jedermensch
 

Jedermensch

Zeitschrift für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen und Umweltfragen

Sommer 2005 - Nr. 635

Inhalt

Politik in Bewegung
von Dieter Koschek

Nachrichten – weltweit

Kostenlos Busfahren
Deutschland - Land der Ideen
Alternative Nobelpreisträger wollen Weltzukunftsrat gründen
Die Bevölkerung als Versuchsmaterial
Umwelt-Bahncard
Walt Disney


Thema: Gesundheitswesen -Verantwortung für das Leben

Dirigismus oder Zusammenarbeit mit dem Lebendigen
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen

Tödliches Begehrlichkeit
von Hans Grewel

Kaltblütige Pharmakonzern
Von Jürgen Kaminski

Grundelemente ganzheitlichen Denkens
von Andreas Pahl

Samarita – eine Solidargemeinschaft

Artabana Solidargemeinschaften

Trotzdem-Geborene
von Barbara Wagner

Wege zur Mitverantwortung
von Dieter Koschek

Stark gebremst und strenger Rhythmus
von Peter Schilinski


Region Bodensee
Neues vom Eulenspiegel
Zusammengestellt von Dieter Koschek

Fragen stellen ist wichtiger
von Dieter Koschek

Wasserkarawane

Achberger Beuys-Archiv gegründet
von Rainer Rappmann


Anthroposophie & Jedermensch
Selbsterkenntnis und schlechte Stimmungen
von Peter Schilinski

Vom Leid zur Hilfe
Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen


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Politik in Bewegung

Neuwahlen in Deutschland

Der Kanzler landete einen Überraschungscoup und der fröhliche Wahlkampf hielt Einzug in die Nachrichten, Talkshows und Zeitungen. Da waren wieder markige Worte zu hören und für kurze Zeit dachte ich auch, dass nun alles wieder schlimmer wird. Doch das wäre in Kauf zunehmen, wenn dafür die SPD und die Grünen wieder zu ihren Wurzeln und zum Ausdruck einer Oppositionspartei würden. Doch allein, mir fehlt der Glaube.

Die Linksabweichler der SPD mit ihrer Wahlinitiative für Solidarität und Gerechtigkeit haben mit 2,2 Prozent in Nordrhein-Westfalen einen Achtungserfolg. Sofort nach der Wahl trat Oskar Lafontaine endlich aus der SPD aus und war bereit für ein linkes Wahlbündnis zu kandidieren, zusammen mit Gysi. Das wäre doch was. Aber auch diese beiden Gruppen werden noch etliche Zeit brauchen um sich wirksam zu formieren. Jedoch bereits nach 10 Tagen bleibt ein fahler Eindruck dieses Lagerwahlkampfes, der doch keiner werden wird, da SPD mit dem Kanzler für die Fortsetzung der Agenda 2010 Politik stehen werden.

Auch die Arbeit der Parteien im allgemeinen lässt ja keine demokratische Hoffnung zu. Machtstreben und Konkurrenzlogik in den Parteien verhindern mehr Demokratie.

So bleibt auch in Zukunft die Arbeit in dem außerparlamentarischen Netzwerk Attac letztlich übrig, dessen Koordinierungskreis feststellt:

„Es ist nicht gleichgültig, wie die Parteienlandschaft aussieht, wie die parlamentarische Opposition agiert und wer die Regierung stellt. Parteien und Parlament haben einen großen Einfluss auf das Meinungsklima und die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse. So müssen die Menschen, die sich als Teil eines außerparlamentarischen Netzwerkes verstehen in den Wahlkampf eingreifen, durch Aktionen und Bildungsarbeit. Bohrende Fragen nach sozialen Rechten, Demokratie, Ökologie und globaler Gerechtigkeit, nach Tobin- und solidarischer Einfachsteuer, Hartz IV und WTO-Verhandlungen stellen."

Europäische Verfassung

Sie wird es erst mal nicht geben. Die Französinnen und Franzosen sowie die Niederländerinnen und Niederländer sagten Nein zu dieser Verfassung. Hier zeigte sich, dass direkte Demokratie funktioniert, denn in beiden Ländern wurde die EU-Verfassung überhaupt diskutiert. Nur durch einen solchen Prozess in ganz Europa kann eine europäische Verfassung überhaupt entstehen – nicht am Tisch ausgewählter erhabener Politiker. Wichtig ist, dass in einem neuen Verfassungsprozess diese Punkte neu diskutiert werden: Das Wirtschaftsmodell gehört gar nicht in die Verfassung, ebenso wenig der Druck zur Militarisierung. Überhaupt gehört die Verfassung bereits im Entstehen in einen breiten demokratischen Diskussionsprozess. Als neoliberales Wirtschaftsprojekt kann Europa nicht funktionieren. Aber breite Diskussionen über eine Verfassung mit einer Charta der sozialen Rechte, würde die Identifikation mit einem vereinten Europa stärken.

Doch das Gejammere in der Politikerkaste geht immer in eine andere Richtung. Ob das Auswechseln von ein paar führenden Köpfen reichen wird? Das ist sicher zu wenig. Und wenn der Kommentator der Tagesthemen meint, das Volk hätte sich ja informieren können, denn es ist ja mündig, und damit die Schuld am Scheitern den Kritikern weitergibt, klingt das zynisch.

Weltweit

In Kuweit bekommen die Frauen das Wahlrecht, in

Äthiopien gab es erstmals bei einer Wahl mehrere Parteien, im Libanon wird gewählt und das vom Bürgerkrieg zerstörte und verfeindete Land ist auf dem Weg zu einer neuen Identität, die Grenze zwischen Syrien und Israel ließ erstmals einen Äpfeltransport von den besetzten syrischen Gebieten nach Syrien zu, in Kaschmir fährt nun ein Bus zwischen den verfeindeten Gebieten.

In Los Angeles gibt es seit über hundert Jahren wieder einen spanischstämmigen Bürgermeister und 136 amerikanische Bürgermeister haben sich zusammengeschlossen und sich zur Einhaltung des Kyoto-Protokolls zur Verringerung der Treibhausgase verpflichtet.

Zapatero, der spanische Ministerpräsident hat eine Resolution im Parlament eingebracht, das den Dialog mit der seperatistischen Bewegung ETA im Baskenland sucht. In Italien müssen sich 45 Polizisten und Ärzte vor Gericht verantworten, die bei den Demonstrationen im Juni 2001 in Genua gegen den G-8-Gipfel wegen schweren Misshandlungen von Verhafteten angeklagt wurden.

Diese kleine Zusammenstellung von positiven Nachrichten lässt erkennen, dass trotz Neoliberalisierung die Menschen nicht an festgefahrene Strukturen gekettet bleiben müssen, sondern daß immer noch ein Spielraum, bleibt Einfluss zu nehmen und die Gesellschaft mitzugestalten.

Und wir müssen auch die Demokratie in Deutschland weiter entwickeln:

- dazu gehört vor allem die direkte Demokratie, also Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid,

- eine dritte Kammer mit Experten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, die demokratisch legitimiert sein muß

- ein verbindliches Parteien-Regierungsprogramm, das mindestens ein Jahr vor der Wahl veröffentlicht wird,

- Rücktritt der Regierung, wenn sie einen Kanzler oder Minister deckt, der die Wähler belogen oder bewusst irregeführt hat,

- das Verbot der Firmenspenden an Parteien und

- die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk.

Solange diese demokratischen Formen nicht vorhanden sind, kann man eigentlich keine Partei mehr wählen, sondern höchstens Persönlichkeiten, zu denen man Vertrauen hat. Eine Aktionsform, die ein solches Ziel erreichen will, ist die Aktion Wahlstreik des OMNIBUS FÜR DIREKTE DEMOKRATIE. Informationen im letzten jedermensch oder direkt im Büro Berlin, Telefon: 030 - 42 80 43 90 , Fax: 030 - 42 80 21 90 , info@omnibus.org, www.aktion-wahlstreik.de.

Oder die Stärkung der Zivilgesellschaft durch die Unterstützung des Deutschen Sozialforum vom 21. –24. Juli 2005 in Erfurt. Zu dieser Großveranstaltung werden mehrere tausend Teilnehmer von sozialen Bewegungen und Gruppen aus Deutschland erwartet. www.sozialforum2005.de .

Letztlich oder eigentlich immer zuerst bleibt das Engagement in einer Bürgerinitiative des eigenen Bedürfnisses oder Interesses.

Dazu möchte ich ermutigen!

 Dieter Koschek

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Kostenlos Busfahren

Die belgische Stadt Hasselt revolutionierte vor acht Jahren ihr Verkehrssystem: Der Autoverkehr wurde eingedämmt und das Bussystem ausgebaut. Öffentlichkeitswirksamer Höhepunkt des Ganzen: Alle Busse sind kostenlos.

Nur wenige europäische Städte bringen es aufgrund ihres Verkehrskonzepts zu internationaler Berühmtheit. Die belgische Stadt Hasselt ist eine davon. Nachdem der neugewählte Bürgermeister Steve Stevaert 1997 von einem Tag auf den anderen den öffentlichen Verkehr zur kostenlosen Benutzung freigab, kamen Hunderte Journalisten, Fachleute, Wissenschaftler und Besucher in die Stadt, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen.

Das Verkehrskonzept, mit dem Stevaert seine Wahl gewann, war allerdings wesentlich komplexer und nicht nur auf den kostenfreien ÖPNV konzentriert. Hasselt ist kein verschlafenes Provinzstädtchen, sondern Verwaltungs-, Handels-, Bildungs- und Dienstleistungszentrum der flämischen Region Limburg. Die 68000 Einwohner-Stadt war dem ständig anwachsenden Pkw-Verkehr nicht mehr gewachsen. Die Alternativen: mehr Straßen und noch mehr Verkehr oder ein umfassendes Verkehrskonzept, das die Lebensqualität der Stadt wieder herstellt. Durch die anstehende Bürgermeisterwahl konnte das Volk entscheiden - und stimmte für Umwelt und Lebensqualität. Stevaert investierte das Stadtvermögen nicht wie geplant in den Ausbau der Straßen, sondern in ein gestaffeltes Bussystem, das im 5, 10 oder 30 Minutentakt das Zentrum, den Ring um die Innenstadt und die Wohngebiete anschließt. Er argumentierte, dass es die Stadt günstiger komme, wenn mehr Bus und weniger Auto gefahren wird.

Lebenswerte Stadt

Die vierspurige Ringstraße, die ursprünglich für den Autoverkehr ausgebaut werden sollte, ließ Stevaert mit 400 Bäumen bepflanzen und zum fußgänger- und radfahrerfreundlichen „Grünen Boulevard" umgestalten.

800 Parkplätze im Stadtgebiet wurden abgeschafft. Wer trotzdem parken möchte, muss zahlen: 1 Euro kostet die erste Stunde, danach werden 10 Euro für den halben Tag fällig. Diese Parkeinnahmen investiert die Stadt direkt in den öffentlichen Verkehr.

Das System hat sich bewährt: Die Einkaufsstraßen sind autofrei, die Innenstadt ist verkehrsberuhigt und seit Anfang 2005 wird mit Temporeduktionen und Baumaßnahmen der Aspekt der Verkehrssicherheit noch einmal besonders in Angriff genommen.

Das neue Bussystem war ein voller Erfolg. Nach der Umstellung im Jahr 1996 stieg die Zahl der Fahrgäste innerhalb von 12 Monaten von 340000 auf 2,7 Millionen. Etwa jeder sechste Fahrgast war vom Auto auf den Bus umgestiegen.

Und die Finanzen?

Während der Pilotphase 1997 bis 2000 teilten sich die Stadt Hasselt und das Land Flandern die Kosten für das Bussystem. Die Stadt erstattete dem regionalen Verkehrsanbieter die Einnahmeausfälle durch die kostenlose Nutzung, ca. 800000 Euro. Trotz der Fahrgastzuwächse blieb dies ein vernachlässigbarer Posten im kommunalen Haushalt: Weniger als 1 Prozent der städtischen Gesamtausgaben gingen an den Verkehrsanbieter.

Die Kosten des Verkehrsanbieters stiegen durch den Ausbau der Linien und die Zunahme der täglichen Fahrten von 1,2 auf 3,2 Millionen Euro pro Jahr.

Das Verkehrskonzept hat dazu geführt, dass mehr Menschen in die Stadt kommen - bis zu 30 Prozent. Die Umsätze der Läden sind seit der Umgestaltung gestiegen. Selbst der Einzelhandelsverband ist zufrieden.

Hasselt liegt in der belgischen Provinz Limburg im Dreiländereck NiederlandlBelgienlDeutschland nahe bei Aachen. Die ganze Region ist ein Paradies für Radfahrer: Hervorragend gepflegte Radwege, eine Beschilderung, der man blind folgen kann, und viele Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten zeigen, dass Radfahrer hier gern gesehene Gäste sind. Wer Hasselt und Umgebung kennen lernen möchte, findet unter www.toerisme-limburg.be viele Reiseinformationen und Routentipps.

Aus fairkehr 2/2005

 

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„Deutschland - Land der Ideen."

Das Motto, mit dem die Bundesregierung im Verbund mit der Wirtschaft Deutschland im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft präsentiert will, ist bemerkenswert. Scheint es mit Blick auf die Pisa-Resultate vielleicht ein wenig gewagt, ist es angesichts der aktuellen sozialen Entwicklung Deutschlands nur noch zynisch.

Statt eine zeitgemäße gesellschaftspolitische Vision davon zu entwickeln, wie Existenzsicherung jenseits von Lohnarbeit garantiert werden kann, hält die herrschende Politik unbeirrt am längst zur Fiktion gewordenen Konzept der Vollbeschäftigung fest. Statt nach Formen zu suchen, wie der gesellschaftliche Reichtum zum Wohle aller verteilt werden kann, lässt sie es zu, dass die Schere zwischen Arm und Reich wieder Ausmaße annimmt, die längst überwunden geglaubt waren. Statt denen zur Seite zu stehen, die Opfer einer nur noch den Anteilseignern verpflichteten Ökonomie werden, setzt sie die Arbeitslosen unter Druck. Auch die Wendung, dass es die Opfer selbst seien, die an der ganzen Misere Schuld trügen, ist keineswegs neu.

Immer dreister schüren Politiker und einschlägige Medien einen Sozialneid, der sich rassistischer und chauvinistischer Ressentiments bedient. Unverhohlen droht der hessische Ministerpräsident der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein mit Konsequenzen, falls sie ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrzunehmen gedenkt. Kampagnenartig wird die Idee einer nicht nur den Waren- und Kapitalverkehr meinenden globalen Freizügigkeit angegriffen - und werden dabei in volksverhetzender Weise mal eben die Bewohner der Ukraine als „Ostkriminelle" stigmatisiert.

Was Wunder, wenn in einem solchen Klima keine so recht überzeugende Idee aufkommen will, wie dem sich in der Mitte der Gesellschaft wieder breitmachenden Rechtsextremismus begegnet werden kann. Gegen die NPD aufzustehen, sei eine Sache der Anständigen, mithin der Moral, verkündet die Regierung. Gemeinsam mit der Industrie will sie die Weltmeisterschaft dazu nutzen, um wenigstens im Ausland das Image Deutschlands aufzupolieren. 20 Mio. € sind veranschlagt, um Deutschland als Land der Ideen zu vermarkten. 10 Mio. € gibt die Bundesregierung, nochmals 10 Mio. € sollen DaimIerChrysler, Bayer, Siemens, die Deutsche Bank und OBI & Co. beisteuern, um beispielsweise vor dem Brandenburger Tor ein überdimensionales Auto aufzubauen und den Reichstag mit einem gigantischen Stollenschuh zu schmücken. An einen Springerstiefel ist selbstverständlich nicht gedacht, aber auch nicht an das Herausstellen jenes kritischen Denkens, für das Deutschland auch einmal gestanden hat. Nein, das Ganze sei ohnehin schon viel zu schöngeistig, befanden einige Unternehmen und verlangten schlicht nach mehr Zukunftstechnologie.

