amerikanischem Boden gelandet, das die neuen strengen Richtlinien des Heimatschutzministeriums für die Einreise verlangen. Ich hatte nur meinen britischen Paß bei mir, und wie die meisten anderen Besuchern aus Ländern mit vereinfachter Visumpflicht wusste ich nicht, dass die Vereinigten Staaten seit März 2003 (als man dort das Ministerium für Heimatschutz gründete, um den erhöhten Sicherheitsanforderungen nach dem 11. September zu genügen) in befreundeten Journalisten aus befreundeten Ländern feindliche Ausländer erblicken, deren Absichten die staatlichen Behörden einer genauen Überprüfung unterziehen müssen, bevor sie ihrer Arbeit nachgehen dürfen.

Was für ein Land hat Angst vor der ausländischen Presse? Dieser Frage nachzugehen hatte ich viel Zeit während meiner verstörenden, demütigenden und zutiefst enttäuschenden Begegnung mit einem Amerika, das nur noch ein Zerrbild jenes Landes ist, welches ich liebe. (Nur Länder wie Kuba, Syrien, Iran, Nordkorea und vielleicht noch Zimbabwe verlangen spezielle Visen von Journalisten.) Wenn ich mich bei der Passkontrolle als Touristin bezeichnet hätte, wäre ich mit einem Lächeln durchgewinkt worden. Doch da ich mich wahrheitsgemäß als Journalistin zu erkennen gab, wurde ich zu einer verdächtigen Person und an einen „Aufsichtsbeamten" verwiesen.

Während ich meine Lage mehreren Beamten erklärte, war ich noch lange der festen Überzeugung, mein unschuldiger Irrtum, der auf meiner (und meiner Papiere) Unkenntnis hinsichtlich der neuen und immer noch unklaren Visumpflichten basierte, werde sich rasch aufklären und dann verziehen werden. Ich kam aus Großbritannien, das sich als treuer Verbündeter der Vereinigten Staaten erwiesen hatte. Konnten sie mir wirklich die Einreise verweigern? Es mag unglaublich scheinen, aber so kam es. Und sobald die Entscheidung gefallen war, mich abzuschieben, behandelte man mich wie einen gefährlichen Kriminellen, der keinerlei Grundrechte besaß. Ich wurde abgetastet und durchsucht, desgleichen mein Gepäck. Man nahm meine Fingerabdrücke und fotografierte mich. Dann führte man mich, die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt - eine besonders schmerzhafte und demütigende Methode - , durch das Flughafengebäude zu einem Transporter und fuhr mich in ein Gefängnis für Abschiebehäftlinge.

In Handschellen zwischen all den freien Passagieren auf dem Flughafen von Los Angeles hindurchgeführt zu werden war eine unbeschreiblich befremdliche Erfahrung. Mehr als alles andere machte sie mir die kafkaeske Tatsache deutlich, das ich nun eine Gefangene war. Die Nacht verbrachte ich in einem „Hafttank" hinter dicken Glaswänden ohne Stuhl oder Bett. Er enthielt nur eine kaum vierzig Zentimeter breite Stahlbank, eine Toilette und ein Waschbecken gleichfalls aus Stahl (und beide voll einsehbar für alle, die vorbeigingen, wie auch für die alles überblickende Kamera), eine grelle Neonleuchte und ein von Big Brother kontrolliertes Fernsehgerät an einer Ecke der Decke, in dem die ganze Nacht eine Shopping-Sendung lief. Ich konnte kaum atmen in diesem Fischtank, aber es half nichts, dass ich wiederholt an die Scheibe klopfte. Als schließlich ein Beamter vorbeiging, rief ich ihm durch die Türe zu, dass mir schlecht sei, aber das interessiert ihn nicht.

Am Morgen brachte man mich (wiederum in Handschellen) zurück auf den Flughafen, wo ich in einem Büro des Sicherheitsdienstes unter der Bewachung von acht schläfrigen, fernsehschauenden Beamten den Rest des Tages verbrachte und auf den Nachtflug nach London wartete. Während sie ihr appetitanregendes Frühstück aßen, musste ich viermal nach etwas Essbarem fragen und wurde angeschrien, bevor man mir etwas zu essen holte, für das ich natürlich zu zahlen hatte.

Später fand ich heraus, dass ich nicht die einzige bin, die so etwas erlebt hat. Zwölf Journalisten wurden im Jahr 2003 auf dem Flughafen von Los Angeles festgenommen und abgeschoben, einen weiteren traf dieses Schicksal auf einem anderen amerikanischen Flughafen. Als Häftling durfte ich keinen Stift bei mir haben. Doch ich kann mich noch gut daran erinnern, was ich gesehen habe: ein Land, das ein tiefes Gefühl der Verunsicherung hinter einer Fassade aus Misshandlung und willkürlicher (wenn auch durchaus beabsichtigter) Missachtung der bürgerlichen Freiheiten versteckt. Der 3. Mai war übrigens der Weltpressetag.

Elena Lappin in „Frankfurter Allgemeine Zeitung", 10 Mai 2004

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Freundeskreistreffen 31. Juli 2004

Am Samstag, den 31.Juli 2004 trafen wir uns im kleinen Kreise zum Freundeskreistreffen.

Das Hauptthema war das Beuys Symposium, über das Rainer Rappmann berichtete. Des weiteren standen die Kulturarbeit des Vereins „Modell Wasserburg" und die Bibliothek im Haus auf der Tagesordnung.

Beuys Symposium:

Rainer wollte Fragestellungen zum Thema, die jedoch sehr umfassend geäußert wurden und den Rahmen des Treffens gesprengt hätten. So erklärte er einiges zum Kunstbegriff von Beuys und zum Sinn und Ziel der Beuys-Symposien. Hier nur einige Stichwörter, die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführe:

Freiheit ist eine Voraussetzung für die Kunst

Wichtig ist die individuelle Gestaltung, nicht nur im eigentlichen Künstlerischen, sondern auch im Sozialen

Jeder Einzelne besitzt eigene Verantwortlichkeit

Zitat: „Stellen Sie sich ein Ganzes vor, dessen Teile autonom sind" (Individuelle Freiheit und Verantwortung fürs Ganze)

Der Impuls kommt aus der Dreigliederung, die erweitert und bereichert werden muss (Beuys ist kein Imitator und „Nachredner" von Steiner, sondern ein eigenständiger Künstler)

Die Ursache liegt in der Zukunft

Das Symposium ist eine Gelegenheit, um Prozesse in Gang zu bringen und nicht um Inhalte zu vermitteln.

Das nächste Symposium könnte sich an folgenden Themen orientieren:

Das Weibliche

Das dritte Element

Begriff des Sonnenstaates(„Camponella")

Konkrete gesellschaftliche Begriffe wie Globalisierung, Demokratisierung der Produktion und des Geldes (dabei fehlt noch der individuelle Bezug)

Es ist geplant, das Symposium auf eine Woche auszudehnen und verstärkt Seminare anzubieten. Vorträge sollen gekürzt werden und im ersten Teil des Symposiums stattfinden.

Voraussichtlicher Termin ist vom 28. August bis zum 4./5. September 2005.