Thomas Gebauer
In medico Rundschreiben 1/2005

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Alternative Nobelpreisträger wollen „Weltzukunftsrat" gründen

Es gibt Alternativen! Das bezeugen 13 internationale Wissenschaftler und Aktivisten der Zivilbewegung, die in den letzten 25 Jahren mit dem Right Livelihood

Award ausgezeichnet wurden. Das Goethe-Institut hatte sie im März nach München eingeladen, um über Ausblicke auf eine andere Globalisierung zu diskutieren. Der Preis, der hierzulande mehr unter dem Namen „Alternativer Nobelpreis" bekannt ist, wurde 1980 von dem deutsch-schwedischen Publizisten Jacob von Uexküll gestiftet. Ursprünglich hatte er sein Privatkapital dem Nobelpreiskomitee angeboten, damit diese einen Preis für Ökologie ausschreiben. Er bekam eine Absage,

aber dennoch eine späte Bestätigung durch die Tatsache, dass der Friedensnobelpreis 2004 an die heutige Vize-Umweltministerin Kenias Wangari Maathai verliehen wurde, die bereits vor 20 Jahren für ihr Engagement bei der Wiederaufforstung Kenias mit dem Right Livelihood Award geehrt worden war. Einer der ersten Preisträger 1980 war der Begründer einer Hippiekommune, genannt The Farm, die mit ihrem Experiment zeigen wollten, dass es möglich ist von sehr wenig Geld zu leben, ökologisch zu wirtschaften und trotzdem über Lebensqualität zu verfügen.

Der Ökonom Manfred Max Neef entdeckte in den Slums der „Dritten Welt" dass die ökonomischen Theorien mit der Realität eines „Juan Lopez", der arbeitslos ist, eine Frau und fünf Kinder hat und die kranke Schwiegermutter versorgen muss, nichts zu tun haben. Er bekam den Preis 1983 für seine Entwicklung der „BarfußÖkonomie", in der er die enorme Kreativität der Armen aufzeigt, die unterstützt werden müsse.

Gefeiert wurde die Erfolgsmeldung der Biologin und Aktivistin Vandana Shiva: Am 8. März, dem internationalen Tag der Frau, wurde von dem europäischen Patentamt entschieden, dass das Öl des indischen Neembaumes schon seit Jahrhunderten als Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet wird und eine Patentierung des Öls durch eine amerikanische Firma deshalb unzulässig sei. Für Vandava Shiva hat damit das Wissen ihrer Großmütter über die Profitgier amerikanischer Konzerne gesiegt. Der Soziologe und Aktivist Nicanor Perlas von den Philippinen betonte die Bedeutung der Zivilgesellschaft, die er in Anlehnung an Rudolf Steiner als dritte Kraft neben Politik und Wirtschaft verstanden wissen will. Für ihn ist die spirituelle Ausrichtung der Zivilgesellschaft eine der wichtigsten Komponenten, um dem materialistischen Fortschrittsglauben Einhalt zu gebieten.

Das nächste Ziel der „Stiftung für die richtige Lebensweise" ist die Gründung eines „Weltzukunftsrates", der eine vertrauenswürdige, langfristig orientierte Stimme für zukünftige Generationen sein soll. Bei dieser Idee spielt der Sekem-Gründer und Preisträger des Jahres 2003, Ibrahim Abouleish, eine wichtige Rolle. Dazu werden sich im Juni dieses Jahres 65 Preisträger des Right Livelihood Award in Salzburg treffen. Infos dazu unter: www.rla2005.org

 

The Right Livelihood Award, PO Box 15072,

S-104 65 Stockholm SwedenTel:  +46 (0) 8 702 0340 Fax: +46 (0) 8 702 0338, E-mail: info@rightlivelihood.se

 

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Die Bevölkerung als Versuchsmaterial

Folgen der Atomrüstung

In der kasachischen Steppe südlich der Stadt Semipa-latinsk baute die Sowjetunion im Jahr 1949 ein Testgelände. Bis 1998 explodierten hier 468 Atombomben. 124 davon wurden in der Atmosphäre gezündet. 1962 verbannte ein Atomtestabkommen die Detonationen dann unter die Erde. Der in der Umgegend niedergegangene Fallout übersteigt bei weitem die verderblichen Rückstände von Hiroshima. Auch wenn unmittelbar keine Menschen umkamen, sind die langfristigen Folgen schlimm. In der Umgebung des Testgeländes leben etwa 70 000 Menschen. Im weiteren Kreise über eine Million. In den näheren Ortschaften liegt die Kindersterblichkeit um ein Zehnfaches höher als im kasachischen Durchschnitt. Die Krebsrate ist dreimal so hoch.
Nach einer Untersuchung für das Jahr 1997 hatte die Hälfte der in Semipalatinsk geborenen Kinder Gesundheitsschäden. Viele leiden an äußeren Mißbildungen.

Während der Atomversuche wurden die Anwohner von der Armee betreut. Sogar im Feuersturm niedergefegte Hütten wurden wieder aufgebaut. Doch über Strahlengefahren war in der Regel nichts zu hören. Als Gegenmittel trank man nach den Explosionen Wodka. Das würde schon helfen.

1989 veranlaßten massive Proteste das Aufhören dieser Versuche. Die Sowjetmacht verließ das Gelände. Als später einige Männer die kupfernen Zündkabel ausgruben, um sie zu verkaufen, brachten sie sich damit ums Leben. Die Kabel sind hochradioaktiv verstrahlt gewesen.

In den Ortschaften herrscht vielfach Krankheit und Resignation. Die Selbstmordrate ist hier um ein Vierzigfaches höher als im sonstigen Durchschnitt. So erhängten sich in einem Dorf mit 2000 Einwohnern allein 97 Menschen. Oft wurde das einem Siechtum vorgezogen, das man etwa bei Nachbarn beobachtete.

Eine Besonderheit der Gegend ist noch der Balapan-See. Der 100 Meter tiefe und 400 Meter breite See entstand im Jahre 1965. Mit diesem Brachialakt wollte man Wasser in die Steppe umleiten: eine Atombombe als Baumaßnahme. Nun gehört das Ufer zu den verstrahltesten Zonen der Welt überhaupt. Man maß hier 140 Millisievert. Nach einer internationalen Richtlinie müssen ab 10 Millisievert Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung ergriffen werden.

Jürgen Kaminski

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Umwelt-BahnCard

Wer in den nächsten Monaten eine neue BahnCard braucht und kaufen will, sollte die Umwelt-BahnCard in den Geschäftstellen und auf den Internetseiten von BUND, Nabu oder WWF beziehen, (oder über den telefonischen BahnCard-Service Telefon 01805-340035). Denn die Bahn wird von jedem Euro, der während des Jahres mit dieser Umwelt-BahnCard verfahren wird, einen Cent an die Organisation spenden, bei der die Umwelt-BahnCard gekauft wurde.
bw

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Walt Disney

Die transnationale Gesellschaft Walt Disney lässt ihre mit der berühmten Maus geschmückten Pyjamas und andere Kleidungsstücke für Kinder unter anderem in den sweat-shops (Ausbeuterbetrieben) auf Haiti fertigen. Der Generaldirektor der Gesellschaft heißt Michael Eisner. Er bezieht ein astronomisches Jahreseinkommen. Kernaghan macht die folgende Rechnung auf. Eisner verdient stündlich (Stand: 2000) 2783 US-Dollar (3274 Euro). Eine haitianische Arbeiterin, die die Disney-Pyjamas zusammennäht, verdient 28 Cents in der Stunde. Um den Gegenwert des Stundeneinkommens von Eisner zu erreichen, müsste die Arbeiterin aus Port-au-Prince über ein Jahr lang ununterbrochen nähen.

Aber mit diesem sagenhaften Gehalt gibt sich Eisner nicht zufrieden. In demselben Jahr (2000) streicht er auch Aktien im Wert von 181 Millionen US-Dollar ein. Diese Summe würde genügen, um 19 000 haitianische Arbeiter mit ihren Familien 14 Jahre lang am Leben zu erhalten. Die haitianischen Arbeiterinnen und Arbeiter von Disney beziehen skandalös niedrige Löhne, leiden an Unterernährung und leben im Elend.

Das National Labor Comitee hat übrigens die Dreharbeiten an einem vom Unternehmen Walt Disney produzierten berühmten Filmerfolg begleitet, in dem es um die Kapriolen einer Meute junger Hunde geht: 101 Dalmatiner. Für die Dauer der Dreharbeiten quartierte die transnationale Gesellschaft ihre Hunde in eigens zu diesem Zweck erbauten »Hundepensionen« ein. In diesen »Pensionen« verfügten die Tiere über gepolsterte Betten und Heizstrahler und bekamen täglich von Hundeköchen zubereitete Mahlzeiten vorgesetzt, die abwechselnd aus Schweinefleisch, Kalbfleisch oder Hühnerfleisch bestanden. Tierärzte wachten Tag und Nacht über das Wohlergehen der Tiere. Die haitianischen Arbeiterinnen und Arbeiter von Disney wiederum - die die mit Dalmatinern geschmückten Kinderpyjamas zusammennähen - hausen in dreckigen, malariaverseuchten Bruchbuden. Sie schlafen auf den nackten Dielen. Einmal ein Stück Fleisch zu kaufen bleibt für sie ein unerreichbarer Traum. Und ihre Gesundheit ist schwankend - Kunststück! Kein Arbeiter kann sich einen Arztbesuch leisten.
Aus Jean Ziegler:
Die neuen Herrscher der Welt (München 2003)

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Mein Handy und die allgemeine Lage

Viele machen mit. Es ist normal, mitzumachen - auch wenn bisweilen sich ein schlechtes Gewissen einstellen mag. Man ist erreichbar und steht ein wenig mehr unter Strom. Die Rede ist vom Mobilfunk-Telefon, dem sogenannten Handy.

Daß eine so einschneidende Technik sich in kürzester Zeit derart ausbreiten kann, ist an sich erstaunenswert. Wie bei manch anderer elektronischer Neuerung war besonders die Jugend angesprochen und sorgte für reichen Umsatz. Für viele ist ein Leben ohne jederzeitiger Verfügbarkeit gar nicht mehr vorstellbar und das breitet sich nun in der Gesellschaft aus.

Es ist weder angebracht noch nützlich, gegen neuere Techniken zu wettern. Jedoch muß auf jenen Punkt hingewiesen werden, worauf derzeit leider noch viel zu wenig geachtet wird. Das ist: eine bewußte Haltung

gegenüber den Dingen des täglichen Umgangs einzunehmen. Das geht nicht sofort und vollständig. Aber ein Bemühen ist dringend erforderlich.

Wir stehen an der Stelle, wo wir mitentscheiden, was in die Zukunft geht. Da sind wir sozusagen in verantwortlicher Position, was uns auch niemand abnehmen kann. In einem negativsten geschichtlichen Lehrbeispiel offenbarte das die Entwicklung der Atombombe. Eine kleinere Gruppe von Wissenschaftlern war daran maßgeblich beteiligt und gab ihre Erfindung an die Politik weiter. Dann wurden die Städte Hiroshima und Nagasaki zerstört. Während der beteiligte Atomphysiker Robert Oppenheimer angesichts der freigesetzten Zerstörungsgewalt vergeblich versuchte, solches noch rückgängig zu machen, merkte sein Kollege Edward Teller nichts von moralischen Skrupeln.

Das war sicherlich eine besonders zugespitzte Situation. Doch wenn man darüber nachdenkt, zeigt sich, daß damit tatsächlich etwas aufbrach, in dem wir nun darinnenstecken. Wir sollten uns an unserer Verantwortlichkeit nicht mehr vorbeimogeln. Ob Finanzen, Ökologie oder eben Technik: zukünftige Richtungen legen wir mit an und bereiten jene Bahnen vor, auf denen spätere Erdenbewohner (hoffentlich) noch schreiten können.

Was bedeutet das nun in bezug auf das Eingangsthema? Ein ehrliches Abwägen von Nutzen und Schaden müßte dem Gebrauch von Mobilfunk-Telefonen vorangestellt werden. Also der Vorteil der Erreichbarkeit gegenüber dem (sich immanent mit einschleichenden) Zwang zur Erreichbarkeit. Ich könnte ja einen wichtigen Anruf verpassen oder jemand glaubte, ich entziehe mich der Verfügbarkeit.

Dann gehört dazu die Frage nach meinem Verhältnis zur realen Umgebung. Wie oft läßt sich beobachten, daß, sobald das Telefon sich bemerkbar macht, eine Selbstvergessenheit auftritt, welche nun eine ganze (leidende) Zuhörerschaft in voller Lautstärke einlädt, an den persönlichen Details des Lebens teilzunehmen. Das Ausschalten des Gerätes an belebten Orten gehört noch eher zur Ausnahme. Mangelnde Sensibilität? Verlust an sozialem Wahrnehmungsvermögen? Werden innere Antennen zum lebendigen Umraum blockiert? Tritt eventuell eine dauerhafte Störung innerer Wahrnehmungsfähigkeit und Orientierung ein?

Dann ist auf jeden Fall die gesellschaftliche Situation zu prüfen. Selbstverständlich gibt es viele Leute, denen es unbehaglich wird angesichts der dem Schlafzimmer naheliegenden Mobilfunk-Antenne. Der Sendemast auf dem Dach, mitten im Ort oder sonstwo in der Landschaft wirkt unpassend, häßlich und auch irgendwie bedrohlich.

Es äußern sich auch Menschen, die unter Schlafstörungen und Kopfschmerzen leiden oder sich sonstwie krank fühlen, nachdem sie einer naheliegenden Mobilfunk-Anlage ausgesetzt worden sind. Sollen die sich bloß nicht so anstellen? Was hat das überhaupt mit meinem "Handy" zu tun? Der Mobilfunk ist doch so verbreitet, kann man da überhaupt noch gegen sein? Da hängen Milliarden-Summen dran!

Einige leiden - und viele haben "Recht". Was ist das für eine Haltung, die sich gegen die Schwächeren durchsetzt? Antwort kommt von einer sogenannten "elektrosensiblen" Frau, die unter der Strahlung körperlich leidet. Sie bezeichnet sich und ihre Leidensgenossen als ein "Frühwarnsystem" in der Gesellschaft. Das kann bedeuten: Wenn die Richtung dieser Technik unter Verwendung von elektrischen Feldern und Strahlen immer noch weiter ausgebaut wird, geraten immer mehr Menschen in Krankheiten hinein.

Wäre es also nicht sinnvoll, sich in dieser Hinsicht an den empfindlicheren Menschen zu orientieren? Man würde eine Belastung nicht noch weiter vorantreiben und vielleicht erst andere, nicht so problematische Wege der Kommunikation entdecken. Auch könnte es ja sein, daß die Reduzierung des Gebrauchs elektronischer Netze jene tieferen Ebenen menschlicher Verbindung zugänglich macht, wovon die äußere Technik nur eine Art von Schatten darstellt.

Jürgen Kaminski

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Tödliche Begehrlichkeit

Die Geschichte der Transplantationsmedizin zeigt, dass in dem Bemühen, immer mehr Organe zur Transplantation bereitzustellen, die Mittel der Organbeschaffung immer härter werden, unmoralisch, sogar tödlich.

Die Schweizerische Akademie für die Medizinischen Wissenschaften, die deutsche Bundesärztekammer und die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Transplantationszentren haben sich auf die Definition geeinigt, wonach der „Hirntod" als der „Tod des Menschen" anzusehen sei. Unter dem Druck öffentlicher Diskussionen und Kritik hat der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (1993) versucht, den Begriff des Hirntodes, der seit 1982 die offiziellen Stellungnahmen bestimmt hat, als „missverständlich" wieder aus der Diskussion zu nehmen. Statt dessen solle von Tod „durch endgültigen Ausfall der gesamten Hirnfunktion" gesprochen werden. Dieser messbare Befund soll als „sicheres Todeszeichen" gelten. Der unter intensivmedizinischen Bedingungen messbare Befund irreversibel erloschener Gehirntätigkeit sei ein sicheres Zeichen dafür, dass der Tod des Menschen, wenn auch infolge der intensivmedizinischen Maßnahmen „nach außen hin verborgen", bereits eingetreten sei. Dieser Befund sei für die Ärzte ein sicheres Erkennungszeichen für den verborgen eingetretenen Tod. Als Zeitpunkt der Todesfeststellung wird der Zeitpunkt der Feststellung dieses Befundes angegeben. Organe, die einem Hirntoten entnommen werden, werden also – das soll durch diese neue Sprachregelung sichergestellt werden – einem Toten entnommen.

In der internationalen Diskussion scheint sich eine andere Tendenz durchzusetzen, eine, die auch den Geist auf das an ihm messbare reduziert: auf das Bewusstsein. Das Bewußtsein wird physiologisch der Großhirnrinde zugeordnet. Folgt man dieser Argumentation, erweist sich das Ganzhirnkonzept zur Todesfeststellung als störend, weil es mehr verlangt, als man zur Feststellung des irreversiblen Bewusstseinsverlustes benötigt. Wenn Bewusstsein das entscheidende Kriterium dafür ist, das ein Mensch als Person gelten kann, dann entfällt schon mit dem Erloschensein der Großhirntätigkeit die physiologische Grundlage für das Personsein. Und dann können bereits Menschen mit irreversibel erloschener Großhirntätigkeit, aber noch erhaltener Funktion des Klein- und Stammhirns, für tot erklärt werden und als Organ-„Spender" verwendet werden. Das ist der Zweck des Teilhirntodkonzeptes, wie es in den angelsächsischen Ländern postuliert und praktiziert wird. Darunter zählen dann auch die Anenzephalen (Kinder, die ohne Großhirn geboren werden), die nicht unter das Ganzhirntodkriterium fallen, aber nach dem Teilhirntodkonzept für tot erklärt werden können.

Noch einen Schritt weiter geht der Vorschlag des kontrollierten Herztodes, der 1993 in Pittsburgh/USA, dem weltweit größten Transplantationszentrum, vorgelegt worden ist. Angesichts des Mangels an „hirntoten" Organ-„Spendern" wollte man, um transplantierbare Organe zu gewinnen, auch auf Non heart-beating Donors zurückgreifen. Das sind Patienten, die unheilbar krank sind, aber mit Hilfe lebenserhaltender Maßnahmen wie Beatmungsmaschinen, Herzpumpen oder Medikamenten länger leben können. Wenn diese Menschen den Wunsch äußern zu sterben, sollen die lebenserhaltenden Maßnahmen und Geräte abgesetzt werden. Dann will man zwei Minuten warten, ob das Herz von selbst wieder zu schlagen beginnt. Tut es dies nicht, soll der Patient für tot erklärt werden. Die Explantation seiner Organe könne dann unverzüglich beginnen. (University of Pittsburgh 1993) Der Trick bei diesem Vorschlag liegt darin, dass die Frage der Irreversibilität des Herzstillstands, ohne deren Diagnose eine Todesfeststellung gar nicht möglich ist, ausgeklammert wird. Es wird gar nicht erst geprüft, ob die Möglichkeit einer Wiederbelebung besteht. Man hat vereinbart, sie nicht zu nutzen.

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat bereits 1994 auf diesen Vorschlag reagiert und die Organentnahme auch von Herztoten zugelassen: „Eine Entnahme von Organen kann bei einer verstorbenen Person im Zustand des Herz- oder des Hirntodes ausgeführt werden." (1995) Für die Feststellung des Herztodes wird ein 30-minütiger Herzstillstand vorrausgesetzt. Am Universitätskrankenhaus in Maastricht/Niederlande sind im Rahmen einer europäischen Vergleichstudie 57 Nieren aus herztoten Organgebern entnommen und über Eurotransplant an 21 europäische Transplantationszentren vermittelt worden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Ergebnisse denen von hirntoten Organgebern vergleichbar sind. (Deutsches Ärzteblatt 39, 1995) Im September 1998 haben wiederum niederländische Autoren im Rahmen logistischer Überlegungen zur Organsbeschaffung bei Eurotransplant dafür plädiert, „bei Nierenspende Herzstillstand von zehn Minuten Dauer als äquivalent dem Hirntod anzusehen" (Deutsches Ärzteblatt 49, 1998), und damit die Diskussion um die Non heart-beating Donors weiter angeregt.

Damit ist Deutschland wieder einmal in die Lage geraten, dass die unmittelbaren Nachbarländer Schweiz und Niederlande eine „liberale", jedenfalls im Sinne der Medizintechnologie „fortschrittliche" Entwicklung vorgeben und legalisieren, die mit dem in Deutschland zur Zeit noch geltenden Recht nicht vereinbar ist. Zunächst hat denn auch die deutsche Bundesärztekammer in einer gemeinsamen Presseerklärung mit der Deutschen Transplantationsgesellschaft am 19. Oktober 1995 die Organentnahme nach Herzstillstand, solange die Irreversibilität dieses Herzstillstandes nicht definitiv geklärt ist, zurückgewiesen. Doch sie ließen sich ein Hintertürchen offen: Die „Vorraussetzungen einer Organentnahme nach Herzstillstand" seien „derzeit nicht so weit gesichert, dass das Verfahren angewandt werden kann". Außerdem strebe man „ein abgestimmtes Verfahren mit den entsprechenden Institutionen in den europäischen Ländern und mit Eurotransplant an".

Mit der Organentnahme nach kontrolliertem, das heißt herbeigeführtem Herzstillstand hat sich die Organtransplantation auf den Weg in die Euthanasie begeben. Es ist dann nur noch ein kleiner Schritt bis dahin, dass Organbeschaffung durch Tötung ausdrücklich formuliert wird. „Nach unserer Auffassung", so schrieben zwei prominente dänische Bioethiker 1994 in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, „scheint es ganz natürlich zu sagen, dass die Organe lebender Personen lebenswichtige Gesundheitsressourcen sind, die wie alle anderen lebenswichtigen Ressourcen gerecht verteilt werden müssen. Wir könnten uns daher gezwungen sehen, darauf zu bestehen, dass alte Menschen getötet werden, damit ihre Organe an jüngere, kritisch kranke Personen umverteilt werden können, die ohne diese Organe bald sterben müssten. Schließlich benutzen die alten Menschen lebenswichtige Ressourcen auf Kosten von bedürftigen jüngeren Menschen." (Sandoe/Kappel 1994)

Wer so argumentiert, kann auch gegen die Organentnahme von hingerichteten und Transplantation von Organen Hingerichteter, wie sie in den letzten Jahren in der Volksrepublik China praktiziert worden sind, keine Einwände geltend machen. Nach dem Bellagio Force Report sowie einem Bericht von Human Rights Watch/Asia werden den Chinesen nicht nur „exzessive Anwendungen der Todesstrafe" vorgeworfen. Es ist zu befürchten, dass Menschen allein um der Möglichkeit der Organexplantation willen hingerichtet werden. Denn die Volksrepublik China treibt mit diesen devisenbringenden Organen Handel. (Vergleiche zum Beispiel: ai-Journal 12/1998; Dr. med. Mabuse Januar/Februar 1997) Wenn wirklich jedes Mittel recht ist, um an transplantierbare Organe zu kommen, wird sich die klare Abgrenzung des Weltärztebundes gegen eine solche Praxis auf Dauer nicht halten lassen.

Auf der Suche nach weiteren Organressourcen hat sich die Transplantationsmedizin nicht einmal durch ihr eigenes hirnhierarchisches Konzept aufhalten lassen. Danach wären Explantationen von nicht paarigen vitalen Organen an zwei unersetzbare Bedingungen gebunden: die Feststellung des Hirntodes des Organgebers und der Verzicht auf die Transplantation von Gehirngewebe. Beide Grundsätze sind verletzt, seit die Transplantationsmedizin sich auf die Transplantation von fötalem Hirngewebe zur Behandlung von Parkinsonpatienten eingelassen hat.

Diese Erkrankung entsteht dadurch, dass im Gehirn des Patienten der Stoff Dopamin nicht oder nicht in ausreichender Menge produziert wird. Darum hat man versucht, durch Implantation fremden Hirngewebes die Dopaminproduktion wieder zu aktivieren und so die Erkrankung zu lindern oder aufzuhalten. Die dafür benötigten Gehirnzellen werden von Föten genommen, die noch nicht durch die Hirntodvorschrift geschützt sind. Die Problematik des Verfahrens liegt zum einen darin, dass diese frühgeborenen oder abgetriebenen Föten nicht hirntot sind, sonst könnte man ihnen kein lebendiges Gehirngewebe entnehmen. Manche kommen mit Schnappatmung aus dem Mutterleib. Zum anderen müsste, wenn doch das Gehirn als Sitz der menschlichen Person behauptet wird, die Transplantation von Hirnteilen, also den Trägerelementen einer Person, generell verboten sein (Linke 1993)

Aus Hans Grewel: Lizenz zum Töten.
Der Preis des technischen Fortschritts in der Medizin (Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002)

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Kaltblütige Pharmakonzerne

In den vorigen fünf Jahren gehörte das Schmerzmittel Vioxx zu den zwanzig am meisten verschriebenen Medikamenten der Welt. Die amerikanische Herstellerfirma Merck & Co hatte dafür auch einiges unternommen. 160 Millionen Dollar gab man für eine "Markteinführung" aus. Dafür schwärmten Pharma-Referenten durch die Lande und Ärzte konnten sich über die Vorzüge des neuen Mittels in einem Luxus-Hotel in Monte Carlo informieren. Daß schon sehr bald Untersuchungsberichte auftauchten, die auf gefährliche Nebenwirkungen hindeuteten, erfuhr man dagegen in der Öffentlichkeit kaum.

Bereits im Jahr 2000 belegte eine Vergleichsstudie aus den Vereinigten Staaten, daß es bei längerer Einnahme von Vioxx zu einer Erhöhung des Herzinfarkt-Risikos kommt. Daraufhin bekam die Leitung der Firma Merck & Co im Jahre 2001 einen Warnbrief von der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA mit der Aufforderung, die Risiken mit in die Medikamentenbeschreibung aufzunehmen. Das geschah jedoch weiterhin nur unzulänglich und wurde von einer massiven Werbekampagne überspielt.

In einer Studie vom Jahr 2004 geht die FDA von mehr als 27.000 Patienten aus, bei denen es zu schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Komplikationen kam mit zum Teil tödlichen Ausgang, durch die Einnahme des Medikaments Vioxx.

Dazu äußerte sich die medizinische Fachzeitschrift „The Lancet": Die Geschichte des Medikamentes Vioxx zeugt von "blindem, aggressiven Marketing gemischt mit wiederholten Episoden von Selbstgefälligkeit seitens der regulatorischen Behörden".

Erst nachdem im Sommer 2004 eine weitere Studie einer amerikanischen Krankenversicherung, mit 1,4 Millionen Patienten, ein um das zwei- bis dreifach erhöhte Infarktrisiko ermittelte, wurde das Medikament, das es bereits auf einen Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Dollar brachte, vom Markt genommen. Bis zuletzt wurden die Patienten, aber auch die eigenen Pharmareferenten im Unklaren über die Gefährlichkeit des Mittels gelassen. Kurz vor der Zurücknahme Ende September 2004 veräußerten dann noch Top-Manager der Firma Merck & Co eigene Aktienpakete im Wert von 175 Millionen Dollar, wofür nun allerdings ein Betrugsverfahren läuft.

Jürgen Kaminski

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Grundelemente ganzheitlichen Denkens
(Erkenntnis und Leben) 

Der Mensch ist grob gesagt konstitutionell in das Spannungsfeld zweier Bereiche gestellt, welche schon in der altindischen Mythologie als das Doppelantlitz Shivas erscheinen: in den aufbauenden und den abbauenden Aspekt. Nichts hat den Menschen stets so beschäftigt, wie das Rätsel der Vergänglichkeit: "Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt, und viel zu grauenvoll, als dass man klage: dass alles gleitet und vorüberrinnt…" dichtete Hugo v. Hofmannsthal. Und fast zur gleichen Zeit bemerkte Rilke: "Berge ruhn, von Sternen über-prächtigt, aber auch in ihnen flimmert Zeit; ach – in meinem wilden Herzen nächtigt obdachlos die Unvergänglichkeit!" – Ein Ewiges wird im Menschen erlebt, und zugleich seine Teilhabe am Wandel der Vergänglichkeit. Goethe sah das pragmatischer: "Der Tod ist der Kunstgriff der Natur, um mehr Leben zu haben!" Damit wies er darauf hin, dass die Gesamtsumme aller Erscheinungen immer mehr zunehmen und wuchern müsste, würde sie nicht durch das Absterben und Verschwinden begrenzt und in Waage gehalten.

In der Tat ist es so, dass schon am Menschen fortwährend Zellen absterben und durch neue ersetzt werden. Eine der wesentlichsten Funktionen des Badens überhaupt ist, die nach außen abschilfernden, abgestorbenen Hautzellen abzuwaschen. Ebenso werden an den Nagelenden und Haarspitzen regelmäßig abgestorbene Zellen entfernt. Desgleichen ist die Ernährung nichts anderes als die Zertrümmerung in den Mund hineingeschobener Zellverbände, welche auf martialische Weise zwischen den Zähnen zermatscht und mithilfe chemischer Sekrete vollkommen zerstört werden, damit die in ihnen absorbierte Lebenskraft aus dem Stoff herausgelöst werden kann. Der Ernährungsvorgang ist zweifellos parasitär, doch "erlöst" er auch die aufgegessenen Gebilde aus ihrer zeitlichen Existenz. "Der Mensch ist ein gebildeter Fluss" sagt Novalis, und an anderer Stelle: "eine Stauform". Damit ist Wesentlichstes kurz umrissen. Theodor Schwenk hat in seinem Werk "Das sensible Chaos" (auch ein Begriff von Novalis für das Wasser) die Bildung hauptsächlicher Organe (in Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt) aus Strömungen bzw. aus ihren Stauformen beschrieben. Die Niere etwa ist in ihrer Form ein wunderbares Bild einer gestauten Strömung:

Darin hat sie eine geheimnisvolle Ähnlichkeit mit dem menschlichen Embryo, der später über die Nabelschnur versorgt wird. Die Orientalen setzten dort "Hara" an, die Leibesmitte. Im übrigen ist bei fast allen höheren Lebewesen ein solcher "Nabelpunkt" zu finden, insbesondere bei Samenkörnern gut zu sehen. Er weist auf die Abstammung des Gewordenen aus etwas Vorhergehendem. – Der Mensch würde immerfort in willenshaften Bewegungen dahinströmen, wäre ihm nicht von außen etwas entgegengesetzt, eine Grenze, Konfrontationsfläche, gegen die er stößt. Kleine Kinder erfahren dies dutzendemale schmerzvoll: Die Welt "ist hart" und setzt hartnäckige Begrenzungen. Man lernt, "aufzupassen", d.h. die Sinne zu gebrauchen. Die harte Welt der Schmerzerzeugung ist unerbittlich: "Wer nicht hören will, muss fühlen!"