Rainer gab noch einige Infos zum Verein „zur Förderung des Erweiterten Kunstbegriffs und der Sozialen Plastik e.V." Dieser plant 1/4-jährliche Treffen und stellt sich folgende Aufgaben:

Das Archiv zu Beuys sollte zugänglich gemacht werden, damit mit den vorhandenen Materialien gearbeitet werden kann

Der Verein sieht sich als Instrument

Der Verein will einen Raum aufbauen, in dem Verschiedenstes stattfinden kann: Studien, Seminare, Projekte am Erweiterten Kunstbegriff und an der Sozialen Plastik

Kulturarbeit des Vereins „Modell Wasserburg":

Ein Thema war das Selbstverständnis des Vereins und seine Darstellung. Hier einige Gedanken:

Der Verein sieht sich als Träger und Ort für Initiativen und Aktivitäten, auch oder hauptsächlich solche von außen.

Wichtig ist eine ehrliche und verständliche Darstellung der Vereinsarbeit nach außen. Gerade die Präsentation des Vereins sollte klarer werden – klarere Gliederung, Stichwort „Gesund schrumpfen" – und klarer und einfacher formuliert werden. Die vielfältige Vernetzung und deren Darstellung ist eher verwirrend.

Bibliothek:

Ein weiterer Punkt waren die Schriften und Bücher, die im Haus gelagert werden. Das „Archiv" sollte zugänglich gemacht und die Bibliothek sollte strukturiert werden:

Ein kleiner Teil für die sogenannte Laufkundschaft im Erdgeschoss / Gaststättenbereich

der große Teil der Schriften und Bücher im anderen Teil des Hauses für stärker Interessierte

Ingo Mäder hat im Wesentlichen alle Schriften aufgearbeitet. Es fehlen nur noch die Briefe, die er noch bearbeiten will. Alle Schriften sollen bis auf ein Exemplar reduziert und gleichzeitig auf CD archiviert werden.

Günter Edeler

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Schwerpunkt: Frau-Mann-Beziehungen


Sensibilität erschließen und bewahren

Ich bin sicher, dass manche „ganz einfache und unausgebildete" Frau auf diesem Gebiet die Lehrerin ihres „hochbebildeten" Mannes ist, ohne jemals als solche erkannt, geschweige denn anerkannt zu werden. Und ich weiß auch aus Erzählungen, dass viele Frauen gerade auf diesem Gebiet an der Unbelehrbarkeit ihrer Männer, die ja gerade hier meinen, es besser zu wissen, buchstäblich zerbrechen, abstumpfen, resignieren und der hochmütigen Verfolgung einer konservativen Gesellschaft ausgesetzt sind, wenn sie sich plötzlich von dem Mann trennen, weil sie seine Grobheit und Unbelehrbarkeit – eben gerade auf diesem Gebiet – nicht mehr ertragen können.

Wir leben in einer Zeit, in der immer größere Gruppen von Frauen sich ihrer selbst bewusst werden, nicht mehr bereit sind, die ihnen von der zweifellos männlichen Gesellschaft zugeteilten Rollen zu übernehmen. Es ist wirklich heute oft so wie ein altes Theaterstück, das nicht mehr klappt, weil viele Frauen plötzlich aus der Rolle fallen. Sie greifen die Männer verbal an, stellen die zur Rede und kritisieren sie, sehr häufig in der gleichen Art, wie das Männer zu tun pflegen. Dabei trifft sie nun um so schärfer die Kritik von Männern, die ihnen „Unweiblichkeit" vorwerfen. Auch ich empfinde die typisch männlich-intellektuelle Kritik, wenn sie von Frauen ausgeht, als eine Verzerrung, wenn zum Beispiel Frauen mit intellektueller Messerschärfe in historischen Kurzreferaten die „total unterdrückte Lage der Frau" erläutern, während der Mann von der Frau etwas ängstlich dabei sitzt, aus Erfahrung darauf gefasst, dass ihn sehr bald ein Seitenhieb treffen wird. Was mir bei diesen Frauen auffällt, ist, dass sie die konkrete Erfahrung zwischen sich und ihrem Mann, wie es sonst Männer tun, ausklammern und gewissermaßen historisch und abstrakt referieren.

Ich verstehe diese Verhaltensform als den ersten möglichen Schritt der selbstbewusst werdenden Frau: Sie stellt männlich Züge heraus, will offensichtlich auf intellektueller Ebene erst mal „gleichziehen". Aus dem „lieben Frauchen" wird die gefürchtete Diskussionspartnerin. Der nächste Schritt wird der sein, davon bin ich

überzeugt, dass sie ihre ganz eigenartige, in der Öffentlichkeit noch nahezu unbekannte Situation als der einer konkreten, im gegenwärtigen Augenblick lebenden Frau in Gedanken fasst und dem Mann schildert. Erst dann werden die meisten Männer begreifen, überhaupt begreifen können, mit wem sie es in ihrer Partnerin zu tun haben. Die sich abstrakt „politisch" beschreibende Frau geht genauso an ihrem Partner vorbei wie früher und heute die sich abstrakt formulierenden Männer an ihren Partnerinnen vorbeigehen. Das Gespräch zwischen Mann und Frau beginnt dort, wo die wirklichen Erfahrungen sensibel ausgetauscht werden. Die gegenwärtige Tragik der Frau scheint mir darin zu liegen, dass sie ihre Erfahrungen nur selten gedanklich vermitteln kann. Sie wendet sich häufig zu schnell von dem Mann innerlich ab, der sie nicht intuitiv erfasst, und wird gereizt, anstatt zu erklären. Die Männer, und das ist auch ihre Tragik, geben sich überlegen, wo sie in Wirklichkeit verlegen und ratlos sind, geben aus innerer Schwäche vor, es besser zu wissen, und werden dadurch unempfänglich für die emotionale und verbale Mitteilung der Frau.

Peter Schilinski

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Über die wahre Liebe

Die wirkliche Liebe ist es, die alles, „auch die Zeit und die Tyrannei der Vergänglichkeit", wie Apostel Paulus es nennt, übersteht und überdauert, aber nur, wenn es keine „sterbliche Liebe" ist, von der Boccaccio im „Decamerone" reizvolle Beispiele beisteuert. Die „wahre Liebe" ist „ nicht von dieser Welt" und daher ist sie auch mächtiger als diese Welt und wird sie überdauern, wenn diese zugrunde geht. Alle Lebenssituationen sind Prüfsteine, welcher Art die Liebe ist, die zwei Menschen (oder mehr) miteinander verbindet. Je grotesker und vertrackter die Situationen sind, desto härter wird die Form der Liebe geprüft. Es ist leicht, eine bequeme Form der Liebe zu leben unter günstigen und geneigten Bedingungen . Der Diamant der wahren Liebe wird erst unter harten Bedingungen zur höchsten Vollkommenheit geschliffen (bekanntlich lassen sich Diamanten nur mit harten Gegenständen schleifen). Alle anderen Liebesformen gehen an härteren Bedingungen zugrunde – und das ist auch gut so. ...

Wer sich dieser Form der höchsten Liebe verschreibt, weil er sie als das Beste erkannt hat, wie sollte der sich noch mit Minderem zufrieden geben können? Es wäre eine Lüge. Möglicherweise findet er diese Liebe nicht, das ist Schicksal. Aber das hindert ihn nicht an dem Glauben daran und dieser beglückt ihn in sich, in der damit verbundenen Befreiung der Wahrheit. Denn sogar die bloße Suche nach einer solchen Liebe hat eine ausstrahlende Kraft, und das Wissen um sie teilt sich darin mit. Der Mensch „lebt nicht vom Brot allein", sondern ist auch Bürger einer anderen, jenseitigen Welt, als der er anderer Nahrung bedarf. Die wahre Liebe ist mehr als eine Botin dieser anderen Welt, sie ist ein Teil davon.
Aus einem Brief von Andreas Pahl, Februar 2004

Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass ohne „sozial gestimmte" Menschen ein sozial befriedigender Lebenszustand herbeigeführt werden könne.
Rudolf Steiner: Zur Dreigliederung des sozialen Organismus

Auch ein Gesichtspunkt

Ich mein’ doch nicht unbedingt, man soll antikonzeptionelle Mittel nehmen. Ich meine, der Ehemann sollte sich beherrschen lernen, verdammt! (Pardon.) Denn es sind ja die Männer, die über die Frauen herfallen – und die guten liebenden Frauen (unsinnlich oft) lassen es sich gefallen und tragen die Folgen.
Luise Rinser in einem Brief vom 22.9. 1962

Lieber uns selber überlassen

Der Berliner Chemiker Emil Fischer erhielt 1902 den Nobelpreis für Chemie. Ihm verdanken wir die künstliche Herstellung einer Form des Eiweißes. Der Professor demonstrierte seine aufsehenerregende Entdeckung vor einer gelehrten Gesellschaft in London und schloss den Vortrag mit den Worten:

„Damit eröffnen sich der Wissenschaft gewaltige Perspektiven. Es ist bekannt, dass der Urstoff der belebten Substanz, der Träger des Lebens überhaupt, das Protoplasma, im Wesentlichen Eiweiß enthält. Vielleicht, meine Herren, gibt es jetzt einen Weg, das alte Homunkulusproblem zu lösen, vielleicht" – und hier erhob der Gelehrte seine Stimme – „besteht sogar die Möglichkeit, Menschen in Zukunft künstlich herzustellen..."

An dieser Stelle hörte man einen Versammlungsteilnehmer zu seinem Nachbarn sagen, laut genug, dass man es vernehmen konnte: „Wissen Sie, Herr Kollege, ich bleibe da doch lieber bei der alten Methode!"
Aus dem Buch „Heiterer Anekdotenschatz", herausgegeben von Roland W. Fink-Henseler (1990)

Lieben will gelernt sein

Liebe zeigt sich darin, ob wir in der Lage sind, unsere Partner oder Partnerinnen als eigenständige Wesen zu respektieren, vor allem dann, wenn uns gewisse Wesenszüge und Eigenschaften nicht in den Kram passen.

Liebe ist, wenn wir unseren Partnern und Partnerinnen zugestehen, dass es ihre persönliche Angelegenheit ist, welche Vorlieben sie pflegen und in welche Richtung sie sich entwickeln werden.

Liebe manifestiert sich darin, ob wir uns herzlich darüber freuen können, wenn der Partner oder die Partnerin den eigenen Lebensplan zu erkennen vermag und die damit verbundenen Aufgaben in Angriff nimmt.

Liebe erkennen wir daran, ob wir in der Lage sind, Verhaltensänderungen nicht als Liebesbeweis des anderen zu erwarten oder zu fordern, sondern das eine vom anderen trennen können.

Aus: Julia Onken „Wenn Du mich wirklich liebst", München 2001

Ich weiß noch sehr genau, wie überglücklich ich war, als ich meinen erstgeborenen kleinen Sohn im Arm hielt. Er hätte sonst wie aussehen oder sein können! Ich wusste einfach, dass ich ihn liebe, egal was auch immer geschehen würde. Die Heftigkeit dieses Liebes-Gefühls überrascht mich selbst.
Gisela Preuschoff: Von nun an zu dritt – Wie Babys das Leben ihrer Eltern verändern (2002).

Unterschiede in der Liebe

Die Liebe ist eben etwas ganz anderes bei dem Mann und bei der Frau. Bei der Frau geht durchaus die Liebe von der Phantasie aus und ist immer damit verknüpft, ein Bild zu formen. Die Frau liebt - verzeihen Sie, wenn ich das sage - niemals vollständig bloß einfach den realen Mann, der dasteht im Leben; die Männer sind ja auch gar nicht so, dass man sie, wie sie heute sind, mit einer gesunden Phantasie lieben könnte, sondern es ist immer etwas mehr darinnen, es ist das Bild darinnen, das aus jener Welt heraus ist, die eine Gabe des Himmels ist. Der Mann hingegen liebt mit dem Wunsch: Die Liebe des Mannes trägt einen ausgesprochenen Wunschcharakter. Und dieser Unterschied muss gemacht werden, wie das auch in mehr ideellem, idealem oder realem Sinne dann zum Ausdruck kommt. Das höchste Ideal kann noch ideale Wünsche enthalten; das instinktiv Sinnlichste kann Produkt der Phantasie sein. Aber dieser radikale Unterschied ist zwischen Mannes- und Frauenliebe. Die Frauenliebe ist in Phantasie getaucht; die Männerliebe ist in Wunsch getaucht. Dadurch gerade bilden sie etwas, was im Leben in Harmonie tritt.
Rudolf Steiner am 4. Januar 1922, Gesamtausgabe 303

Warum schlagen Männer?

Fast immer steckt Hilflosigkeit dahinter. Der Mann sieht keine andere Alternative, sich durchzusetzen, also schlägt er. Das hat zum einen mit seiner körperlichen Überlegenheit zu tun, zum anderen mit der Geschichte seiner Erziehung. Bei vielen Männern spielt Gewalt in Kindheit und Jugend eine prägende Rolle. Sie waren Klassenstärkste, wenn’s Konflikte gab, mussten sie nicht lange diskutieren, haben kurz zugeschlagen und wurden von allen geachtet und bewundert. Solche Muster tradieren sich auch in die Beziehung. Wenn Konfrontationen mit ihren Frauen auftauchen, sind die Männer äußerlich wie versteinert, innerlich aber meist hocherregt und suchen irgendeinen Ausweg. Manche gehen türknallend davon oder lassen die Angriffe der Frauen regungslos über sich ergehen. Und andere haben eben gelernt: Ich schlag zu, dann ist Ruh.
Franz Thurmaier, Psychotherapeut und Eheberater. 

Für die Liebe gilt wie für alle anderen Lebensgebiete: Höhere Stufen sind auch stets zugleich solche, die stärkere Erlebnisse mit sich bringen, stärker und eindrucksvoller sowohl im schmerzlichen als auch in der Freude des Fortschritts. Der Erlebnisarme ist auf jedem Gebiet der in Wirklichkeit Urteils-Unfähige.
Peter Schilinski

Zwischen Bedürftigkeit und Stacheligkeit

Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nahe zusammen, um durch die gegenseitige Wärme sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln; welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wenn nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel; so dass sie zwischen beiden Leiden hin- und hergeworfen wurden; bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten, - so treibt das Bedürfnis nach Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte.
Arthur Schoppenhauer 

„Der Geist hat kein Geschlecht." Das hatte im Jahre 1673 der Franzose Poullain de la Barre geschrieben und wird für diese revolutionäre Erkenntnis in einer neuen englischen Untersuchung zum Thema Frauen in der Wissenschaft als „Feminist" reklamiert.
Christel Dormagen in dem Buch „Mond und Sonne", Hamburg 1994