Die Embryologie beschreibt, wie die Sinnesanlagen aus dem Ektoderm, der Außenhaut, regelrecht eingestülpt werden, Rudolf Steiner nennt sie "Golfe" der Außenwelt. "Da wurden ihre Augen aufgetan" sagt die Genesis und beschreibt damit das Drama des "Sündenfalls", des Herausfallens des Menschen aus kosmischer Einheit und Seligkeit. Mit den Sinnen zieht auch der Tod in den Menschen ein, das "Essen vom Baum des Lebens" wird ihm jedoch verwehrt. Dennoch lässt Novalis in den "Lehrlingen zu Saïs" auf das Mysterienverbot "kein Sterblicher wird je den Schleier der Wahrheit enthüllen" kühn ausrufen: "So müssen wir denn Unsterbliche werden!" – Auch damit ist bereits alles Wichtige gesagt. Der Mensch muss in sich den unsterblichen Kern entdecken, um die "Tyrannei der Vergänglichkeit", wie es der Apostel Paulus genial ausdrückt, zu überwinden. Es ist dies nichts anderes als die Entdeckung des "ätherischen Christus", wie sie die Anthroposophie und andere wirklich erleuchtete Geisteslehren beschreiben. Der erste Schritt dazu ist, die Möglichkeit eines solchen Vorganges erst einmal nicht grundsätzlich auszuschließen. (Dies wäre Voreingenommenheit, und diese legt okkult gesehen eine Art Isolierschicht, einen Verdunkelungspanzer um den Menschen, der umso schwerer wieder zu beseitigen ist, je eigensinniger er [sich] behauptet. Das verbreitetste Hindernis gegen das Eindringen in die Anthroposophie und Grund vieler Gegnerschaften ist übrigens nichts anderes als Angst, also das sich noch zu schwach Fühlen des Ich.) Gesunde Skepsis in allen Dingen ist dagegen nicht nur nicht schlimm, sondern sogar sehr förderlich, um sein Weltbild möglichst genau, bewusst und präzise zu gestalten. Der Gläubige oder Geistesfreund braucht dagegen nicht die geringste Sorge zu haben, dass sein Glaubensgegenstand nicht den höchsten Maßstäben an Präzision und Tatsachengenauigkeit standhielte.

Der "Baum des Lebens" ist zwar nun für den Menschen zunächst "verborgen", aber er ist durchaus da und wirksam, denn sonst könnte kein Mensch überhaupt leben. Die ganze nordische Mythologie ist durchdrungen vom Mythos des Lebensbaumes, und die keltisch-germanische mittelalterliche Kunst ist durchwoben von Flechtbändern und Ornamenten, von den wellenden Linien und Strömen der Lebenskräfte (Irland, Langobarden usw.). Selbst, wo das christliche Todes-Kreuz-Symbol auftaucht, ist es umspült von Lebensbändern (siehe z.B. Bettina Brandt-Förster "Das irische Hochkreuz" und Felix Kayser "Kreuz und Rune"). Die romanische Kunst des Südens dagegen bildet stärker das Bildmotiv aus und beschäftigt sich daher mehr mit dem "Baum der Erkenntnis".

Erst im größeren kunstgeschichtlichen Überblick wird es deutlich, wie verheerend der Nationalsozialismus gewirkt hat, indem er die nordisch-germanische Mythologie ergriff, sie in seinen Abgrund zerrte und damit für lange Zeit diskreditierte. Er sabotierte dadurch in eminentestem Maße die Wiedervereinigung der nördlichen und südlichen Kunstströme, die Wiederverbindung von Erkenntnis und Leben. Und dennoch sprießen auf diesem "ground zero" Europas, dieser martialischen Brandrodung neue grüne Keime, die vereinzelt in der bis zum Horizont sich erstreckenden schwarzen Landschaft zu finden sind: "Das Grün bricht aus den Zweigen, das woll’n wir allen zeigen, dann wissen sie Bescheid!" (Wolf Biermann).

Die strömend-bildenden Kräfte sind heute im Denken zu finden. Die Vorstellungsbildung ist frei (siehe Eccles/Popper: "Das Selbst und sein Gehirn"), und jeder kann in freiem Willen eine Vorstellungs-Meditation wie etwa die "Samenkornübung", das imaginative Aufwachsenlassen einer Pflanze üben (siehe Rudolf Steiner "Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten"). Rudolf Steiner schilderte diese freien Denkkräfte als umgewandelte Organkräfte (in "Grundlegendes zu einer Erweiterung der Heilkunst" mit Ita Wegman), also unmittelbare Lebenskräfte. Damit hat der Mensch bereits einen Wohnplatz im Überirdischen, er muss sich nur dessen bewusst werden ("viele Wohnungen sind in meines Vaters Haus"). Solcherlei Übungen, überhaupt die Beschäftigung mit den Lebensströmen und Metamorphosen der Pflanzenwelt helfen dabei. Übendes Formenzeichnen, Beschäftigung mit der keltisch-langobardischen "Ars lineandi" (Flechtbänder- und Linienkunst) führen direkt ins Erleben der bildenden, strömenden Lebenskräfte. Nicht umsonst bemüht sich der orientalische Prinz seit Jahren, das europäische Dornröschen wachzuküssen: Er massiert, bearbeitet, betropft es mit seinen altehrwürdigen ätherischen Künsten der Ayurveda, Akupunktur, Reiki, Tai Chi, Feng Shui u.s.w.… Manch eine/r mag daran erwacht sein und findet Verwandtes in der eigenen paracelsischen Geschichte.

Jedoch sind auch die Mysterien des Abbaus, des Todes nicht faul und nicht untätig: Sie finden ihren Ankerpunkt in der Matrix, die als punktuelle, atomistische Struktur schon in jede Netzhaut, in jedes Sinnesorgan eingeschrieben ist. Die Welt als Punktmatrize, als Elektronengitter, als Druck- und Bildschirmraster: das ist die "Gegendarstellung" der abbauenden Seite des Menschen, welche typischerweise die des Zerfalls ist: Zerfall in Atompunkte, Druckrasterpunkte, Pixel, Bits, Elementarteilchen…

Im Kampf zwischen den strömenden, vegetativen, aufbauenden und schöpferischen Lebenskräften und der abbauenden Welt des Zerfalls in Punkte offenbart sich die Doppelnatur des Menschen. Das moderne zivilisatorische Leben wurde durchsetzt mit Pixeln und Bits, mit der Matrix von Fernseh- und Computerbildschirmen, von Digitalkameras und den Bits der Audio-CD. Demgegenüber muss der Mensch verstärkt sich die Welt lebendiger Bildekräfte erschließen, wie sie in Strömen und Bewegungen wirksam sind, da er ansonsten der sklerotisierenden Wirkung der Punktmatrizen verfällt. –

Andreas Pahl

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Menschenwürdige Geburtshilfe

Bei anthroposophisch-medizinisch orientierten Eltern aufgewachsen, danach die Kasseler Waldorfschule und eine Stuttgarter Hebammenschule besuchend, wurde Angela Gehrke bald mit den Widersprüchen im Menschsein konfrontiert. Zu bequeme, vor allem an sich und die technische Sicherheit denkende Ärzte weckten ihren Kampfgeist. Durch Fredric Leboyers in Paris ausgeübte sanfte Geburtshilfe unter möglichster Vermeidung von Saugglocke und Dammschnitten mit stärkerer Rücksichtnahme auf die intime Mutter-Kind-Beziehung lernte sie eine Methode kennen, der sie rasch nacheiferte. Schließlich wollte sie - von Schilderungen Ute Craemers in der Sozialarbeit in Brasilien in Sao Paulos Armenviertel Favela Monte Azul angezogen – sich selbst für die Verwirklichung der Sanften Geburtshilfe dort einsetzen.

1983 brachte sie dort als Hebamme ein erstes Kind auf die Welt. In Brasilien sind Krankenhausbehandlungen kostenlos, dafür aber mit sehr langen Wartezeiten verbunden, oft monatelang. Medikamentenkosten müssen selber erbracht werden. Kleine, häßliche Sprechzimmer sind ein übliches Bild. Die Hälfte der Armenkinder kommen mit Kaiserschnitt auf die Welt, achtzig Prozent der Reichen. Kreißsäle mit hektischer Atmosphäre und Massenabfertigung sind die Regel.

Angela Gehrke setzte sich für das in Monte Azul entstehende Ambulatorium ein, damit Geburten dort möglich waren und Kinder stationär behandelt werden konnten sowie mehr Platz für die Mitarbeit weiterer Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte geschaffen wurde. Die ungefähr zwei Geburten monatlich wurden ein richtiges Freudenfest, später wurden es bis zu fünf Geburten täglich. Um den Analphabeten die Einnahme von Medikamenten zu erklären, wurden Bilder unter Einbeziehung von Sonne, Mond und Mahlzeiten aufgemalt. Dabei sind meist nur homöopathisch-naturheilkundlich-anthroposophische Medikamente verwendet gewesen. Eine einmalig pro Woche durchgeführte Mitarbeiterkonferenz klärte anstehende Fragen, die Verbesserung der Kontakte zu Krankenhäusern sowie Möglichkeiten staatlich-finanzieller Hilfe.

Wesentlich wurde auch die Durchführung von Plangesprächen mit einem oder beiden Elternteilen. Eine Sterilisation wird nicht selten heimlich in privaten und öffentlichen Kliniken während der Entbindung an den Müttern vorgenommen. Ein japanisches Familienzentrum liefert Spiralen zum Einsatz in die Gebärmutter, weil sie im brasilianischen Handel nicht erhältlich sind.

Das Gehalt für Angela in der Favela Monte Azul betrug weniger als zweihundert Dollar im Monat. Eine private Entbindung bei Reichen brachte jedoch mehr als ihr Monatsgehalt. Angela mußte manchmal nach Schießereien auch Kugeln aus Gliedmaßen herausoperieren. Sie besorgte sich später illegal ein Ultraschallgerät, weil diese Untersuchung nur für Ärzte erlaubt ist, jedoch oft die Entscheidung bei Risikogeburten erleichterte, ob nicht doch Klinikentbindung erforderlich war. Mit der behördlichen Anerkennung als Geburtshilfeschwester in Brasilien gab es große Schwierigkeiten, die sich leider erst lösten, als Angela Gehrke schon im eigenen Krankheitsbett lag. Sie verstarb am 5.März 2000 an Krebs.

In der nach ihrem Tod herausgegebenen Schrift "Als Hebamme in Brasilien - Das abenteuerliche Leben einer mutigen Frau" (Urachhaus Verlag, Stuttgart 2003), stellt Angela Gehrke da Silva ihre Pionierarbeit eindrücklichst dar. In Brasilien gibt es immerhin auch Urwaldhebammen, auf deren Konferenz sie einmal kurz vor ihrem Tod noch anwesend sein durfte. Was ihre Erkrankung sicher zusätzlich vorantrieb, war die insgesamt doch überlastete Arbeitssituation, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leben, Freizeit und Arbeit, Streß ständig durchkreuzt hat.

Michael Hufschmidt

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Eine Solidargemeinschaft im Gesundheitswesen

In Deutschland gibt es zwei völlig unterschiedliche Krankenversicherungssysteme, die gesetzliche und die private Krankenversicherung. Beide Systeme fördern durch ihre Erstattungsweisen eine durch Technik dominierte Medizin, weniger einen eigenverantwortlichen Umgang der Bürger mit Gesundheit und Krankheit. Eine wirkliche soziale Wahrnehmung, uneingeschränkte Arzt- und Therapiewahl sowie Vertrauensbildung sind nicht gegeben.

Die gesetzliche Krankenversicherung begrenzt zunehmend ihre Leistungen auf eine Grundversorgung, die aus Sicht maßgeblicher Kreise möglichst frei von "fragwürdigen Behandlungen" zum Beispiel der besonderen Therapierichtungen sein sollte. In der Regel erfährt der Patient nicht, was die Behandlung beim Arzt kostet, so daß ein kostenbewußtes Verhalten verhindert wird. Selbständige, Beamte und Besserverdienende sind von der Zwangssolidarität der gesetzlichen Krankenversicherung befreit, was den ursprünglichen Gedanken der Solidarität ad absurdum führt.

Auch die private Krankenversicherung basiert nicht auf dem Gedanken der Solidargemeinschaft. Der Beitrag richtet sich nicht nach sozialen Verhältnissen, sondern nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen. Die Absicherung von Krankheitskosten basiert auf dem gewinnorientierten Agieren der privaten Versicherungsgesellschaften und ist damit zum Geschäft geworden.

Aufgrund der gravierenden Schwächen dieser beiden Systeme wurde nach zweijähriger Vorbereitungsphase am 4.12.1997 in Bremen die Samarita begründet.

In der Samarita haben sich Menschen zusammengeschlossen, die verantwortungsvoll und sozial mit Gesundheitspflege sowie mit Krankheit und den daraus resultierenden Kosten umgehen wollen. Wir gestehen uns gegenseitig die Entwicklungs- beziehungsweise Weiterentwicklungsmöglichkeit von Eigenverantwortlichkeit und Solidarität zu.

Wir streben untereinander Vertrauensbildung und Über-schaubarkeit an. Die Erfahrungen miteinander sind bisher außerordentlich positiv. Zum einen ist ein sehr schönes und dynamisches Miteinander gewachsen, zum anderen wird die vollkommen freie Therapiewahl, die wir uns gegenseitig zugestehen, und die Abwesenheit von Bürokratie als befreiend erlebt.

Die wirtschaftliche Ebene hat sich ebenfalls gut entwickelt. Zweimal im Jahr findet eine Zusammenkunft der Mitglieder statt. Auf diesen Gesellschafterversammlungen wird ein einleitendes Referat wie zum Beispiel "Auf dem Weg zur eigenen Gesundheit" gehalten, an das sich ein Gespräch anschließen kann. Es scheint uns wichtig, über das Gesundsein und das Kranksein ins Gespräch zu kommen und so eine positive Bewusstseinsveränderung gegenseitig anzuregen.

Auf den Gesellschafterversammlungen wird aufgezeigt, wie hoch insgesamt die Kosten für die Gesunderhaltung beziehungsweise für Krankheiten waren. Weitere Themen sind die Anlage der Gelder aus dem Solidarfonds, die wirtschaftliche Entwicklung, Erfahrungsaustausch und ähnliches. Mit der hierdurch entstehenden Transparenz soll Vertrauensbildung sowie die Solidarität der Gesellschafter gefördert werden.

Aufgrund der sehr erfreulichen Entwicklung streben wir nun eine deutliche Vergrößerung der Mitgliederzahl an. Um die Überschaubarkeit zu gewährleisten, sind erste Regionalgruppen gegründet worden, weitere sind in Vorbereitung.

Die Regionalgruppen assoziieren sich dann wieder auf einer nächsten Stufe. Ein weiteres Ziel ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Heilberufen, um ein gedeihliches Miteinander von Patienten und den in den Heilberufen Tätigen zu entwickeln.

Folgende Überlegungen zum Umgang mit Kosten für die Gesundheitspflege und für die Heilung von Krankheiten liegen der Samarita zugrunde:

1. Kleinere Beträge zur Gesundheitspflege oder Krankheitskosten können von jedem einzelnen eigenverantwortlich gelöst werden.

2. Mittlere Beträge für Gesundheitspflege und Krankheitskosten können von einer überschaubaren Menschengemeinschaft von zum Beispiel 30 Menschen gemeinsam und somit solidarisch getragen werden.

3. Um hohe Beträge für Gesundheitspflege oder für Krankheitskosten tragen zu können, müssen sich entweder eine große Anzahl von zum Beispiel 1000 Menschen vereinigen, oder aber es muß eine Versicherung über eine normale Versicherungsgesellschaft abgeschlossen werden.