Annehmen

Wenn ich darauf verzichte, nach dem Grund zu suchen, bin ich gezwungen, mich einem Schicksal zu fügen, das ich nicht durchschaue. Wenn ich das mache, habe ich eine ganz andere Möglichkeit, mich der Trennung zu stellen, und mich auch dem Partner zu stellen, von dem ich mich trenne. Dann gibt es keinen Streit mehr. Man anerkennt: Es ist etwas passiert, und es ist nicht in der eigenen Macht, es zu ändern.
Bert Hellinger

Wirklich aufregend

Nach dreißig Jahren gemeinsamen Fernsehens sagte der Mann zu seiner Frau: „Lass uns heute Abend etwas wirklich Aufregendes unternehmen!"
Sofort tauchten in ihrem Auge Visionen von einer Nacht in der Stadt auf. „Phantastisch", sagte sie, „was wollen wir machen?"
„Wir könnten einmal die Sessel tauschen."
Anthony de Mello

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Rudolf Steiner und die Vorzüge des Weiblichen

Zum Genialsten, was ich von Rudolf Steiner gelesen habe, gehört seine Zusammenschau der weiblichen und der männlichen Grundtendenzen. Die männliche Keimanlage tendiert „zur mächtigen Entfaltung dessen, was zur Verfestigung des Knochensystems führt". Sie würde solche Kräfte freisetzen, die zu stark sind, als dass sie bestehen könnten, falls es keine Gegenkraft gäbe, die sie in Schranken hält.

Diese Gegenkraft ist die weibliche Keimanlage. Diese schießt jedoch ihrerseits über das Ziel hinaus, wenn sie sich völlig frei entfalten kann. Führt der männliche Grundimpuls „zu stark hinunter unter das Maß dessen, was auf der Erde möglich ist", so der weibliche Grundimpuls zu weit darüber hinaus. „Nur die lebendige Wechselwirkung dessen, was nach beiden Seiten hin das Übersprudeln des einen verhindert, ergibt die für das Erdenleben allein mögliche Keimanlage."

Ohne diese Wechselwirkung schüfen beide Grundimpulse eine einseitige Welt, der Mann eine allzu verfestigte, die Frau eine allzu weiche und überzarte, die „zu gut für die Erde wäre". Der weibliche Organismus kann nicht allein das Formprinzip entwickeln, welches dem Menschen die volle Festigkeit gibt.

Im weiteren Verlauf der Vorträge „Eine okkulte Physiologie (20. bis 28.3.1911) geht Rudolf Steiner auf die Vorzüge des Weiblichen ein: Die Frau hat ein weicheres Gehirn als der Mann, was sie befähigt, lebendiger zu denken. Sie ist naturnäher und nicht so tief in die Materie eingesunken wie der Mann.

Daraus ergibt sich meines Erachtens ein Sensibilitätsvorsprung der Frauen, welcher in immer mehr Bereichen zutage tritt. Die Wahrnehmung dieser größeren Sensibilität hat mich schon in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ermutigt, von einer Achsenverlagerung zum Weiblichen zu sprechen. Unwillkürlich erinnere ich mich eines Satzes von Laotse an die Männer seiner Zeit: „Bewahr das Männliche, aber haltet Euch an das Weibliche."

Rudolf Steiner fügt in „Eine okkulte Physiologie" noch etwas hinzu: „Was die weibliche Keimanlage zu stark anregt, zu sehr über das Maß dessen hinausführt, was auf der Erde möglich ist, das gleicht sich aus mit der männlichen Keimanlage durch den Befruchtungsprozess." Dieser erdet und korrigiert das Übersprudeln.

Günter Bartsch
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Die Liebe muss nicht aufhören

Ich erlebte, dass dann, wenn es mir wirklich gelungen war, einen neuen, nur freundschaftlichen Raum in der Beziehung zu der geliebten Frau zu öffnen, einen Raum, in dem wir uns gewissermaßen als Freunde begegnen konnten, dass dann eine bestimmte Form von Liebe auftrat, die ich als höher und wertvoller empfand als diejenige, die aus der intim-erotischen Beziehung kommt. Es war dann plötzlich möglich, dass wir uns von einer inneren Freiheit und in einer Anteilnahme begegneten, die vorher niemals so tief gewesen war, weil sie eigentlich immer von der Angst des Verlustes gekennzeichnet wurde. Wenn wir uns dann nach einem stundenlangen Gespräch, in dem die Frau ganz offen all das erzählte, was sie nun in der neuen Begegnung vor allem an Schönem erlebte, in die Arme nahmen, dann empfand ich eine Innigkeit ohne alles Begehren, die mich zutiefst beglückte. Ich wusste aber nach vielerlei Erfahrungen sehr genau, dass dieses Erlebnis sich nur dann erhalten beziehungsweise wiederholen konnte, wenn ich meine Wünsche als Mann gegenüber dieser Frau wirklich zurückstellen konnte.

Aber ich erlebte auch, dass durch die Zurückstellung meiner männlichen Gefühle gegenüber der Frau, die mich vielleicht noch kurz vorher als Mann leidenschaftlich geliebt hatte, nicht etwa eine Verstärkung meiner Gefühle eintrat. Im Gegenteil, diese Gefühle traten allmählich zurück und verwandelten sich zu denen einer tief herzlichen Verbundenheit. Ich glaube heute, dass hier ein Weg liegt, den viele Menschen in ähnlichen Situationen wirklich gehen können. Gewiss ist dieser Weg sehr schwer, aber er richtet sich ja an ein sehr hohes Ziel, an die Aufrechterhaltung der inneren menschlichen Verbundenheit auch dann, wenn die intim-erotische Beziehung für einen der beiden nicht mehr möglich ist. Ich glaube, dass dieser Kampf, der ja ein Kampf mit sich selbst ist, sehr damit zusammenhängt, dass man die neue, für einen selbst zunächst sehr schmerzliche Situation wirklich voll innerlich akzeptieren kann. Dabei halfen mir bestimmte Gedanken, die allmählich zu Empfindungen wurden. Vor allem der Gedanke, der auch aus meinem Gefühl kam, und der darin bestand, dass ich wirklich fühlte: Es war mir ganz viel daran gelegen, die menschliche Verbindung zu diesem Menschen aufrechtzuerhalten. Ich fühlte diesen Gedanken mit aller Kraft, und er verwandelte sich schließlich allmählich auch in die Kraft, eine positive Einstellung dazu einzunehmen, dass die erotisch-intime Beziehung zu einer Frau, die sich einem anderen Mann zugewandt hatte, zu mir nicht mehr möglich war. Ich sah auf der Grundlage dieses Gedankens, dass sich doch ein weiteres Feld der Beziehung zwischen mir und ihr eröffnen würde, wenn ich den Raum unserer Beziehung nicht dauernd mit meinem Bedürfnis als Mann dieser Frau gegenüber belasten würde, vor allem auch nicht mit dem Gefühl der verletzten Eitelkeit und des Zurückgesetztwordenseins wieder mit aller Stärke. Aber ich wusste auch, dass ich dieses Gefühl nicht wollte, auf keinen Fall wollte, weil ich es als schädlich und vernichtend für die Beziehung zu der Frau erlebte. Ich wollte die Beziehung zu ihr auch in der Situation, dass sie mich als Mann nicht mehr lieben konnte, und es wurde mir rein aus dem Gefühl heraus sehr klar, dass mein Wunsch nach Fortführung der Beziehung sich nur verwirklichen könnte, wenn ich diese zerstörenden Gefühle der Eifersucht, des Mich-zurückgesetzt-Fühlens, der Minderwertigkeit und so weiter nicht groß werden ließ. Wenn ich diesen Kampf führte, und zwar immer dann, wenn diese Gefühle wieder auftauchten, dann merkte ich, dass sie sich nicht verstärkten, sondern verwandelten. Es wurden daraus ganz allmählich ganz echte Gefühle der Bereitschaft, weiter in der Verbindung zu dieser Frau zu leben. Ich bemerkte auch, dass meine Gefühlslage es war, konkret die einzelnen Gefühle, die ich hatte, die entweder so wirkten, dass sich die Frau, die mich einmal als Mann geliebt hatte, mehr und mehr distanzieren wollte, oder so, dass sie sich mir in einer freundschaftlichen Weise neu öffnete.

Ich glaube, dass derartige Situationen von vielen Menschen erlebt und auch in ähnlicher Weise praktiziert werden, wie ich es durchgemacht habe, aber ich glaube auch, dass davon noch sehr wenig Bewusstsein besteht. Im allgemeinen sind die Menschen doch wohl der Meinung, und manche wissenschaftlichen Ausführungen der modernen Psychologie bestärken sie darin, dass man eine erotisch-intime Beziehung, die von dem Partner oder der Partnerin nicht mehr erwidert wird, nur dadurch gewissermaßen „vergessen" kann, dass man versucht, eine neue Beziehung aufzunehmen ,in der die erotische Intimität wieder vorhanden ist. Man weiß zu wenig darüber, dass eine erotisch-intime Beziehung, wenn sie von dem Partner oder der Partnerin nicht mehr erwidert werden kann, sich in eine innige Freundschaft verwandeln kann. Man glaubt daran einfach nicht, und versucht es auch nicht. Ich bin so vielen Männern und Frauen begegnet, die nicht anders als mit Verbitterung und in der Verletztheit davon sprechen konnten, dass irgendwann der Partner oder die Partnerin die intime Beziehung zu ihnen aufgelöst hat. Ich fühle dann immer wieder, dass eine Art der Aggression gegen diesen Partner oder diese Partnerin übriggeblieben ist, eine Verbitterung, die sich oft als eine negative Lebenserwartung für die weitere Zukunft dieses Menschen auswirkt. Wenn ich davon erzähle, dass es, wenn auch mit größten Anstrengungen verbunden, doch möglich sein kann, eine Beziehung in inniger Vertrautheit weiterzuleben, wenn man die Kraft aufbringt, den anderen Menschen auch dann echt liebevoll zu begleiten, wenn er einen nicht mehr als Mann oder als Frau meint, dann schütteln die Menschen meistens ungläubig den Kopf. Sie meinen zwar, das sei ein sehr schönes Ideal, und fühlen das auch, aber sie halten es nicht für möglich. Und wenn ich davon ausführlich und detailliert erzähle, wie ich das erlebt habe und wie es mir gelungen ist, mit Frauen weiterhin tief innig befreundet zu sein, obwohl sie mich als Mann nicht mehr liebten, dann meinen die Menschen oft, ich sei doch so etwas wie ein komischer Heiliger. Ich finde, dass hier eine sehr wichtige Seite in der sogenannten Aufklärung über die Liebe nicht berücksichtigt wird, dass darüber eben nicht aufgeklärt wird. Ich fände es sehr wichtig, wenn alle jene Menschen, und es sind ganz bestimmt nicht wenige, die diesen Prozess erlebt haben, die erlebt haben, dass sie mit einem Menschen vielleicht bis zum Ende ihres Lebens in inniger Liebe verbunden sein konnten, obwohl sich die Verbindung zwischen Mann und Frau bei dem einen oder anderen zu einer bestimmten Zeit abgelöst hat, einmal darüber berichten würden. Die anderen Menschen haben nach meiner Ansicht ein Recht darauf, zu erfahren, dass es nicht nur die Möglichkeit gibt, verbittert und aggressiv – unter Umständen lebenslänglich – zu reagieren, wenn man einmal oder mehrere Male erlebt hat, dass ein Partner oder eine Partnerin die intime Beziehung zu einem aufgelöst hat. Ich ahne, dass es eine Form der Liebe zwischen Mann und Frau gibt, die einmal durch alle Stadien beglückender und verzehrender Leidenschaft hindurch gegangen ist, ohne dabei ausgebrannt zu sein. Eine Form der Liebe, die eben in einer lebenslänglichen Vertrautheit und innigen Verbundenheit der Partner und Partnerinnen zueinander besteht, die nicht resigniert auf jenen Moment zurückblickt, wo sich die erotisch-intime Beziehung löste, sondern die, weil sie von diesem Punkt gewissermaßen zu neuen Ufern schritt, wirklich erfahren kann, dass sich eine sehr viel intensivere, bleibendere und letztlich auch beglückendere Liebe entwickeln kann (nicht muss), wenn gewissermaßen der erotisch-intime Bereich von beiden Menschen durchschritten worden ist.

Peter Schilinski

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Freund oder Feind

Komm mir nah

Damit wir tauschen

Das Wort

Und uns lieben lernen

Nach den Gesetzen

Des Herzens

Denn die Entfernung

Macht einsam

Und die Begegnung

Macht klar

Und wer sich zurückzieht

Geht in die Fremde

Und wer sich öffnet

Kommt heim

In die Häuser

Der Erde

Und die Winde

Des Himmels

Singen

 

Salama-Inge Heinrichs

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Beziehung und Auseinandersetzung

Heute erscheint es mir so, dass die offene Aussprache über alle Vorgänge in einer Beziehung, wie ich sie mir wünschte und wie ich sie unsensibel herbeiführte, in meiner Generation doch sehr, sehr selten wirklich gewünscht und praktiziert wurde. Die Rollenverteilung war noch sehr fest. Der Mann bestimmte und die Frau passte sich zunächst voll an. Erst im weiteren Verlauf der Beziehung wurden die Konflikte sichtbar – aber eben doch nicht offen ausgetragen. Die Frau konnte, zu eigenen Bedürfnissen „erwacht", die Anpassung nicht mehr durchhalten, bemühte sich zwar weiter darum, wurde jedoch in immer stärkerem Maße gereizt und resigniert. Der Mann, zunächst an die Anpassung der Frau gewöhnt, empfand sich als lieblos behandelt, wenn die Frau sich nicht mehr anpassen wollte, wenn sie gereizt und ärgerlich wurde. Er neigte dazu, sich in der Schmollecke abzukapseln. Die Verbindung wurde immer öder und nur noch äußerlich aufrecht erhalten. Eine Auseinandersetzung fand nicht statt.

Erst bei der jungen Generation begegne ich mehr der Bereitschaft, sich mit dem Partner oder der Partnerin offen auseinander zusetzen. Wenn ich es versuchte – und ich versuchte es immer wieder – dann hatte ich eigentlich zunächst immer den Eindruck, dass die Frau das als etwas ganz Ungewöhnliches, ja sogar Unerhörtes empfand. Auch wenn ich meine Art schließlich durchsetzte und die Frau das akzeptierte, so fiel bei ihr irgendwie von selbst wieder der Vorhang zu, wenn ich zur offenen Aussprache herausforderte und sie einfach begann. Heute empfinde ich das so, dass darin auch eine Rücksichtslosigkeit von mir gegenüber der Frau lag. Aber ich konnte es anders nicht aushalten. Die Probleme standen ja doch deutlich und fühlbar in der Luft, und es half gar nichts, wenn sie nicht ausgesprochen oder versuchsweise freundlich übergangen wurden. Sie waren ja da und waren auch wirksam.