Samarita, Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Haftung nur auf das Gesellschaftsvermögen, Albersstraße 14, D-28209 Bremen

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ARTABANA SOLIDARGEMEINSCHAFTEN:

AUF DER BASIS VON FREIHEIT, VERANTWORTUNG UND SOLIDARITÄT

Sie haben die Wahl!
Neue Wege im Gesundheitswesen
Von Karin Willeck und Bernhard Wallner

Wer sich gesund erhält oder naturheilkundlich behandeln lässt, zahlt hierfür die Rechnungen meist aus eigener Tasche. Für gesetzlich Versicherte ist das inzwischen die Regel. Dabei belasten diese Rechnungen das monatliche Budget zusätzlich zu den Beiträgen, die für die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kasse fällig sind. Die Versicherten zahlen die Beiträge, aber sie können nicht frei entscheiden, was mit dem Geld geschieht. Darüber entscheiden ausschließlich die Vorstände der Kassen, Ärzteverbände und die Industrie. Viele Menschen sind mit dieser Regelung unzufrieden und suchen nach einer Alternative.

Einen neuen Weg beschreiten ARTABANA Gemeinschaften. Das sind Solidar-Gemeinschaften, in denen sich Menschen zusammenfinden, die selbst Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen und aus dem Versicherungsmodell aussteigen wollen. Das Konzept fällt auf fruchtbaren Boden: Es gibt heute in der Schweiz und in Deutschland eine große und weiter schnell wachsende Zahl von ARTABANA Gemeinschaften. Hinter dem geheimnisvollen Namen verbergen sich kleine Gruppen mit sieben bis 30 Mitgliedern. Mehr sollen es nicht sein, damit die ARTABANA Idee nicht anonym wird: Solidarität unter Menschen, die sich persönlich wahrnehmen können, die sich der Idee von einem eigenverantwortlichen Umgang mit ihrer Gesundheit verpflichtet fühlen. Das Modell, das dem Ganzen zugrunde liegt, kommt aus der Schweiz. ARTABANA Gemeinschaften gibt es dort schon seit 1987,seit 1999 auch in Deutschland.

Artaban, der König der Armen

Namenspatron der Gemeinschaften ist "Artaban", der "Vierte Weise". Nach einer Geschichte von Henry von Dyke, einem amerikanischen Schriftsteller, „The Other Wise Man" (dtsch.: Der Vierte Weise) sah er – zusammen mit den anderen drei Weisen aus dem Morgenland – den Stern von Bethlehem, der zur Geburt von Jesus Christus am Himmel aufging. Auch Artaban wollte den höchsten Herrn auf der Erde begrüßen. Er packte seine schönsten Geschenke, sattelte sein Lieblingspferd und folgte dem Weg, den der Stern ihm wies. Doch anders als die anderen Könige kam Artaban nie im Stall zu Bethlehem an. Unterwegs traf er einen Todkranken, und Artaban fühlte sich verpflichtet zu helfen. Er verlor dadurch soviel Zeit, dass er zu spät an den Treffpunkt mit den anderen drei Weisen kam. So zog er allein weiter und traf viele andere arme und kranke Menschen. Er pflegte sie, bis sie wieder gesund waren.

Eigenverantwortung ist gefragt

Die ARTABANA Gemeinschaften haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem Geist von Artaban zu folgen, sich für die eigene Gesundheit zu engagieren und mit anderen zu teilen. Die Gemeinschaften arbeiten auf der Grundlage eines eingetragenen Vereins (e.V.) oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Sie verfolgen keine politischen und konfessionellen Ziele und sind weltanschaulich und parteipolitisch neutral. Die gewählten Funktionsträger sind ehrenamtlich tätig. Jedes Mitglied bemüht sich, gesund zu bleiben bzw. zu werden. Außerdem zahlt das Vollmitglied monatlich einen Betrag in die Gemeinschaftskasse, dessen Höhe er selbst bestimmt. Dieser Betrag ist gedacht als Vorsorge für Notfälle. Der Solidarfonds soll nur genutzt werden soll, wenn die persönlichen Mittel nicht ausreichen. Mindestens einmal im Jahr macht sich jeder Gedanken über seinen Gesundheitsetat und überprüft seine Beiträge, z.B. anhand der Rechnungen aus dem Vorjahr. Der Beitrag soll so hoch sein, dass er die voraussichtlichen laufenden Kosten für Gesundheitspflege und Krankheitsbehandlung für das Mitglied deckt und darüber hinaus der Gemeinschaft Geld zur Verfügung stellt. Einmal im Jahr gibt jeder sein Beitragsversprechen ab und teilt den anderen mit, wie viel Geld er im nächsten Jahr voraussichtlich braucht, um seine Gesundheit zu erhalten oder wieder herzustellen.

Anders als bei Kranken-Versicherungen können die Mitglieder völlig frei entscheiden, was sie für ihre Gesundheit tun und wer ihre Helfer sind. Die anderen stellen auf Wunsch ihre Erfahrungen zur Verfügung, aber niemand ist verpflichtet, einem Rat zu folgen. Man traut jedem zu, dass er in der Lage ist, selbst zu entscheiden, was für ihn das Richtige ist, und für was er sein Geld ausgeben möchte.

Ein Rechenbeispiel

Über 60 Prozent seiner Beiträge verfügt jedes Mitglied frei, ohne die anderen Mitglieder der Gemeinschaft vorher zu fragen. Wer also 200 € im Monat, d.h. 2400 € im Jahr einzahlt, kann monatlich 120 € oder 1440 € im Jahr für seine persönliche Gesundheitsvorsorge und Behandlungen ausgeben. Dieser Betrag bildet den persönlichen Gesundheitsetat. Allerdings gilt auch hier das Solidaritätsprinzip. Wenn ein Mitglied der Gemeinschaft mehr Geld braucht, als ihm momentan zur Verfügung steht, können die anderen entscheiden, ihm von „ihren" 60 Prozent den fehlenden Betrag abzugeben. Zusätzlich gibt es einen regionalen Solidaritätsfond. 20 Prozent, in dem Beispiel also 40 € im Monat oder 480 € im Jahr werden diesem Konto gut geschrieben. Auch dieses Geld steht allen Mitgliedern für Notfälle zur Verfügung. Stellt ein Mitglied einen Nothilfeantrag, entscheiden gewählte Treuhänder, wie die Gemeinschaft helfen kann. Das geschieht keineswegs immer in Form von Geld. Manchmal gilt es auch einfach, einen anderen Menschen tatkräftig oder durch Zuhören zu unterstützen. Entschließt sich die Gemeinschaft, Geld zur Verfügung zu stellen, gibt es wieder mehrere Möglichkeiten. Manchmal bekommt derjenige den Betrag geschenkt, manchmal in Form eines Darlehens. Was mit den restlichen 20 Prozent, bzw. in dem Beispiel 40 € im Monat geschieht, entscheidet jede Regionalgemeinschaft individuell. Einige behalten das Geld z.B. als regionalen Notgroschen, andere geben es als zinsgünstiges Darlehen an Projekte, die sie fördern wollen.

So funktioniert Solidarität

Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Hilfe besteht für alle ARTABANA Mitglieder nicht. Alle Leistungen aus den Solidaritätsfonds werden freiwillig gewährt.

Die rechtliche Seite

Die Mitglieder gelten rechtlich als "nicht versichert". Beim Arzt, Heilpraktiker oder Heiler bitten sie um eine Rechnung, die sie erst einmal selbst bezahlen und den Betrag dann beim Kassenwart der Gemeinschaft aus ihrem persönlichen Gesundheitsbudget abrufen. Einige Therapeuten finden die ARTABANA Idee so gut, dass sie Mitgliedern von ARTABANA Gemeinschaften Sonderkonditionen gewähren.

Viele Mitglieder fallen jedoch unter die Versicherungspflicht und müssen oder wollen in der gesetzlichen Krankenkasse bleiben. Sie können aber trotzdem Mitglied einer lokalen ARTABANA Gemeinschaft werden. Sie verwenden dann ihr entsprechend niedrigeres persönliches Budget nur für Leistungen, welche die gesetzliche Kasse nicht erstattet.

Vision einer ganzheitlichen Lebensform

Mit ARTABANA entstehen Gemeinschaften, in denen Menschen Solidarität erproben und sich gegenseitig dabei unterstützen, den Weg zur Gesundheit als mündiger Mensch gehen zu können. Die finanzielle Unterstützung spielt dabei zwar eine wichtige Rolle. Vielen Mitgliedern ist es aber genauso wichtig, bei ARTABA-NA Menschen um sich zu haben, die einem ähnlichen Stern folgen: Gesund leben und alt werden in Eigenverantwortung und Solidarität.

Die ARTABANA Gemeinschaften beweisen seit 1987, dass es funktionierende Alternativen der Krankheitsbewältigung und Gesundheitspflege ohne herkömmliche Krankenkassen oder staatliche Einrichtungen gibt.

Nähere Informationen zu ARTABANA gibt es gegen 3 € in Briefmarken:

ARTABANA Deutschland , Ringstr. 2, 71106 Magstadt, Tel. 0700-27 822262,

E-Mail: info@artabana.de, Internet: www.artabana.de

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 Trotzdem Geborene?

Schwangere, die nach einer Fruchtwasseruntersuchung den Befund erhalten, daß ihr Kind mit dem sogenannten Down-Syndrom zur Welt kommen wird, entscheiden sich heutzutage zu 90 Prozent gegen dieses Kind. Eine solche Untersuchung wird in diesem Falle auch zweifelsfrei genannt und es wird sogar zur Abtreibung geraten!

Dies kann sehr bestürzen und es macht deutlich, wie wenig über diese Menschen, die mit „Trisomie 21" aufwachsen, bekannt ist. Dies ist der medizinische Ausdruck, weil das 21. Chromosom dreifach vorhanden ist statt doppelt. Was dahinter verborgen ist, wird kaum erfragt.

Von Stefanie Rosenkranz erschien jedoch ein etwas anderer Bericht über das Schicksal dieser Menschen mit Down-Syndrom (stern 23/2004). Heute gelten sie als „vermeidbares Unglück" und als „Trotzdem-Gebo-rene". Ein Widerspruch tut sich auf: Auf der einen Seite die gesetzlich gesicherte Abtreibung und auf der anderen der „Besonderheits-Status", dem die Kinder dann unterlegen sind, weil sie bestaunt werden wie „seltene Tiere", die desto mehr geliebt werden, „je weniger es von ihnen gibt". Deshalb sind Schilderungen von dem Leben der Menschen mit Trisomie 21 besonders wichtig.

Zum Beispiel Marco Huber. Als er 1975 zur Welt kam, fühlte sich seine Mutter von aller Welt verlassen. In dem kleinen Ort im Odenwald war Marco das erste Kind mit Trisomie 21. Aber der kleine Bub war quietschfidel und „fand das Leben von Anfang an besonders lebenswert". Dem konnte sich die Mutter mit Vater und Geschwistern nicht verschließen. Marco wurde gefördert und war in allem „der erste": "Er war der erste Junge mit Down-Syndrom im Kindergarten seines Heimatdorfes Nieder-Klingen. Er war das erste Kind mit Down-Syndrom auf der Schule für Lernhilfe. Er war der erste Teenager mit Down-Syndrom, der an einem berufsvorbereitenden Lehrgang am Jugend- und Sozialwerk in Darmstadt teilnahm. Und jetzt ist er der erste Angestellte mit Down-Syndrom in Groß-Umstadt. Natürlich war er auch der Erste seiner Art im Turnverein und beim Volkstanzen, ebenso wie im Fußballklubs... Als er einmal nicht der erste und einzige war, nämlich im Schwimmkurs für Gehandikapte, quengelte er prompt: Mama, die sind hier ja alle behindert!"

Selbst bezeichnet er sich als „der schickste Mann der Welt" und als "die rechte Hand des Bürgermeisters", seine Rechtschreibung ist gut, er kann präzise rechnen, und hat ein eigenes Bankkonto, ja er kann auch mehrere Wochen allein in der Wohnung bleiben, und nur wenn er „den Hof kehren muß, hadert er mit dem Schicksal".

Steffi Fahnenschreiber ist 24 Jahre und Schwimm-Meisterin im Behinderten-Sport. Jeden Tag steht nach ihrem Acht-Stunden-Tag in der Behindertenwerkstatt noch anderes auf dem Stundenplan: Sie schwimmt, tanzt, macht Theater, ist in einer Jugendgruppe und geht auch mal ins Kino oder in die Diskothek.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden mongoloide Menschen, wie sie damals noch genannt wurden, mißhandelt und umgebracht. Es waren tausende. Davor wurden sie in besondere Anstalten gesteckt – es gab keine Förderung für sie. So war auch die Lebenserwartung sehr gering: Neun Jahre gegenüber 60 Jahren, wie sie heute angesetzt ist! Vor allem Herzfehler, Fehlbildungen im Magen-Darm-Trakt und sonstige stärkere Beeinträchtigungen bis hin zu Leukämie werden heute schon bei den Säuglingen operiert und können gut behandelt werden. Auch für die Schwäche des Mundschlusses gibt es jetzt eine besondere Therapie, die

"orofaziale Regulationstherapie nach Castillo-Morales". So kann gelernt werden, die Zunge zu beherrschen, die ansonsten leicht aus dem Mund rutscht. In den sechziger Jahren hat die mongolische Volksrepublik bei der Weltgesundheitsorganisation gegen die Bezeichnung "mongoloide Idiotie" protestiert, welche 1866 von dem britischen Arzt John Langdon Down, der das Syndrom zum erstenmal beschrieben hat, geprägt wurde. Bundesweit gründete sich die Elterninitiative der Lebenshilfe, die sich für die Rechte der Menschen mit Behinderungen einsetzte. Seitdem gibt es die Bezeichnung Mongoloismus nicht mehr und die Menschen mit Down-Syndrom erhalten immer mehr Förderung.

Eva Maria Härtl ist 57 Jahre alt. Eine Förderung wie bei Marco Huber und Steffi Fahnenschreiber hatte sie nie genossen. Sie lebte bis zu ihrem vierundzwanzigsten Lebensjahr bei ihren Eltern. Nach deren Tod zog sie in die Praunheimer Wohnanlage mit Werkstätten für Behinderte in Frankfurt. Dort soll sie nun stundenlang für die Elektroindustrie Plastikschienen zusammenstecken oder Kataloge in Umschläge stecken. Daß sie dazu kaum Lust hat, macht sie ganz offen deutlich. Sie spricht nicht, wurde aber der ruhende Pol im Behinderten-Heim und verteilt ihr bezauberndes Lächeln und ihre Liebe uneingeschränkt. Auch einen Spaziergang mit ihren Puppen macht sie gerne.

Michael Schlappkohl kam schon als kleines Kind nach Bethel in Bielefeld in das Behinderten-Wohnheim. Auch ihm wurde nie versucht, das Lesen und Schreiben beizubringen, und eine Mundmuskelschwäche ist ihm

ebenfalls geblieben. Auch er entzieht sich gerne still einer so monotonen Arbeit wie Tütenkleben. Er kam später auf Station 17 in die Alsterdorfer Anstalten in Hamburg. Von Kai Boysen, Erzieher und Rockmusiker auf dieser Station, wurde er zum Sänger der Band „Station 17" erkoren. Sein Künstlername wurde „Schlappi" und die Gruppe hat viel Erfolg, europaweit. "Schlappi bringt auf Tourneen als Sprechsänger das Publikum auf Touren und versucht zwischendurch glibschige Küsse auf die weiblichen Fans zu pressen." Heute lebt Michael Schlappkohl in einer Wohngemeinschaft in Hamburg-Harburg und ist dort nicht sehr gesprächig.