Es wurde alles nur schlimmer, wenn schwerwiegende Probleme nicht ausgesprochen wurden. Heute würde ich sagen, dass nur Weise und wirklich Liebende sich gestatten dürfen, die Probleme nicht auszusprechen, weil sie sowohl die Weisheit als auch die Liebe haben, ohne Aussprache mit dem anderen die Probleme in sich selbst wirklich zu bewältigen.

Peter Schilinski

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Noch sehr dürftige Bilder voneinander

Ich weiß nicht, wie viele Menschen es gibt, Frauen und Männer, die aus den Erfahrungen, oft langjährigen Erfahrungen, die sie mit ihren Partnerinnen oder Partnern gemacht haben, wirklich ein Bild des anderen Menschen, ein auch nur annähernd so vielschichtiges und farbiges Bild des anderen Menschen vor Augen haben, wie es dem Wesen dieses Menschen entspricht. Ich neige zu der Auffassung meiner begrenzten Erfahrung, dass es sehr wenige Menschen gibt, die das Bild des von ihnen geliebten anderen Menschen in vielen Farben gegenwärtig haben, und zwar so, dass ihr Bild wirklich dem Wesen dieses anderen Menschen entspricht, und nicht so, dass es alle jene Verzerrungen und Übertreibungen enthält, die sich so leicht einstellen, wenn man entweder in übergroßer Sympathie oder in mehr oder weniger großer Antipathie gegenüber dem anderen steht.

Ich habe nun wirklich außerordentlich viele Gespräche mit Menschen der verschiedensten Lebenskreise in den vergangenen Jahrzehnten geführt. Dabei fiel mir immer wieder auf, wie dürftig das Bild war, welches die Menschen von ihren Partnern hatten, auch dann, wenn das Gespräch eine solche Vertrautheit erreicht hatte, dass man nicht mehr annehmen musste, es wären etwa besonders große Hemmungen, die den anderen dazu veranlassten, diese oder jene für ihn sehr wichtigen Eigenschaften des anderen überhaupt zu erwähnen. Was für mich immer wieder auffallend war und was ich ja aus eigener Erfahrung nur zu gut kenne, das war der Tatbestand, dass die Menschen nur von ganz wenigen Eigenschaften ihres Partners oder ihrer Partnerin sprachen, entweder von solchen, die sie besonders schätzten - oder von solchen, die ihnen besonders viel Schmerzen machten, wobei immer noch sehr fraglich war, ob diese Eigenschaften wirklich richtig gesehen wurden oder ob sie ihre bestimmte Färbung durch die persönliche Beziehung des Erzählenden zu ihnen erhielten. In den meisten Fällen traten nur einige wenige Dinge stark hervor, alles andere blieb im Halbdunkel oder ganz im Dunkel, und ich fragte mich, wie es eigentlich möglich ist, dass Menschen, die doch oft Jahrzehnte zusammen leben, eine so ungenaue und oft nur ganz oberflächliche Kenntnis von dem Menschen haben, mit dem sie zusammenleben. Wenn Goethe sagt, es sei nahezu müßig, den Charakter eines Menschen zu schildern, man stelle vielmehr seine Handlungen zusammen, daraus würde dann viel eher ein Bild seines Charakters hervortreten, so scheint mir das richtig zu sein; aber doch eben umso bemerkenswerter, dass die meisten Menschen gar nicht dazu neigen, auch den geliebtesten Menschen, mit dem sie verbunden sind, in der Fülle seiner Eigenschaften wahrzunehmen.

Peter Schilinski

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Rauschhafte und zurückhaltende Gefühle

Ich empfand es im wahrsten Sinne des Wortes als schrecklich-schön, dieses Bedingungslose in dem Impuls, auf die Frau zugehen, sie kennen lernen zu müssen, aber es war doch ein Rausch. Nachdem er vorbei war, blieb von dem ursprünglichen Antrieb nichts mehr übrig. Immer versuchte ich, ins Gespräch zu kommen, oft wie aus einem schlechten Gewissen. Es durfte doch nicht sein, dass das wirklich alles war, es musste doch noch etwas menschlich Verbindendes, Weiterführendes geben, es konnte doch nicht nur der Rausch sein. Manchmal gab es dann quälende Gespräche, die, je länger sie geführt wurden, umso mehr deutlich machten, dass da keine weiterführende Verbindung möglich war. Manchmal öffneten sich gemeinsame Räume der menschlichen Verbindung, die ich vorher nicht geahnt hatte, die eine Zeitlang trugen oder auch, trotz längst abgeklungener Leidenschaft, eine langjährige Verbindung ermöglichten. Es gab Begegnungen, die kurz und sehr heftig waren, und die sofort nach dem Rausch in mir den Impuls auslösten, die Frau nicht mehr wiederzusehen. Das war auch so, und dann war das Schreckliche und wiederum Unvermeidliche: Wir sahen uns irgendwann zufällig wieder und waren spontan wieder derart voneinander angezogen, dass es wieder zu einem Zusammensein kam - und trennten uns wieder. Ich fühlte mich deutlich verstört und irgendwie innerlich zerstört durch solche Begegnungen, hatte ein schales Gefühl beim Gedanken an meine "Vitalität" und "Wirkung auf Frauen", was doch überall so hoch bewertet wurde. Mich machte das innerlich leer und kaputt und verstärkte die Frage in mir, meine Lebensfrage: Wie ist es möglich, etwas menschlich wirklich Haltbares, etwas durchgehend einander Anteilnehmendes, Freundschaftliches in der Beziehung zur Frau zu finden? Ich hasste diese spontanen bedingungslosen, sofort "alles" wollenden Gefühle, hatte zu oft erlebt, dass dieses "Alles" sich sehr schnell in ein Nichts verwandelte.

Neben diesen mehr oder weniger doch unglücklichen Beziehungen hatte sich eine Situation sehr deutlich in mir herausgebildet, die auftrat und mir auch schon bekannt war, wenn eine Frau sehr wichtig für mein Leben werden konnte. Da ging schon bei der Begegnung mein ganzes Gefühl gewissermaßen nach innen; jegliche Neigung, die Frau zu berühren, zog sich zurück, triebhafte Wünsche mussten nicht beherrscht werden, weil sie einfach nicht da waren. Im Seelenraum öffnete sich jede Tür, und zugleich war in allem Körperlichen eine absolute Bereitschaft ohne jeden Zwang da, mich ganz auf die Frau einzustellen, jeden Hauch ihres Gefühls aufzunehmen, ja nichts zu tun, was sie verletzen, was auch nur im Entferntesten gegen ihren Willen sein könnte. Es stellte sich spontan und umfassend der Impuls ein: Mit dieser Frau möchtest du nur in einer ihrem Wesen entsprechenden Form zusammensein. Du bist bereit, alles Erotische ohne jeden Zwang beiseite zu lassen, wenn sich zeigen sollte, dass es ihrem Wunsch nicht entspricht. Ich hatte dann direkt Angst davor, ich könnte mich irgendwie so verhalten, dass ich sie nicht berücksichtigen würde, könnte etwas tun, was ihr weh tun würde, ihrem Wunsch nicht entsprach.