„Mama, ich bin glücklich, daß ich geboren wurde." Das hat Marco Huber seiner Mutter einmal an einem seiner Geburtstage geschrieben. Das könnten wohl alle "Trotzdem-Geborene" geschrieben haben! – Leider gab es in diesem Artikel keinen Hinweis auf die nun fast ein Jahrhundert wirkende anthroposophische Heilpädagogik und ihren förderlichen Umgang mit Menschen mit Down-Syndrom.

Barbara Wagner

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Eltern für Impfaufklärung

 Spätestens bei der Untersuchung „U3" ihrer Kinder werden Eltern mit dem Thema Impfen konfrontiert. Die Verantwortung für die Impfentscheidung liegt allein bei ihnen: Nicht der Arzt, nicht der Kindergarten, nicht der Staat trägt die Konsequenzen, sondern das Kind allein. Deshalb sollten sich Eltern umfassend informieren, bevor sie etwas entscheiden. Und sie sollten sich in Ruhe und nach Abwägen aller Komponenten entscheiden.

„Schutzimpfungen" gelten als Routinemaßnahmen und werden oft nicht weiter hinterfragt.

Eltern, die sich kritisch mit der Frage auseinandersetzen, ob ihr Kind geimpft werden soll, müssen selbst herausfinden, ob eine bestimmte, staatlich empfohlene Aktivimpfung als „vorbeugende Maßnahme" der Gesundheit ihres Kindes dient oder schadet. Es erfordert Initiative, von wirtschaftlichen Interessen unabhängige Informationen zu finden. Jeder muss bei der Suche seinen eigenen Weg gehen.

Eine nun in Neuauflage erscheinende Broschüre „Informationssammlung für eine überlegte Impfentscheidung" (siehe nachfolgenden Hinweis) kann helfen, sich in der Vielfalt insbesondere auch der impfkritischen Informationen zu orientieren – auf dem Weg zu einer eigenverantwortlichen, kompetenten Entscheidung.

Eltern bekommen in Arztpraxen und Kindereinrichtungen immer wieder Schwierigkeiten, wenn sie ihre Entscheidungsfreiheit wahrnehmen.

Ein großer Teil der Schrift von Sieglinde Kaufmann informiert deshalb über gesetzliche Regelungen zum Thema. Das Grundgesetz stützt uns in unserem Recht auf Meinungs- und Entscheidungsfreiheit, und es gibt in Deutschland keine Impfpflicht: Niemand darf also wegen einer Impfablehnung benachteiligt werden!

Eltern geraten auch unter Druck durch oft einseitige, manipulierende Darstellungen in Babyzeitschriften, Tageszeitungen oder im Fernsehen und setzen sich unter Umständen dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit aus. Die Weltgesundheitsorganisation kritisiert die „geringen Durchimpfungsraten" in Deutschland. Einzelne Institutionen und Pharma-Unternehmen verstoßen zur Durchsetzung von Impfungen gegen geltendes Recht. Bei medizinischen Studien oder Statistiken lohnt näheres Hinsehen: Wer gibt sie in Auftrag, wer finanziert sie?

EFI-Dresden ist eine eigenverantwortlich arbeitende Regionalgruppe der bundesweiten Interessengemeinschaft „Eltern für Impfaufklärung". Die Dresdener Initiative hat sich die Aufgabe gestellt, Eltern bei der Informationssuche, Entscheidungsfindung und Umsetzung ihrer Entscheidungen zu unterstützen. Sie sammelt Informationen über die Impfthematik und gibt sie weiter. Neben vielfach veröffentlichtem Material von Impfbefürwortern steht vor allem solches aus allen Richtungen der Impfkritik zur Verfügung – ein Beitrag zur Informationsfreiheit. Die Elterngemeinschaft hat insbesondere Kontakt zu impfkritisch eingestellten Ärzten und Heilpraktikern, die ihrerseits Impfberatung durchführen können. Ein wichtiges Thema ist die Gesetzeslage in Deutschland, ihre Auslegung und Umsetzung.

Man trifft sich, um sich über das Für und Wider von Impfungen, Risiken und Alternativen zu informieren, Erfahrungen auszutauschen, Aktuelles zu besprechen. Bei EFI-Dresden kann Literatur eingesehen und erworben werden. Es finden Einzelgespräche statt, und für interessierte Gruppen und Einrichtungen werden Informationsabende angeboten.

Ingo Mäder

Sieglinde Kaufmann „Informationssammlung für eine überlegte Impfentscheidung" (3., überarbeitete und erweiterte Auflage; etwa 84 Seiten im A5-Format) 7 Euro (zuzüglich Versand) und kann bestellt werden bei:

EFI-Dresden, S. Kaufmann, Erikaweg

8, 01328 Dresden; Telefon/Fax (0351) 2164276

Internet: www.efi-dresden.de, info@efi-dresden.de

Sieglinde Kaufmann „Informationssammlung für eine überlegte Impfentscheidung" (3., überarbeitete und erweiterte Auflage; etwa 84 Seiten im A5-Format) 7 Euro (zuzüglich Versand) und kann bestellt werden bei:

EFI-Dresden, S. Kaufmann, Erikaweg 8,

01328 Dresden; Telefon/Fax (0351) 2164276

Internet: www.efi-dresden.de, info@efi-dresden.de

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 Wege zur Mitverantwortung im Gesundheitswesen

Zusammenfassung eines Textes von Udo Hermannstorfer, veröffentlicht in Gegenwart Nr. 1/2005

Eine Arbeitsgruppe um Herrmannstorfer entwickelte Vorschläge zu einer strukturellen Umgestaltung auf assoziativer Grundlage.

1. Der mündige Mensch steht im Zentrum des Gesundheitswesens. Er leidet an seiner Krankheit, er sucht Behandlung, er muss damit leben. Deshalb muss er an des sozialen Vorgängen im Gesundheitswesen teilnehmen können. Der Staat muss es ermöglichen, dass die Bürger als verantwortungsbewusst und gleichberechtigt mit den Leistungserbringern zusammenarbeiten können.

2. Als weiteres Prinzip gilt der Solidarausgleich: Alle Bürger müssen einen sozial fair verteilten finanziellen Beitrag erbringen, damit alle die medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können, auch wenn sie dies nicht allein bezahlen können. Der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen, die gleichzeitig Pluralität und Solidarität gewährleisten. Er muss nicht entscheiden, welche Medizin „richtig" oder „nicht richtig" ist.

3. Bei der solidarischen Finanzierung werden drei Stufen gesehen: Die ersten Kosten muss der „Patient" selber bezahlen. Kosten, die er nicht mehr selber zu bezahlen vermag, trägt der Solidar-Ausgleich bis zu einer gemeinsam zu bestimmenden Grenze. Sollte weiteres noch abgesichert sein, muß eine Zusatzversicherung abgeschlossen werden.

4. Das Gesundheitswesen ist kein freier Markt! Deshalb ist eine Gemeinschaft dazu angehalten, eine vorsorgende Infrastruktur zu erhalten. Diese Kosten können nicht einem Kranken aufgebürdet werden. Infrastrukturkosten, unter anderem etwa Krankenhäuser, müssen steuerfinanziert durch alle werden. Dadurch müssen sich diese Kosten nicht amortisieren.

5. Das Gesundheitswesen verlangt nach einem patientennahen bedarfsgerechten regionalen Aufbau in regionalen assoziativen Organen.

6. Die Krankenkassen dürfen nicht die medizinische Versorgung allein inhaltlich bestimmen, sondern haben ihren Platz als Dienstleister im Verrechnungswesen des Gesundheitswesens.

dk

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Stark gebremst und strenger Rhythmus

Es geht mir ja so im Hinblick auf meine Arbeitskraft, dass ich sie seit 20 Jahren um mindestens die Hälfte reduziert empfinde im Zusammenhang mit dem Kräfteabbau physischer Art, der als Folge eines körperlichen Zusammenbruchs etwa in meinem 40. Lebensjahr stattfand.

Ich sage das hier deshalb, weil ich seit dieser Zeit eigentlich dauernd darunter leide, dass das Maß an Arbeit, welches ich der Sozialen Dreigliederung, der Kommunikation, der Gruppe, dem „Jedermann", den Gesprächen mit anderen und so weiter zur Verfügung stellen kann, weit hinter dem zurückbleiben muss, was ich als notwendig erachte. Früher konnte ich die Nacht dazunehmen, um aufzuholen, was ich am Tage nicht mehr schaffen konnte wegen der vielen Besuche und so weiter. Heute ist das nicht mehr möglich.

Ich komme sehr mühsam so ungefähr um 8.30 Uhr aus dem Bett. Dann habe ich mindestens eine halbe Stunde damit zu tun, meinen Körper soweit wieder lebendig zu machen, dass ich einigermaßen aktionsfähig bin. Abwaschungen mit Rosmarin, Einölen, zweimaliges Bürsten des gesamten Körpers, jeden Morgen zehn Minuten Freiübungen, damit ich überhaupt wieder laufen kann, das alles gehört dazu. Ich erwähne es hier deshalb, weil es für mich einen bedrückenden Zeitverlust bedeutet im Hinblick auf den bevorstehenden Arbeitstag. Ich bin manchmal einfach nur wütend, wenn ich daran denke, wie viel Zeit ich verbrauchen muss, um durch alle möglichen körperlichen Verrichtungen morgens so weit zu kommen, dass ich einigermaßen von körperlichen Beschwerden unbelastet zum Frühstück kommen kann.

Dann kommt das gemeinsame Frühstück. Das genieße ich sehr, es ist für mich eine wirkliche Kraftquelle. Wenn es während und nach dem Frühstück zu problematischen Gesprächen kommt, so gibt es für mich zwei Situationen: Entweder habe ich den Eindruck, dass wir plötzlich in ganz wichtige Bereiche unseres Zusammenlebens oder der Problematik einer Person kommen – dann schalte ich sofort mit großer Überzeugung ab und bleibe so lange, wie es mir als notwendig erscheint. Dabei kann ich allerdings nicht umhin, immer wieder zur Uhr zu sehen und bedrückt darüber zu sein, dass jetzt wieder viel Zeit vergeht, der Vormittag für die Arbeit mehr und mehr in Frage gestellt wird. Die andere Situation ist die, dass es fröhlich, heiter und ausgelassen zwischen uns ist. Wir brauchen dann wenig Zeit zum Frühstück, und ich bin schneller bei meinem Spaziergang als sonst.

Zum Spaziergang: Er dauert 30 bis 40 Minuten. Ich kontrolliere die Zeit sehr genau, kann es in Wasserburg besonders gut tun, weil ja da die Kirchturmuhr ist. Es ist in der Regel die einzige Zeit des Tages, an der ich mich in der frischen Luft befinde. Seit es mir körperlich dreckig geht, habe ich festgestellt, dass ich diese Zeit an der frischen Luft unbedingt brauche, um meine Arbeitsfähigkeit, wenn auch in reduziertem Zustand, erhalten zu können. Ich mache diesen Spaziergang etwa zu derselben Zeit bereits seit 20 Jahren. Die Zeit des Spazierganges nutze ich aus, um eine ganz bestimmte Reihe von Übungen zu machen – in etwa die gleichen, ebenfalls seit 20 Jahren.

Wenn ich wieder nach Hause komme, versuche ich möglichst sofort mein Zimmer zu erreichen, um dort etwa noch eine Stunde lang anthroposophisch zu arbeiten. Die Arbeit richtet sich auf der einen Seite auf sozialwissenschaftliche Inhalte, auf der anderen Seite auf mehr esoterische Inhalte.

Die gesamte anthroposophische Arbeit, die ich täglich leiste, dauert etwa 90 Minuten. Das seit ziemlich genau 30 Jahren. Ich habe festgestellt, dass ich diese Arbeit unbedingt brauche, um der Aufgabe, die ich übernommen habe, auch nur einigermaßen gewachsen zu sein. Von der positiven Seite her gesehen gibt mir diese Arbeit die entscheidende Kraft. Von der negativen Seite her gesehen muss ich sagen, dass ich auch darunter leide, so viel Zeit für die anthroposophische Arbeit aufwenden zu müssen. Ich sehe darin eine Schwäche, daraus bestehend, dass ich eben ohne diese Arbeit die gesamte andere Arbeit nicht leisten könnte. Ein anderer, der weiter entwickelt ist, braucht sicherlich nur 15 Minuten anthroposophischer oder ähnlicher Arbeit am Tag.

Die Gespräche während und nach dem Frühstück kann ich sehr oft innerlich nicht als zur Arbeit gehörig anerkennen, obwohl mir durchaus klar ist, dass durch diese Gespräche in vielen Fällen seit langen Jahren schon sehr viel erreicht worden ist. Ich sehe ein, dass sie geführt werden müssen, ich habe auch sehr viel Freude daran, aber ich habe auch gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, wenn ich auf die Uhr sehe und bemerken muss, dass für meine ganz spezielle Arbeit in Sachen Dreigliederung, „Jedermann", Kommunikation und so weiter nun wieder sehr viel weniger Zeit vorhanden ist. Nach dem Mittagessen muss ich mich leider hinlegen, weil ich ohne die Mittagsruhe erfahrungsgemäß am Nachmittag nicht mehr arbeitsfähig bin.

Die Mittagsruhe dauert, ganz nach meinem körperlichen Zustand, manchmal nur 15 Minuten, manchmal sogar eine Stunde. War der Vormittag kurz, dann bleibt noch am Nachmittag ein Teil der anthroposophischen Arbeit zu erledigen. Dazu ist zu sagen, dass ich aus der sozialwissenschaftlichen Arbeit in den Schriften Rudolf Steiners eigentlich immer die entscheidenden Anregungen für Aufsätze im „Jedermann" schöpfe.

Am Nachmittag bearbeite ich zunächst einmal die Zeitungen und die Briefe, wenn ich nicht fort muss. Die Briefe kann ich sammeln und zu gegebener Zeit beantworten. Das ist eine sehr große Erleichterung, die es mir zum Beispiel möglich macht, diesen sicherlich recht langen Brief zu schreiben. Am Nachmittag muss ich auch immer damit rechnen, dass überraschend irgendwelche Leute kommen, die mit mir sprechen wollen. Dabei meine ich jetzt nicht die Hausbewohner, sondern Auswärtige. Ich versuche derartige Besuche auf ein Mindestmaß zu beschränken, weil ich mir dessen bewusst bin und darunter leide, dass unter Umständen durch solche Besuche überraschender Art weiter Zeit verloren geht.

Die Nachmittage sind in letzter Zeit häufig zum Teil

oder ganz dadurch ausgefüllt, dass ich zu Besprechungen ins Humboldt-Haus muss. Dazu ist zu sagen, dass ich mich noch einmal engagiert habe, wohl wissend, dass damit sehr viel Zeit verloren geht – weil ich doch hoffe, dass wenigstens ein Teil meiner geistigen und materiellen Investitionen ins Internationale Kulturzentrum Achberg (INKA) und ins Humboldt-Haus dadurch auch für unsere Arbeit noch zu retten ist, dass ich mich eben noch einmal in die Arbeit des Internationalen Kulturzentrums eingeschaltet habe. Ich möchte durch diesen Einsatz dafür sorgen, dass die Mitarbeiter von Modell Wasserburg allmählich einen festen Platz im Rahmen des INKA haben und auch später an dem geistig und materiell beteiligt sind, was dort läuft und weiter geschehen kann. Der nochmalige Einsatz für das INKA fällt mir sehr schwer. Es ist wirklich so, dass ich mich manchmal ziemlich mit letzter Kraft wiederum zu einer Zusammenkunft des Vorstandes oder der Mitglieder ins Humboldt-Haus herausschleppe. Dabei möchte ich bis zum letzten Moment vermeiden, dass etwa einer der Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von Wasserburg mich auch noch ins Humboldt-Haus herauffahren muss, und zwar deshalb, weil ich im Hinblick auf unsere Arbeit hier keinen abziehen möchte.