Peter Schilinski

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Meine Beziehung zu Männern

Ich habe eigentlich nur eine einzige Beziehung zu einem Mann gehabt, die so war, wie ich sie mir vorstellte. Das war die Beziehung zu meinem Freund Bob. Sie begann in der gemeinsamen Kindheit, ging durch die ganze Schulzeit, wir sahen uns täglich; und sie endete damit, dass mein Freund Bob von den Nazis im Konzentrationslager Buchenwald umgebracht wurde. Das war 1945, Bob war Jude; ich konnte ihn aus Prag, wohin er emigriert war, nicht herausholen, weil er sich eng an seine Frau, die er in Prag geheiratet hatte, und deren Familie, die aus acht Mitgliedern bestand, gebunden fühlte. Wir sahen uns zuletzt 1944, als ich ihn in Prag besuchte. Da wäre eine gemeinsame Flucht über die grüne Grenze möglich gewesen, auch ein Untertauchen in Berlin, weil es ja schon sehr, sehr chaotisch zuging. Aber das kam für Bob nicht in Frage, weil er ohne die Familie seiner Frau nicht mitkommen konnte und auch nicht wollte.

In der Gemeinschaft, in der ich jetzt einige Jahre leben darf, hat auch meine Beziehung zu Männern eine sehr viel inhaltlichere Bedeutung bekommen. Ich glaube, ich bin sogar überzeugt davon, dass es an den Frauen unserer Gemeinschaft liegt, dass es so ist. Nur in der Gemeinsamkeit mit diesen Frauen konnte es gelingen, dass wirklich täglich sehr intensive persönliche Gespräche, auch über alle Fragen der Beziehung zur Frau, geführt werden. Das geschieht beinahe täglich, jedenfalls immer dann, wenn ein aktueller Anlass dazu besteht - und das ist sehr häufig der Fall in einer Gruppe von zehn Personen. Ich bin der Meinung, dass es das Fluidum der Frauen war und ist, welches in einer wirklich jahrelangen, nicht willkürlich vorgenommenen Bemühung, aber eben doch in jahrelangen Gesprächen dazu führte, dass sich die Männer mehr und mehr aufgeschlossen haben. Auf diese Weise bekam auch ich Einblick in die wirkliche Situation dieser Männer.

Peter Schilinski über die Zeit im "Modell Wasserburg"

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Schwierige Eigenschaften ehrlich bekennen

Meine Ansicht war, dass sich jeder im weiteren Verlauf der Beziehung doch besser auf den anderen einstellen könne, wenn er von ihm gehört hat, noch ohne es selbst am eigenen Leibe zu erfahren, welche großen Schwierigkeiten der andere durch bestimmte Eigenschaften einbringen wird. Ich war der Ansicht, dass derartige Gespräche eine sehr bewusste und hilfreiche Vorbereitung sein würden auf jene Situationen, in denen diese Schwierigkeiten dann im gemeinsamen Lebensablauf voll zur Wirkung kommen. Ich bin auch heute noch dieser Ansicht, aber mir ist bewusst, dass eine sehr intime gemeinsame Einstellung zur eigenen Lebenserfahrung und zum anderen Menschen vorhanden sein muss, wenn solche Gespräche einen produktiven Sinn haben sollen. Der andere muss aus eigener Erfahrung wissen, wie groß seine Schwierigkeiten für andere Menschen sind und was sie und er selbst dabei erlebt haben. Ist das der Fall, dann wird er einen entsprechenden Bericht des Partners oder der Partnerin aus eigener Erfahrung sehr ernst nehmen, auch dann, wenn die gegenwärtige Lage der Beziehung noch voll in der Zuneigung steht und überhaupt nicht ahnen lässt, dass solche Schwierigkeiten jemals eintreten werden.

Peter Schilinski

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Kritischen Situationen vorbeugen

Ich weiß heute für meine Situation und für mein Leben mit Gültigkeit: Wenn ich es vergesse, täglich einmal einige Minuten an das Schöne zu denken, welches ich gerade von dem Menschen meiner nächsten Umgebung empfange, dann fällt mir auch nichts Positives mehr ein, wenn ich mit dem einen oder anderen in eine kritische Situation gelange. Ich habe dann keine Kräfte, um die Herausforderung zu kritisch-negativem Denken, die durch eine Konfliktsituation für mich gegeben ist, aufzufangen. Ich weiß von mir, dass die Möglichkeit, nicht zu lange und nicht zu stark im Konfliktfall im Negativen zu versacken, dadurch gegeben ist, dass ich besonders in guten Zeiten zwischen mir und dem anderen mir auch wirklich bewusst mache, an welchen Eigenschaften des anderen es liegt, dass ich mit ihm in einer gewissen Zeit so viel Schönes erleben kann.

Peter Schilinski

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Gewandelte Frauenbeziehung

Lange Jahre hindurch konnte ich den Zwang, der in mir selbst lebte und der dazu führte, die Intimbeziehung zu einer Frau zu suchen, die mich sehr anzog oder die mir in längerer Zeit vertraut geworden war, überhaupt nicht widerstehen. Wenn die Frau nicht widerstand, und das war doch sehr selten der Fall, dann gab es in mir keine Möglichkeit, ein intimes Zusammensein zwischen ihr und mir zu verhindern. Während dieses Lebensstadiums habe ich diese Situation zum Teil in wachsendem Maße als bedrückend empfunden. Die Beglückung bestand immer wieder in der Faszination eines neuen Reizes. Das im wachsenden Maße Bedrückende bestand darin, dass gerade die durch die Intimbeziehung bestehenden menschlichen Probleme so ungeheuer schwer, oft überhaupt nicht zu bewältigen waren. Ein Mensch, in den meisten Fällen die Frau, manchmal aber auch ich, blieb immer als der Unglückliche zurück, als derjenige, dessen Bedürfnisse nach weiterer Zärtlichkeit und Verbindung nicht erfüllt werden konnten. Heute erlebe ich es wie eine Erlösung, dass ich mich nicht mehr gezwungen fühle, das intime Zusammensein mit einer Frau zu suchen, die mich spontan anzieht oder mit der ich vertraut geworden bin. Ich kann nicht genau feststellen, wo die Ursache für diese Veränderung liegt. Es könnte sein, dass es sich hier lediglich um die nachlassende Vitalkraft aufgrund meines Alters handelt, es könnte auch sein, dass es mit meinen Meditationen und Übungen zusammenhängt, durch die mir noch bewusster geworden ist, was ich immer fühlte: Die lntimbeziehung ist ungeheuer schön, kann jedenfalls ungeheuer schön sein, aber sie wirft auch eine überhaupt noch nicht übersehbare Fülle von Problemen auf. Jedenfalls habe ich heute dieses entschiedene Bedürfnis nach einer intimen Beziehung zu einer Frau nicht mehr. Aber das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, besonders im Zusammenleben mit den Frauen unserer Gruppe, ist sehr stark. Ich glaube, ich könnte es gar nicht aushalten, wenn eine Frau unserer Gemeinschaft mich so empfände, dass sie auf keinen Fall zu mir zärtlich sein wollte. Dabei bemerkte ich bei jeder, wenn auch in verschiedener Stärke - und zu verschiedenen Zeitpunkten namentlich in verschiedener Stärke -‚ dass von meiner Seite aus die Möglichkeit gegeben wäre, unter bestimmten Umständen auch in eine lntimbeziehung zu kommen. Aber es führt kein Zwang dahin, das ist mir mit aller Deutlichkeit bewusst. Es ist eine Möglichkeit, die sich von meiner Seite aus jedenfalls realisieren könnte oder auch nicht.