Die Nachmittage meiner Arbeit sind aus den angeführten Gründen immer mit vielen Fragezeichen versehen. Es kann immer etwas dazwischen kommen, damit muss ich rechnen. Trotzdem gelingt es mir, wenn auch nicht zuverlässig, am Nachmittag Aufsätze für den „Jedermann" und Korrespondenz für die Arbeit zu erledigen. An zwei Nachmittagen in der Woche findet, jedenfalls während eines Teiles des Nachmittags, der Arbeitskreis statt, auf den ich äußersten Wert lege und der mir auch sehr viel Freude macht. Ich bedaure es sehr und empfinde es als ein Versäumnis, dass nicht häufiger Arbeitskreise stattfinden können.

Je nachdem, wie Vormittag und Nachmittag verlaufen sind, ob zum Beispiel wichtige Zwischenfälle eintraten oder ob alles einigermaßen normal verlief, bleibt mehr oder weniger Zeit für die Arbeit am Abend. Wenn der Abend einigermaßen normal und störungsfrei verläuft, dann schaffe ich in der Zeit von 20 Uhr bis 24 Uhr den vergleichsweise größten Teil sowohl an Korrespondenzen, an Aufsätzen für den „Jedermann" als auch an notwendigen Entwürfen und so weiter.

Unsere gemeinsame Arbeit – Dreigliederung, Kommunikation, „Jedermann", Hausgespräche – kann in der gegenwärtigen Situation zuverlässig von mir folgendes erwarten: Genügend Aufsätze für den „Jedermann". Hier schreibe ich bewusst auf Vorrat, weil ich damit rechnen muss, dass sich meine Arbeitsfähigkeit plötzlich krass reduziert. In solchem Falle ist es gut, wenn Aufsätze vorrätig sind. Weiter kann die Arbeit damit rechnen, dass ich für wichtige Problemgespräche mit einzelnen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der Gruppe jederzeit bereit bin. Sie kann auch damit rechnen, dass alles, was die Situation des Gasthofes betrifft, mich jederzeit dazu veranlassen wird, alles andere beiseite zu legen und dafür da zu sein. Durch Hilfe ist es zur Zeit möglich, einigermaßen zuverlässig zu sagen, dass ich die größeren Korrespondenzen in Sachen „Jedermann" und Dreigliederung auf dem Laufenden halte. Auch das Schreiben der Aufsätze auf Vorrat ist nur dadurch möglich. Die Arbeit kann sich weiterhin ziemlich zuverlässig von meiner Seite darauf verlassen, dass ich für wichtige Gruppengespräche mit Außenstehenden zur Verfügung stehe. Ein ziemlich großer Teil der mir sonst zur Verfügung stehenden Zeit entfällt in meiner gegenwärtigen Situation für den Einsatz für das Internationale Kulturzentrum aus den oben dargestellten Gründen.

Abschließend möchte ich sagen, dass mein Arbeitstag jetzt die recht kümmerliche Stundenzahl von morgens 10 Uhr bis abends 24 Uhr umfasst, wobei mindestens 2 ½ Stunden noch abgerechnet werden müssen für die Mahlzeiten. Meine persönliche Korrespondenz ist eigentlich ganz zurückgegangen. Mir tut das eigentlich sehr leid, aber es hat sich doch ganz organisch so entwickelt, dass eben die Menschen, mit denen ich unmittelbar zusammenarbeite, ganz im Vordergrund stehen.

Peter Schilinski
Auszug aus einem Brief vom 3. März 1978

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 Eulenspiegel-Nachrichten

Revital Herzog

Begegnungen in Israel-Palästina

Eines der leiseren Konzerte fand wieder einmal im Eulenspiegel statt. Revital Herzog spielte auf dem Akkordeon Klezmer, Lieder vom Balkan und aus dem Orient. Dazu erzählte sie Geschichten von Begegnungen zwischen Israelis und Palästinensern, mit ägyptischen Polizisten, mit Kindern und Frauen und alten Männern aus dem Sinai.

 Treffpunkt Eulenspiegel: Eva Wonneberger

Eva Wonneberger ist eine Aktivistin der ersten Stunde in unserer Region. Lange Jahre leitete sie das Isnyer Kulturzentrum „Färbergasse". Als Soziologin arbeit sie heute im VIA-Institut für alltagsbezogenen Sozialforschung. Eines ihrer nächsten Projekte sind Informationstage zur Existenzgründung für Migrantinnen und Aussiedler in Ravensburg und Friedrichshafen.

Nebenbei sichert sie die Spuren verschiedener Persönlichkeiten. Sie ermöglich die individuelle Niederschrift von Biografien inklusive der Gestaltung und des Drucks.

Sie erarbeitet mit diesen Menschen die persönliche Lebensgeschichte oder die eines nahestehenden Menschen, mit wichtigen Stationen, Entscheidungen, Entwicklungen und Anekdoten. Erzählte Lebensgeschichten können den Angehörigen die Vergangenheit nahe bringen. Eva Wonneberger, eine langjährige Freundin des Eulenspiegels, war die erste Persönlichkeit beim Treffpunkt Eulenspiegel, unserer neuen Reihe beim Rundgespräch. Kontakt über Telefon 07522-913376.

dk

Anleitung zum Mächtigsein

Ein sehr spannendes Seminar über die Methode des Community Organizing aus den USA. Paul Allan Cromwell, ein Organizer seit 25 Jahren, berichtete von seinen Erfahrungen des Community Organizing. Dabei geht es darum, Bürger in Nachbarschaften dazu zu ermächtigen und zu organisieren, damit sie in der Lage sind ihre Lebensbedingungen zu verbessern. In Jacksonville führte das zu einer neuen Buslinie, die die armen Viertel mit der Zone der Beschäftigung verband und die Fahrzeit um zwei Stunden verkürzte. Viele Beispiele und Geschichten aus dem Leben des Erfinders dieser Methode Saul D. Alinski verdeutlichten diese Arbeit. Im Mittelpunkt stehen sogenannte One-to-One-Interviews, mit denen die Menschen der Nachbarschaft kennengelernt und aus denen die Problemlagen erkannt werden, die dann in kurzer Zeit angegangen und mit kreativen Mitteln des zivilen Ungehorsams versucht werden umzusetzen.

Mehrere Menschen aus Stuttgart, die sich mit dem Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit beschäftigen, berichteten was sie in ihrer Stadt tun, und überlegten wie dies verknüpft und wie ihre Arbeit effektiver werden kann.

Walter Häcker, ein Projektberater aus Stuttgart brachte sein Wissen über Projekte und Betriebe der Region mit ein.

dk

Tage der Utopie

Dieter Koschek besuchte bei den Tagen der Utopie in St. Arbogast in Vorarlberg die Vorträge von Bernard Lietaer und Frithjof Bermann. Neue Anregungen zu einem anderen Umgang mit Geld stehen im Raum. Die Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel, die ja bereits im Nürnberger Tauschring mitwirkt, könnte ja auch in unserer Region dem Tauschring beitreten. Erste Schritte werden getan. Frithjof Bergmann, ein sehr sympathischer deutschstämmiger Professor aus den USA, stellte seine Ideen über Neue Arbeit und Neue Kultur vor. Er erläuterte drei Formen von Arbeit: die normale Erwerbsarbeit, die Arbeit, die du „wirklich, wirklich" tun willst und Formen von technologischer Selbstversorgungswirtschaft. Er ermunterte hier, kreativ nach neuen Arten von Technologie und Arbeitsformen zu suchen. Eine Möglichkeit sind die „Häuser der Eigenarbeit", die Räume und Werkzeuge zur eigenen Arbeit zur Verfügung stellen.

dk

Attac-Bodenseetreffen

Beim 2. internationalen Bodenseetreffen mit 25 Menschen aus fünf Städten ging es in erster Linie darum, gemeinsame Themen zu entwickeln und zu einer effektiveren Zusammenarbeit zu kommen. Dieter Koschek moderierte dabei den Vormittag. Entwickelt wurde eine eigene Website und ein verbessertes Kommunikationssystem. Der Nachmittag stand ganz im Zeichen des Wassers. Der empfehlenswerte Film „Die Geldquelle" regte zur Diskussion über „Wasser als Ware" an. Mit den Initiatoren der „Wasserkarawane" wurde überlegt Ende August eine Aktion am Bodensee durchzuführen (siehe dazu den Beitrag in diesem Heft).

dk

Jedermensch-Verlag

Die Schriften von Peter Schilinski und die Zeitschrift „jedermensch" haben im Café-Restaurant Eulenspiegel eine Präsentation in einem Drehständer gefunden. Zudem hat Dieter Koschek einen Büchertisch zusammengestellt, der Bücher vom Jedermensch-Verlag, der AG SPAK und von attac auf verschiedenen Veranstaltungen präsentiert.

dk

Bionetz Lindau

Der Einkaufsführer für Lindau, Tettnang und Wangen ist erschienen. Er wurde in Lindau mit der Tageszeitung verteilt und liegt ansonsten bei den verschiedensten Treffpunkten aus. Die Lindauer Zeitung berichtete ausführlich über die Präsentation im Café-Restaurant Eulenspiegel, zu der sieben verschiedene Biobetriebe kamen. Bei einem weiteren Treffen auf dem Biohof Schauwies bei Amtzell wurde die Präsentation der ökologischen Landwirtschaft auf der Grünen Woche in Lindau Ende August vorbereitet.

dk

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Fragen zu stellen ist wichtiger, als vorgegebene Antworten wiederzugeben

„Kraft und Wirkung von Gedanken: Unsere Gewohnheiten kreieren unsere eigene Welt. Es gibt kaum eine größere Kraft als die Kraft unserer Gedanken, und körperliche sowie seelische Gesundheit hängen davon ab. Erst wenn wir anfangen, die Verknüpfung von Gedanken, Gefühlen und Handlungen zu verstehen, können wir Eigenverantwortung übernehmen und die Qualität unseres Lebens bestimmen. Unser Schicksal liegt in unserer Hand."

(Aus einem Prospekt einer Wiener Volkshochschule)

Ich merke, dass ich eigentlich dumm bin. Intelligent ja, aber dumm. Ich lese manche Bücher, die mir Wissen vermitteln wollen und ich komme keine zehn Seiten weit. Es gibt Bücher, zum Beispiel von Umberto Eco, die mich abschalten.

Und doch bin ich davon überzeugt, dass wir immer und immer dazu lernen. Gerade im Alter kommt eine Menge an Erfahrung hinzu, die mit Gelassenheit und Ruhe ein neues Weltbild ermöglicht. Eine Garantie, dass das so ist, gibt es aber nicht. Genau die gleichen Merkmale, Gelassenheit und Ruhe, können auch dazu führen, dass ich bestimmte Dinge im Leben nicht mehr wahrnehmen kann.

Schwerpunkte verschieben sich im Leben und was mit zwanzig wichtig war ist es mit sechzig vielleicht nicht mehr. Wichtig wird vor allem die Möglichkeit, die Blickwinkel zu verändern, und das zu akzeptieren.

Lernen für Erwachsene passiert heute in den Volkshochschulen und in einer unzähligen Vielfalt von Kursen, Seminaren und Einrichtungen, die zumeist in privater Hand sind und zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor werden und auch weltweit der Liberalisierung unterliegen. So entwickelt sich ein Markt für Lernen. Und dieser unterliegt, falls er nicht öffentlich bezuschusst wird, den Gesetzen der Profitmaximierung.

Als Kultur- und Begegnungsstätte ist auch der Eulenspiegel durch Vorträge, Seminare und auch Ausbildungen, die in unseren Räumen stattfinden, auf diesem Feld tätig.

Im engeren Umfeld ist die Sozialpolitische Akademie der AG SPAK zu nennen, die dieses Jahr mit einem eigenen Programm startet. Sieben der neuen Angebote finden in der Startphase im Eulenspiegel statt. In den nächsten Jahren soll das Programm bundesweit ausgeweitet werden. Ich selber zeichne wesentlich dafür verantwortlich.

Bei diesem Bildungsangebot kommt es darauf an, in guter Atmosphäre ein gegenseitiges Lernen zu ermöglichen von Dingen, die ich in meinem Umfeld auch wieder einsetzen kann.

Mit uns in Verbindung stehen auch noch andere Initiativen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind. Zu nennen ist da die „GLS-Akademie". Sie bietet zehn Praxisseminare für einen anderen Umgang mit Geld an. Die Bochumer Gemeinschaftsbank will damit für die von ihr unterstützten Initiativen auch eine ideelle Grundlage schaffen. Mit dem Albertus-Magnus-Haus in Freiburg ist Anton Kimpfler eng verbunden. Diese Seminare veröffentlichen wir im „jedermensch" regelmäßig, jedoch werden dort auch Fortbildungen angeboten, zum Beispiel gibt es eine Heilpflanzenschule, die im Garten ihre Kräuter anbaut.

Doch welche Bausteine sind für eine fortschrittliche Bildungsarbeit wichtig?

Das Aufgreifen gesellschaftlich relevanter Themen und das Reflektieren gesellschaftlicher Entwicklungen muss im Vordergrund stehen. Desweiteren die Absicht, daran gemeinsam kreativ und verantwortlich mitzuarbeiten, um kritisches Denken und kreative Lösungsansätze voranbringen.

Wissen zu vernetzen und Querverbindungen zu schaffen sind wesentliche Aufgaben, um gesellschaftliches und politisches Engagements zur Mitgestaltung der Gesellschaft zu fördern.

Um zivilgesellschaftliche Strukturen zu unterstützen ist die Qualifizierung ehrenamtlicher Tätigkeit, die Hilfe zur Selbsthilfe und die Vernetzung wichtig.

Unsere Bildungsarbeit soll die Vielfalt der Gedanken, Einstellungen und Kulturen wertschätzen und fördern und ein Ort der Begegnung sein. Unsere Arbeit soll sein: für eine Humanisierung der Gesellschaft, für mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung, und für die Neugier auf das Fremde als Bereicherung.

Gemeinsames Lernen gedeutet für mich: Vielfältige Formen des Miteinanders, Gespräche, gemeinsame Aktivitäten, gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit von Betroffenen, Verantwortlichen und Fachleuten.

Im gemeinsamen Lernen werden Schritte zum Handeln entwickelt. Leidenschaftliche und faire Auseinandersetzung führen zu effektivem sozialem Engagement, das Spaß macht.

So kann das soziale Leben bunter werden.

Das könnte das Bildungskonzept der Kultur- und Begegnungsstätte Eulenspiegel sein.

„Wenn Gedanken groß sind, dürfen die Schritte dahin klein sein" (Hartmut von Hentig 1996)

Das bedeutet, dass nicht der große Kongress, die Menge der Besucher- und Besucherinnen, der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend ist, sondern die bescheidene Eigenheit der eigenen Arbeit.

Dieter Koschek

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Wasserkarawane

Das Kostbarste, von dem wir uns ernähren, aus dem wir bestehen, ist nicht überall für jeden in gleicher Menge verfügbar. Wir können uns glücklich schätzen mit unserem Trinkwasservorkommen, das uns der Bodensee schenkt. Wasser in dieser Fülle ist ein Geschenk, das nur ein Teil der Erde so üppig genießen kann. Millionen Menschen ringen um Zugang zu sauberem Trinkwasser. Wasserkriege stehen uns bevor, wenn wir nicht anders umgehen mit unserem wichtigsten Lebensmittel.

Wenn dann auch noch das Wasser von unseren Gemeinden verkauft wird, um die Gemeindekassen zu füllen - um dann abhängig von Investoren zu sein -, die, falls sie Druck ausüben wollen, uns schlichtweg das Wasser abdrehen können. Spätesten dann müssen auch wir aufwachen. Was wäre, wenn aus dem Hahn für eine Weile nichts läuft? Würden wir auf die Barrikaden gehen, die Bürgermeisterämter stürmen, um unser Recht auf reichlich Trinkwasser einzufordern? Was wäre, wenn einfach kein Wasser in ausreichender Menge da wäre?

Bevor es soweit kommt, schließen Sie sich unserer

WASSERKARAWANE an,

die im Zeitraum 29. August bis 03. September 2005 um den gesamten Bodensee zieht, unter dem Motto:Die Bewegung für und rund ums Wasser. Aktuelles und ausführliche Informationen unter Ingrid Weis-Schäfer, Franz-Beer-Weg 7, 88682 Salem, www.wasserkarawane.de

Die Bewegung rund ums Wasser

Die Entwicklung in der Bundesrepublik, immer mehr Bereiche der kommunalen Daseinvorsorge zu privatisieren, um Finanzlöcher zu stopfen, besonders aber der Abschluss eines Cross-Border-Leasing-Vertrages1 des Zweckverbandes der Bodensee Wasserversorgung war im Jahr 2003 für eine Gruppe von Menschen am Bodensee Auslöser, sich mit der Situation des Wassers zu befassen. Es entstand die Idee WASSERKARAWANE, die am Bodensee, dem größten Trinkwasserspeicher Europas, die Menschen aufwecken und dazu aufrufen will, sich auf das Wasser zu besinnen.

Besinnen auf die Rolle, die dem Wasser in der globalisierten Welt zugeteilt wird, als Ware, als Objekt wirtschaftlicher Interessen: Liberalisierung, Privatisierung, GATS2 Stichworte, die uns alle betreffen und zum raschen Handeln auffordern.

Besinnen auch auf ökologische Fragen, wie die Verschmutzung des Wassers und nicht zuletzt die Wasserknappheit in großen Teilen der Welt und die damit verbundenen sozialen und politischen Folgen: Es sterben Menschen an verunreinigtem Wasser und es zeichnet sich auch ab, dass das Wasser Grund für Kriege der Zukunft werden wird.

Und sich besinnen auf das Wasser selbst. Ist das Wasser nicht das Element des Lebens? Antoine de Saint-Exupery, der Schöpfer des „Kleinen Prinzen" formulierte: „Wasser! Du hast weder Geschmack, noch Farbe noch Aroma. Man kann Dich nicht beschreiben. Man schmeckt Dich ohne Dich zu kennen. Es ist nicht so, dass man Dich zum Leben braucht: Du bist das Leben!"

Wir Menschen sind heute aufgefordert zu lernen, mit den sozialen, ökologischen und ökonomischen Fragen und Aufgaben anders umzugehen als bisher.

Die Vision WASSERKARAWANE, einer bunten Schar von Menschen die um den Bodensee zieht, hat sich konkretisiert: Im Zeitraum von Mai bis Oktober 2005 finden Aktionen und Veranstaltungen zum Thema Wasser in den Orten rund um den See statt. Beiträge, die als Teil der Wasserkarawane im Verbund miteinander stehen und die in ihrer Vielfältigkeit informieren, bewegen, berühren, Spaß machen und Aufmerksamkeit wecken und untereinander ausgetauscht werden; eine internationale Bewegung am gesamten Bodensee, deren Herzstück eine einmal um den See ziehende Karawane sein wird. Ein Zug von Menschen, die für das Wasser um das Wasser wandern, mit Märchenerzählern, Gauklern, Künstlern, Straßentheater. Mit Allen die die ganze Strecke oder auch nur ein Stückchen mitkommen.

„Viele kleine Menschen
an vielen kleinen Orten,
die viele kleine Dinge tun,
werden das Angesicht der Erde verändern"
Afrikanische Weisheit

Nur wenn viele große und kleine Menschen, Jung und Alt um den Bodensee mitmachen, mitgestalten und mitorganisieren gelingt das Projekt Wasserkarawane. Die Wasserkarawane gibt den Impuls und ist die Plattform für eine von aktiven Menschen gestaltete Bewegung. Keine besonderen Fähigkeiten oder Qualifikationen sind notwendig, sondern beherzte Menschen, die mit ihrer Teilnahme ein Zeichen setzen und nicht hilflos und untätig den Dingen zusehen, die regional und weltweit passieren.

Die Wasserkarawane wird zu einem Teil der weltweiten sozialen Bewegung, die sich dafür einsetzt, daran glaubt und hofft, dass uns die weltweite Wasserkrise einen Schritt näher zum Frieden auf dem Planeten führt; dass die Menschheit sich letztlich der Natur beugt und lernt, friedlich innerhalb der Grenzen zu leben, dass die Völker der Welt zusammen arbeiten und das unantastbare Wasser des Lebens zu einem Gemeinschaftsgut der Erde wird.

Machen Sie mit, lassen Sie uns gemeinsam unsere und die Zukunft unserer und aller Kinder gestalten.

Die Kunst war von Anfang an das Fundament der Idee WASSERKARAWANE.

„Das innerste Gewissen wach halten, das uns bei jedem ausgebildeten Erlebnis ansagt, ob es so, wie es nun dasteht, ganz und gar in seiner Wahrhaftigkeit und Lauterkeit zu verantworten sei: das ist der Grund jeder künstlerischen Hervorbringung."
Rainer Maria Rilke

Dass dieses innerste Gewissen eines jeden Menschen gefordert ist um neue Formen des Zusammenlebens und Schaffens auf der Erde zu finden, Formen die anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als denen von Macht und materiellem Gewinn, ist unsere tiefste Überzeugung. Und somit betrachten wir die Gestaltung eines zukünftigen menschlichen Miteinanders als künstlerische Aufgabe. - Die Zukunft als Kunstwerk an dessen Entstehung jeder Mensch im Sinne von Joseph Beuys als Künstler beteiligt sein muss.

In diesem Sinne versucht die Wasserkarawane nicht nur die Kunst als Medium einer politischen und gesellschaftlichen Botschaft zu nutzen, sondern ein Übungsfeld der sozialen Kunst zu sein.

1Cross Border Leasing ist eine der umstrittensten Methoden für Kommunalverwaltungen und Großbetriebe, an Geld zu kommen: Ganze Wassernetze, Fuhrparks, Güterterminals, U-Bahnnetze und vieles mehr wurde an USamerikanische Investoren verkauft und anschließend wieder zurück geleast.

2General Agreement on Trade in Services

Das GATS beabsichtigt nichts mehr und nichts weniger, als den großen internationalen Dienstleistungsunternehmen zu erlauben, die öffentlichen Dienstleistungen in aller Welt zu übernehmen - ob die Menschen das wollen oder nicht

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Achberger Beuys-Archiv
Werkstatt Soziale Plastik
Gründung und Aufruf

Wir haben es gegründet – im Geiste – das Achberger Beuys-Archiv, allerdings auch versehen mit einem kleinen irdisch-feinstofflichen Fuß am Boden, nämlich der Versenkung einer Original-Beuys-Signatur auf FIU-Aufkleber auf dem Hasenweg im Argental. Die Signatur soll Ihre Energie entfalten in der Achberger Erde und mit dafür sorgen, dass wir nun auch feste Hüllen erhalten für unsere Arbeit.

Am 17. März 2005 feierte das Team des Rudolf Steiner-Archivs mit Vera Koppehel und Jens Prochnow den Abschluß seiner Tournée, die es drei Wochen lange quer durch Deutschland geführt hatte. Uns waren die Freunde willkommene Paten bei den ersten kleinen Schritten auf dem Weg ins hoffentlich lange, ausgebreitete Leben. Der Saal des Humboldt-Hauses war festlich geschmückt mit allerlei Utensilien aus den beiden Archiven. Dabei dominierten vor allem die großen Tafel-Faksimiles der beiden Künstler, Steiner mehr flächig-vielfarbig, Beuys mehr grazil-zeichnerisch. Die kleinen Handschriften, vor allem von Beuys, konnten in der Kürze der Zeit gar nicht detailliert angeschaut werden.

Vera Koppehel begrüßte die ca. 50 Gäste. Es schloß sich Herbert Schliffka an mit seinen Ausführungen über die Beziehung von Beuys zu Achberg. Rainer Rappmann sprach einige Worte über das Werk und die Arbeit von Beuys, der das Weibliche und ihren kolloidalen Charakter einen Vorrang eingeräumt hat. Dann brach man auf ins Argenthal auf den Hasenweg zum eigentlichen Gründungsakt, dem etwa 25 Freunde und Freundinnen folgten. In der Nähe der Keltenschanze wurde gegraben, zunächst symbolisch mit einer Nachempfindung des „Doppelspatens" von Beuys und dann real und kräftig. Viele der Mitwanderer beteiligten sich, sogar ein kleines Kind durfte den Spaten berühren. Sodann wurde die in blaues Obstkistenpapier eingehüllte Schatulle mit der Beuys-Signatur und ca. 30 weiteren Unterschriften von Rainer Rappmann in die Erde versenkt und die Gründung des Archivs proklamiert, begleitet von guten Wünschen Vera Koppehels. Obwohl noch die letzten Schneereste und viel Wasser den Weg begrenzten, wehte ein warmer Frühlingshauch über der Gründung, während die Sonne glutrot unterging und der Halbmond über den Wipfeln stand.

Sodann wurde der Weg fortgesetzt, vorbei an den drei Schicksalseichen, entlang an der Argen und den befestigten Steilhang hinauf. Wohl zufrieden ob des getanen Werkes kam die Gruppe nach zwei Stunden wieder im Humboldt-Haus an.

Es schloß sich an das wunderbare, festliche Abendessen, kredenzt von Mario Ohno, das den Gründungsakt mit einem würdigen Abschluß versah. Kleine Reden von Christoph Bednarz, ein Text von Rudolf Steiner zur Sozialen Kunst und sogar ein Tango von Vera Koppehel mit Rainer Rappmann rundeten den Gründungsakt ab, der noch bis spät in die Nacht am „Runden Tisch" nachgefeiert wurde.

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 Selbsterkenntnis und schlechte Stimmungen

Ich finde es zwar sehr verständlich und auch allgemein verbreitet, daß Menschen besonders ihre negativen Stimmungen in Gefühlen und Worten gerade über ihre nächste Umgebung ausbreiten, aber ich habe auch erlebt, daß durch diese Verhaltensweise nicht nur Beziehungen allmählich auseinander gehen, weil das Negative sich immer höher auftürmt, sondern auch ganze Gruppenprojekte an den Rand des Ruins gebracht werden. Immer wieder fand ich die gleiche Ursache: Die Menschen nehmen die Freude, die ihnen das Leben bringt, mehr oder weniger gedankenlos hin und genießen es. Man bemerkt nicht, daß sie aus den schönen Dingen, die ihnen gegeben sind, Tragkräfte für sich und ihre Umgebung gewinnen.

Aber depressive Stimmungen, negative Gedanken, skeptische Einstellungen im Ganzen und im Einzelnen werden von vielen Menschen - in meinen Augen ist das eine Haltlosigkeit - zügellos über die eigene Persönlichkeit und auch die ganze Umgebung ausgebreitet. Für mich persönlich ist es sehr wichtig, mit denen mir nahestehenden Menschen so umfassend in Kontakt zu treten, daß ich möglichst alles, was sie von sich, ihren Erfahrungen, ihren Schmerzen und Freuden im Bewußtsein haben, weiß, und daß auch sie daran interessiert sind, über meine Situation in einem umfassenden Sinne orientiert zu sein. Die Aussprache gerade auch über das, was in schmerzlicher Weise bedrückend wird, halte ich für sehr, sehr wichtig. Aber es ist doch etwas anderes, wenn anstelle einer Aussprache nur Stimmungen im Raum sind. Ich hab es jedenfalls sehr oft erlebt, daß ich dann eine doppelte Mühe hatte. Erst einmal mußte ich versuchen, überhaupt die depressive Stimmung zu tragen, und dann mußte ich weiter versuchen, gewissermaßen stellvertretend für den anderen, allmählich herauszufinden, welche die Ursachen einer oft wirklich verheerend wirkenden, langdauernden depressiven Stimmung waren.

Mir hilft, wenn ich eine solche Lage verstehen will, sehr das von der Anthroposophie gegebene Menschenbild. Es besagt, daß jeder Mensch auf einer bestimmten Entwicklungsstufe zunächst einmal ein wirkliches Aha-Erlebnis gegenüber einer Schwierigkeit hat, die sich in ihm selbst befindet und die er vorher noch nicht gesehen hat. Ist er durch seinen bisherigen Lebensgang "vorbereitet", dann wird dieses einmalige Erlebnis für ihn zu einer Grundlage dafür, daß er die gleiche Schwierigkeit in anderen Situationen sofort begreift. Ist er nicht in entsprechender Weise vorbereitet, dann muß das gleiche Erlebnis manchmal "unzählige Male" wieder eintreten, und es ergibt sich immer wieder erneut die gleiche Schwierigkeit und erneut der gleiche für den betreffenden Menschen und für seine Umgebung furchtbaren Prozeß, die Erkenntnis dieser Schwierigkeit zu vermitteln. Dieses Erlebnis muß sich so oft wiederholen, bis der Mensch auf einer bestimmten Entwicklungsstufe seinen Fehler - es kann sich dabei natürlich auch in anderer Beziehung um positive Eigenschaften handeln - so verinnerlicht hat, daß er keine Schwierigkeiten mehr bereitet, wenn er diesem Fehler wieder anheimfällt, sondern daß er selbst diesen Fehler sofort im Bewußtsein hat, wenn er ihn wieder gemacht hat. Es handelt sich ja bei diesen Dingen im Grunde genommen um das ganz "einfache" Problem der Selbsterkenntnis. Wer keine Selbsterkenntnis haben will, und das sind ja wirklich sehr viele Menschen, der weist jeden Fehler, der ihm in der Praxis nachgewiesen wird, vollautomatisch ab. Er wird immer wieder behaupten, daß es kein Fehler war, sondern, daß äußere und andere Umstände, die ungünstig lagen, diese Situation herbeigeführt haben. Wer diesen Boden des Willens, sich nicht selbst zu erkennen, verläßt, der kommt zunächst einmal dazu, offen für das zu werden, was andere Menschen, die mit ihm zusammenleben, an ihm erlebt haben. Er weist bestimmte Fehler, welche die anderen an ihm beobachtet haben oder jedenfalls glaubten beobachtet zu haben, nicht einfach ab, sondern geht ihnen nach und kann dann sehr oft finden, wenn er die Kraft und den Mut dazu hat, daß die anderen recht hatten. Auf diesem Wege ergibt sich dann allmählich die Fähigkeit, dadurch ein ansprechbarer, in meinen Augen sozialer Mensch zu werden, daß man seine eigenen Fehler in einem immer umfassenderen Sinne im Bewußtsein hat und es nicht mehr nötig hat, abzuweisen oder abzustreiten. Das, was aus dem anthroposophischen Menschenbild heraus als Selbstbewußtsein bezeichnet wird, ergibt sich aus einer mehr und mehr klaren Anschauung des Menschen im Hinblick auf seine Fehler, die er jederzeit zuzugeben bereit ist, und im Hinblick auf seine positiven Eigenschaften, von denen er ebenfalls weiß und die er sich nicht durch irgendwelche negativen Kritiken absprechen läßt.

Peter Schilinski

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