Durch das Zusammenleben mit den Frauen unserer Gemeinschaft ist für mich etwas sehr deutlich fühlbar und auch bewusst geworden, was ich früher auch schon, jedenfalls in Ansätzen, aber nicht so deutlich empfunden habe. Wenn ich versuchen soll, es zu schildern, dann würde ich sagen, es ist eine Art von Liebe und Verbundenheit, die auf einer Anteilnahme beruht, die ich eigentlich jeder gegenüber in einem gleichen Maße empfinde. Ich empfinde das so, dass ich im Falle einer Schwierigkeit, welche eine dieser Frauen aus irgendeinem Grunde an irgendeinem Punkt ihres Lebens haben könnte, uneingeschränkt bereit sein würde, mit ihr Gespräche, wenn es sein muss, Tag und Nacht hindurch, zu führen, um herauszufinden, was möglich wäre und was ihr helfen könnte. Ich empfinde diese Bereitschaft jeder einzelnen Frau gegenüber, unabhängig davon, in welchem Umfang sie sich dieser meiner Bereitschaft bedienen könnte oder wollte. Durch dieses Erlebnis in mir selbst, was ich jetzt nicht nur ahne, sondern deutlich im Bewusstsein habe, ist mir auch ahnbar, dass es auch eine Liebe zu anderen Menschen gibt, die sehr wenig oder auch nichts mehr damit zu tun haben könnte, dass dieser Mensch eigene Bedürfnisse erfüllt. Ich empfinde und weiß sehr deutlich, dass ich mit jeder dieser Frauen am liebsten bis zum Ende meines Lebens zusammenleben würde, ich weiß aber auch genauso deutlich, und ich empfinde das auch, dass ich jederzeit bereit wäre, mich einem Weg von ihnen zu verbinden, sogar diesen Weg deutlich zu machen und auch zu begleiten, der aus der Notwendigkeit ihres Lebens heraus aus unserer Gemeinschaft herausführen müsste. Diese Empfindung ist mir vielleicht deshalb besonders deutlich bewusst, weil ich früher gegenüber den Menschen, mit denen ich in einer Gruppe zusammengelebt habe, ganz anders empfunden habe. Ich empfand nämlich so, dass bei der Vorstellung, dass sie aus unserer Gruppe herausgehen würden, ich sie mit Vorwürfen belasten würde, und auch mein Interesse an ihnen, wenn sie die Gruppe verlassen würden, sehr zurückgehen würde. Dabei weiß ich aus Erfahrung, dass ich mich in dem Augenblick, in dem ein Mensch, mit dem ich einmal in einer Gruppe zusammengelebt. habe, das Bedürfnis empfand, mit mir persönlich weiter in Verbindung zu bleiben, ich auch dazu bereit war. Aber ich weiß auch, dass sicherlich eine ganze Anzahl von Menschen, die gerne noch zu mir eine Beziehung gehabt hätten, obwohl sie aus der Gruppe herausgegangen sind, dabei denke ich an frühere Gruppen, sich einfach nicht gewagt haben, noch einmal mit mir in Verbindung zu treten, weil sie meinen Groll darüber, dass sie die Gruppe und die gemeinsame Arbeit verlassen haben, noch zu deutlich fühlten. In anderen Fällen war es so, dass Menschen mit mir in stärkstem Konflikt auseinandergegangen sind. Da bestand oft von ihrer Seite aus nicht mehr das Bedürfnis, die Verbindung mit mir zu halten oder später wieder aufzunehmen.

Ich kann mir jedenfalls durch das Erlebnis, welches ich nun schon einige Jahre im Zusammenleben mit den Frauen unserer Gemeinschaft habe, sehr gut vorstellen, dass es Menschen gibt, die wirklich lieben können, nämlich so, dass ihre Liebe sich darin zeigt, den anderen zu unterstützen, ihm zu helfen, seinen Weg zu begleiten, ohne dass dabei eigene Bedürfnisse und Wünsche ausschlaggebend sind. Ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, bei denen der eigene Wunsch identisch mit dem Bedürfnis ist, dem anderen zu helfen. Ich weiß auch aus eigener Erfahrung um die bewussten oder halbbewussten Motive, die dazu führen können, für einen anderen Menschen "ganz da" zu sein. Ich kenne die Motive, die darin bestehen, dass man sich durch die Hilfe, die man versucht anderen Menschen zu geben, selbst erhöht, selbst an Geltung und Bedeutung für diese Menschen gewinnt. Ich glaube auch, dass es nach Möglichkeit keinen Moment geben darf, in dem man bei sich selbst nicht untersucht oder nicht zu untersuchen bereit ist, in welchem Umfang derart egozentrische und egoistische Motive eine Rolle spielen, wenn man versucht, anderen Menschen zu helfen. Es ist mir jedenfalls auch bewusst, dass es Situationen gibt, und ich kenne sie wirklich aus eigener Erfahrung, in denen alIe solche Untergrundmotive negativer Art zurücktreten und wirklich nichts anderes eine Rolle spielt als der Versuch, sich auf den anderen einzustellen, ihn zu verstehen und ihm womöglich zu helfen. Ich finde es sehr schlimm, wenn derartige Versuche, einmal selbstlos zu sein, durch sogenannte psychologische Erkenntnisse grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das führt zu einer tiefen Entmündigung des anderen Menschen, nämlich dann, wenn ein Mensch derartige von der Psychologie erarbeitete Motivationen sich einfach zu eigen macht, ohne in aller Nüchternheit zu prüfen, ob diese Motivation im konkreten Falle gegenüber einem anderen Menschen vorhanden ist oder nicht. Ich empfinde es auch als eine unerlaubte Verdächtigung, wenn man sich selbst gegenüber sagt, dass derart egoistische Motive ganz sicher auch dann vorhanden seien, wenn man sie nicht im Bewusstsein habe, - nämlich unbewusst. Ich bin einerseits entschlossen, so tief wie möglich in jene Motive hereinzukommen, die im Untergrunde meines Wesens eine Rolle spielen, ich bin aber auch andererseits entschlossen, mir selbst keine Motive einzureden, von denen ich kein Bewusstsein habe. Bewusstseinsfortschritt, sich ständig erweiterndes Bewusstsein ist eine Lebensnotwendigkeit. Wird diese Arbeit versäumt, wird man sich nicht entwickeln. Aber es ist ganz unmöglich und führt zu einer Art Selbstvernichtung, wenn man sich negative Motive für eigene Handlungen zuschreibt, die man gar nicht kennt.

Bewusstseinsfortschritt kann dazu führen, dass einem plötzlich deutlich wird, man habe in einem bestimmten Fall selbstlos handeln wollen, bis einem schließlich bewusst wird, dass egoistische Motive dahinter standen. Bewusstseinsfortschritt kann aber auch bedeuten, dass ein Mensch entdeckt, dass seine Handlung viel selbstloser war, als er es dachte, bevor er ein Bewusstsein von dieser Handlung hatte. Selbsterfahrung sollte wirklich die Erfahrung von einem selbst werden. Selbsterfahrung darf nicht etwas sein, was seine Inhalte aus Konstruktionen und Büchern hernimmt, die einem unter Umständen etwas einreden, was man gar nicht hat.

Peter Schilinski

 

 

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